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Nightwish - Imaginaerum - Massen-Review
NIGHTWISH haben der Welt nicht unbedingt einen Gefallen damit getan, dass sie ein Subgenre erfanden, das inzwischen zahlreiche Bands beherbergt. Doch bis heute gelang es keiner Symphonic-Metal-Band mit Sängerin am Thron der Finnen zu rütteln und selbst die Trennung von Sängerin und Aushängeschild Tarja Turunen tat dem Erfolg von NIGHTWISH keinen Abbruch. Nun erscheint mit "Imaginaerum" Album Nummer sieben und ist das zweite mit Sängerin Anette Olzon. Bei einer polarisierenden Band wie NIGHTWISH ist es selbstverständlich, mehrere Redakteure zu Wort kommen zu lassen.
Review von: Chris P. (Profil)
Nach dem Quasi-Rauswurf der sträflich überbewerteten Tarja Turunen und der Verpflichtung von Anette Olzon war immerhin schon einmal garantiert, dass gesanglich etwas Bodenständigkeit in den NIGHTWISH-Sound Einzug nahm, denn statt überkandidelt-divenhaftem, blasiert wirkendem, bestenfalls durchschnittlichem Operngeträller in mäßigem Englisch schallt nun eine "ganz normale Stimme" einer "ganz normalen Frau" ins Mikro hinein – die Schwedin übt einen exzellenten Job aus und glänzt durch Vielseitigkeit und Können. Ein glockenklares Organ, ein breites Tonspektrum und vor allem so etwas wie echtes Gefühl – wenigstens in dieser Hinsicht konnten das Quintett ein wenig meine NIGHTWISH-Aversion abbauen. Rein musikalisch war "Dark Passion Play" einerseits ein wenig heftiger als alles, was die Band zuvor verbrochen hatte, aber auch sehr ruhige Stücke fanden sich auf jenem Scheibchen ungewohnt häufig wieder, und wenngleich die Symphonic-Komponente nach wie vor viel zu überzeichnet vertont wurde, so wurde die Chose dank Olzon um einiges hörbarer.
Doch auf der siebten Langrille "Imaginaerum" rollt einem der Kitsch und Bombast anhand wieder verstärkter Präsenz – so, als hätte Nachholbedarf bestanden - die Zehennägel des Rezensenten schnappmechanismusähnlich nach oben, und oftmals fühlt sich das Ganze an, als ob ABBA und MICHAEL SEMBELLO mit seichten DIMMU BORGIR oder mit übertriebensten BAL-SAGOTH gekreuzt wurden - "Storytime" hat starke Züge von "SOS" und "Maniac", nur mit etwas mehr Anabolika, und da hätte es glatt noch gefehlt, dass man als männlichen Gegenpart ALEXANDER KLAWS ins Studio geholt hätte. Dieses überladene Zuckerguss-Theater plus in Sterillium getauchte Gitarren zieht sich dann auch durch weite Teile des Albums, welches genau dann am stärksten ist, wenn sich die ui 80% finnische Band – wie beim leicht jazzig-swingenden "Slow, Love, Slow" – ganz weit von seinen beiden Haupttrademarks entfernt.
Schöne Ideen hat Mainman Tuomas Holopainen allemal, so sind die beiden folkigen Stücke "Taikatalvi" und "I Want My Tears Back", das mystisch-märchenhafte "Scaretale" durchaus das, was NIGHTWISH zu einer wirklich interessanten Band werden lassen könnte, ebenso haben das orientalische Interludium "Arabesque" und das an HULDRELOKKK erinnernde "Turn Loose The Mermaids" etwas Neckisches, doch dann spritzt, spratzt und sprotzt einem eine Puderzuckerschlammlawine entgegen ("Last Ride Of The Day"), die dermaßen klebt, dass die Abwasserleitung nach der Dusche durch die klebrige Pampe verstopft, sodass man nackend in einer warmen Glukose-Seife-Brühe steht und am liebsten schreien würde, sich dann doch abtrocknen geht und fluchend die Frottier-Fussel von der Haut pult, die durch die Restzuckerklebeschicht noch an der Pelle hängen.
FAZIT: Ja, der Bombast mag einer der Hauptbestandteile des NIGHTWISH-Daseins darstellen, aber ich würde mir die Songs gerne auch mal in skelettierter Version anhören. Ganz ohne Chöre, Orchester, Pomp und Glitterflitter. Mal sehen, wie viel "Song" da noch übrig bliebe.
7 von 15 Punkten
Review von: Lothar Hausfeld (Profil)
Wer bei Facebook seinen Beziehungsstatus eingibt, hat neben den üblichen "verheiratet", "Single" und so weiter auch die Möglichkeit, "es ist schwierig" anzugeben. Es ist schwierig. Beschreibt ziemlich genau meine Gefühlslage in Hinsicht auf "Imaginaerum", dem neuen Bombast-Epos aus dem Hause NIGHTWISH. Es ist schwierig.
Fangen wir mal mit den Kritikpunkten an: 1. Anette Olzons Stimme ist immer noch unspektakulär, weitestgehend beliebig und austauschbar, ohne Tiefgang und unemotional. 2. Die unbestritten vorhandenen Fähigkeiten von Gitarrist Emppu Vuorinen werden sträflich vernachlässigt. Viel zu oft wird dem Sixstringer lediglich zugebilligt, für eine kalt-industrielle Riffuntermalung der Songs zu sorgen. Ausschweifende Soli, mitreißende Melodien? Ganz, ganz selten. 3. Tuomas Holopainen übertreibt es gnadenlos mit seinen Ambitionen. Konzeptalbum, große Instrumentierung, großer Chor, große Emotionen, alles kein Problem und in sich zumeist auch durchaus stimmig. Dann aber noch einen Film rund um das Album zu drehen, ist der berühmte Tick zu viel. Das Video zu "Storytime" gibt schon einen guten Eindruck von dem, was man erwarten darf: Gaukler, kaputte Typen, ein abgefahrener düsterer Rummelplatz, aber vor allen Dingen: von allem etwas zu viel.
O.k., so weit die negativen Punkte. Glücklicherweise steht dem gegenüber mit "Imaginaerum" ein Album, das gnadenlos mutig ist und nahezu einzigartig sein dürfte. So sehr man auch die Idee kritisieren kann, Album mit eigenem Film zu verknüpfen - "Imaginaerum" ist Soundtrack-Metal nahe an der Perfektion. Die Zahl der simplen NIGHTWISH-Rocker sind überschaubar: Das erwähnte "Storytime", das auf der einen Seite furchtbar belanglos ist, auf der anderen Seite aber einen Refrain besitzt, den man auf Wochen nicht mehr los wird, ist einer davon. Auch "Last Ride Of The Day" passt hier noch hinein, ist in sich eine Spur stimmiger.
Bei nahezu allen anderen Songs verlässt die Band aber ausgelatschte Pfade, traut sich - und den Hörern - eine ganze Menge zu, stets überbordend instrumentiert mit zahlreichen klassischen Instrumenten und voluminösen Chorgesängen. Manchmal hat man das Gefühl, sich mitten auf einer Kirmes auf dem Vorhof zu Hölle zu befinden ("Ghost River", "Scaretale"). "Turn Loose The Mermaids" ist eine zerbrechliche Ballade, in der plötzliche mexikanische Mariachi-Töne auftauchen, Westernfeeling verbreiten. "Arabesque" ist ein hochdramatisches Instrumental mit dem Titel entsprechenden arabischen Tönen, "Song Of Myself" ein knapp viertelstündiges Konzeptstück mit wechselnden Stimmungen und Breitwandsound. Der abschließende Titeltrack fasst das vorher gehörte noch einmal als Instrumental mit klassischen Instrumenten zusammen - hier wird noch einmal der Soundtrack-Charakter dieser Scheibe überdeutlich. Lediglich der Mittelteil des Albums mit dem unscheinbaren "Rest Calm" und dem dahin plätschernden "The Crow, The Owl And The Dove" fallen qualitativ ein wenig ab.
FAZIT: Allenthalben ist im Zusammenhang mit "Imaginaerum" von "Meisterwerk" zu lesen. Das ist auf der einen Seite sicherlich nicht überzogen, denn von der Instrumentierung (abgesehen von den Gitarren) über die Stimmungsvielfalt bis zur musikalischen Abwechslung ist dies das ambitionierteste und vielfältigste Album von NIGHTWISH. Ist es auch das beste? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Immerhin stehen ja noch die Kritikpunkte im Raum. Vielleicht aber doch?. Ach, es ist schwierig.
12 von 15 Punkten
Review von: Lutz Koroleski (Oger) (Profil)
Auf dem zweiten Post-Turunen-Album präsentieren sich die Finnen eindeutig gefestigter und reifer als zuletzt. Die zum Teil schwierig verlaufene Welttournee zu "Dark Passion Play" hat die Band aber offenbar eher zusammengeschweißt, denn "Imaginaerum" kommt ohne jeglichen Ausfall daher und hat zudem einige der stärksten NIGHTWISH-Kompositionen überhaupt an Bord.
Insgesamt wurde der Folk-Anteil mit Erfolg erhöht, außerdem hat Marco Hietala mehr Anteile am Gesang, was den entsprechend Songs sehr gut tut. Daneben wagt man sich auch auf musikalisches Neuland, wie z.B. bei der Bar-Jazz-Ballade "Slow, Love, Slow". Das hohe Maß an Abwechslung mag dem zugrundeliegenden Konzept geschuldet sein, das sich auch in etlichen gesprochenen Passagen niederschlägt und ja sogar noch filmisch umgesetzt werden soll. Das Ergebnis dieses Experimentes bleibt abzuwarten, bisher nimmt "Imaginaerum" aber bereits durch seine Atmosphäre gefangen. Vor allem die zahlreichen Instrumental-Passagen sind sehr spannend arrangiert, absolut kein Füllstoff und machen neugierig auf die visuelle Umsetzung.
Unabhängig von diesem Aspekt gibt es auf diesem Album noch genügend eingängige Bombast-Epen zu hören, die auch alleine für sich sehr gut funktionieren. Neben der eher NIGHTWISH-typischen ersten Single "Storytime" überzeugen vor allem "I Want My Tears Back", "Rest Calm" und "Last Ride Of The Day" mit extrem hohem Ohrwurm-Potential.
Frau Olzon kann sicher technisch ihrer Vorgängerin immer noch nicht das Wasser reichen und klingt hin und wieder etwas dünn. Trotzdem setzt sie die Intentionen der Songs gut um und wirkt weniger dominant und anstrengend als der Gesang von Tarja Turunen.
Dass der Sound perfekt, die musikalische Darbietung makellos und das Ganze natürlich nur mit einer gewissen Affinität zu Kitsch und Pathos zu genießen ist, versteht sich an dieser Stelle von selbst.
FAZIT: Viel besser als erwartet ist das neue NIGHTWISH-Album ausgefallen und macht trotz des mächtigen konzeptionellen Hintergrundes auch rein musikalisch über die volle Spielzeit richtig Spaß. Das beste Album der Genre-Vorreiter seit langem.
10 von 15 Punkten
Review von: Andreas Schulz (Profil)
NIGHTWISH-Album Nummer zwei nach dem Wechsel auf dem Posten der Frontfrau zeigt vor allem zwei Dinge auf: Tarja Turunen mag zwar im Vergleich mit Anette Olzon die spektakulärere Sängerin sein, der Erfolg von NIGHTWISH ist ihr aber viel weniger zuzuschreiben, als Tuomas Holopainen, dem musikalischen Kopf der Finnen. Bewiesen wird diese These damit, dass Tarjas Solokarriere nicht ohne Grund eher schleppend läuft, während NIGHTWISHs Erfolgskurve weiter nach oben zeigt - und man mit "Imaginaerum" ein absolutes Highlight in die beeindruckende Diskografie einreiht. Zweites auffälliges Merkmal ist die Bombastkeule, die hier mal wieder geschwungen wird. Dagegen wirkt das Bemühen anderer Symphonic-Metal-Bands wie ein Stupser mit einem dünnen Ästchen, Holopainen hingegen haut den Hörer mit der Wucht seiner Kompositionen und Arrangements einfach um.
Inzwischen hat Tuomas sein Songwriting auch komplett auf Anettes Stimme ausgerichtet, Songs und Gesang passen perfekt zueinander. Anette wiederum überrascht mit einer Variabilität, die man ihr nicht unbedingt zugetraut hätte. Gleiches gilt für Marco Hietala, der ebenfalls ganz neue Ausprägungen seiner Stimme präsentieren darf. "Imagninaerum", für das bekanntlich auch ein vier Millionen Euro teurer Film gedreht wurde, ist in ein loses Konzept eingebunden, das sich dem Leben und der menschlichen Vorstellungskraft widmet, es geht um Liebe, Unschuld und das Gute im Menschen, aber auch um die zauberhafte Schönheit unserer Welt. Musikalisch umgesetzt auf spektakuläre Art und Weise, die einerseits alle typischen Trademarks von NIGHTWISH inne hat, aber auch mit den wichtigen Neuerungen aufwartet, die es braucht, um nicht auf der Stelle zu treten.
Eine Spieluhr wird aufgezogen und lässt ihre traurige Melodie erklingen, dann beginnt Marco sanft und auf finnisch zu singen. So fängt "Imaginaerum" mit "Taikatalvi" an, es folgen akustische Gitarrenklänge und langsam setzen die symphonischen Elemente mit einer Melodie zum Niederknien ein. Flöten sorgen für folkloristische, naturnahe Atmosphäre und mit Gänsehaut erzeugenden Chören steigert sich der Introsong und geht nahtlos in "Storytime" über. Der vorab als Single ausgekoppelte Song ist ein typischer NIGHTWISH-Hit, eingängig, flott und mit einem Refrain, den man wochenlang nicht mehr aus dem Schädel bekommt, egal wie sehr man sich dagegen wehrt. Die latent düstere Atmosphäre deutet schon an, was noch auf diesem Abum passieren wird. "Ghost River" beginnt mit einem ganz ordentlichen Riff, was eine Ausnahme darstellt, denn die Gitarren nehmen keine tragende Rolle ein, sondern sind nur ein Instrument unter vielen. Im recht harten Song duelliert sich Anette mit Marco, der seine garstige Stimme auspackt und einen ungewöhnlichen Refrain singt. Später wird sein Part teilweise von einem Kinderchor übernommen - NIGHTWISH lassen in Sachen Kitsch wirklich nichts außen vor. Die erste dicke Überraschung folgt dann mit "Slow, Love, Slow", einer sanften Barjazz-Nummer, bei der Anettes Gesang ein wenig an Sam Brown erinnert. Trotz der später einsetzenden Gitarre hat das freilich nicht mehr viel mit Metal zu tun - was aber nicht weiter stört, im Gegenteil.
Wem das zu ungewöhnlich war, der wird schnell wieder versöhnt und zwar mit "I Want My Tears Back", einer wiederum klassischen NIGHTWISH-Nummer mit vielen Elementen aus dem Irish Folk. Ein weiterer hartnäckiger Ohrwurm. Es folgt der Höhepunkt des Albums, denn das düstere, abgedrehte "Scaretale" mit seiner bösen Zirkusatmosphäre ist ein Spektakel erster Güte. Stimmung, Arrangements und Instrumentierung sind überragend und man darf sich nicht nur an einer schrill und extrem theatralisch singenden Anette erfreuen, sondern auch an abgedrehten Polka-Elementen und Kosaken-Chören. Ein Wahnsinns-Song, der zum besten gehört, was Holopainen je geschrieben hat. Im direkten Vergleich ist die nun beginnende, zweite Albumhälfte etwas ruhiger und weniger spektakulär, aber immer noch mit Juwelen für das Ohr gespickt. "Arabesque" ist ein schönes Instrumental mit orientalischem Flair und Filmmusik in Reinform, während die Ballade "Turn Loose The Mermaids" sowohl spielerisch, wie auch gesanglich an BLACKMORE'S NIGHT erinnert. "Rest Calm" hat dann wieder Platz für verzerrte Gitarren, ist aber eine getragene und zunächst unauffällige Nummer, die erst mit der Zeit wächst. "The Crow, The Owl And The Dove" ist der einzige Song, den Holopainen nicht geschrieben hat, die Nummer stammt aus Hietalas Feder und war eigentlich für seine andere Band TAROT gedacht. Das wiederum ruhige Stück passt sich aber nahtlos in das andere Material ein und hat schöne, schwelgerische Gesangslinien zu bieten. Im Stil von "Storytime" und "I Want My Tears Back" rockt auch "Last Ride Of The Day" straight nach vorn, was für das 13-minütige Opus "Song Of Myself" natürlich nicht gelten kann. Die dramatische, leicht autobiografische Nummer trumpft mit Chören und massivem Bombast genauso auf, wie mit leidenschaftlichen Gesangspassagen. Die vierteilige Nummer wird zwar in der zweiten Hälfte, die komplett aus dem vierten Part besteht, etwas sehr ruhig, zumal nur noch erzählenden Stimmen agiert wird, ist trotzdem ein bewegendes Werk. Der abschließende Titeltrack ist ein reines Klassikstück, das die Hauptmotive der vorangegangenen Songs zu einem Lied zusammenfasst und nochmals aufzeigt, was für unglaubliche Melodien Holopainen zu schreiben in der Lage ist.
Natürlich ist aber auch an "Imaginaerum" nicht alles perfekt, so ist der Gitarrensound manchmal etwas zu schrammelig, während der Gesamtsound hier und da leicht übersteuert wirkt, was zumindest auf kleinen Kopfhörern zu merken ist. Dass in der zweiten Hälfte drei recht ruhige Songs aufeinander folgen, ist dramaturgisch sicher auch nicht das Ideal und sorgt dafür, dass die Aufmerksamkeit ein wenig nach lässt, zumal das Album mit 72 Minuten eh verdammt lang ausgefallen ist. Dafür darf man sich wiederum an einem phantasievollen, detailreichen und düsteren Artwork erfreuen.
FAZIT: NIGHTWISH sind mit Anette Olzon inzwischen zu einer perfekt aufeinander abgestimmten Band geworden und Tuomas Holopainen gelingt es, ihre stimmlichen Möglichkeiten mit den abwechslungsreichen Songs auszureizen. "Imaginaerum" verdeutlicht die Ausnahmestellung von NIGHTWISH eindrucksvoll und stellt jegliche Genrekonkurrenz vor eine schier unüberwindbare Hürde.
13 von 15 Punkten
Durchschnittspunktzahl: 10,5 von 15 Punkten