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Half Waif: See You At The Maypole (Review)
Artist: | Half Waif |
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Album: | See You At The Maypole |
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Medium: | Do-LP/Download | |
Stil: | E-Pop, Klassik-Pop, Kook-Pop, Singer/Songwriter |
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Label: | Anti/Indigo | |
Spieldauer: | 59:59 | |
Erschienen: | 04.10.2024 | |
Website: | [Link] |
„Mythopoetics“ – das letzte Album von ANANDA ROSE PLUNKETT a.k.a. HALF WAIF – war noch ein rechtes Produkt der Pandemie. Zwar hatte Nandi – wie sie sich der Einfachheit am liebsten nennen lässt – bereits das Vorgänger-Album „The Caretaker“ 2020 in die ausbrechende Pandemie hinein veröffentlicht, aber für „Mythopoetics“ hatte sie dann sogar ihre ganze Arbeitsweise verändern müssen, ihre Texte auf bereits vorhandene Gedichte angepasst und das Album ganz alleine mit ihrem musikalischen Partner ZUBIN HENSLER über Zoom-Meetings eingespielt und produziert - weitestgehend mit elektronischen Mitteln, ganz so wie zu Beginn ihrer Laufbahn.
Schnell stand dann fest, dass das nun vorliegende, sechste HALF WAIF-Album „See You At The Maypole“ ganz anders werden sollte. Als Plunkett mit ihrem ersten Kind schwanger wurde, während sie bereits begonnen hatte, neues Songmaterial zu schreiben, freute sie sich darauf, das Album als lebensbejahendes Testament eines neuen Abschnitts anzulegen, an dem nun auch wieder befreundete Musiker und Gäste beteiligt werden sollten, und es als Dokument ihrer Reise in die Mutterschaft und der Geburt eines neuen Lebens in eine Welt voller Unsicherheiten zu feiern.
So weit der Plan.
Dann jedoch kam es anders: Nandis ungeborenes Kind verstarb noch im Mutterleib und sie musste eine Fehlgeburt mit sich anschließenden lebensbedrohlichen, medizinischen Komplikationen verkraften. Gleichzeitig erhielt ihre geliebte Schwiegermutter eine Krebsdiagnose, die sie zusätzlich belastete. Plötzlich war sie mit Themen wie Tod, Verlust, Verzweiflung und Trauer konfrontiert und musste selbst nach einem Weg suchen, diese lähmenden Situation zu akzeptieren und zu einer positiven Lebenseinstellung zurückzufinden – oder (wie sie selber sagt) – wieder zu erlernen, sich und ihr Leben zu lieben.
Logisch, dass sich all das und noch vieles mehr in den Songs des neuen Werkes widerspiegelt, auch weil ein Teil des Materials, wie z.B. der Song „The Museum“ (in dem es um ein Museum geht, in dem versucht wird, die Werte der Vergangenheit in einer Welt des Zerfalls zu konservieren), noch vor der Fehlgeburt geschrieben wurden, während andere während der Schwangerschafts-Phase und wieder andere im Rückblick auf diese Situation entstanden. Hierbei gelang es ihr, diese Songs miteinander zu verbinden, indem sie den älteren Songs dann eine fast schon prophetische Vorahnung zuordnete, die sich in den allgemeinen Tenor des Albums einfügten.
Um die Sache jetzt nicht allzu niederschmetternd beschreiben zu müssen, sei zunächst angemerkt, dass die Musikerin HALF WAIF heutzutage als glückliche Mutter eines inzwischen 13 Monate alten Sohnes wieder ausgeglichen im Leben steht und die dunkelste Phase ihres Lebens – nicht zuletzt mittels der Songs von „See You At The Maypole“ – mit ihrer Kunst; wenn vielleicht nicht überwinden, dann aber doch verarbeiten und einordnen konnte. Deswegen ist es ihr wichtig, darauf hinzuweisen, dass die letzte (verständliche) Zeile des letzten Tracks „March Grass“ des Maypole-Albums „I'm gonna love my life“ lautet.
Dieses Kunststück gelang ihr auf mehreren Ebenen. So wandte sie sich erneut der Natur als maßgebliche spirituelle Inspirationsquelle zu („Heartwood“, „March Grass“), kleidete ihre Texte in allegorische Bilder – oft auch aus der Natur („Violetlight“) oder thematisierte das Einfangen von Farben („Collect Coil“, „Sunset Hunting“) – und legte in einem Nebensatz gar nahe, dass das Schreiben der neuen Songs sie an Gebete erinnere. Hierfür griff sie erneut auf eigene Gedichte als Basis zurück („Velvet Coil“) und wählte letztlich den „Maibaum“ im Titel des Albums als eine Art moralisches Leuchtfeuer, das auf das Ziel der eigenen spirituellen Reise verweist. Vor allen Dingen aber vertiefte sie die Thematik des Akzeptierens und der Suche nach dem Glauben an sich selbst und das Leben im Besonderen in einem Buch, an dem sie gerade arbeitet, das die dunkle Lebensphase noch einmal als Memoir vertieft.
Musikalisch wirkte sich diese multilaterale Vorgehensweise dahingehend aus, dass sich HALF WAIF und ZUBIN HENSLER beim Aufbau der Songs von den zu erzählenden Geschichten leiten ließen. Erstmalig gab es Texte, die vor der Musik fertig geschrieben wurden – und demzufolge orientierte sich diese Musik dann nicht an Songformaten, sondern der Struktur der zu erzählenden Geschichten. Im Wesentlichen bedeutet das: Je allegorischer und poetischer die gewählten Worte ausfallen, desto offener ist die musikalische Struktur.
Im Opener „Fog Winter Balsam Jade“ wird zum Beispiel die gesamte Thematik des Albums in ihrer ganzen Breite angelegt, ohne dass dabei ein erkennbares Strophe/Refrain-Schema bemüht wird. Umgekehrt gilt: Je konkreter die Aussage, desto konkreter auch die Struktur der Songs. Der abschließende Track „March Grass“ schält sich etwa klanglich wellenförmig aus dem Chaos der Ungewissheit, bäumt sich dann sozusagen durch die Narrative auf und endet nach der Auflösung (dem Vorsatz, das Leben wieder lieben zu wollen) in einem triumphalen, orchestral aufgebohrten, instrumentalen Denouement mit lebensbejahend hymnischen Qualitäten, bevor er dann versöhnlich und sanftmütig ausklingt.
Organischen Beiträge von Streichern, Bläsern, Harfe und Kontrabass sowie jene des klassischen New Yorker Vokal-Ensembles Khorikos spielen hierbei eine leitende Rolle, während die elektronischen Elemente, die früher prägend für den Sound von HALF WAIF waren, nun eher einen ornamentalen Charakter annehmen und umsichtig in das Sound-Design intergriert wurden.
Als Songsammlung ist „See You At The Maypole“ dabei nur bedingt zu gebrauchen, denn es ging schließlich nicht darum, mögliche Hits zu produzieren, sondern eine Geschichte zu erzählen – und das gelang dann mit einem 17-Track-Konzeptwerk, das deswegen auch am Besten als klassisches Album funktioniert, welches von vorne bis hinten durchgehört werden möchte.
Obwohl NANDI ROSE PLUNKETT mit „See You At The Maypole“ vor allen Dingen ihre eigene Geschichte erzählt und dabei höchstens auf einer poetischen Ebene einen universellen, kosmischen Gesamtzusammenhang anstrebt, ist das Album allein aufgrund der versöhnlichen Konklusion bestens für all jene geeignet, die schon einmal im Zusammenhang mit Schmerz, Verlust und Trauer Trost und Hilfe im Medium Musik gesucht und gefunden haben, womit es durchaus auch auf einer funktionalen Ebene überzeugt.
FAZIT: Die interessanten, offenen Songstrukturen der meisten Tracks des Albums „See You At The Maypole“ von HALF WAIF haben einen interessanten Hintergrund: Die amerikanische Musikerin wollte auf diesem Album nicht nach poppigen Elementen und griffigen Refrains suchen, sondern hörte sich zur Vorbereitung Deutsche Kunstlieder von Franz Schubert und Robert Schumann an, um die Zusammenhänge zwischen wortreicher, poetischer Narrative und melodiösen, an Strophen ausgerichteten Strukturen ohne Refrains zu studieren und auf ihre eigene Musik zu übertragen. Im Zusammenspiel mit den komplexen, teils opulenten, weitestgehend organischen Arrangements entstand so ein Album, das zunächst weniger poppig und zugänglicher erscheint, als noch das letzte Werk, dafür aber unendlich vielschichtiger, reichhaltiger, interessanter und letztlich auch emotionaler ausgefallen ist, als alles, was HALF WAIF in dieser Hinsicht bisher realisierte.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Fog Winter Balsam Jade
- Collect Color
- I-90
- Figurine
- Heartwood
- Big Dipper
- Shirtsleeves
- Sunset Hunting
- Dust
- Slow Music
- Ephemeral Being
- Violetlight
- Velvet Coil
- The Museum
- King Of The Tides
- Mother Tongue
- March Grass
- Bass - Spencer Zahn
- Gesang - Nandi Rose Plunkett
- Gitarre - Josh Marre
- Keys - Nandi Rose Plunkett, Zubin Hensler
- Schlagzeug - Jason Burger, Zack Levine
- The Caretaker (2020) - 12/15 Punkten
- Mythopoetics (2021) - 12/15 Punkten
- See You At The Maypole (2024) - 14/15 Punkten
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