"How many Volts has your equipment?" (aus den hochpeinlichen, aber brüllend komischen „Absurdities“ auf Klaus Schulzes durchgängig lesenswerter Website www.klausschulze.com. Frage stammt aus der Bild-Zeitung) – Ein paar unvollständige Betrachtungen zum Tod Klaus Schulzes.
„In tiefer Trauer müssen wir Euch leider darüber informieren, dass Klaus gestern am 26. April 2022 im Alter von 74 Jahren nach langer Krankheit, aber dennoch plötzlich und unerwartet von uns gegangen ist“, schrieb Maximilian Schulze im Namen seiner Familie und des Teams um Klaus Schulze. Ein weiterer herber Schlag ins Kontor.
Wie bei den Kollegen von Tangerine Dream, Can und Kraftwerk wurde gerne kolportiert, dass Klaus Schulzes Ruf und Anerkennung als innovativer Musiker im Ausland größer war als hierzulande. Immerhin gab es ansprechende Nachrufe bei Spiegel- und Zeit-Online, während die F.A.Z. fast schon gewohnt schwächelt und den „Godfather Of Techno“ aufs Tapet bringt. Ähnlich wie bei Neil Young, dem vorgeblichen „Godfather Of Grunge“ ist das nicht ganz falsch, Schulze war wegweisend und einflussreich, vornehmlich Ambient-Musik und Chillout-Klänge betreffend, aber es trifft nur einen kleinen Aspekt seines Wirkens.
Ich besitze fast hundert Alben, an denen Klaus Schulze beteiligt ist. Das reicht von seinen frühen Aktivitäten als Trommler bei PSY FREE, TANGERINE DREAM und ASH RA TEMPEL (später bei ASHRA gelegentlich am Synthesizer), über die breit aufgestellte Solo-Diskographie, Live-Aufnahmen, die fünfzehnteilige musikalische Autobiographie „La vie electroniquie“, bis zu den Kollaborationen mit Arthur Brown, Rainer Bloss, Lisa Gerrard und vor allem Pete Namlook. Alleine die „Dark Side Of The Moog“-Kompilation mit Namlook umfasst drei Boxen mit je fünf Alben. Unvergessen auch die Mitwirkung an Stomu Yamashtas All Star-Projekt GO, neben Michael Shrieve, Steve Winwood, Al DiMeola und vielen anderen. Unvergessen, wenn Klaus Schulze im schnodderigen Berliner Dialekt darüber referiert, wie er Scherze mit dem anscheinend etwas selbstverliebten Al DiMeola getrieben hat.
Als Produzent betreute er so unterschiedliche Musiker wie Kitaro (FAR EAST FAMILY BAND), Wolfgang Lock, Bill Laswell und, noch weiter ab vom musikalischen Schuss, aber sehr berlinerisch, IDEAL und ALPHAVILLE.
Eine meine ersten Begegnungen mit Schulze und seiner Musik fand via Fernsehgerät statt. Da saß er, inmitten eines meterhohen Maschinenparks, drehte an zahlreichen Knöpfchen, drückte gelegentlich in die Tasten und produzierte seine schwebenden, weiten Klangflächen. Und bewies, dass seine Musik sehr wohl „handgemacht“ ist. Dieses vorgebliche Ausbleiben von „handmade music“ wurde ihm, einem der Direktoren der Berliner Schule, von „ehrlichen Rock’n’Roll“ (dreams are my reality)-Beschwörern gerne vorgeworfen.
Als Klaus Schulze Solokarriere begann, war das Knöpfchendrehen am Synthesizer noch ein wenig entfernt. Die ersten Alben wurden mit Orgel, Gitarre, Tapes und echten Streichern eingespielt. Die dem Zusammenspiel mit Schulze – laut eigener, wie üblich sehr unterhaltsamer, Aussage – eher ablehnend und befremdet gegenüberstanden. Den großen Moog gab es erst Ende 1975, übernommen von POPOL VUHs Florian Fricke. Den Übergang zum digitalen Equipment erledigte Schulze bereits 1980 mit Leichtigkeit. Der Klang veränderte sich, die Musik blieb unverkennbar.
Klaus Schulzes Musik konnte fließen, repetitiv sein, sperrig oder, nicht nur im Zusammenspiel mit Harald Großkopf, von satten Drums gestützt werden – schnöder, wachsweicher Medititationsmuzak war nie Sache des Musikers. Soundtracks für eigene Kopfreisen schon eher. Egal ob in Schönheit sterbende Romantik („Timewind“, „Moondawn“), das Beschwören der klirrenden Stille einer Winternacht („Mirage“) oder düster dräuende Biographien („X“), die Alben konnten Kälte entfachen, waren selbst aber nie kalt und seelenlos. Klaus Schulze war meisterlich darin, seine Zuhörerschaft mit Macht zu umgarnen und einzufangen.
Zu meinen schönsten Lesemomenten gehörte es, insbesondere mit dem zweckentfremdeten „X“, die Lektüre von H. P. Lovecraft, Algernon Blackwood, Clark Ashton Smith oder Montague R. James musikalisch zu illuminieren. Es gibt kaum etwas Besseres als mit „Nietzsche“ zu den „Bergen des Wahnsinns“ zu reisen oder mit „Friedemann Bach“ (ausgerechnet) „Die Musik des Erich Zann“ auferstehen zu lassen.
Doch auch was real existierende Soundtracks angeht, war Klaus Schulze rege aktiv. Er übernahm ohne Ressentiments die musikalische Begleitung von Lasse Brauns Porno „Body Love“, immerhin mit LES RITA MITSOUKOs Sängerin Catherine Ringer in der Hauptrolle. Zwei hervorragende Alben, die Filmmusik und das davon inspirierte „Body Love II“, sprangen dabei heraus und gehören zu Schulzes erfolgreichsten Schöpfungen. Der flaue „Jaws“-Nachzügler „Barracuda“ gewinnt durch die Einbindung von Passagen aus „X“ geradezu surreale Qualität. „Angst“ und „Next Of Kin“ sind kleine, ambitionierte Projekte, bei denen Schulzes Musik das Filmmaterial überstrahlt. Gerne wurde seine Musik auch in Dokumentationen eingesetzt. Zu denen Menschen, die seine Kunst sehr schätzen gehören Michael Mann (der in „The Keep“ und „Thief“ bereits mit TANGERINE DREAM zusammenarbeitete), Sofia Coppola und Denis Villeneuve.
Klaus Schulzes vielfältiges Oeuvre bietet eine Menge des Stoffes, aus dem der Soundtrack eines Lebens bestehen kann. Selbst das nicht oft wohlgelittene „Drive Inn“ (mit Rainer Bloss) ist mir als Begleitung von Fahrten den Garda-See entlang, traumhaft in Erinnerung geblieben. Mehr als ein halbes Jahrhundert war Klaus Schulze präsent. Er wird fehlen.
Auch wenn in Musikern wie Mario Schönwälder und seinen Kollegen, Bernd Kistenmacher, Robert Schroeder, Laurent Schieber aka SEQUENTIA LEGENDA, Manuel Göttsching und zahlreichen anderen, die Musik der sogenannten Berliner Schule weiterleben wird. Von Künstlern, die in anderen Bereichen aktiv sind, aber Klaus Schulze als eine Inspirationsquelle sehen, ganz zu schweigen. Steven Wilson gehört dazu und hat ein sehr erhellendes Interview mit Klaus Schulze geführt, das u.a. auf der Klaus Schulze feat. Lisa Gerrard "Rheingold"-DVD zu finden ist.
Postum erscheint am 10. Juni Klaus Schulzes letztes Studioalbum „Deus Arrakis“. Die Rückkehr zu Frank Herbert (auf „X“ bereits vertreten) und „Dune“, dem Wüstenplaneten. Ein Grund zu feiern und zu trauern, ein Scheidegruß von einem geerdeten, wahren kosmischen Kurier. Wobei man Schulzes Archive niemals unterschätzen darf.