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Interview mit Dream Theater (17.06.2007)
Vor der Show am 13.06.2007 in Berlin stellt sich DREAM THEATER Keyboarder Jordan Rudess den Fragen von Idioglossia. Der Backstagebereich der wunderschönen Zitadelle Spandau enstpricht so gar nicht den Klischees von versifften, verschimmelten Hinterzimmern heruntergekommener Musikclubs. Interview-Verweigerer John Myung befummelt eifrig seinen PDA und James LaBrie blättert mit der Roadrunner Promoterin in einer Ausgabe der Rock Hard. In dieser Atmosphäre weicher Sofas und Sessel zeigte sich der Tastenmann freundlich und gesprächig, während sich ein paar Meter weiter ein zappeliger Mike Portnoy leicht genervt durch ein weiteres Interview kämpft.
Hi Jordan, erstmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album, das euer bestes Werk seit „Scenes From A Memory“ ist. Siehst du das auch so oder kann man „Systematic Chaos“ einfach nicht mit seinen Vorgängern vergleichen?
Als wir das Album aufgenommen haben dachte ich schon „oh, das ist nicht schlecht“. Aber letztlich kommt es darauf an, wie das Album auf mich wirkt, wenn es fertig ist und ich es mehrmals anhöre. Wenn ich schnell gelangweilt bin, dann ist das natürlich kein gutes Zeichen. Andere Alben wachsen mit der Zeit – und genauso ist das bei „Systematic Chaos“. Es macht mir Spaß, meine Passagen zu lernen, was ein gutes Zeichen ist. Bei progressiven Sachen ist es ja auch meistens so, dass ich nicht gleich vor Freude auf und ab springe, es braucht immer mehrere Durchläufe, bis ich merke „hey, das ist cool, das gefällt mir“. Es braucht seine Zeit, bis das Gehirn gewisse Details aufnehmen kann. Ich würde sagen, dass jedes Album seine Vorzüge und seinen Wert hat, es kommt halt darauf an, was einem gefällt.
Welches Stück gefällt dir besonders gut?
„Ministry Of Lost Souls“ ist eines meiner Lieblingsstücke. Ich mag es sehr gerne, wie die Melodie mit dem Instrumentalen zusammenspielt, das ganze Stück hat einen sehr melodischen Touch. Das ist etwas Besonderes an dieser Band – wir mögen Stücke, die sehr melodisch sind, beinahe süßlich – und wir haben auch keine Angst davor, mal einen ganz normalen Song zu schreiben. Wir sind alle Väter und haben Kinder, die Disney Filme lieben und das färbt natürlich auch etwas ab (lacht). Wir sind halt für Vieles offen.
Lass uns über den Song „The Dark Eternal Night“ sprechen. Ich habe von vielen gehört, dies sei der schlechteste DREAM THEATER Song, den ihr je geschrieben habt – andere meinten wiederum, dass der Song sehr gut und ein Highlight auf „Systematic Chaos“ wäre. Hast du irgendeine Idee, warum dieses Stück so stark polarisiert?
Ich habe nicht von vielen gehört, dass sie diesen Song nicht mögen. Aber manch einer fand den Mittelteil des Songs einfach grauenhaft und mochte die songhaften Teile des Stücks sehr gerne. Andere wiederum finden, dass der Mittelteil zum Besten gehört, das DREAM THEATER seit langem gemacht haben. Ich finde das wirklich lustig. Wenn es diesen Mittelteil nicht gäbe, dann wäre das Stück gar nicht wirklich DREAM THEATER. Wir machen halt gerne dieses verrückte, progressive, wilde Zeug, was uns als Band auch ein kleines bisschen einzigartig macht. Wenn wir uns immer an das typische Songformat halten würden, wer wären wir dann schon – einfach nur irgendeine weitere Band. Es ist halt etwas Besonderes, dass wir dieses verrückte Zeug abrufen können – und manch einer mag das halt und andere wiederum nicht.
Kommen wir zu dem Stück „Repentance“, das nicht gerade ein typischer DREAM THEATER Song ist. Das Stück hat leichte New Artrock Anleihen, wie man es vielleicht von Bands wie PORCUPINE TREE oder auch RIVERSIDE erwartet. Ist es so, dass jemand in der Band sagt „nun lass uns mal etwas ganz anderes machen“ und dann schreibt ihr einen Song wie „Repentance“?
Wir machen da einfach unser Ding. Der Song hat schon so ein dunkles, irgendwie sanftes Feeling. Das macht DREAM THEATER eben interessant – wir verarbeiten eine Menge unterschiedlicher Stilrichtungen, die wahrscheinlich weitreichender sind, als den meisten Leuten klar sein dürfte. Manchmal erweitern wir unseren Horizont noch ein bisschen mehr und „Repentance“ ist so ein Song, bei dem wir einen etwas anderen Sound ausprobiert haben. Und wenn jemand meint, wir klingen dann wie PORCUPINE TREE oder OPETH, dann kann das gut sein – der Sound dieser Bands ist uns sehr bewusst. Steve Wilson ist ein guter Freund von mir und wir machen auch Musik zusammen, es ist also alles quasi ein großer Kreis, der sich wieder schließt.
Einige bekannte Musiker wie z.B. Joe Satriani, Neal Morse und Daniel Gildenlöw haben auf „Repentance“ ein paar gesprochene Passagen beigesteuert. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Das war Mikes Idee. Er hat diese Musiker einfach kontaktiert, die ja auch mit uns befreundet sind oder persönliche Freunde von Mike sind. Also hat er sie einfach angerufen und angefragt, ob sie Lust hätten, ein paar Passagen zu unserem Album beizutragen.
Ist eine Band wie DREAM THEATER, die ja schon seit über 20 Jahren im Geschäft ist, überhaupt noch offen für Kritik von außen?
Ja, absolut. Obwohl es mit dem Kritisieren manchmal schwierig ist, denn letztlich ist ja jeder irgendwie ein Kritiker. Musiker müssen manchmal vorsichtig sein, worauf sie hören und worauf sie nicht hören. Wenn die Kritik von einem Musiker kommt, den ich kenne und den ich respektiere, von jemandem kommt, dessen Meinung eine Menge Anerkennung verdient, dann auf jeden Fall, dann muss ich offen für diese Kritik sein.
Trefft ihr euch eigentlich noch regelmäßig zum Proben oder macht ihr das nur noch, bevor ein neues Album aufgenommen wird oder bevor ihr auf Tour geht?
Bevor wir auf Tour gehen, verbringen wir etwa eine Woche im Studio und proben. Für mich gibt es eine Menge vorzubereiten. Welche Techniken ich verwende, welche Keyboards und wie ich das, was ich im Studio zurechtgebastelt habe, auch live rüberbringen kann.
Wo wir grad beim Thema „Studio“ waren – könntet ihr euch vorstellen, einen externen Produzenten zu engagieren, der das nächste DREAM THEATER Album mit euch aufnimmt? Vielleicht ein Produzent, der eurer Musik seinen Stempel aufdrückt? Oder kommt das gar nicht in Frage?
Also unmöglich ist dieser Gedanke nicht, aber im Moment sind wir sehr zufrieden damit, wie es läuft. Wir mögen es einfach, die volle Kontrolle zu haben. Wir haben sehr viel Talent in dieser Band, und eines dieser Talente ist, dass wir selbst produzieren können. Mike und John machen einen wunderbaren Job und ich produziere auch mein Soloalbum selbst. Wir haben also eine Menge Produzenten hier (lacht).
Du hast offensichtlich Spaß daran, das „Continuum“ zu spielen, das man schon auf „Octavarium“ zu hören bekam und jetzt ein weiteres Mal auf „Systematic Chaos“. Wie bist du auf dieses Instrument aufmerksam geworden?
Mein Nachbar Richard Lenhard (?), der auch mein musikalischer Partner für elektronische Musik ist, hat mich auf das Instrument aufmerksam gemacht und ich habe darüber im „Keyboard Magazine“ ein Review gelesen. Ich hatte auch schon seit vielen Jahren die Idee von einem bundlosen Keyboard im Kopf und als ich etwas über dieses Instrument erfahren habe, war es genau so etwas, über das ich schon oft nachgedacht hatte. Ich habe also den Erfinder des Continuums kontaktiert und habe gleich eins bestellt. Wir haben viel über das Instrument und diese Technologie geredet, weil ich es sehr gerne auf unserer Tour verwenden wollte. Es gab eine Menge Dinge, die verändert werden mussten, bis ich das Continuum wirklich auf Tour verwenden konnte. Ich habe ihn also etwas dazu gebracht, das Instrument für normale Musiker spielbarer zu machen.
Gab es eigentlich einen Punkt in deinem Leben, an dem du bereut hast, dass du dich auf das Keyboardspiel konzentriert hast und nicht auf klassisches Piano?
Nein, ich habe das nie bereut. Vielleicht, wenn du meine Mutter fragst, die bereut es wahrscheinlich. (lacht)
Und spielst du noch klassische Musik? Vielleicht für deine Freunde oder deine Familie?
Ich habe mir vor kurzem einen Steinway Flügel zu meinem 50. Geburtstag geschenkt. Meine Frau und ich meinten, dass ich so ein Instrument haben sollte, also haben wir es gekauft. Gelegentlich spiele ich klassische Musik, aber nicht so viel, wie ich eigentlich wollte. Aber jetzt, wo ich diesen wunderbaren Flügel besitze, habe ich eine Menge klassischer Musik hervorgekramt und spiele z.B. sehr gerne Chopin und Liszt.
Wenn du dir die aktuelle Prog Szene anschaust, glaubst du, dass es sich nur noch um eine Armee von Klonen handelt oder gibt es dort draußen noch jede Menge kreatives Potential zu entdecken?
Es gibt wirklich jede Menge von Klonen. Wenn man natürlich genug sucht, findet man schon einige gute Bands, die interessantes Zeug machen. Man muss sich halt der Szene bewusst sein und wissen, was um einen herum passiert. Mein persönliches Interesse liegt momentan eher in der elektronischen Musik, ich bin von dieser ganzen Bewegung wirklich fasziniert, die auch sehr Progressives hervorbringt, wie z.B. „Boards Of Canada“ oder „Aphex Twin“ und auch viele Bands aus deinem Land. Das ist alles wirklich interessant, also versuche ich da immer auf dem aktuellsten Stand zu sein.
Wo wir grad von Klonen gesprochen haben: Was kannst du persönlich tun, damit DREAM THEATER nicht eines Tages ein Klon seiner selbst wird, wenn sie es vielleicht nicht schon geworden sind?
Was ich tun kann, ist Vorschläge zu machen und die Grenzen unseres Stils noch ein wenig weiter auszudehnen, was auch in gewisser Weise mein Job innerhalb der Band und der Grund ist, warum ich von dieser Gruppe „angeheuert“ wurde. Das ist ja auch die große Herausforderung für eine Band, die es schon so lange gibt: Auf der einen Seite seine Identität nicht zu verlieren und sich gleichzeitig zu verändern. Aber nicht so, wie viele Progressive Bands der letzten 30 Jahre, die irgendwann immer kommerzieller geworden sind. So gesehen, ist DREAM THEATER sich selbst immer sehr treu geblieben und hat keinen Ausverkauf betrieben.
Ich glaube, es war Mike, der in einem Interview gesagt hat, dass eure Verkaufszahlen in Deutschland konstant bleiben, während sich eure Alben in anderen Ländern immer besser verkaufen. Ist das immer noch der Fall?
Das bleibt noch abzuwarten. Das neue Album wurde in vielen Ländern sehr gut aufgenommen und hat sich in den US Billboard Charts den Platz 19 erkämpft, was wirklich sehr erstaunlich ist. In Italien ist es auf Platz zwei geklettert (in Deutschland auf Platz 7 – Anm. d. Verf.)
Du hast bereits im Jahre 1994 ein Angebot von DREAM THEATER erhalten, Mitglied der Band zu werden. Du hast dich damals aber für die DIXIE DREGS entschieden, weil diese Band dein Familienleben weniger beeinflussen würde. War das der wirkliche Grund?
Das war einer der Gründe. Es gab aber eine ganze Menge von Gründen. Schon damals war DREAM THEATER eine große Band und sehr interessant für mich. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich sehr im Familienleben drin, wir hatten unser erstes Kind, ich hatte einen Job und habe für eine Synthesizer Firma gearbeitet, sie haben mir Keyboards geschickt und ich war so etwas wie ein Produktspezialist für sie.Bei den DIXIE DREGS konnte ich alles auf einmal haben: Job, Familie und Musik. DREAM THEATER hätte meine gesamte Zeit in Anspruch genommen, was für mich auf keiner Ebene Sinn gemacht hätte, obwohl das natürlich ein sehr verlockendes Angebot war.
Und was hat sich geändert, als du 1999 schließlich doch bei DREAM THEATER eingestiegen bist?
Als ich mich schließlich doch für DREAM THEATER entschied, hatte ich schon ein paar sehr gute Erfahrungen mit Mike Portnoy und John Petrucci innerhalb des „Liquid Tension Experiments“ gesammelt und wir haben ja zwei sehr erfolgreiche Instrumental-Alben herausgebracht, meine Kinder sind älter geworden und das Angebot von DREAM THEATER hatte sich etwas verändert, so dass ich auch in der Lage war, auf Tour zu gehen.
Mike hat auf „Constant Motion“ ein paar Gesangslinien beigesteuert. Könntest du dir das auch mal vorstellen oder singst du nur unter der Dusche?
Ich habe auf meinem neuen Solo Album, das im August erscheint, ein paar Gesangsparts übernommen und ich mag es wirklich, zu singen. Als ich bei DREAM THEATER angefangen habe, war neuer Gesang nicht das, was sie brauchten. Die Rollen bei dieser Band waren verteilt und festgesetzt und obwohl ich singen kann, ist es nichts, das ich innerhalb von DREAM THEATER tue. Ich sage nicht, dass das niemals passieren wird, aber wenn du mich singen hören möchtest, dann hör dir mein neues Album an, das übrigens „The Road Home“ heißen wird und bis auf einen Song hauptsächlich aus Cover Versionen meiner persönlichen Lieblings Prog Rock Songs bestehen wird. Wir covern YES, GENESIS, EMERSON LAKE & PALMER und GENTLE GIANT. Ich spiele dort auch auf dem Flügel, von dem ich dir vorhin erzählt habe und habe ein Medley aus all diesen wunderbaren Melodien aufgenommen. Es wird auch ein paar bekannte Musiker geben, die auf diesem Album mitgewirkt haben, wie z.B. Kip Winger (WINGER) und Rod Morgenstein (WINGER, DIXIE DREGS), der ein paar Schlagzeugparts eingespielt hat und Bumblefoot (GUNS´N´ROSES) und Ed (OZRIC TENTACLES) an der Gitarre. Außerdem singt noch Nick D´Virgilio von SPOCK´S BEARD einige Passagen. Es gibt noch ein paar weitere Gäste, aber die darf ich noch nicht verraten.
Vielen Dank für deine Zeit, Jordan!
Gern geschehen!
- Dream Theater - When Dream And Day Unite (1989)
- Dream Theater - Awake (1994)
- Dream Theater - A Change Of Seasons (1995)
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- Dream Theater - Scenes From A Memory (1999)
- Dream Theater - Six Degrees Of Inner Turbulence (2002)
- Dream Theater - Train Of Thought (2003)
- Dream Theater - Octavarium (2005)
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