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King Oliver‘s Revolver: Gospel Of The Jazz Man‘s Church (Review)
Artist: | King Oliver‘s Revolver |
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Album: | Gospel Of The Jazz Man‘s Church |
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Medium: | CD | |
Stil: | 20s/30s Gypsy-Jazz-Swing |
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Label: | Waggle Daggle Records | |
Spieldauer: | 48:27 | |
Erschienen: | 08.07.2011 | |
Website: | [Link] |
Anfangs war die Verwirrung groß. Ein Blick auf das Bandfoto: Hardcorereligiöse Musiker wollen mich missionieren?! Teufel, nein! Blick auf die Songtitel: „Father Abraham“, „On The Day Of Reckoning“. Noch schlimmer als Bibelwerfer? Pfui, ich werfe gleich mit atheistischen Käsebällchen um mich! Doch es bedurfte lediglich eines Hördurchgangs, eines Kurzstudiums der Texte und eines intensiveren Beäugens des Covers, dass KING OLIVER‘S REVOLVER mehr Sex, mehr Drugs und mehr Rock‘n‘Roll sind als so manche Rockband.
Das Eight-Piece aus Stockholm ist eher von Neo-Swing-Bands wie den SQUIRREL NUT ZIPPERS, entfernt auch – wie Kollegen eines anderen Magazins treffend festgestellt haben – von POKEY LAFARGE und C. W. STONEKING, beeinflusst, wenngleich die Band nicht ganz so extrem retro wie erstgenannte Band unterwegs ist, sondern eher einen zeitgemäßen Produktionsstandard bevorzugt. Oftmals augenzwinkernd und auf gewisse Weise fast schon drollig anmutend, lassen KING OLIVER‘S REVOLVER die Zwanziger und Frühdreißiger aufleben, sodass man sich oftmals in schwarz-weißen Stummfilmen aus jener Zeit wähnt, und man meint fast schon die alten Filmspulen auf den Projektoren rattern zu hören; Auf der Leinwand hüpfen die Staubkörnchen und Fusseln wie kleine Knallfrösche übers Bild. So lausche der Hörer bloß mal dem Ich-setz-mir-gleich-einen-Melonenhut-auf-Stück „On The Day Of Reckoning“ oder dem schmissigen „Green Gang Blues“.
Den Vogel schießt hierbei allerdings „Why Did You Go“ ab. Ursprünglich als „Porque Te Vas“ von JOSÉ LUIS PERALES in den Frühsiebzigern komponiert, kennt man dieses Stück eher als typischen Fernsehsendungs-Schlager der Marke „Papas feuchter Traum“, als gegen Ende jenes Jahrzehnts die Version von JEANETTE DIMECH durch den Film „Züchte Raben...“ zu (zweifelhaftem?) Ruhm kam. Auch als grausige Eurodance-Coverversion von MASTERBOY, als Rockversion von PATO FU oder als „Weil du fortgehst“ von der deutschen Band ERDMÖBEL wurde der Song über die Jahre immer wieder verwurstet, und nun haben KING OLIVER‘S REVOLVER das Teil in ihren bandtypischen Stil konvertiert – seit dem ersten Genuss dieses Stückes wünsche ich mir nun zu Weihnachten ein Grammophon.
Doch anstatt stur einen auf Retro zu machen, lassen die acht gerne auch lateinamerikanische und orientalische Schwingungen in ihren Sound einfließen, wie etwa bei dem fast chansonesken „Tigris By Starlight“ oder der auch mal in Big-Band-Gefilde abtauchenden Nummer „Midnight Train To Harlem“. Bei „Yelena“ wird es im Mittelteil schon mal russisch, in „Father Abraham“ tanzen die Zigeuner Tango (im musikalischen Sinne) und im klezmerig angehauchten „Bel Tambouye“ fehlt stellenweise bloß noch jiddischer Gesang. „I Know A Place Where The Grass Grows High“ wiederum springt ein ganzes Stück weit aus der Reihe, da hier balladeske BEATLES-Einflüsse mit FREDDY MERCURY-Pathos und Streichern Hand in Hand ein paar Jahrzehnte zurück gehen. Gerne würde ich noch mehr ins Detail gehen, da „Gospel Of The Jazz Man‘s Church“ eine prall gefüllte Kiste liebevoll ausgearbeiteter Ideen ist, doch einerseits würde das den Rahmen der Rezension sprengen, andererseits soll dem Hörer ja nicht schon jetzt jede Überraschung verraten werden.
Mit einer ungeheuren Musikalität, Melodiosität und enorm viel Liebe zum Detail unternehmen die Schweden eine turbulente Zeitreise und bringen den Zuhörer permanent zum Schmunzeln. Letzteres geschieht auch unweigerlich beim Lesen der Texte, in denen es keineswegs züchtig zugeht. Da werden unter anderem Opiumhöhlen in Shanghai, die Befriedigung der Triebe, der Ursprung des Neugeborenen und Dekadenz besungen, auf ironische Weise religiöse Thesen gepredigt, hinterfragt, zerlegt und wieder zusammengebaut, und das mit einer Wortgewalt, die gleichermaßen metaphorisch wie direkt von Sänger Tobias Klevbom vorgetragen wird. Sowieso darf man Klevbom als Ausnahmesänger bezeichnen, denn seine Stimme besitzt eine angenehm bodenständige Natürlichkeit, und anfangs mag man fast denken, dass der Gute etwas zurückhaltend zu agieren scheint – doch spätestens, wenn er aus sich herausgeht, darf festgestellt werden, dass dies nur ein Teil des Ganzen war – Dynamik heißt das Zauberwort. Beeindruckend ist auch, dass der junge Mann ohne Effekte auskommt: Kein Hall, kein Stimmdoppler, kein Choruseffekt, nichts.
FAZIT: Auch nach mehreren Wochen des intensiven Hörgenusses mag die Langzeitwirkung von „Gospel Of The Jazz Man‘s Church“ nicht verpuffen. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn immer wieder entdeckt man Kleinigkeiten, die man vorher offensichtlich überhört zu haben scheint – zusammen mit der Hitdichte, die dieses Werk besitzt, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als das wunderhübsch aufgemachte Album in den höchsten Tönen zu loben.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Prelude
- Tigris By Starlight
- Why Did You Go
- Salome
- Penelope
- Yelena
- Green Gang Blues
- I Know A Place Where The Grass Grows High
- On The Day Of Reckoning
- Father Abraham
- The Absence Of Love
- Bel Tambouye
- Midnight Train To Harlem
- O‘ Death
- Bass - Oscar Nygren
- Gesang - Tobias Klevbom, Minna Bolin, Ola Karlsson
- Gitarre - Linus Andersson
- Keys - Ola Karlsson
- Schlagzeug - Love Lundqvist
- Sonstige - Ola Karlsson (Harmonium, Piano), Aron Junker (Baritonsaxophon), Anders Norman (Tenorsaxophon), Linus Andersson (Banjo) und viele, viele Gastmusiker
- Gospel Of The Jazz Man‘s Church (2011) - 14/15 Punkten
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