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Disillusion: Back To Times Of Splendor (Remastered 20th Anniversary Edition) (Review)

Artist:

Disillusion

Disillusion: Back To Times Of Splendor (Remastered 20th Anniversary Edition)
Album:

Back To Times Of Splendor (Remastered 20th Anniversary Edition)

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Progressive Metal

Label: Metal Blade Records
Spieldauer: 79:04
Erschienen: 26.04.2024
Website: [Link]

DISILLUSIONs Fabel-Debüt „Back To Times Of Splendor” lässt einen wahrlich in wundersamen vergangenen Zeiten schwelgen. Als es vor genau 20 Jahren erschien, standen der metallischen Musik-Presse und anderweitigen Fans zünftiger Hartwurst-Klänge (nicht zuletzt dem Rezensenten) sperrangelweit die Kinnladen offen. Ein Glück, denn auf die berechtigten Vorschusslorbeeren für die EP „Three Neuron Kings“ sowie die Single „The Porter“ hätte ebenso gut die Ernüchterung folgen können (die sich, nebenbei bemerkt, für Verehrer des Erstlings bisweilen mit dem zweiten Langspieler „Gloria“ einstellte).

Nichtsdestotrotz, das 20jährige Jubiläum soll nicht allein Anlass geben, einen Klassiker der deutschen Progressive-Metal-Szene über den Klee in den Himmel zu loben. Daneben muss man sicherlich fragen, ob die Faszination der Musik bis heute anhält und all die Lobeshymnen nicht das Produkt einfältiger Verklärung einer ewigloyalen Anhängerschaft sind.

Rudern wir ein bisschen zurück und schauen uns zunächst an, was das Remastering bringt. Entweder das Gehör lässt nach oder die technische Überarbeitung der Tonqualität von „Back To Times Of Splendor“ ist derart nuanciert, dass man nur mit ganz feinen Horchern den Unterschied merkt. Vielleicht spielt aber auch die Erwartungshaltung eine Rolle, dass ein Remastering sich zuvörderst der im Original etwas grob tönenden Snare anzunehmen hätte. Dessen ungeachtet, gibt es am Soundgewand der Erstaufnahme eigentlich nichts zu mäkeln. Umso wunderlicher, dass gerade dieser Malus nicht (hinreichend) ausgebessert wurde.

Neben akustischen Nachjustierungen und dezent aufgehübschtem Artwork weist die Neuauflage noch vier Bonus-Lieder auf. Einerseits bekommen Freunde der Band nun die Möglichkeit, die zwei Tracks der obengenannten Single als Vinyl-Ausgabe zu ergattern, andererseits verunstalten zusätzliche Dreingaben auch immer ein bisschen das Gesamtkunstwerk. Es erscheint ebenfalls diskussionswürdig, ob die Live-Versionen von „And The Mirror Cracked“ und „Alone I Stand In Fires“, welche die Single ergänzen, wirklich ihr Geld wert sind. Immerhin stellen DISILLUSION, gleichwohl im Fall von erstgenannter Nummer in verkürzter Form (das Ende fehlt), zur Schau, dass sie das komplexe Material live originalgetreu herüberzubringen vermögen. Unabhängig davon macht sich sodann ein bisschen Empörung ob der Tatsache breit, dass es „The Porter“ zwar sehr wohl, nicht jedoch „Three Neuron Kings“ auf den Rerelease geschafft hat. Das wäre einmal ein voluminöses, dem Jubiläum würdiges Paket gewesen – Gesamtkunstwerk hin oder her!

Bis hierhin also können lediglich die werbewirksame Anpreisung eines nuancierten Remasterings sowie die etwas fragliche Zusammenstellung des Bonus-Materials kritisch ins Gewicht fallen. Heißt das, dass das originäre Klangerlebnis einer kritischen Betrachtung standhält und den „test of time“ besteht?

Das Bemerkenswerte an der Musik ist zweifelsohne der freigeistige Ansatz ihrer Macher, bekannte Elemente aus dem progressiven Metal-Bereich und darüber hinaus eklektisch zu etwas Eigenem zusammenzuführen. Entsprechend ließen sich DISILLUSION mit vielen Namen in Verbindung bringen, ohne dass sie den Stil etwaiger Vorbilder zu sehr für sich vereinnahmen würden.

Beispielsweise taucht an der Stelle gerne die viel bemühte OPETH-Referenz auf. Nicht dass Akustikeinlagen, Longtracks oder gesangliches Wechselspiel vor vertrackten Riffs nicht hier und da an die Schweden gemahnen würden, aber am Ende scheinen DISILLUSION rhythmisch vielseitiger und stärker auf große Melodiebögen bedacht. Zudem verfügt das Material über eine gefühlte Kompaktheit und Kurzweiligkeit, da es in seiner Struktur irgendwann durchschaubar ist. Die Kompositionen mögen zwar vielschichtig und komplex daherkommen, sie stoßen den Hörer jedoch nicht mit überbordender Dissonanz von sich. Viel eher wird er durch toll arrangierte mehrstimmige Gesänge oder unwiderstehliche Leadgitarren-Harmonien immer wieder von Neuem ins progressive Klanggeschehen zurückgeholt.

Fordernde und eingängige Elemente wechseln sich demnach ab. Überhaupt werden so manche Brücken geschlagen – und zwar alles auf Grundlage bis ins Detail auskomponierter Klangkreationen.

Der Opener „And The Mirror Cracked“ schlägt mit brutalem Stakkato, flottem Drumming und schrägen Riff-Einlagen, die den Geruch später EMPEROR tragen, grundsätzlich eine derbere Marschrichtung ein. Man könnte den ruhigeren Mittelteil mit seinen Akustikgitarren und Pianoversatzstücken dem gegenüber fast für einen Fremdkörper halten, wenn er nicht organisch in den Song eingebettet wäre. Gesanglich ist nicht nur der Opener, sondern auch der gesamte Langdreher immens variabel. Mit weichen Clean-Vocals und gutturalem (jedoch stets wohlakzentuiertem) Gebrüll im Wechsel liefert z.B. „Alone I Stand In Fires“ ein Paradebeispiel für kontrastierende Gesangsstile ab, ohne sich modernen Metal-Klischees (die zu der Zeit schwer im Kommen waren) anzubiedern. Kontrastreiches verwirklicht ebenso die Rhythmussektion. Kaum hat sich im melodisch-verspielten Titeltrack die Wut in einer seltenen Blastbeat-Passage samt atonaler Schrägheiten am Griffbrett entladen, wird das Klanggeschehen in stille Naturromantik getaucht, bis eine Bassline, cool wie Sau, die zweite Songhälfte einläutet. Der Beweis, dass DISILLUSION lange nicht nur die Haudraufkarte ausspielen.

Überall kann man sich mit den Ohren festkleben, was diesem Album zu einer enormen Halbwertszeit verhilft. Die Tatsache, dass „A Day By The Lake“ mehrere Gitarrensounds übereinander schichtet, hat schon damals für staunende Münder gesorgt. Vom dezenten ANATHEMA-Vibe (wir sprechen hier von der „Judgement“-Phase) ganz zu schweigen. Begeisterung beim Zuhören evoziert überdies, dass man es nicht bei einfachen Wiederholungen belässt. Stets wird einer draufgesetzt. Wenn der Refrain eines „Fall“ zum zweiten und dritten Mal ertönt, leidet Frontmann Andy Schmidt mit einer weiblichen Begleitung um die Wette. Den eindringlichen cleanen Gesangspassagen vom Siebzehnminüter „The Sleep Of Restless Hours“, denen ein längerer (nicht langatmiger) Prolog vorangeht, ringt man, dank andersgearteter Tonlage, zum Schluss sogar noch ein Quäntchen mehr Melodramatik ab. Dieser Track ist es denn auch, der dem Longplayer ein episches, sich steigerndes Melodiefinale spendiert – und damit einen mehr als befriedigenden Endpunkt.

FAZIT: Damals wurden DISILLUSION mit vielem verglichen. Aber ganz ehrlich: Zumindest in den Augen dieses Hörers spielten die Leipziger schon immer in ihrer eigenen Liga. „Back To Times Of Splendor“ vollbringt daher das Wunder, 20 Jahre nach seinem Erscheinen erstaunlich frisch zu klingen. Die progressive Mischung aus vertrackt und eingängig, kompakt und episch, rabiat und einfühlsam hat einfach nichts von ihrem Reiz verloren. Manche Musik der letzten zwei Jahrzehnte (Achtung, persönliche Note) musste sich gar an diesem Release messen lassen. Kaum zu glauben, dass es sich dabei um ein Debüt-Album handelte. Da kann man wirklich nur „Happy Birthday“ sagen.

Tim Rahrbach (Info) (Review 2345x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • And The Mirror Cracked (8:28)
  • Fall (4:53)
  • Alone I Stand In Fires (6:53)
  • Back To Times Of Splendor (14:40)
  • A Day By The Lake (4:54)
  • The Sleep Of Restless Hours (17:02)
  • The Porter (2002) (4:17)
  • Eternal Duality (2002) (5:06)
  • And The Mirror Cracked (Live 2023) (6:24)
  • Alone I Stand In Fires (Live 2023) (6:27)

Besetzung:

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