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Interview mit Devin Townsend Project (31.12.2009)

Devin Townsend Project

Satte vier Anläufe benötigte es, um mit dem kanadischen Tausendsassa DEVIN TOWNSEND ein Interview auf die Beine zu stellen. Mangels Equipment waren mir bis dato nur E-Mail-Interviews möglich, welche der gute Mann aus Zeitgründen leider nie beantworten konnte. So hatte ich die Hoffnung beinahe schon begraben, bis ich dank meines Unwissens erst kürzlich überrascht feststellen durfte, dass mein drei Jahre altes Mobiltelefon die Möglichkeit hat, Gespräche aufzuzeichnen. Jedenfalls war das Telefoninterview recht flink organisiert, und ein paar Tage später, zehn Minuten früher als erwartet, rief das 37-jährige Musikgenie bei mir an.

Ich hatte sowieso schon den ganzen Tag Nervenflattern, der Puls stieg beim Klingeln rapide. Nicht etwa, weil ich da jetzt einen namhaften Musiker an der Strippe hatte, sondern mehr deswegen, weil ich bestimmt acht Jahre lang kein Englisch mehr gesprochen habe, stattdessen bestenfalls mal getippt. Dementsprechend war ich unsicher wie Hulle, und Devin amüsierte sich hörbar, dass ich erst mal fast zwei Minuten nach der Aufnahmefunktion suchen musste. Im Verlauf des Interviews erwies sich Townsend als sympathischer, höflicher und redseliger Interviewpartner, wenngleich man ihm natürlich die Interviewroutine deutlich anmerkte. Ähem, mir eher weniger, hihi...


Äh.... ah, ich glaube, jetzt geht's. Bist du noch dran?

Bist du noch dran?

Ah, sehr gut, okay! Nun, eines vorweg: Ich hoffe, ich kann dir auch ein paar Fragen über ältere Alben stellen, denn ein paar dieser Fragen habe ich bereits zu "Ziltoid" und "Ki" zusammengetragen und dir mehrmals per E-Mail geschickt, aber das hat leider nie hingehauen...

...Oh, sorry!...

...ist doch verständlich und überhaupt kein Problem. Lass uns daher einfach mal anfangen. Erst mal Glückwünsche zu deinen beiden neuen, klasse Alben "Ki" und "Addicted"!

Danke!

Gehen wir am Anfang mal etwas weiter zurück. Weshalb hast du nach dem Release von "Ziltoid" eigentlich so spontan eine Auszeit genommen?

Nun, in meinem Leben gab es so einige Dinge, die sich sehr in eine Richtung entwickelt hatten und die ich so als nicht mehr tragbar empfand. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, war das eine wahre Freude für mich, doch mit der Zeit hat sich diese Freude so langsam in eine Art Verpflichtungsgefühl verwandelt. Weißt du, wenn du schon die Möglichkeit hast, Musiker zu sein und damit glücklich sein willst, dann solltest du auch Spaß daran haben - und sobald es keinen Spaß mehr macht, läuft offensichtlich irgend etwas falsch. Nach "Ziltoid" musste ich also erst mal herausfinden, was genau das Problem war.

Es wurde also zu sehr ein "Job"?

Ja, auch. Aber gleichzeitig gab es andere Gründe, wie beispielsweise Alkohol und dergleichen - solche Dinge haben mich mächtig ausgebremst. Das musste ich erst mal begreifen...

Die ganze "Ziltoid"-Geschichte lag daraufhin recht abrupt auf Eis. Es waren ja regelmäßige Videos auf MySpace und Co. geplant, und nun scheint der Drops wohl leider gelutscht zu sein, oder?

(fällt mir fast ins Wort)

Nein, nein... sobald ich die vierteilige DEVIN TOWNSEND PROJECT-Sache fertiggestellt habe, werde ich "Ziltoid" weiterführen - und es wird auch eine neue "Ziltoid"-Scheibe geben. Man kann eigentlich fast sagen, dass "Ziltoid" noch gar nicht richtig begonnen hat. Da kommt noch einiges.

Oha, nicht schlecht, also können wir auch noch einiges der schön durchgeknallten Sorte erwarten....

Auf jeden Fall!

(Wie zwischenzeitlich bereits im Internet nachzulesen ist, wird nach dem vierten und abschließenden DEVIN TOWNSEND PROJECT-Album, voraussichtlich "Ghost" benannt, eine Sequel zu "Ziltoid...", sehr wahrscheinlich mit "Z²" betitelt, erscheinen – Anm. d. Verf.)


...und wo wir gerade beim Thema "durchgeknallt" sind, so liest man ja nervigerweise immer wieder von Termini wie "Madman" oder "verrückter Professor", wenn von dir die Rede ist. Hat das eigentlich mittlerweile etwas nachgelassen oder ist es noch immer so stark in den Köpfen der Leute verankert?


Das hat natürlich auch viel damit zu tun gehabt, wie ich mich selbst in der Öffentlichkeit dargestellt habe. Du entscheidest als Künstler ja selbst, was und wie du dem Publikum etwas vorlegst, und so nimmt das das Publikum dann auch wahr. Klar, wenn man sich Popstars so ansieht, haben diese nicht so wirklich die Möglichkeit, eine Wahl zu treffen, doch ich glaube, ich habe als Musiker bei dem, was ich tue, sehr wohl diese Wahl.

Und schau, dieses verrückter-Professor-Ding resultierte aus einem Fotoshooting. Viele fragten sich, ob ich das im nachhinein bereue. Ehrlich gesagt hatte ich daran einen Riesenspaß. Aber bin ich deswegen ein verrückter Professor? Natürlich nicht! Ich bin einfach ein ganz normaler Kerl. Und als ich der Meinung war, mir die Haare absäbeln zu müssen, dann habe ich das getan - das hat es mitunter offensichtlicher gemacht, dass ich auch "nur" eines von vielen Gesichtern in der Landschaft bin.

Viele Fans haben natürlich ein gewisses Bild von mir, eine Illusion, an der sie sich festhalten, aber letztendlich bin ich - wie du es ja auch selbst sagst – kein durchgeknallter Professor... also von daher...

Hm, möglicherweise hängt es vielleicht aber auch mit deiner eher exzentrisch wirkenden Musik zusammen, durch die schnell ein solcher Eindruck entsteht...

Devin Townsend ProjectJa, das bestimmt auch, aber ich denke ebenso, dass Exzentrik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten ist, gerade wenn man älter wird. Manche Leute verstehen es schlichtweg nicht, dass man als Musiker mehr als nur einen Stil spielen kann. Ich finde es hingegen eher verrückt, dass manche Musiker nur eine Stilrichtung und sonst gar nichts spielen können. Es ist letztendlich alles Ansichtssache, weißt du?

Auf jeden Fall. Bevor wir aber komplett abschweifen, wollen wir erst mal zu deinen beiden aktuellen Werken "Ki" und "Addicted" kommen, weswegen wir mal ein paar Fragen überspringen...

(Blättergeräusche meinerseits...)

(Fingertrommeln am anderen Ende der Leitung...)

Die Alben, die als Tetralogie hintereinander erscheinen, sind gewissermaßen miteinander verbunden, oder?

Ja, sie sind alle vier auf die verschiedensten Arten miteinander verbunden... Im Sound gibt es Verbindungen zueinander, in den Texten gibt es ebenso Querverweise zueinander, auch die Artworks hängen irgendwie miteinander zusammen. Ich versuche allerdings nicht, mit diesen vier Alben eine Art Statement oder dergleichen abzugeben – das DEVIN TOWNSEND PROJECT ist für mich lediglich ein weiteres kreatives Ventil. Es ist ein Projekt, das mir in einem gewissen Konzeptrahmen unendlich viele verschiedene kreative Möglichkeiten bietet. "Ki" und "Addicted" sind durchaus miteinander verbunden, diese beiden wiederum mit der nächsten Platte "Deconstruction", und alle dann mit dem letzten der vier Alben. In meinen Augen ist das DEVIN TOWNSEND PROJECT einfach eine weitere, sehr interessante Form, mich ausdrücken zu können.

Da stellt sich natürlich für die Neugierigen die Frage, was wir von den nächsten Teilen, allen voran "Deconstruction", erwarten können...

Nun, die nächste Scheibe ist wieder sehr heavy, aber auch sehr dynamisch, und sie wird viele symphonische Elemente beinhalten, während "Ghost", der vierte Teil, sehr schön klingen wird... sehr folkig, viel New Age...

Oh, Teil numero vier wird also auch komplett aus der Reihe tanzen?


Finde ich jetzt eher nicht, aber da kommen wir wieder zur scheinbaren "Exzentrik". Ich versuche das mal etwas zu verdeutlichen: Jede Platte, die ich mache, ist sozusagen eine Reaktion auf die vorhergehende. Die Leute hören nun natürlich laufend "Addicted" und gewöhnen sich daran, dann kommt bald "Deconstruction". Da fragen sie sich dann erneut: "Wow, wie kommt der denn wieder auf so etwas?"

Ich wiederum verbringe derart viel Zeit an einem Album, dass ich eine Akte auch wirklich schließen möchte, wenn sie fertiggestellt ist. Dann möchte ich etwas anderes machen, auch deshalb, weil ich mich selbst bei Laune halten will...

...Musikalische und künstlerische Freiheit in Reinkultur quasi...

Absolut!

Die stilistische Ausrichtung von "Ki" hat einige Fans ja offensichtlich sehr überrascht. Die Dynamik ist völlig anders, die Hi-Tech-Gitarrenwände sind nicht vorhanden, und auch extreme und manische Elemente kann man kaum ausmachen. Auf mich wirkt das Album so, als hören wir darauf einen "gereiften" DEVIN TOWNSEND. Fast hat man den Eindruck, dass du zum dem Zeitpunkt von extremer Musik recht angenervt warst - und dann kamst du wieder mit einem richtig lauten Longplayer um die Ecke. Tja, und dann überraschst du auch noch mit einer großartigen Sängerin, die das Mikro mit dir teilt... Wie um Himmels willen kam denn der Kontakt mit Anneke van Giersbergen (ex-THE GATHERING, AGUA DE ANNIQUE) zustande?

Eigentlich hatte ich überhaupt keine Pläne, mit ihr zusammenzuarbeiten, auch wenn ich schon viele Jahre Fan von ihr bin. Sie war es, die mir zwei Wochen, bevor ich die Vocals für "Addicted" aufnehmen wollte, eine E-Mail geschrieben hat, ob ich denn an einer Kollaboration mit ihr für ihre nächste CD interessiert sei. Das Schicksal hat es einfach so gewollt, dass sie dann mit mir an "Addicted" gearbeitet hat. Und es hätte nun wirklich nichts besseres passieren können. Das war wirklich ein Mordszufall.

Auf jeden Fall - es hat wohl so einige gegeben, die fast einen Herzkasper bekommen haben, als sie von eurer Zusammenarbeit erfuhren. Folgender Meinung bin ich selbst zwar nicht, aber gerade auf Foren habe ich immer wieder lesen dürfen, dass du angeblich in einer kreativen Sackgasse seiest.


In einer... was?

In einer kreativen Sackgasse. Wie gesagt, deren Meinung. Was kannst du diesen Leuten sagen?

Wenn es das ist, was diese Leute wahrnehmen, stimmt das für sie natürlich. Aber grundsätzlich mache ich diese Musik für mich selbst und niemand anderen. Ich meine, jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber ich mache die Musik nicht, um die Leute von dem zu überzeugen, was ich tue.

Im Grunde haben mich die meisten Fans mich und meine Musik zu einer Zeit kennen gelernt, als ich mich in einer ziemlich selbstzerstörerischen Phase befand, sprich Drogen, Alkohol und dergleichen... Teile davon waren eben auch in der Musik wiederzufinden, und daran, wie es damals klang, hatten diese Fans ihre Freude - doch diese Teile sind heute absolut nicht mehr in meiner Musik vorhanden. Viele Leute sind dann natürlich von allem enttäuscht, was ich seitdem schreibe. Aber weißt du, ich möchte einfach einen ehrlichen Teil von mir repräsentieren und einen ehrlichen Beitrag in der Musikwelt abliefern. Ich finde es daher völlig okay, wenn manche Leute das nicht mögen, denn für jeden, der etwas an meiner Musik nicht mag, scheint es offensichtlich jemanden zu geben, der es so, wie es ist, sehr wohl mag. Wenn dann jemand meint, ich sei in einer kreativen Sackgasse, dann ist das eine absolut akzeptable Ansicht dieser Person. Damit habe ich absolut kein Problem...

Ich denke manchmal einfach, dass du den Fans mit dem, was du herausgebracht hast, des öfteren komplett vor den Kopf gestoßen bist, da du ihnen nicht das, was sie von dir erwartet hätten, gegeben hast...

Tja, und das ist einfach die Natur dessen, was ich tue. Selbst einige meiner Freunde sind enttäuscht von manchen meiner Platten. Viele, die mich für meine Arbeit mit STRAPPING YOUNG LAD verehren, glauben, "Ki" sei ein schlechtes Album, aber natürlich ist es das mitnichten - zumindest aus meiner Sicht. Im Gegenteil, "Ki" ist eines meiner Lieblingsalben. Aber solche Musik ist halt keinesfalls wie die von STRAPPING YOUNG LAD, und wenn das einige nicht mögen, dann ist das ihre Ansicht, und die respektiere ich völlig, da ich es auch absolut nachvollziehen kann.

Manche haben halt diesen Tunnelblick, habe ich den Eindruck..

Aber so ist das nun mal in der Musik - man kann es nie allen recht machen. Sobald du das nämlich versuchst, kommst du erst so richtig ins Straucheln.

Schön gesagt... nun, auf "Ki" scheinst du mir ja sehr von Prog-Bands beeinflusst zu sein, besonders von den britischen. Was hat dich zu der Zeit denn musikalisch so inspiriert?

Also... grundsätzlich bin ich ein Fan von Musik im Ganzen, und ich habe dementsprechend an sehr vielen Stilen meinen Spaß, das reicht von symphonischer Musik über Dance Music und Death Metal bis hin zu Pop - letztendlich ist alles einfach nur Musik. Auch jenseits der Musik gibt es viel, was mich inspiriert... auch das Leben an sich. Ich tue einfach, wonach mir ist. Ich folge mir praktisch selbst. Mir selbst ist es am Ende lediglich wichtig, dass das, was ich mache, ehrlich ist. Und egal, ob man es mag oder nicht - alles, was ich in meiner gesamten Laufbahn gemacht habe, war immer ehrlich.

Bei "Ki" finde ich die Art und Weise, wie du mit Aggression umgehst, recht beeindruckend. Es ist immer eine gewisse Latenz in Richtung Wut auszumachen, aber es gibt nie einen Ausbruch selbiger - und das macht das Album zu einer äußerst spannenden Angelegenheit...


Devin Townsend ProjectYeah, und es gibt da halt einige Leute, die das nicht wahrnehmen. Diese sind dann möglicherweise schnell von "Ki" gelangweilt. Schau, ich bin auch Fan vieler Bands, und manchmal kann ich genau so wenig nachvollziehen, wieso andere Fans bestimmte neue CDs dieser Bands abfeiern. Und das ist es doch, was die Musik in ihrer Schönheit ausmacht: Jeder hat seine absolut eigenen Ansichten.

Manchmal habe ich bei einigen Leuten aus meiner Fanbase das Gefühl, dass sie sind mit meiner Musik sehr stark verbunden sind und daher versuchen, mich zu beschützen. Demzufolge lassen sie abweichende Meinungen gar nicht erst zu. Doch selbstverständlich soll jeder seine eigene Meinung haben. Wenn ich mit einer fertigen neuen Scheibe zufrieden bin, bringe ich sie einfach raus, denn es gibt sicherlich Fans, die sie ebenfalls gut finden. Ich als Künstler darf mich da nicht verrückt machen lassen oder gar versuchen, Analysen anzustellen, denn das ergibt keinen Sinn, es wird nur zu einer Schlacht mit dir selbst.

Ist es sozusagen einfach nur eine Entwicklung deinerseits und die der Fans ihrerseits, die in den seltensten Fällen parallel zueinander verlaufen?

Völlig richtig.

Was mich bei "Ki" noch interessiert, wäre, ob du dafür anderes Equipment benutzt hast.


"Ki" hatte ja einen sehr cleanen Gitarrensound, und den erzeugten wir mit Single Coil-Pickups und schönen alten Clean-Gitarrenamps. Das Schöne daran, so viele verschiedene Musikstile zu spielen, ist es doch, dass du mit all dem verschiedenen Equipment auch so viele unterschiedliche Sounds erzeugen kannst. Und daher kommt teilweise auch meine wahnsinnige Freude daran, Musik zu machen: All die verschiedenen Klänge zu erforschen und zu erkunden. Manche Leute wollen diese Klangforscherei eben nicht mitmachen - nein, sie wollen wieder das, was sie kennen.

Sicherlich hatte "Ki" ein sehr anderes Setup als das, das ich sonst in seinen Grundzügen benutze, aber auf eine gewisse Art und Weise verhält es sich mit "Addicted" ähnlich. Jede Platte bekommt in all ihren Konsequenzen einfach das, was sie braucht.

Da du "Addicted" gerade angeschnitten hast, können wir ja gleich mal zu dieser Veröffentlichung übergehen. Da stellt sich natürlich unweigerlich die Frage, welche Abhängigkeiten ihr zwei da besingt... Musik als Abhängigkeit? Oder die Abhängigkeiten, die sich der Großteil zusammenreimen wird?

Ich bin der Meinung, dass Abhängigkeit einfach "nur" eine geistige Verfassung ist. Es geht dabei nicht etwa um Drogen, Alkohol und all den Kram. Irgendwo ganz tief im Menschen sitzt ein Verlangen, von irgendetwas abhängig sein zu müssen - von den grundverschiedensten Dingen wie Selbstmitleid, Schuldgefühlen, Pornographie, dem Internet, Zucker, Actionkram, ja selbst von Gott. Es geht nicht um die einzelnen Süchte an sich, sondern vielmehr um diesen geistigen Prozess, die Leere in seinem eigenen Leben mit irgend etwas ausfüllen zu müssen.

Man jagt praktisch, ganz abseits des Alkohols und der Drogen, hinter etwas her, von dem man den Eindruck hat, es sei nicht Teil von einem, obwohl es ein Teil von uns allen ist. Auf "Deconstruction", so der Name des nächsten Langspielers, werde ich versuchen, zu ergründen, was da in uns ist, das uns Glauben machen will, an irgend einem Scheiß hängen bleiben zu müssen.

Klingt spannend. Nach dem Anneke-Knaller wird sich natürlich so mancher Fan fragen, ob es auch zukünftige Zusammenarbeiten mit anderen namhaften Musikern geben wird. Passiert diesbezüglich noch mehr beim DEVIN TOWNSEND PROJECT oder war das mit Frau van Giersbergen nur eine einmalige Ausnahme, so ein "one-off thing"?

Da wird es bestimmt noch einige weitere Kollaborationen geben. Natürlich kann ich jetzt noch keine Namen nennen, zumal noch nichts in trockenen Tüchern ist...

Klar, haha...

...aber ich freue mich auf jeden Fall auf die verschiedenen Dinge, die da so kommen mögen.

Gut zu wissen! Auf der aktuellen Scheibe hast du ja zusammen mit Anneke einen "Ziltoid"-Song, nämlich "Hyperdrive", neu aufgenommen, der in der damaligen Version – zumindest in meinen Ohren - deutlich... nun ja... "klaustrophobischer" klang. Im Gegensatz dazu hat der Song in der neuen Version ein weitaus positiveres Feeling. Wie siehst du das? Und wie kamst du auf die Idee, die Nummer noch einmal neu aufzulegen?

Nun, ich glaube, dass die Intention der Originalversion auf "Ziltoid" durchaus eher klaustrophobischer Natur war, und so, wie ich den Song damals aufgenommen habe, fühlte ich mich damals auch. Aber im Nachhinein hatte ich schon damals das Gefühl, dass dieser Song zur falschen Zeit zu mir fand. Gleichzeitig wünschte ich mir, dass ich diesen Song in einer reiferen Phase aufnehmen könnte. Ich war später zwar schon etwas optimistischer, aber als Anneke dann in einer ihrer ersten E-Mails mit der großartigen Idee auf mich zukam, eine neue Version von "Hyperdrive" aufzunehmen, war das für mich eine großartige Gelegenheit, dem Song endlich das zu geben, wozu ich seinerzeit nicht in der Lage war.

Es war jedoch nie bewusst geplant, diesen Song noch einmal zu recyceln, auch wenn ich mich oft an Neuaufnahmen alter Sachen versuche. In diesem Fall war es allerdings die perfekte Situation - eine andere Tonlage, anderer Gesang, eine andere Energie. Aber letztendlich bin ich auf beide Versionen sehr stolz.

Wie kann man sich dich denn beim Songwriting so vorstellen? Wie entstehen deine Songs hauptsächlich? Probst du mit deinen Mitmusikern oldschool im Proberaum? Sitzt du mit der Akustikgitarre auf dem Sofa? Sind die Instrumente in einen kleinen 8-Spur-Mixer eingestöpselt? Entstehen die Songs am PC? Pfeifst du sie beim Spaziergang?

Mhh, die Songs entstehen eher weniger aus Jams. Grundsätzlich entstehen meine Songs eher aus einer Idee, aus einem bestimmten Gefühl heraus, sei es ein Konzept, eine Textidee, irgend etwas eben, das für mich funktioniert. Dann schwirren diese Ideen durch meinen Kopf. Vieles ist bereits in seinen Grundzügen fertig, bevor ich eine Gitarre in die Hände nehme. Wenn ich dann die Gitarre in den Händen habe, wird vieles aussortiert, festgelegt, welche Noten wohin gehören und was geändert werden soll. Danach erstelle ich einfache Demoaufnahmen über ProTools, die ich dann wieder beiseite lege. Manche lösche ich bald wieder, und irgendwann arbeite ich mich dann durch diese Demos, wähle verschiedene davon aus und verwerte sie.

Du arbeitest praktisch nach dem Motto: Einfach mal Ideen heraussprudeln lassen und später schauen, was man daraus machen kann?

Absolut.

Früher hattest du deine Finger ja auch in Projekten wie PUNKY BRÜSTER, IR8 (jeweils als Musiker), ZIMMERS HOLE (als Produzent) und vielen mehr. Gab es rückblickend Projekte, die deiner Meinung nach nicht hätten verwirklicht werden sollen – oder aber wirklich großartig waren?

Ach, ich denke, etwas zu bedauern ist absoluter Quatsch, denn man kann an dem, was hinter einem liegt, nichts ändern. Ich bin als der Mensch, der ich jetzt bin, glücklich. Alles, was ich bisher gemacht habe, hat mich jeweils in ein Stadium gebracht, in dem ich zufrieden war - von daher glaube ich nicht, dass ich irgend etwas anders hätte machen sollen.

Du bist bekanntermaßen ja ein ziemlicher Hans Dampf in allen Gassen mit all deinen Projekten, Producer-Geschichten und Gastauftritten. Steht denn jenseits deiner Soloalben irgend etwas erwähnenswertes an?

(überlegt kurz)

Nun... ich schaue einfach, was sich ergibt. Vielleicht spiele ich bei irgendjemandem Bassgitarre... wer weiß?

(Scheint so, als würde Devin nicht gerade gerne über Zukünftiges reden wollen. Betrachten wir die Musikzitrone also erst mal als ausgequetscht, denn da kommt wohl kein Saft mehr, hehe... - Anm. d. Verf.)

Lass uns mal etwas von der Musik abschweifen. Vor einigen Jahren habe ich in einem Interview mal gelesen, dass du wohl eine synästhetische Veranlagung zu haben scheinst (Wikipedia hat hierzu eine prima Erklärung parat: Link - in Devins Fall ist es wohl die Musiksynästhesie und die kognitive Synästhesie). Hast du dich damit denn mal weiter befasst? Ich finde das Thema ziemlich spannend, zumal ich selbst von Kindheit an bei bestimmten Ziffern und Buchstaben feste Farben, Formen und dergleichen "empfinde". Die fünf ist für mich rot, das C ebenfalls. Die drei ist braun. Ebenso hat Musik für mich bestimmte "Farben" im inneren Auge. SEPULTURAs "Arise"-Scheibe hört sich für mich rot an, während DISSECTONs "Storm Of The Light's Bane" eher Gelbtöne "hat"...


Irgendwann in einem - wohl besagtem - Interview hat das mal jemand in den Raum geworfen. Aber ich habe mir eigentlich nie Gedanken darüber gemacht, ob ich so etwas habe. Ich bin in dem Interview wohl ein wenig vom ursprünglichen Thema abgekommen und habe mal etwas Vages in dieser Richtung geäußert, wie etwa "Ja, manchmal kommen mir bei Ziffern und Musik Farben in den Sinn", aber ich tue das nicht die ganze Zeit - es nimmt nicht mein Leben ein, es beeinflusst mich nicht...

Tut es ja auch nicht - es ist einfach "da".

...und manchmal fühle ich so etwas halt überhaupt nicht. Es ist einfach eine ungewöhnliche Sache. Ich "denke" meine Musik hauptsächlich in Noten, und manchmal ist da eben ein Vibe, der mich beim Hören auch Farben "fühlen" lässt. Seit ich das mal gesagt habe, haben mich sehr viele Leute gefragt, ob ich Synästhetiker sei und wie es denn ist, so etwas zu haben. Shit, ich wusste ja nicht mal, dass ich so etwas "habe"...

Ich finde die Sache an sich schon ziemlich abgefahren, auch wenn sie keinen Einfluss auf das Leben nimmt...

Devin Townsend ProjectKlar, das ist nachvollziehbar, aber es ist auch kein großes Ding - nicht groß genug für mich, dieser durchaus verrückten Sache einen Namen zu geben. Mich überrascht es vielmehr, dass sich andere Leute so viele Gedanken darüber machen. Für mich ist das halt einfach nur eine ganz normale Sache. Manchmal ist auch ausschließlich reines Gehör vorhanden, ohne all das Drumherum.

Wenn ich Musik mache... denke ich musikalisch in Farben? Manchmal, sicherlich, klar! Werden Noten zu Zahlen? Vielleicht, möglicherweise! Es ist schon ziemlich "weit draußen", aber ich verschwende eigentlich nie weitere Gedanken daran.

Schade eigentlich - gäbe bestimmt einiges an Inspirationsstoff. Sei's drum. Wie schaut es denn mit Liveplänen aus?


Im Januar 2010 beginnt die US-Tour, im März geht es nach Australien, und dann stehen einige Festivals in Europa an. So viel mehr möchte ich dazu aber gar nicht sagen, jedenfalls habe ich eine Menge cooler Pläne... Jetzt passiert erst mal alles Schritt für Schritt, und der erste Schritt ist erst mal der, das Haus hier wieder in Ordnung zu bringen, alles wieder in geordnete Bahnen zu lenken, und dann wird alles Stück für Stück weiter geplant...

Sehr schön. Wir sind fast schon (obwohl... schon? Haha! - Anm. d. Verf.) am Ende unseres Interviews. Eine Sache, die ich in Interviews immer wieder gerne mache, ist die, dem Interviewpartner kurze Begriffe vorzugeben, zu denen er mir dann kurze Statements gibt. Was fällt dir ein zu...

...Ehrlichkeit in der Musik?

Wenn man nicht ehrlich ist, ja gar seinen Lebensunterhalt mit unehrlicher Musik bestreitet, dann ist diese Ehrlichkeit wohl tatsächlich unwichtig. Wenn ich selbst jetzt allerdings beispielsweise STRAPPING YOUNG LAD weiterführen würde, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte und könnte, dann würden die Fans das sofort merken und wären entsprechend schnell gelangweilt - denn so würde ich den Fans etwas vormachen, sie anlügen. "Alien" wurde eine geile Platte, genau so "Ki" - weil ich vor allem ehrlich zu mir selbst war. Ich bin einfach als der ehrlich, der ich bin, und ich verändere mich eben. Manche Fans tun das nicht, andere wachsen wiederum mit. Das ist einfach der Lauf der Dinge.

...Image in der Musik?

Halte ich für wichtig. Als Künstler bin ich praktisch ein Entertainer, und ich muss gewissermaßen dazu fähig sein, mich so darstellen zu können, wie es zur Musik passt. Wenn das Image allerdings die Musik überlagert, bin ich kein Freund davon. Bands, die irgendwie besonders aussehen, aber schlechte Songs schreiben, langweilen doch nur...

...Instrumentalisierung der Musik für Politik, Organisationen und dergleichen?

Das kommt ganz darauf an, was es ist. Wenn jemand zu dir kommt und dir drei Millionen für eine Autowerbung anbietet, in der deine Musik läuft, klingt das doch gut. Würde mir jemand diese drei Millionen allerdings für Zigaretten- oder Alkoholwerbung bieten, wäre meine Antwort eher: "Nein!"... Wenn es etwas Politisches ist, mit dem ich konform ginge, hätte ich kein Problem damit. Käme allerdings ein Stalinist an und würde mich fragen, dann würde ich selbstverständlich sagen: "Nein danke!". Es ist letzten Endes doch alles subjektiv. Der Ort muss stimmen, die Zeit muss stimmen, es muss alles passen. Aber da mir so etwas noch nie passiert ist, wüsste ich im Moment keine wirkliche Antwort.

Und wie schaut es mit Dogmen in der Musik aus?

Das tickt jede Person anders. Ich selbst hänge keiner Tradition nach, aber für andere sieht das wieder ganz anders aus. Jeder nimmt das anders wahr. Ehm.... ich stelle gerade fest, wir reden schon über eine halbe Stunde, daher müsste ich dich jetzt absägen, denn ich muss noch ein weiteres Interview führen...

Das trifft sich ja prima, denn nach diesem letzten Punkt hier wären wir sowieso fertig. Web 2.0 – sprich MySpace, Twitter und der ganze Kram... die sogenannten Social Networks – was ist deine Meinung dazu?

Also ich finde, dass das für einen Künstler eine unentbehrliche, essenzielle Möglichkeit ist, seine Musik schnell in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich bin darüber sehr froh und nutze es auch sehr intensiv. Aber ebenso denke ich, dass das eine subjektive Angelegenheit ist, da hieraus auch schnell eine Sucht werden kann. Ich nutze es der Notwendigkeit entsprechend, und es ist definitiv eine sehr gute Sache.

Okay Mann! Damit hätten wir's! Sorry für die vielen, vielen Fragen und meine Holprigkeit. Mensch, ich hab' seit fast acht Jahren mit keinem Menschen mehr Englisch gesprochen...

Ach, gar kein Problem... (lacht)... du hast für deinen ersten Phoner eine prima Arbeit abgeliefert, es ist völlig okay!

Ähem, na ja...

Doch doch. Vielen Dank für das Interview, ich hoffe, dass es viele lesen!

Vielmehr habe ich dir für deine Zeit für uns zu danken! Mach's gut!


Ebenso!

 

Diskographie (Auszug):

Mit STRAPPING YOUNG LAD:

Heavy as a Really Heavy Thing (1995)
City (1997)
Strapping Young Lad (2003)
Alien (2005)
The New Black (2006)

Als Solokünstler:

Ocean Machine (1997)
Infinity (1998)
Physicist (2000)
Terria (2001)
Accelerated Evolution (2003)
Devlab (2004)
Synchestra (2006)
The Hummer (2006)
Ziltoid the Omniscient (2007)
Ki (2009)
Addicted (2009)
Deconstruction (tba.)
Ghost (tba)
Z² (tba)

Sonstige Projekte:

IR8 (1994, mit Jason Newsted und Tom Hunting)
Punky Brüster - Cooked On Phonics (1996, mit J. R. Harder und Adrian White)

Als Gitarrist unter anderem auf:

FRONT LINE ASSEMBLY – Millennium (1994)
FRONT LINE ASSEMBLY – Hard Wired (1995)
THE WILDHEARTS – Anarchic Airwaves (1998)

Als Gastsänger oder Sänger auf:

STEVE VAI – Sex And Religion (1993)
WORKING MAN - A Rush Tribute (1996)
JAMES MURPHY - Convergence (1996)
SOILWORK - Natural Born Chaos (2002)
AYREON - The Human Equation (2004)
GWAR - Beyond Hell (2006)

Weblink: Homepage von Devin Townsend

Chris Popp (Info)
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