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Roger Waters: The Lockdown Sessions (Review)

Artist:

Roger Waters

Roger Waters: The Lockdown Sessions
Album:

The Lockdown Sessions

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Pink Floyd im Lockdown-Modus

Label: Legacy/Sony Music
Spieldauer: 39:34
Erschienen: 02.06.2023
Website: [Link]

Hört man heutzutage den Namen des ehemaligen Masterminds und singenden Bassisten von PINK FLOYD, ROGER WATERS, dann möchte einer, der auch noch über ihn schreibt, schon im Vorfeld Abbitte leisten. Oh ja, diese deutsche Cancel Culture, die auf allem rumhackt, was ihr politisch, gesellschaftlich, sprachlich, sexuell oder wie auch immer nicht in den moralinsauren Kram passt, lässt einen heutzutage schon bei einfachen Gedankengängen die innerer Moralkeule rausholen und sich fragen: Darf ich das so sagen? Darf ich das so tun? Darf ich das…? Darf ich dieses…? Darf ich jenes…? Oder bricht, wenn ich irgendwas nicht beachtet habe, der nächste große Shit-Storm über mich her? Einer in der Art vielleicht, wie ihn momentan ROGER WATERS ertragen muss, der speziell in Deutschland wegen einiger seiner Ansichten – denen man nicht zustimmen muss – als Mensch und Künstler zum Antisemiten abgestempelt und verunglimpft wird. Er bewegt sich aus Sicht der 'Ich bin immer auf der richtigen Seite'-Prediger eben derzeit auf der falschen Seite und einige scheinen ihn am liebsten dafür teeren und federn oder wenigstens steinigen zu wollen.

Ach liebe Leute, die ihr immer wisst, was falsch und richtig ist, (be)haltet einfach mal eure Weisheiten für euch und die Klappe, lasst eure Bla-Bla-Bla-Moral-Litanei stecken und hört euch „The Lockdown Sessions“ an, um festzustellen, was für ein großartiger Musiker doch dieser ROGER WATERS ist, der mit dem Kindheitstrauma des Verlustes seines Vaters im Krieg, der im Februar 1944 an der italienischen Küste bei Anzio ums Leben kam und dessen Leichnam niemals gefunden wurde, aufwachsen musste. Fünf Monate war Waters damals alt und sein Leben lang vermisste er seinen Vater und verarbeitete diesen Verlust voller Leidenschaft und Trauer auf vielen seiner Solo- und PINK FLOYD-Alben („The Final Cut“ ist sogar Waters' Vater gewidmet!).

Nun also gibt es endlich aus den Zeiten der erzwungenen Inaktivität ein sehr aktives Waters-Zeichen, der eben bei der weltweiten pandemieerzwungenen 'kulturellen Abschaltung' nicht einfach die Hände in den Schoß legte, sondern im Netz live aktiv blieb und dort die „Lockdown Sessions“ präsentierte, bei denen er 2020 und 2021 alte Songs in seinem Haus unter Covid-Bedingungen neu aufnahm und gemeinsam mit Gus Seyffert produzierte. Dabei begleiteten ihn eine Vielzahl namhafter Musiker per Live-Schalte.
Und dass „Mothers“ diese LP eröffnet, ist ein grandioser Schachzug in den zwar nicht mehr von einer Pandemie, dafür aber einem Krieg bedrohten Zeiten, denn schließlich beginnt der Song von PINK FLOYDs „The Wall“-Album mit der Textzeile, in der ein ängstliches Kind seine Mutter fragt: „Mutter, glaubst du, sie werden wirklich die Bombe werfen?“ Putin hatte darauf eine eindeutige Antwort – die musikalische dazu präsentiert Waters in seinen „The Lockdown Sessions“.

Ausgiebig berichtet Waters auf der bedruckten Innenhülle der LP im Klappcover darüber, wie es zu den Aufnahmen kam und wir erfahren beispielsweise, dass „Mother“ der erste 'Lockdown-Song' war, den er während der Sessions aufnahm und der am 17. Mai 2020 unter YouTube veröffentlicht wurde. Übrigens hat „Mother“ Stand heute über 14 Millionen Aufrufe.
Ein weiterer Vorteil der bedruckten Innenhülle (übrigens ist die gesamte LP ausschließlich in schwarz-weiß gestaltet) ist, dass wir auf der Rückseite auch alle Texte der insgesamt sechs Songs finden, die sich im Grunde allesamt mit Ängsten, Isolation und Krieg befassen. Typisch Waters eben! Da passt dann „Two Suns In The Sunset“ bestens, wenn es mit der Zeile „We were all equal in the end“ (in dem Falle meint Waters einen nuklearen Angriff) dieses Stück von dem letzten PINK FLOYD-Album, auf dem Waters mitwirkte, „The Final Cut“, abschließt.

Die A-Seite der „The Lockdown Sessions“ endet mit einem weiteren Song aus dem 1979er-„The Wall“-Album, in dem Waters diesmal voller Zynismus erneut das Kriegsthema aufgreift und sich auf die im 2. Weltkrieg berühmte britische Sängerin Vera Lynn sowie den Tod seines Vaters während des Krieges bezieht, indem er darin feststellt, wie schade es ist, dass die gefallenen Soldaten die hübsche Musikerin nicht mehr erleben werden, obwohl die doch in ihrem erfolgreichen Hit feststellte, dass sich alle an einem sonnigen Tag mal wiedertreffen werden. Stattdessen aber werden die gefallen Väter sie nicht noch einmal treffen, sondern ihre eigenen Kinder für immer alleinlassen (Genauso wie es Waters am eigenen Leibe erleben musste!). Auch hier gilt gerade im Angesicht des Ukraine-Krieges die extrem bedrückende zusätzliche Aktualität dieses Songs.

Die LP-B-Seite beginnt dann mit dem nächsten Antikriegs-Song „The Gunner's Dream", der wieder von „The Final Cut“, dem 1983er-PF-Album, stammt und die Geschichte eines Kampfpiloten erzählt, der im Kriegseinsatz abgeschossen wird, während er von einer Zeit und Welt ohne Kriege träumt.
Auch hier gilt wieder, dass sicher unmittelbare Bezüge einerseits zu Waters' im Krieg gefallenen Vater und andererseits zu dem Irrsinn, der sich durch Kriege und die damit verbundenen idiotischen Feindbilder breitmacht, hergestellt werden: „You can relax on both sides of the tracks / And maniacs don't blow holes in bandsmen by remote control...“
Ein musikalisches Novum hieran ist allerdings, dass Waters alle Lockdown-Songs der Vinyl-A-Seite mit einer akustischen Gitarre einleitete, diesmal aber ein Piano zur Einleitung wählte.
Wie bei allen Stücken verfolgt Waters auf diese akustische Intro-Weise die insgesamt bedrückende, sehr ruhige Stimmung über eine leise Einleitung hin zu den sich immer mehr steigernden und melodramatischer werdenden Songs konsequent umzusetzen.

Der letzte Session-Song vor der abschließenden Album-Überraschung ist „The Bravery Of Being Out Of Range“, der nicht von einem PINK FLOYD- sondern dem 1992er-Waters-Solo-Album „Amused To Death“ stammt. Der Song ist die pure Anklage gegen jede Form von Kriegen – und in dieser Beziehung speziell gegen den damaligen Präsidenten Reagan – die zwar im Namen der Freiheit geführt werden, aber aus Waters Sicht im Grunde nur befohlener Massenmord sind. Hiermit schließt sich vom gesamten thematischen Aufbau her ganz logisch der Kreis um das Album, welches durchgängig jede Form von kriegerischen Handlungen anprangert und keinen Grund dafür akzeptiert, Kriege als letztes Mittel der Auseinandersetzung anzuwenden. Übrigens fügt Waters darum dem Video zu diesem Song noch eine knallharte Erklärung hinzu, die in der Aussage endet: „Gehen wir nach Hause und bringen unser eigenes Haus in Ordnung – denn es ist im Arsch!“ Hat er damit im Grunde nicht recht? Oder ist das schon wieder nur eine neue Form von Querdenkerei…
Auch dieser Song beginnt mit einem Klavier-Intro. Dazu gibt’s sogar noch die Passage aus einer Reagan-Rede zu hören, die er zum Abschluss seiner Amtszeit als amerikanischer Präsident hielt.

Zu r Entstehung von „The Lockdown Sessions“ bezieht Waters selber ausgiebig auf der LP Stellung, sodass wir ihn hier einfach selber zu Wort kommen lassen: „Unsere 'Us and Them'-Tournee dauerte drei Jahre. Bei jedem Auftritt spielten wir 'Mother' als Zugabe der Show, die mit 'Comfortably Numb' endete. Irgendwann habe ich mich dazu entschieden, auch andere Songs als Zugaben zu spielen und nach der Tournee dachte ich mir: ‚Das könnte ein interessantes Album werden mit all den Zugaben – The Encores – ja, das klingt ziemlich gut!‘. Doch dann kam Covid. Ich war gerade wegen des Ginger-Baker-Tribute-Konzerts, das ich mit Eric Clapton im Hammersmith Odeon spielte, in England und marschierte am Sonntag nach dem Gig von der Australischen Botschaft zum Parlament, um eine Rede zur Unterstützung von Julian Assange zu halten, als der Lockdown verkündet wurde. Damit war das 'Encores'-Projekt erledigt. Zumindest vorläufig. Wir haben 'Comfortably Numb' ans Ende der Kollektion gepackt, sozusagen als Ausrufezeichen, mit dem sich der Kreis schließt.“ Damit wird „Comfortably Numb“ zum 'Ausbrecher' dieses Albums, der erst nachträglich im Jahr 2022 eingespielt wurde. Und dass diese Version, die ursprünglich als ein echtes Highlight auf „The Wall“ gilt, auch auf diesem Album, trotz der im Session-Stil vorgetragenen Art, ebenfalls wie ein echter Klassiker klingt, ist unbestreitbar. Ein würdiger Abschluss zu einem hervorragenden Album von ROGER WATERS, das unglaublich viel PINK FLOYD in sich trägt.

FAZIT: „The Lockdown Sessions“ von ROGER WATERS ist schon jetzt als ein Meisterwerk anzusehen, das man im Bereich von Waters-Solo-Alben gleichermaßen wie denen seiner Band, mit der er sich leider so sehr verstritten hat, führen sollte. Das Album wird unter diesem Aspekt zu einer Art traurigen, melancholischen und bedrückenden Balladensammlung von ROGER WATERS- und PINK FLOYD-Songs, die während des Lockdowns aufgenommen und unter anderen Bedingungen so nie entstanden wären. Da „The Lockdown Sessions“ zugleich ein dermaßen großartiges Waters-Album, das sich ganz speziell der Antikriegs-Thematik widmet, geworden ist, bei dem auch die vielen beteiligten Musiker plus die perfekte Produktion begeistern, dürfen wir im Grunde sehr dankbar dafür sein, dass hier eine weitere 'gute Seite' zu hören ist, welche erst durch einen megafiesen Virus ausgelöst wurde. Außerdem darf es als beeindruckendes Zeichen für den Pazifismus in Zeiten des Krieges – egal von welcher Seite geführt – verstanden werden.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 3430x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (18:38):
  • Mother (7:21)
  • Two Suns In The Sunset (6:02)
  • Vera (5:15)
  • Seite B (20:56):
  • The Gunner's Dream (5:33)
  • The Bravery Of Being Out Of Range (6:52)
  • Comfortably Numb 2022 (8:31)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
cRm
gepostet am: 16.06.2023

User-Wertung:
14 Punkte

Danke für diese Review, der ich vollumfänglich zustimmen möchte!

„In den besseren Stunden wachen wir soweit auf, daß wir erkennen, daß wir träumen." Ludwig Wittgenstein
Pm
gepostet am: 17.06.2023

User-Wertung:
15 Punkte

Endlich mal wieder: nicht so viel Sinnfreies über den genialen Waters!!
Rob
gepostet am: 17.06.2023

War klar, dass mein Kommentar nicht veröffentlicht wird. Cancel Culture anprangern, aber dann selbst löschen, was einem nicht gefällt. Bemerkst du den Widerspruch daran, Thoralf?
Thoralf Koß
gepostet am: 17.06.2023

Wahrscheinlich war dein Kommentar zu lang, Rob, da funktioniert es dann nicht mit der Veröffentlichung. Gelöscht haben wir hier jedenfalls nichts.
steber
gepostet am: 17.06.2023

Lemmy? Echt jetzt? Kann es sein, dass der Rezensent Dave Kilminster mit Ian „Lemmy“ Kilmister verwechselt? Falls ja, Asche über dessen Haupt!
Thoralf Koß
gepostet am: 18.06.2023

Tatsächlich, du hast Recht, 'Streber'. Es geht um Dave, der auch bei Keith Emerson in der Band spielte und nun oftmals bei Waters die 'Gilmour'-Gitarrenparts übernimmt. Die Passagen habe ich verändert. Vielen Dank für den Hinweis und Asche auf mein Haupt.
Liveevil
gepostet am: 18.06.2023

User-Wertung:
1 Punkte

Er ist Antisemit. Dass BDS rumheult, Querdenker und Trve-Metaller, wenn Städte ihre Hallen nicht für den Spaten zur Verfügung stellen möchten, geht am Anus Mundi vorbei. Soll er im Keller mit Hamas feiern.
Thomas
gepostet am: 18.06.2023

BDS braucht keine weiteren Erklärungen
Frank Hohl
gepostet am: 26.06.2023

Danke für die aufschlussreiche, sehr dezidierte Rezension.
Zu Pink Floyd hätte ich hinzuzufügen, dass auch in Waters Alben stets Fragmentierung deutlich wird, wie bei Gilmour, Mason, früher Wright. Als würde man nur Teile, Passagen einer Band hören, während beständig das fehlt, was einmal das einzigartig große Ganze ausgemacht hat. Es bestand nicht im Besonderen aus Texten, sondern aus künstlerischem Gesamtausdruck in Sound und Darbietung. Davon haben die Kontrahenten sich weit entfernt.
Lösung wäre gewesen, Statements in floydische Noten gießen, naja ...
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