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Das war 2011 - Der Musikreviews-Jahresrückblick
Der Jahresrückblick 2011 - Einige Musikreviews-Redakteure stellen ihre persönlichen Highlights vor, lassen tragische Ereignisse Revue passieren. Musik, Bücher, Filme - natürlich ist alles erlaubt! Die meisten hier genannten Alben wurden auch bei uns besprochen, die Reviewlinks sind farblich hervorgehoben. Wir wünschen also viel Spaß bei der ausgiebigen Lektüre.
Andreas Schiffmann (Profil): Ein Musikmagazin ist kein Forum zur Propaganda, doch was sich 2011 auf deutscher wie internationaler Politbühne ereignet hat, spiegelt sich deutlich im Kleinen wider – im Menschen und seiner Kunst. Wird oben geschmiert, geheuchelt und betrogen, ist es mit den Werten unten nicht weit her. Häufiger denn je muss man sich heuer mit Scheinheiligen und Selbstdarstellern herumschlagen, gerade im Bereich harter Gitarrenmusik, die längst – wir wissen es alle – zu einem Riesengeschäft geworden ist, nicht zuletzt dank blauäugiger Milchkühe, die man Fans nennt. Davon sind alle Ebenen betroffen, zumal man sowieso nicht mehr von Underground und Mainstream sprechen kann. Jede sogenannte Szene feiert sich selbst mithilfe nicht mehr ganz so neuer New Media, Subversives wird annektiert und gestriegelt, noch ehe es sich entfalten kann. Deshalb gilt es, noch wachsamer als früher zu sein und gerade in einer Zeit, in der alles unmittelbar verfügbar ist, noch tiefer zu schürfen, um wirklich Bedeutsames, Nachhaltiges zu entdecken.
So negativ dies klingt, liegt genau darin auch das Positive. Vielfalt ist nichts Schlechtes, solange man sich nicht zum Spielball derer macht, die sie um ihrer selbst Willen schaffen. Sagt einfach hin und wieder Nein im Sinne Wolfgang Borcherts, wenn ihr mit dieser oder jener Schablone zeichnen sollt. Ein umso deutlicheres Ja an angebrachter Stelle wird euch gleich viel leichter fallen. Kauft nicht jeden Firlefanz – im konkreten wie übertragenden Sinn –, sondern beschränkt euch aufs Wesentliche, statt den x-ten Re-Release einer Scheibe zu erstehen, die bereits anlässlich der Erstveröffentlichung keine Sau gebraucht hat, oder das bereits von vornherein ausverkaufte Vinyl, das womöglich sogar ab Werk mit dufte authentischen Vintage-Kratzern daherkommt.
Die Printmedien in den Bereichen Progressive, Metal oder Alternative sollten sich ihrer meinungsbildenden Funktion bewusster werden und mit Bedacht hochjubeln, ob ihr Name mit E, R oder V beginnt. Auch wenn es nämlich zunehmend mehr Alternativen gibt (viele schlechte, wenige gute und natürlich uns), krähen gerade sie am lautesten, aber wie dem auch sei: Sitzt weder ideologisch verbrämten Angstmachern noch Esoterik-Nazis oder pseudo-intellektuellen Klangverbrechern auf, sondern wägt Ja und Nein genau gegeneinander ab. Getretener Quark wird breit, nicht stark, und jeder noch so winzige Tropfen, der ins Wasser fällt, kräuselt die Oberfläche. Ob es ein edler oder verdorbener ist, entscheidet ihr. Amen.
Trostspender und Frustbewältiger, Tränentreiber und Wonneproppen, Nachdenklichmacher und zum Verlust der Muttersprache Aufrufer kamen 2011 ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Klassikerstatus (die Zeit wird es zeigen) und in willkürlicher Reihenfolge von:
Crowbar, Hammers Of Misfortune, Devin Townsend, Dornenreich, Vektor, Amebix, Infinight, Antichrist, Slingblade, High Spirits, Hell, Druckfarben, Lord Vicar, Long Distance Calling, Riot, Falloch, Sólstafir, Dark Suns, Nucleus Torn, Pain Of Salvation, The Wounded Kings, Arch/Matheos, Attick Demons, Nils Frahm, White Darkness, Memento Waltz, Powerwolf, Rival Sons, Tephra, Amorphis, Anaal Nathrakh, Castle, Blood Ceremony, Valborg, Owl, Klabautamann, Woburn House, Blut Aus Nord, Inquisitor, Seamount, Vestal Claret, Tobias Hoffmann, Scale The Summit, Touch The Spider, Memory Driven, Frei Schnauze!, Kreftich, Obscura, Pentagram, Unexpect, Vader, 3, Farsot, Iron Age und Cynic.
Andreas Schulz (Profil): Das Jahr 2011 war in vielerlei Hinsicht ein spektakuläres Jahr. Global gesehen sind Dinge passiert, die uns schockiert haben, die uns betroffen gemacht haben, mit denen wir nicht gerechnet haben und die uns weiterhin Sorgen machen werden. Es gab aber auch Ereignisse, die die Hoffnung nähren, dass wir vielleicht irgendwann mal in einer besseren Welt leben werden. In persönlicher Hinsicht war 2011 ein Jahr mit durch und durch positiven Erlebnissen. Und in musikalischer Hinsicht war es ein Jahr, das mir dank der Schreibertätigkeit bei musikreviews.de und dem Legacy jede Menge Perlen gezeigt hat. Hier nun also 20 Alben, die man kennen sollte, in alphabetischer Reihenfolge. Mein Album des Jahres ist "The Thousandfold Epicentre" von The Devil's Blood.
Altar Of Plagues - Mammal
Amorphis - The Beginning Of Times
Demonaz - March Of The Norse
Edguy - Age Of The Joker
Endstille - Infektion 1813
Entrails - The Tomb Awaits
Fleshgod Apocalypse - Agony
Glorior Belli - The Great Southern Darkness
Illuminatus - Glasnost
In Solitude - The World. The Flesh. The Devil.
Machine Head - Unto The Locust
Megadeth - Th1rt3en
Midnight - Satanic Royalty
Moonsorrow - Varjoina Kuljemme Kuolleiden Maassa
Nightwish - Imaginaerum
Opeth - Heritage
Primordial - Redemption At The Puritan's Hand
SubRosa - No Help For The Mighty Ones
The Devil's Blood - The Thousandfold Epicentre
The Haunted - Unseen
Die besten, spannendsten und interessantesten Newcomer 2011 waren:
Ära Krâ
Morbus Chron
Our Ceasing Voice
Reckless Manslaughter
Slingblade
Und folgende Konzerte und Shows waren meine Live-Sternstunden 2011:
Metallica, Gelsenkirchen (trotz der beschissenen Organisation des Big 4-Konzertes)
Heaven Shall Burn, Wacken
The Devil's Blood, Köln
In Solitude, Wacken und Rock Hard Festival
Primordial, Rock Hard Festival und Black Troll Winterfest
Diorama, Amphi Festival
Klangstabil, Amphi Festival
Chris P. (Profil): Über die Ereignisse, die die Tagespresse beherrschten, möchte ich erst gar nicht reden, sondern die vollgekotzten Kübel bitte zur Abholung vors Haus stellen, bitte, danke. Beschränken wir uns also auf das, was hörgucklesetechnisch besonders erwähnenswert war. Grundsätzlich hat sich im Vergleich zu 2010 nicht viel verändert, und das ist durchaus positiv zu verstehen, denn es gab neben den stinklangweiligen Standard-Releases allerhand Fantastisches, von dessen Schallwellen penetriert zu werden meine Ohren immer wieder nach lechzen.
Fangen wir dieses Mal mit Büchern an. Zwar gab es einige exzellente Werke wie beispielsweise "jPod" von Douglas Coupland (ein kauziger Haufen Softwareentwickler, die in einer Bürowabe miteinander arbeiten und denen zum Teil eigenartige Erlebnisse und Schicksale widerfahren), "Eine Frau bei 1000°" von Hallgrimúr Helgason (eine 80-jährige todkranke Isländerin wartet auf ihre Einäscherung und rechnet mit ihrem Leben und ihren Kriegserlebnissen ab), "Nacht, komm!" von Agnes Hammer (ihr vierter Roman, ein schonungsloser Krimi in einem sozialen Brennpunkt, wo die Beschuldigte auf eigene Faust ermittelt), "Heinz Strunk in Afrika" (der in seinem Buch die Erlebnisse seiner Kein-Erlebnis-Reise mit seinem besten Freund wiedergibt - wieder ein typisches Heinzer-Buch). Doch am meisten aus den Socken gehauen haben mich folgende drei Bücher:
- Platz 3: "Die Verschwörung der Idioten" von John Kennedy Toole
Ein übergewichtiger, hochintelligenter, intellektueller Weltverbesserer versucht, sich das Leben und das Umfeld nach seinen Regeln zurechtzubiegen. Neu übersetzte Version des 1980er Klassikers. - Platz 2: "Sand" von Wolfgang Herrndorf
Nordafrika 1972, ein nicht ganz so heller Polizist, eine sonderbare Platinblondine und ein Mann, der nach einem Überfall sein Gedächtnis verloren haben, sind nur lose Protagonisten dieses Werkes. Zusammenhänge zu finden erweist sich als schwierig, überhaupt das Buch zu verstehen ist eine Herausforderung. Aber es lohnt, und jeder wird das Buch anders verstehen...) - Platz 1: "Fast genial" von Benedict Wells
(Francis, knapp volljährig, wohnt mit seiner depressiven Mutter, die ständig in die Psychiatrie eingewiesen wird, auf einem Trailerpark, ist selbst zum Scheitern verurteilt, bis er erfährt, dass er Teil eines Experiments war: Er ist ein Retortenkind aus der berüchtigten Samenbank der Genies. Er lernt in der Psychiatrie die eigenwillige Anne-May kennen, und zusammen mit seinem Schulfreund Grover begeben sich die drei auf den Trip ihres Lebens, denn Francis möchte seinen Vater finden und seine eigene Genialität ergründen. Tolles Roadmovie zum Lesen. Und Wells' vorherige zwei Romane sind mindestens genau so erstklassig!)
Konzerte, die mich interessiert hätten, sind in der Kasseler Gegend leider stets Mangelware, und wenn mal eine interessante Band gespielt hat, habe ich es schlichtweg verpasst. Oder war krank. Oder. Dumm gelaufen.
Filme? Da hat mich ehrlich gesagt überhaupt nichts interessiert, und was mich doch halbwegs interessiert hat, hat mich enttäuscht.
TV: Leider wurde die Produktion vieler toller Serien ("Lie To Me", "Criminal Intent", "The Defenders", "Criminal Minds: Team Red") eingestellt. Es kamen viele "CSI: Las Vegas"-Wiederholungen, die ich allesamt nicht kannte und nun zu schätzen weiß, und es freut mich, dass mit Ted Danson für die aktuell in den USA laufende zwölfte Season ein interessanter neuer Boss die Lücke füllt, die drei Staffeln lang von Laurence Fishburne recht passabel ausgefüllt wurde. Es soll humoriger werden, und das ist gut so. Schade fand ich, wie sich "Dr. House" in der siebten Staffel entwickelt hat. Zwar gab es einige Lichtblicke, doch oft hat die One-Man-Show ganz schön genervt, und einige Geschichten sind, sagen wir, ganz schön "soapy".
Aber nun zur Musik. Dieses Jahr gab es für mich zwei 15-Punkte-Alben. Lange Zeit nahm THOMAS GILES' "Pulse" die Position des Albums des Jahres ein, denn die Art, wie das BETWEEN THE BURIED AND ME-Mastermind hier Pop, Indie, Electronica und experimentelle Elemente miteinander verwoben hatte, ging direkt unter die Haut, und das, obwohl das Album oftmals eine kühle Distanziertheit offenbarte. Doch der Schein trügt, denn ganz unauffällig befällt das Werk die Seele und brennt sich in sie ein. Doch dann erschien am Ende des Jahres ein Album, das alles auf den Kopf stellte und noch "fünfzehniger" war: "Orange" von den Leipzigern DARK SUNS. Ein heftiger Stilbruch, weg ist der Metal, und wo einst komplexe Monstren wohnen, wabern nun warme Schallwellen durch die Boxen, die an die progressiven 70er erinnern, und es ist schlichtweg unfassbar, wie authentisch echt, von allem losgelöst das Trio agiert. Die Vocals, der Sound, die röhrigen Gitarren, das flirrende Orgeln, die dezenten Bläsereinsätze, und dann noch diese tiefgründigen, auf ihre Weise verkopften Kompositionen, einfach nur göttlich.
Doch da war in musikalischer Hinsicht noch mehr Tolles veröffentlicht worden:
- A Pony Named Olga - The Land Of Milk And Pony
...weil herrlich überdreht, Punkabilly mit Hysterie, Muppets on acid! - Opeth - Heritage
...weil dies seit Jahren der konsequenteste und beste Schritt war, den Åkerfeldt hat gehen können. - Svölk - Svölk 'Em All
...weil es eines der am fettesten rockenden und ehrlichsten Alben aus dem traditionellen Bereich war. - My Glorious - Inside My Heart Is A Scary Place
...weil alternativer Indie kaum gefühlvoller und einfallsreicher sein kann. - Sleepmakeswaves - ...And So We Destroyed Everything
...weil im Postrock noch immer Möglichkeiten offen sind, die diese Band ausgetestet hat. - The Linedance Fever - TLF EP
...weil sie mit ihrem verpeilten Country die geilsten Coverversionen auf Konserve gebannt haben. - Chryst - Phantasmachronica
...weil es endlich wieder ein Lebenszeichen von Chrystofs Band, einst als KOROVA und KOROVAKILL bekannt, gibt. - Devin Townsend - Ghost/Deconstruction
...weil diese beiden grundverschiedenen Alben die Essenz dessen sind, was in Townsend steckt. - Fleshgod Apocalypse - Agony
...weil es einfach ein toller symphonischer Knüppelbastard ist. - Dr. Living Dead! - same
...weil Nostalgieständer! Thrash meets SUICIDAL TENDENCIES!. - The Bonny Situation - Passengers
...weil poppiger Metal/Alternative nicht besser geht. - Lazuli - (4603) Battements
...weil diese Mischung aus Exotik - französische Texte - und ungezwungener Progressivität in Verbindung mit Gefühl einzigartig ist. - Jonathan Davis And The SFA - Alone I Play
...weil Davis hier zeigt, was für ein exzellenter Musiker und Songwriter er eigentlich ist. - King Oliver's Revolver - Gospel Of The Jazz Man's Church
...weil dieser Klezmer-Jazz-20er-30er-Swing-Bastard einfach so herrlich schrullig ist. - Ulver - Wars Of The Roses
...weil kaum eine Band diese warmen, mystischen Klänge besser drauf hat und ULVER wissen, was Innovation bedeutet. - Katharina Nuttall - Turn Me On
...weil es kein Album aus dem dunklen, rockigen Pop gibt, das dermaßen berührt wie dieses. - Defeater - Empty Days & Sleepless Nights
...weil es kaum eine Band aus dem modernen, emotionalen Hardcore gibt, die einen dermaßen aufwühlt. - The Dreadnoughts - Polka's Not Dead
...weil die Kanadier diesen Celtic Punk drauf haben wie kaum eine andere Band, vor allem mit so viel Spaß und mit so viel Dreck. - TesseracT - One
...weil die Briten nicht einfach "just another djent album" aufgenommen haben, sondern etwas Einzigartiges erschaffen haben, was neue Impulse auslösen könnte. - Lemuria - Pebble
...weil es einfach ein wunderbares Stück ungezwungenen Indie-Alternative-Rocks ist. - Wild Moccasins: Skin Collision Past/Misanthropic Metronomes
...weil jugendliche Naivität, tolles Songwriting, der tolle Wechselgesang des gemischten Frontdoppels hier einfach herzzerreißend in tolle Indie-Alternative-Songs gepackt wurde. - Angizia - kokon. Ein schaurig-schönes Schachtelstück
...weil musikalisches absurdes Theater kaum besser geht. - In-Flight Safety - We Are An Empire, My Dear
...weil, öhh, ja so könnten also Coldplay klingen, wenn sie gut wären. - Starpost - Opticks
...weil das Ding einfach das beste Anspruchs-Popalbum war und wie kleine Nadeln in die Haut sticht. - Guðrið Hansdóttir - Beyond The Grey
...weil die Seele bei so schönem Folk-Singer-Songwriter-Pop zur Blümchenwiese wird. - Holly Golightly And The Brokeoffs - No Help Coming
...weil die göttliche Verpeiltheit dieses Alternative-Country-Gespanns Spaß macht. - Splashgirl - Pressure
...weil hier Experimentalismus auch noch Experimentalismus bedeutet. - The Kendolls - Jerking Class Area
...weil das Ding eines der hitbeladensten, am geilsten rockenden Alben zwischen Glam-, Schweine- und Punk Rock ist. - ZA! - Megaflow
...weil die Jungs einfach göttlich einen an der Waffel haben, was ihren Stilgruppensex angeht. - Austin Lucas - A New Home In The Old World
...weil der Gute einfach tolle Singer/Songwriter-Stücke geschrieben hat, die nachwirken. - Jenny Hval - Viscera
...weil das Mädel unglaublich geheimnisvolles und doch so offenes Textgut in genial atmosphärisch-experimentelle Gewänder zu packen in der Lage ist. - Jeavestone - 1+1=OK
...weil die Finnen nicht nur Prog Rock spielen, sondern auch PROG. Und ROCK!. - Del Moe - Die High Butterfly
...weil es sich hier um das coolste, eingängig rockende, gerne auch poppige, dann aber wieder lärmende Album handelt. - Sólstafir - Svartir Sandar
...weil die Band weiß, was es heißt, sich selbst immer weiter zu entwickeln und dabei noch fähig ist, das Songwriting nicht zu vergessen. - Ulver - The Norwegian National Opera
...weil kunstvolle Livemusik kaum ehrlicher, packender, vereinnahmender performt werden kann. - The Raveonettes - Raven In The Grave
...weil es so düster-schön ist. Kuschliger, schwarzer Indie Rock. - My Brightest Diamond - All Things Will Unwind
...weil man Björk, Hval, Piaf und Lennox kaum besser miteinander vereinen kann. - Dubioza Kolektiv - Wild Wild East
...weil die Typen Multikulti verstanden haben.
Musikalisch enttäuscht haben mich eigentlich am ehesten MASTODON, die mit einem Nummer-Sicher-Album namens "The Hunter" langweilen, das das mich eh schon enttäuschende Kifferteil "Crack The Skye" noch unterbietet.
Und meine persönliche Neuentdeckung sind die leider nicht mehr existenten SQUIRREL NUT ZIPPERS. Herrlich schrulliger 20er-/30er-Swing/Jazz aus der Beinahe-Jetztzeit. Ach ja, und DIE ÄRZTE. Früher gehasst, heute kann ich mir die kaum wegdenken.
Jochen König (Profil): Beginnen wir mit dem Traurigen: Seit NICOs tödlichem Unfall 1988 hat mich der Tod keines Musikers mehr berührt als der JACKIE LEVENs im November diesen Jahres. Das ist nicht das Sterben eines begabten Musikers, sondern das Verschwinden eines Freundes, der mich seit über zwanzig Jahren zuverlässig, mit Witz, Verstand, Poesie und einem tiefgreifenden Wissen um das Wesen der Musik, begleitete. Eine Diskographie ohne Ausfälle, und selbst die Alben, mit denen ich mich schwertat und –tue haben ihre magischen Momente ("Oh What a Blow That Phantom Dealt Me!"). Deshalb steht als erste Veröffentlichung in meinem persönlichen Jahrespoll ohne jede Einschränkung: JACKIE LEVEN & MICHAEL COSGRAVE "Wayside Shrines and the Code of the Travelling Man". Ich hätte so gerne erlebt, was JACKIE in den nächsten Jahren noch zu sagen und singen gehabt hätte.
Doch wir wissen ja: "Gott ist ein Arschloch!" Diese Weisheit schreit der betrunkene – und eigentlich gläubige – Kommissar Greving in Rainer Gross‘‘ "Kettenacker" heraus. Der so genau beobachtenden wie sprachlich eigenwilligen Fortsetzung von "Grafeneck". Das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten und das Unwesen durch und durch bigotter Kirchenvertreter. Starkes Buch, getoppt allerdings von Mechtild Borrmanns im gleichen Verlag erschienenen "Wer das Schweigen bricht", in dem das Dritte Reich und die Gegenwart auf unheilvolle, spannende und nachdenkenswerte Weise aufeinander treffen. Beides aber Belege, dass aus Deutschland klasse Kriminalromane kommen, die in der Provinz spielen können, ohne auch nur ansatzweise provinziell zu sein.
Wer allerdings auf die Idee gekommen ist, mit Gross "Grafeneck" könnte man Schüler, deren Beziehung zu Büchern oft nur rudimentär vorhanden ist, zu begeisterten Lesern machen, dessen Menschenkenntnis ist der beste Beleg für die alte Weisheit "gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht". So sehr ich "Grafeneck" und "Kettenacker" interessierten Lesern ans Herz legen möchte, um Leseinteresse erst einmal zu wecken empfiehlt sich anderes. Es müssen nicht mal Simon Beckett oder Karin Slaughter sein. Aber zwischen Jörg Juretzka und Jack Ketchum lässt sich so einiges finden. Joe Lansdale vielleicht, oder Lee Child, dessen lakonische, unglaublich präzise Romane sich für eine Verfilmung geradezu anbieten. Wird passieren. Und Jack Reacher, der über 1,90 große Godfather of Cool wird gegeben vom 1,72 großen Scientology-Anhänger Tom Cruise. Wenn der kleine Mann nicht "Collateral" auf der Haben-Seite hätte und in "Knight & Day" tatsächlich witziger und attraktiver rüberkäme als Cameron Diaz, wären noch mehr Tränen fällig.
Musikalisches Highlight zum Thema "Göttliches Wirken in unserer vermaledeiten Welt und wie wir damit umgehen" ist das aktuelle Werk von SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR "The(?) Book". Thoralf "Kossi" Koß ist für die Geschichte zuständig und erschafft einen Gegenentwurf zu den salbadernden Jubelarien eines NEAL MORSE (den ich trotzdem noch mag. Ein bisschen). Die Musik dazu: Progressiver Rock mit beiden Beinen in der Vergangenheit stehend und trotzdem den Beleg hingelegt auch in der Gegenwart keineswegs überaltert zu sein.
Weitere Höhepunkte:
Gleich zu Beginn des Jahres AMPLIFIER mit ihrem Doppel-CD-Monster "Octopus". Es als Progressive Rock zu benennen greift eigentlich viel zu kurz. Doch in seinem ursprünglichen Wortsinn ist der "Octopus" genau das. Filigran und brachial, experimentell, spielfreudig und trotzdem ohne jedes Geschwurbel. Hier werden die Grenzen der Rockmusik ausgetestet – ohne sie allerdings je zu durchbrechen. WAS für ein Start ins Jahr 2011!
STEVEN WILSONs experimentelles und doch vertrautes, wunderbares Doppelalbum "Grace For Drowning". Wer WILSON lediglich auf "seinen" Sound reduziert, bewertet Literatur vermutlich auch nach der Anzahl verwendeter Wörter.
Das Traumpaar der Rock(?)musik ist wiedervereint. Zumindest was den Veröffentlichungszeitpunkt ihrer aktuellen Alben betrifft. PETER GABRIEL covert sich symphonisch selbst; die Live-DVD von "New Blood" ist Ohren- und Augenschmaus zugleich. KATE BUSH hingegen bringt nur sechs Jahre nach "Aerial" ihr "50 Words For Snow" heraus und schickt sich an der weibliche SCOTT WALKER zu werden. Sogar inklusive eines Duetts mit ELTON JOHN.
Schöner wäre nur gewesen, wenn sie ihrem Ex bei "Don’t Give Up" beigewohnt hätte. Ich bin übrigens immer noch neidisch auf Herrn GABRIEL. Weil der nicht nur was mit KATE BUSH sondern auch mit Rosanna Arquette hatte. Wen die Götter lieben…. Eine wahrhafte GENESIS-Reunion (BANKS/GABRIEL/HACKETT/RUTHERFORD und COLLINS oder THOMPSON/BRUFORD, falls der Rücken nicht mitmacht) ist leider nirgendwo in Sicht. PHISH machen sich aber nicht übel als Ersatz. THE WATCH dito.
Sie sind mein. RACHMANINOFF, "The Complete Recordings". Leider nur die 28-CD-Version. Die mit den drei zusätzlichen Disks (historische Aufnahmen u.a. mit RACHMANINOFF selbst am Klavier) scheint ausverkauft oder nur überteuert gebraucht erhältlich zu sein. Feine Aufnahmen – okay die Klavierkonzerte gibt es in besseren Einspielungen (HELENE GRIMAULT, LANG LANG, BERND GLEMSER, und natürlich VLADIMIR ASHKENAZY) – für wenig Geld. Musik, die zeigt, wo Art-Progressive-Rock gelernt hat. Und zu oft nicht in der Lage ist, den Lehrer, gerade was Wagemut und Modernität angeht, in den Schatten zu stellen.
Ein bisschen Literatur vor meinem Album des Jahres: JAMES SALLIS, PETE DEXTER, JOE R. LANSDALE, DOMINIQUE MANOTTI, DANIEL WOODRELL, ELLIOTT HALL, BUDDY GIOVINAZZO: Kaufbefehl. Und wer großartigen Pulp ohne Tarantino-Verweis genießen möchte: MARIO PUZOs "Sechs Gräber bis München".
Dann noch DAS Buch für Brit-Pop-Verächter: LUKE HAINES "BAD VIBES - Britpop und der ganze Scheiß." Lieblingswort: "Speichellecker". Die Odyssee eines genialen Arschlochs durchs Musikbusiness. Unbedingt lohnenswert. Und Anreiz die fabelhaften AUTEURS-Scheiben wieder hervor zu kramen. Oder irgendeine andere von HAINES Erscheinungsformen. Besonders BLACK BOX RECORDER rules. "The Facts Of Life": Pflichtpogramm. Filigrane, hintergründige Lieder voller Liebe, die man dem Wortberserker gar nicht zutraut.
Britpop? Stichwort: Reunion. Die STONE ROSES. Kommen bei HAINES nicht besonders gut weg. Eher von marginalem Interesse. Aber: MAGAZINE sind wieder da. "No Thyself". Richtig gut. Und (nicht nur) mit "Hello Mr. Curtis (With Apologies)" einen weiteren Bandklassiker an Bord.
So. Trommelwirbel. Mein absolutes Highlight 2011:
THE WATERBOYS - "An Appointment With Mr. Yeats”.
Er hat es geschafft. Mit dem dreizehnten regulären WATERBOYS-Album erfüllt sich MIKE SCOTT seinen Traum. Ein komplettes Werk mit Texten von W. B. Yeats.
Natürlich trifft hier zusammen, was zusammen gehört. Aber wie – besser waren die WATERBOYS selten. Und sie waren oft verdammt gut.
Hochemotionaler Rock, Folk mit fetter Orgel und wilder Violine, finstere Moritaten und Hymnen, von der andere Musiker ihr Leben lang träumen. 1‘:46" reichen SCOTT um NICK CAVEs Mörderballade "Where The Wild Roses Grow" mit KYLIE MINOGUE in den Schatten zu stellen ("Before The World Was Made" mit der wundervollen KATIE KIM als Begleitung). Hier treffen TOM WAITS, bereits genannter NICK CAVE und ein Bänkelsänger aus dem Mitternachtszirkus auf elfenhaften Folk und kraftvollen Rock. "A Full Moon In March" müsste eigentlich NR. 1 aller Killerhits sein, der "Song Of Wandering Aengus" ist eine Ballade für die Ewigkeit. Und hat "The Silver Apples Of The Moon, and the Golden Apples Of The Sun".
So braucht es nur einen seit über hundert Jahren toten Nobelpreisträger, um 95% aller aktuellen Pop & ROCK-Texter auf die Plätze zu verweisen. TOM WAITS ausgenommen, der auf "Bad As Me" tatsächlich nach Jahrzehnten wieder singt. Sogar den Mitternachtsbar-Blues. Klasse Album. Nicht so klasse wie "An Appointment With Mr. Yeats", aber wer oder was ist das schon?
Große Schatten voraus: Wenn man den ersten Verlautbarungen glauben darf, werden meine Favoriten des letzten Jahres 2012 von vorne nach hinten aufrollen: CRIPPLED BLACK PHOENIX scheinen mit "(Mankind) The Crafty Ape" ihr vorläufiges Meisterstück aufgenommen zu haben. Warten wir nicht nur den Januar in freudiger Erwartung ab.
Lars S. (Profil): Die vergangenen zwölf Monate hatten wieder so einige Katastrophen zu bieten. Da tut es gut, dass zumindest auf dem Gebiet unser aller Passion die positiven Aspekte den negativen Momenten zahlenmäßig bei weitem überlegen waren. Und so wird das Jahr 2011 im Gedächtnis bleiben mit hochkarätigen Veröffentlichungen in Hülle und Fülle. Die größte Begeisterung haben davon bei mir ausgelöst:
1. Argus - Boldly Stride The Doomed
Das Debüt der Amerikaner war schon großartig, der Nachfolger setzt diesem glatt noch einen drauf. Ein perfektes Gemisch aus traditionellem Metal und epischem Doom, welches zusammen mit dem eindringlichen Gesang und den teils sehr persönlichen Texten eine mächtige, unaufgesetzt nachdenkliche Atmosphäre ausstrahlt. Ein Paradebeispiel für ein Album, das mit jedem Hören intensiveren Eindruck hinterlässt. Und die Gitarren sind sowieso ein Gedicht.
2. Orchid - Capricorn
Das Pflichtalbum des Jahres (nicht nur) für jeden BLACK SABBATH-Fan.
3. Chickenfoot - III
Kann man die Freude an der eigenen Kunst besser ausdrücken als diese Band? Eine der wenigen Supergroups, die wirklich super ist.
4. Sinister Realm - The Crystal Eye
Von ihrem Werdegang, aber auch fast von der Musik so was wie die Brüder im Geiste der oben genannten ARGUS. Auch wenn das Debüt vielleicht noch einen Tick stärker war: Wer auf Power und Doom Metal steht, braucht dieses Album.
5. Riot - Immortal Soul
Es war nicht damit zu rechnen, dass die Wiederbelebung der Thundersteel-Besetzung so klasse werden würden. Jetzt müsste das mal live auch so klappen...
6. Alice Cooper - Welcome 2 My Nightmare
Der alte Meister kann es noch. Das abwechslungsreichste Album des Jahres, frei von jeglichen Konventionen.
7. D-A-D - DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK
Jetzt sind die Dänen endlich auch auf Konserve wieder ebenso gut, wie sie einen mit ihren Liveshows umhauen.
8. Hell - Human Remains
Wirklich ziemlich einzigartig, der alte Stoff der Briten. Perfekt in ein modernes Gewand verpackt und mit einer Mords-Produktion ausgestattet.
9. Portrait - Crimen Laesae Majestatis Dinvinae
Den Gesang mag man oder eben nicht. Für mich passt er bestens zur Musik und wem es anders geht, der hört halt bei den Gitarren genauer hin.
10. High Spirits - Another Night
Kollege Oger hat es in seinem Review bestens beschrieben - er hat nur zu wenig Punkte verteilt. Die 'weiße' Eigenproduktion von 2009 braucht man übrigens auch.
11. Arch/Matheos - Sympathetic Resonance
Wer hätte gedacht, dass John Arch es noch SO drauf hat? Die FATES WARNING-Anhängerschaft weint zurecht vor Freude.
12. Lord Vicar - Signs Of Osiris
Wie bereits gesagt: Eines der besten Alben im traditionellen Doom seit COUNT RAVENs "Mammons War".
13. Hammers Of Misfortune - 17th Street
Nach dem enttäuschenden Vorgänger-Doppel ein echter Grund zur Freude. Jetzt ist die Band von
John Cobbett wieder nicht nur besonders, sondern auch besonders gut.
14. Lake Of Tears - Illwill
Die Schweden sind härter geworden und klingen trotzdem noch wie vorher. Weniger Melancholie, mehr Wut. Steht ihnen verdammt gut.
15. Arkham Witch - On Crom's Mountain
Totaler Underground, total großartig und total toller Ersatz für die vermutlich verblichenen THE LAMP OF THOTH.
16. Heathendom - The Symbolist
Fans von NEVERMORE, CANDLEMASS und KING DIAMOND bitte alle unbedingt reinhören!
17. Cage - Supremacy Of Steel
Auch wenn die Vorgänger besser waren und der Sound alles andere als perfekt ist, gibt es von der Peck-Crew wieder bestens auf die Glocke. POWER Metal in Reinkultur.
18. Alpha Tiger - Man Or Machine
Der nationale Newcomer des Jahres, der bei allen, die den alten QUEENSRYCHE nachtrauern, für offene Münder gesorgt hat.
19. Twisted Tower Dire - Make It Dark
Dark? Von wegen, TTD sind irgendwie heller und fröhlicher geworden. Aber trotz noch größerer Eingängigkeit: Kitschig ist hier gar nichts. Man muss Heavy Metal ja nicht zwingend im Keller hören.
20. Dark Forest - Dawn Of Infinity
Die unbekümmerte Schrägheit aus den Anfangstagen ist weg und die Folk-Einflüsse sind weniger geworden. Was geblieben ist, ist melodischer Heavy Metal auf den Spuren der NWOBHM.
Lothar Hausfeld (Profil): Ich bin ein Opfer. Ja, ich bin ein Opfer des Hypes. Des Hypes um HELL. Ein einziges Mal bislang habe ich 15 Punkte bei musikreviews.de vergeben und das für diese Scheibe. Nein, aus heutiger Sicht muss ich sagen: Das sind einige zu viel. 11, 12 Punkte, das wäre in Ordnung gewesen für "Human Remains", dieses zugegebenermaßen ziemlich einmalig klingende Stück zwischen NWOBHM und Theaterstück. Aber seinerzeit, als die Band um Andy Sneap in aller Munde war und mein Kumpel Michi mir täglich drei SMS mit Lobgesängen auf die Combo schickte, da war mein Blick ein wenig vernebelt. Asche auf mein Haupt.
Völlig klar ist aber der Blick auf die fünf Top-Scheiben des Jahres 2011 – ohne HELL. Als da wären: "Mercury’s Down" von TOBY HITCHCOCK, eine superlässige Gute-Laune-Hardrock-Scheibe auf Platz 5. "Man Or Machine" auf Platz 4, das formidable Debüt von ALPHA TIGER, das zeigt, dass heutzutage niemand mehr Queensryche vermissen muss. "All Gods Are Gone" von APPEARANCE OF NOTHING, eine Prog-Metal-Achterbahnfahrt de Luxe, läutet die Medaillenränge ein; "Unto The Locust" von MACHINE HEAD war das anspruchsvollste und gelungenste Thrash-Album des Jahres und wurde insgesamt nur getoppt von ARCH/MATHEOS‘ "Sympathetic Resonance". Selten zuvor gelang Musikern und Sängern eine derart perfekte Symbiose von Anspruch und Melodie. Eine Scheibe, die man sich Stück für Stück erarbeiten muss, die aber eine enorme Langzeitwirkung hat. Selten, dass ich ein Album auch Monate nach dem Release noch regelmäßig höre – "Sympathetic Resonance" ist eine dieser Ausnahmen.
Was war ansonsten noch Top in 2011? Die musikalische Qualität war ausgesprochen stark, zahlreiche Scheiben verfehlten die Top-Positionen nur knapp. Ob AMORPHIS, WHILE HEAVEN WEPT, THEOCRACY, ROYAL HUNT, ONSLAUGHT, ob alte Hasen wie ANVIL oder neue Hoffnungsträger wie ATTICK DEMONS – für den Metal-Fan war 2011 ein gutes Jahr.
Der literarische Höhepunkt in diesem Jahr war für mich "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Littel. Eine weit über 1300 Seiten dauernde Apokalypse, ein Höllenritt durch die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele, eingebettet in den Wahnsinn des zweiten Weltkrieges. Selten hat mich ein Buch mehr aufgewühlt, verstört und auch gefesselt.
Der schönste "unwichtige" Moment des Jahres: "Dabrowski, und da ist de Camargo, und da ist schon wieder Luthe, und da ist Hanke, de Camargo, Tooooor, Gladbach 1:0!" Das war der Originalkommentar von Steffen Simon (ARD) vom Relegations-Hinspiel zwischen Mönchengladbach und Bochum, den ich gefühlt bei Youtube mittlerweile 1000 Mal gehört (und gesehen) habe. Als Anhänger des VfL Borussia 1900 Mönchengladbach hat es in den letzten 35 Jahren kaum einen intensiveren Moment gegeben als dieses 1:0 von Igor de Camargo in der Nachspielzeit des besagten Relegations-Hinspiels gegen den VfL Bochum. Anfang des Jahres war – nicht nur für mich – die Borussia so gut wie abgestiegen, gegen Bochum fand die sensationelle Aufholjagd doch noch ein glückliches Ende, und mittlerweile darf man sich als Gladbacher tatsächlich Hoffnungen auf den Europapokal machen. Das ist fast noch schöner als das metallische Jahr 2011. So kann’s weitergehen!
Lutz "Oger" Koroleski (Profil):
01. Arch/Matheos – Sympathetic Resonance
02. 40 Watt Sun – The Inside Room
03. Blackfield – Welcome To My DNA
04. Black Country Communion - 2
05. Journey - Eclipse
06. D-A-D – Dic.Nii.Lan.Daft.Erd.Dark
07. Protest The Hero - Scurrilios
08. Rival Sons – Pressure & Time
09. Riot – Immortal Soul
10. Katharina Nuttall – Turn Me On
11. Wood Of Desolation – Torn Beyond Reason
12. Hammers Of Misfortune – 17th Street
13. High Spirits – Another Night
14. Symphony X - Iconoclast
15. Social Distortion – Hard Times And Nursery Rhymes
Sascha Dummann (Profil): Und schon wieder ist ein Jahr vorbei. Wieder wird zurückgeblickt, welche Alben dieses Jahr einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Noch im Januar veröffentlichten DALRIADA ihr Album irgendwo zwischen Folklore und Metal und sollten lange Zeit eine meiner Lieblingsbands des jungen Jahres bleiben. Inzwischen würde ich allerdings den einen oder anderen Punkt der Wertung wieder abziehen. Die nächst höhere Wertung meiner Reviews erhielten dann DIE APOKALYPTISCHEN REITER, aber auch hier würde ich mit einigem Abstand ein paar Zähler weniger vergeben. Das Album ist nach wie vor gut und gelungen, allerdings doch weniger wie einige der Vorgängeralben. Aber da Reviews auch immer eine Wertung zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellen, soll das jetzt nicht weiter stören. Das nächste Highlight im ersten halben Jahr war dann das dritte Album von CHROME DIVISION.
Im Juni gab es dann sehr viele und lange Diskussionen über das neue Album von SEPULTURA, allerdings bleibe ich auch kurz vor dem Jahreswechsel bei meiner 6-Punkte-Wertung vom Sommer. Im Juli legten die Herren von SUICIDE SILENCE ihr nächstes Album vor, welches zwar nicht an „Cleansing“ herankommt, aber trotzdem eine CD ist, die immer wieder den Weg in meinen Player findet.
Meinen absoluten Liebling in diesem Jahr habe ich selbst zwar nicht besprochen, aber: Kollege Lothar hat dazu eine hervorragende Rezension geschrieben, die ich absolut unterschreiben kann und nicht besser hätte verfassen können. Was soll man dazu noch sagen? MACHINE HEAD haben mich überrascht, definitiv. Aber durchweg positiv.
Abschließend noch zur Kategorie: „Außerdem erwähnenswerte Veröffentlichungen“: LIMP BIZKIT (ich habe die Scheibe immer noch nicht), BLACK LABEL SOCIETY (fehlt ebenfalls noch), EDGUY (siehe unser Massen-Review), EISREGEN (muss ich mir auch noch zulegen) und AMON AMARTH (waren schon besser, geht aber auch schlechter).
Sascha Ganser (Profil): "Gibt es sie also noch, die großen Knaller, in einer Welt, in der die Medien zu einem großen Supermedium zu verschmelzen scheinen? Ich glaube daran. Zeig uns, was du drauf hast, 2011!". So schloss ich mein Fazit zum letzten Jahr.
Verdammt, 2011 hat es uns aber mal so richtig gezeigt, oder?
Und der September… dieser September…
Rückblickend scheint mir so, als habe die Musikwelt ihren Atem im Jahr 2010 angehalten, um das Schweinehaus 2011 im Böser-Wolf-Stil mit voller Kraft dem Sturm zu überlassen. Ein bunter Reigen aus fiebrig erwarteten Veröffentlichungen prasselte insbesondere auf den Proggie nieder. Federführend war dabei natürlich die 70er-Retrowelle: Gebündelt ein eher nervig anmutendes Ereignis von arger Künstlichkeit, überzeugten die einzelnen Stellvertreter aber doch mit überwiegend guten bis großartigen Veröffentlichungen. Sicher, die neue OPETH war Geschmacksache, fehlende Dynamik wurde ihr angelastet, und PAIN OF SALVATION führten den auf "Road Salt One" eingeschlagenen Weg einfach nur logisch weiter; aber da sind ja noch die DARK SUNS, die beispielsweise in der Redaktion einen völlig aus dem Häuschen tanzenden Kollegen Chris hinterließen (und ihre Chance bei mir noch im Jahr 2012 erhalten werden). Mir persönlich hat dagegen STEVEN WILSON mit seinem Rückgriff auf KING CRIMSON-Rezepturen nicht nur den Höhepunkt des Jahres, sondern vielleicht der letzten fünf bis zehn Jahre beschert: Konnte ich mich für die anfangs des Jahres erschienene dritte BLACKFIELD kaum erwärmen, ist "Grace For Drowning" möglicherweise das Beste, was Wilson je geschrieben hat.
Damit führt er einen September an, der den beteiligten Namen nach eine Hitdichte fern aller Konkurrenz ausspie - unter anderem mit DREAM THEATER, die alleine des Drummerwechsels wegen schon alle Aufmerksamkeit auf sich zogen, und MASTODON, die diesmal jedoch anderen die Show überließen und ein vergleichsweise unspektakuläres Bestandsalbum veröffentlichten.
Doch auch zu anderen Zeitpunkten ist viel geschehen. AMPLIFIER beispielsweise haben sich mit einem überlebensgroßen Doppelalbum auf beeindruckende Art und Weise selbstständig gemacht – hoch lebe AmpCorp! ARCH und MATHEOS rockten, als sei die Zeit seit ihrer gemeinsamen EP nie verstrichen. DEVIN TOWNSEND begeisterte und schockierte mit dem finalen Doppelschlag seiner Tetralogie. Die Redaktion war sich wohl noch nie so uneins wie bei "Ghost". LEPROUS und LAZULI lieferten auf ihre Art die wohl abwechslungsreichsten Platten ab. SOLSTAFIR und TENHI teilten sich den Award für die dichteste Atmosphäre. OBSCURA beherrschten den Extreme-Prog-Death-Thron mit Perfektion. Es machte endlich wieder Spaß, FILTER zu hören. LIMP BIZKIT sorgten für die coolste Nostalgietour – einer fetten Schicht Selbstironie zum Dank. Das Mailänder Label AltrOck sicherte sich mit mutigen Avantprog-Veröffentlichungen wie THE NERVE INSTITUTE, ABRETE GANDUL oder POCKET ORCHESTRA einen Platz in meinem Herzen. Und apropos Italien: EVELINE sorgten gleich im Februar mit "αω" für das Überraschungsalbum des Jahres. Eine unscheinbare Schönheit, Progressivität durch Bescheidenheit - mein Geheimtipp 2011.
Zwiespältig konnte man der Entwicklung der Math-Metal-Subsparte "Djent" zusehen, wie sie wuchs und gedieh; noch überwiegen die ambitionierten Veröffentlichungen (ANIMALS AS LEADERS, TESSERACT, VILDHJARTA), doch erste Trittbrettfahrer schlichen sich bereits ein (UNEVEN STRUCTURE) und legen ein ähnliches Schicksal nahe wie dasjenige, das einst den Nu Metal ereilte.
Kein Schicksal jedoch könnte größer sein als dasjenige von DREDG: Bereits "The Parriah, The Parrot, The Delusion" war ein (durchaus geglückter) Ritt auf der Rasierklinge, mit dem Schlager-Appeal von "Chuckles & Mr. Squeezy" fiel man jedoch schmerzhaft auf die Schneide und vergrätzte selbst glühende Anhänger. Enttäuschung of the year. Weniger enttäuschend (weil man nichts erwartet hatte), aber mindestens genauso schlecht fiel das Comeback der GUANO APES aus. Das viel gescholtene "Lulu"-Experiment von LOU REED und METALLICA dagegen war den Versuch durchaus wert, auch wenn das Resultat nicht unbedingt für sich spricht. Experimentell mochten sich auch KORN geben, allerdings beweist eine Kreuzung von KORNs Metal mit Dubstep nicht den Mut, den man dabei auf den ersten Blick annehmen sollte.
Am meisten beschäftigt haben mich jedoch zwei Künstler, die bislang noch gar nicht zur Sprache kamen. Einer, TOM WAITS, hat sogar dieser Tage ein neues Album veröffentlicht. Sein Backkatalog (meine Sammlung wurde um 12 Waits-Platten bereichert) hat mich aber noch viel intensiver in Beschlag genommen als das (sicherlich ebenfalls beachtliche) neue Material. Niemand hat meine Hörgewohnheiten stärker auf die Probe gestellt als er, niemand hat mir eine größere und faszinierendere Welt zur Erkundung gegeben als er. Der andere ist eine Band, die im kommenden Jahr wieder neues Material auf den Markt bringt: CRIPPLED BLACK PHOENIX haben mich mit ihren alten Sachen genug in Atem gehalten, um "(Mankind) The Crafty Ape" mit Spannung entgegen zu sehen. Spannung erhoffe ich mir natürlich auch von STORM CORROSION, dem gemeinsamen Projekt von Steven Wilson und Mikael Åkerfeldt.
Ansonsten sind Erwartungen an 2012 inzwischen extrem bescheiden. Vorerst lehne ich mich zurück, schließe die Augen und genieße die Nachwirkungen des Orkans, der die letzten Monate in meiner Anlage gewütet hat.