Partner
Services
Statistiken
Wir
Black Troll Winterfest 2011 - RWE-halle, Mülheim/Ruhr - 12.11.2011
Am 12. November fand das mittlerweile dritte Black Troll Winterfest in Mülheim an der Ruhr statt. Bei dem sehr ansprechenden Billing konnte ich nicht umhin und fuhr tapfer bis direkt an den Herzschlag der felltragenden Nordmänner, um dem Marathon der Pagan-, Viking und Folk-Metaller beizuwohnen.
Nun ja, nicht ganz. Ist die RWE-Halle auch mit einer erträglichen Akustik ausgestattet, hat sie aber den Charme einer multifunktionalen Sportstätte. Sie ist rückblickend vielleicht etwas zu groß gewählt, verlaufen sich die Zuschauer doch etwas auf den Sitzplätzen der Rängen und lassen so nicht immer große Stimmung zu. Bei immerhin 15 angetretenen Bands ist die Organisation aber nahezu perfekt, Umbauzeiten halten sich durch eine gemeinsam genutzte Backline im Rahmen, unrühmliche Ausnahme sollen nur die Headliner IMMORTAL sein, die verblüffenden Wert auf Perfektion legen und das Publikum eine satte Stunde auf ihren Auftritt warten lassen.
15 Bands der Reihenfolge nach abzuarbeiten, scheint mir aber etwas langweilig zu sein, also nehme ich hier mal eine ganz persönliche Wertung und Gewichtung vor, die viele sicherlich anders sehen werden. Bitteschön, kein Problem, für die Statistiker unter uns hier aber die originale Running Order:
CHAIN OF DOGS
CRUADALACH
CRIMFALL
NORTHLAND
ODROERIR
WAYLANDER
NEGATOR
XIV DARK CENTURIES
SUIDAKRA
TÝR
MOONSORROW
PRIMORDIAL
ENSIFERUM
IMMORTAL
File unter „Äh, ja“:
„They came from the north“ steht auf einem der offiziellen Festival-Shirts. Da haben die Italiener DRAUGR aber was falsch verstanden und zudem die unerfreuliche Opener-Position morgens um 10:20 vor knapp 50 sich in der Halle verlaufenen Zuschauern inne. So verschlafen wie das Publikum agiert die Band leider auch, Stage-Acting geht gegen Salzsäule, musikalisch biete man die sich im Laufe des Tage recht häufig wiederholende Mischung aus Mittelalter-Folk-Melodien und Black-Metal. Ist der Gesang auf Konserve eigentlich ganz spannend, fehlen live viele Feinheiten und das bewegungslose Dastehen mit leicht abgespreizten Oberarmen lässt die Frage aufkommen, ob der Mann vielleicht Abszesse in den Achselhöhlen hat? Die klassischen Pagan-Instrumente Flöte und Geige kommen aus der Chip-Fabrik und klingen entsprechend unpassend.
„NORTHLAND sind Spanier und hören sich an wie ENSIFERIUM“, meint noch der Kollege vom Legacy und leider soll er Recht behalten. Auch wenn erstmals an diesem Tag so etwas Stimmung im Publikum aufkommt, sind die sechs doch sehr eng in genau deren Fahrwasser unterwegs, gehen aber auf der Bühne einigermaßen energetisch ab und haben sichtlich Spaß an banaler nordischer und irischer Volksmusik mit eingängigen Melodien und süßen Keyboards, auch wenn sie nicht gerade aus dem Norden kommen. Da es aber ENSIFERUM gibt, fragt man sich unwillkürlich, welche Existenzberechtigung diese Band hat.
ODROERIR kommen aus Thüringen und entern in voller Mittelaltermontur inklusive gefährlichen Dolchen, Sack und Leinen die Bühne. Nicht weiter verwunderlich ist da die Musik der zottelbärtigen Herren und nichtbärtigen Dame, die für den folklastigsten Auftritt des Festival sorgen. Auch wenn die Band über jeden Vorwurf der Rechtslastigkeit erhaben ist – vertonen von Sagen ist doch noch etwas anderes als stumpfe Deutschtümelei – will der Funke zum Publikum nicht so recht überspringen. Erste Ermüdungserscheinungen machen sich in Anbetracht der Tatsache, dass hier immer wieder mit Nuancen ein Feld beackert wird, langsam breit. Thüringer, die über die Rückkehr an den heimischen Fjord singen, wirken naturgemäß auch etwas seltsam.
Von ODROERIR zu XIV DARK CENTURIES ist es nur ein kleiner Schritt, ein Teil der Musikanten tritt in beiden Kapellen auf und so sind XIV DARK CENTURIES das metallischere Ebenbild ersterer. Auch hier finden sich die Folk-Melodien, die einem nach einem halben Tag langsam aber sicher zu den Ohren herauskommen. Schwarzmetallisches Geschraddel auf der Gitarre macht aber noch keine bessere Band und so hält sich bei beiden Bands aus Thüringen der Zuschauerzuspruch im überschaubaren Rahmen.
File unter „Geht klar“:
Schon die zweite Band am Mittag, die Holländer CHAIN OF DOGS, zeigen, dass die typischen Pagan-Zusatzinstrumente – Geige und Flöte – als echte Instrumente meilenweit vor Keyboardsounds rangieren und der Musik ein ganz anderes Klangbild verleihen. Blickfang der Niederländer ist sicher der Sänger, der, mit deutlichem Übergewicht, reichlich Tätowierungen und einer Mandoline (verbessere mich der, der es besser weiß) ausgestattet, recht wütend und kämpferisch singt, während der Flöten- und Geigenmann mit seinen klaren Gesängen zu harmonischen Chorgesängen beiträgt. Und wenn die Gitarre mal ans Schreddern kommt, setzen sich Geige und Mandoline immer noch gut durch und zaubern klasse Folkmelodien. Unerwartet gute Band!
CRUADALACH sind eine tschechische Horde, die zwar recht generischen Pagan-Metal spielt, aber durch die ausgesprochen energetische Live-Performance des berockten Sängers punkten kann. Vielleicht ist das pausenlose Rumgerenne auf, hinter und vor der Bühne etwas übertrieben, aber immerhin bemüht sich die Band etwas Stimmung in die gegen Mittag immer noch überschaubare Menschenansammlung vor der Bühne zu bringen. Leider kackt das Mikro schon im ersten Song ab und es dauert eine ganze Weile, bis endlich der Gesang auch zu hören ist, dann aber sorgen die Ost-Europäer immerhin für einige wippende Köpfe.
CRIMFALL sind einer der Gründe, warum sich CRUADALACH auf das Black Troll Winterfest gefreut haben, behauptet zumindest deren Sänger und siehe da, die halbe tschechische Band reiht sich vorne im Publikum ein und singt beinahe jeden Text der Finnen begeistert mit. Optisch ist die Band jenseits von Gut und Böse, vollbärtige Fellträger, die aussehen, als ob sie gezwungen wurden seit der Abreise in einem finnischen Langboot pausenlos Alkohol zu trinken. Dazu Sängerin Helena Haaparanta, die dem Sänger ungefähr bis zur behaarten Brust reicht, aber ungefähr pro A im Namen 10 Kilo Übergewicht haben dürfte. Wie aber so oft schadet die ganze schräge Optik der Musik nicht und CRIMFALL tragen ihren mit vielen Black-Metal-Versatzstücken angereicherten Pagan-Metal inbrünstig und kompetent vor, vor allen das Organ der kleinen Sängerin ist beeindruckend und live sind CRIMFALL weniger kitschig und episch wie auf Tonträger.
Blickt man zurück, sind alle Bands in der vorderen Hälfte der Running Order musikalisch doch recht ähnlich, auch die Iren von WAYLANDER machen da keine Ausnahme, sind aber im direkten Vergleich etwas kraftvoller und gitarrenlastiger als die anderen Bands. Etwas penetrant auf die Dauer des Auftritts ist der Flötenspieler, der jeden Gesangspart untermalt und alle Gitarrenmelodien vorgibt. So manchem Gesicht im Publikum meint man ablesen zu können, dass eine Flöte vielleicht doch ein Instrument ist, das man hassen kann. Nach mittlerweile mehreren Stunden fängt das Gedudel langsam aber sicher an zu nerven, auch wenn WAYLANDER eindeutig zu den weniger künstlichen und originelleren Bands des Nachmittags gehören.
Da das hier ja eine rein subjektive Abstufung und Bewertung von Bands ist, bin ich mal so frei und reihe ENSIFERUM unter den durchschnittlichen Bands ein. Irgendwie erinnert mich ein ENSIFERUM-Gig immer an RTL, durchschnittliche belanglose Musik, Tralala-Melodien und mit der Tiefe eine der ach so engagierten Sozialdokus. Auch wenn für viele im Publikum ENSIFERUM der heimliche Headliner waren, berühren sie mich mal wieder nicht und ich gebe statt dessen nur ein kurzes Gespräch, welches hinter meinem Rücken stattfand, wieder: „Ich bin wegen ENSIFERUM hier, weil ich an keine Religion glaube, aber an die nordischen Götter und an deutsche als Deutschland noch nicht halb voller Türken war.“ So weit, so schlecht und höchste Zeit zu den guten Bands des Tages zu kommen.
File unter „So soll es sein“:
Nach stundenlangem Flötenterror kommt mit NEGATOR ein kompromissloser Schlag in die Fresse. Purer stumpfer Black Metal, rasend schnell, monoton und aggressiv bis zum geht nicht mehr. ENDSTILLE und DARK FUNERAL dürften hier zu gleichen teilen Referenz sein, deren stures Geballer ist NEGATORs Musik nicht unähnlich. Nachtgarm ist nicht umsonst seit kurzem zum Sänger DARK FUNERALs ausgerufen worden, sein Bühnenpräsenz ist hart, aggressiv und einnehmend, sein Geschrei und Gekeife heftig und beeindruckend, neben A.A. Nemtheanga die zweite Persönlichkeit auf dem Festival, die den ganzen Raum auf der Bühne einnimmt und das Publikum trotzdem für sich gewinnen kann. „Sind nur Fellträger hier oder auch echte Black-Metaller?“ fragt er zwischen zwei Songs und rastet aus, als der Veranstalter den letzten Song wegen Zeitproblemen streichen will, der dann natürlich doch gespielt wird und vom Publikum erstmals an diesem Tag mit Zugabe-Rufen quittiert wird. Der Gig ist der Gewaltausbruch im richtigen Moment.
SUIDARKA wirken im ersten Moment wie ein Fremdkörper im Line-Up, sind aber mit ihrer Nähe zu BLIND GUARDIAN doch irgendwie passend und liefern ähnlich sympathisch wie jene ein einwandfreies Set ab. Wie BLIND GUARDIAN würde ich mir die Band nie einzeln ansehen, hier im Billing sind sie aber eine willkommene Abwechslung, haben sichtbar Spaß und bringen frischen traditionellen Wind unter das Heidenvolk, das langsam aber sicher mehr Stimmung aufkommen lässt. Bei "Biróg's Oath" entert noch Gastsängerin Tina Stabel die Bühne und legt eine respektable und kraftvolle Gesangsleistung hin. Guter Auftritt und genug gesagt.
Langsam aber sicher bricht das Eis, und so haben die Färöer TYR nach dem SUIDARKA-Auftritt recht leichtes Spiel, die mittlerweile gut gefüllte Halle für sich zu gewinnen. Wikinger-Texte und wildes Auftreten sind fester Bestandteil des Bandkonzeptes, folkloristische Instrumente haben zu dieser Uhrzeit ausgedient, traditionelle Melodien auf der Stromgitarre hingegen nicht und so bitten TYR mit einem Reigen von mitreißenden Melodien zum Tanze. Gutgelaunt erläutert der drahtige (wie meine Begleitung grinsend feststellt) Sänger und Gitarrist Heri Joensen seine färöischen Texte und lässt natürlich auch das schnellere „Hold The Heathen Hammer High“ auf die Meute los, die doch recht begeistert die Band feiert.
MOONSORROW haben mit „Varjoina Kuljemme Kuolleiden Maassa“ ja ein Album abgeliefert, das in einer beachtlichen Anzahl von Best-Of-2011-Listen auftauchen wird. Bei mir hat das Werk irgendwie nicht gezündet und so erwarte ich den Auftritt mit gemischten Gefühlen. Aber die Finnen packen mich sofort, da sie im Vergleich zu den übrigen Bands ausgesprochen komplex und progressiv zur Sache gehen. Endlich darf es statt 4/4-Geschraddel auch mal ein krummer Takt sein, hier ein kurzer Break, da eine abgefahrene Gitarrenmelodie; so macht man das richtig und MOONSORROW gehören mit ihrem kräftigen Sound ganz klar zu den Gewinnern des Festivals, bei denen trotz überlanger Lieder nie Langeweile aufkommt. Ich werde es mit „Varjoina Kuljemme Kuolleiden Maassa“ noch mal versuchen. Ich schwöre.
Wenn es einen persönlichen Grund gibt, das Black Troll Winterfest aufzusuchen, dann ist es die Anwesenheit PRIMORDIALs, die mit den letzten vier Scheiben für mich Musikgeschichte geschrieben haben. Völlig eigenständig und perfekt inszeniert sind die Songs auf Konserve, A.A. Nemtheanga ist unvergleichlich charismatisch und PRIMORDIAL schaffen es, ihre morbide verzweifelte Grundstimmung mit erstaunlicher Leichtigkeit auch live zu zelebrieren. Los geht es schon mit düsteren Klängen während der Umbaupause, die sich langsam zu einem Intro steigern. Schon nach den ersten Sekunden ist klar, dass hier eine Band auf der Bühne steht, die perfekt musikalisch harmoniert, aber optisch eine One-Man-Show ist. Nemtheanga ist weiß geschminkt und mit Kunstblut verziert der klare Mittelpunkt PRIMORDIALs, seine Gesangsleistung über jeden Zweifel erhaben und er nimmt mit seiner Präsenz die gesamte Bühne ein. Neben mir bemerkt eine Fachfrau noch: „Die können ja gar nichts.“ Da sie nur ungläubige und mitleidige Blicke erntet, wird dann schon im nächsten Song fleißig mitgeklatscht, ganz so schlimm war das Konzert, das sich auf die letzten beiden Alben konzentrierte, dann wohl doch nicht.
Anders als die einstündige Umbaupause für den offiziellen Headliner des Festivals. 13 Stunden nach Festival-Beginn legen die unvergleichlichen IMMORTAL dann gewohnt routiniert los. Die Band hat seit den Anfangstagen als Witzblattfiguren ihren Weg konsequent fortgesetzt und ist mittlerweile (mit Unterbrechung) zwanzig Jahre im Geschäft. 20 Jahre, die IMMORTAL zu Perfektionisten gemacht haben. Das erklärt erstens die lange Umbaupause und zweitens die recht häufigen genervten Blicke von Fronter Abbath zum Bühnenrand, da immer wieder für Sekundenbruchteile Aussetzer in der Gitarrenübertragung zum Amp zu vernehmen sind, die aber schlimmstenfalls als minimale Haker beim Gitarre-Spiel auffallen. Selbst an solchen Kleinigkeiten stören sich IMMORTAL 2011, das tut der guten Laune bei der mittlerweile schon geschrumpften Zuschauermenge aber keine Abbruch und nach einiger Zeit kommen IMMORTAL dann auch etwas entspannter rüber und geben das gewohnt skurrile Bild ab, wenn Abbath und Apollyon im Ausfallschritt nebeneinander stehen, im Takt bangen und zum Abschluss kurz die Zunge hervorschnellen lassen, als ob es Fliegen zu fangen gäbe. Horgh ist auch live ein unmenschlich schneller und präziser Schlagwerker, der das gesamte Repertoire des Black-Metal-Drummings locker beherrscht und IMMORTAL auch immer wieder grooven lässt. Nach etwas über einer Stunde und einem abwechslungsreichen Programm, das bis zu „Pure Holocaust“ von 1993 zurückreicht, verlasse ich dann doch schwer beeindruckt aber hundemüde die RWE-Halle, während IMMORTAL unten in blaues Licht getaucht dastehen und das Publikum bis zum Hals im Nebel der etlichen Pyro-Einlagen verschwunden ist. Mystisch. Ist es Vollmond? Ich erinnere mich nicht.
Bleibt zu vermelden, dass das Black Troll Winterfest eine absolut lohnenswerte Veranstaltung ist, selbst wenn man wie ich keine ausgeprägte Vorliebe für Pagan- und Viking-Metal hat. Bis auf die lange Umbaupause vor IMMORTAL gibt es eigentlich nichts wirklich zu bemängeln, viele gute Bands, natürlich auch Schatten, und die Feststellung, dass 14 Stunden Live-Musik wirklich nur etwas für Hartgesottene sind.