Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Coma: Excess (Review)

Artist:

Coma

Coma: Excess
Album:

Excess

Medium: CD
Stil:

Art Rock / Alternative / Crossover

Label: Mystic Production
Spieldauer: 72:46
Erschienen: 11.10.2010
Website: [Link]

Mit Übersetzungen ist es aber auch eine Crux. Mindestens Informationsverlust ist bei dem notwendigen Übel vorgeplant und wie man es macht, man macht es falsch: da trivialisiert der Übersetzer eines Buches komplexe Inhalte und verzieht damit die Intension, die vom Originalautoren ausgelegt wurde. Da bekommen europäische Fans asiatischer Filmkunst zurechtgestutzte und an westliche Sehgewohnheiten angepasste Filmruinen vorgesetzt, die mit dem oft doppelt so langen Ausgangsmaterial nichts mehr zu tun haben. Und da kommt "Excess" und besitzt die Frechheit, nur eine Single-CD zu sein. Bäh.

Was die polnische Band COMA mit ihrem "neuen" Album veröffentlicht, muss für echte Fans wie halbgare Mikrowellenkost schmecken. Grundlage dieser auf den internationalen Markt zielenden Veröffentlichung ist nämlich das 107 Minuten starke Doppelalbum "Hipertrofia" von 2008, auf dem man so manches Stück von "Excess" wiederfinden wird. "Hipertrofia" wurde mehr als 50.000 mal verkauft – Doppelplatinum und Platz 1 in den Charts. Jawohl, COMA sind in ihrer Heimat längst ein großes Ding, nur sang man bislang auf Polnisch – ein No-Go, wenn man über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich sein möchte. Da frage man nur mal RIVERSIDE oder QUIDAM.

Übrig bleiben also vergleichsweise leicht verdauliche und dreifachkonzentrierte 72 Minuten Edelmaterial, übersetzt auf und gesungen in Englisch, allerfeinster Promostoff eben, mit dem man sich Bekanntheit verschaffen will. Und unsereins, die Rezensenten, sollen auch noch dabei helfen. Mache ich aus zwei Gründen gerne. Erstens: Hände hoch, wie viele von Euch haben bei Band- und Albumtitel nicht an eine Spaß-, Rotz- und Saufrockkappelle gedacht? Es muss einfach mal klargestellt werden, dass COMA was zu sagen haben. Zweitens: "Excess", diese lückenhafte Übersetzung, dieses unvollständige Bruchstück einer 2008er-Veröffentlichung, ist – aus der Schnupperperspektive betrachtet – (Moment, kurz checken… INDUKTI war 2009? Alles klar) mein bisheriges Album des Jahres 2010.

Denn ich erlebe, wie vor meinen Augen allerfeinster Post Grunge, der den auf "Backspacer" arg taumelnden PEARL JAM bestens gestanden hätte, sich elegant mit anspruchsgeladenem Art Rock kreuzt. Ich erlebe, wie ein unendlich charismatischer Frontmann eine Stimmfärbung unter Beweis stellt, die teilweise den Wow-Effekt wiederholt, den man hatte, als man Eddie Vedder zum ersten Mal singen hörte, und wie er mit dieser Stimme jeden Song steuert. Ich erlebe, wie sich eine bescheidene, bodenständige Stimmung in der Atmosphäre verbreitet, die große Songwriterfähigkeiten im Kleinen andeutet, ohne sie krampfhaft propagieren zu müssen. Zuletzt erlebe ich, wie jeder Song im Einzelnen seine Stärken auslebt, so dass man gar nicht vor die Wahl gestellt werden möchte, einzelne Stücke herauszupicken.

Da darf man sich selbst eine Crossoverkeule wie "F.T.P." ("Fuck The Police") leisten, die in der Schnittmenge zwischen RAGE AGAINST THE MACHINE und den BEASTIE BOYS badet, ohne Peinlichkeiten auszuschwitzen – auch wenn sie "nur" als Bonustrack ausgezeichnet ist. Genau wie "F.T.M.O.", das eigentlich viel zu schön dafür ist mit seinem griffigen Refrain, der das Ende der Musik besingt ("Feel The Music's Over") und damit gänsehauterregende Parallelen zu PORCUPINE TREEs "The Sound of Muzak" zu ziehen scheint – auch wenn womöglich einfach nur das Ende der CD gemeint war. Schönheit und Griffigkeit sorgten wohl auch dafür, dass "F.T.M.O." zur ersten Single der Platte gemacht wurde.

Zuvor wird eine ganze Salatschüssel voller knackiger Modern Art Rock-Perlen aufgetischt. Die Mischung macht's: Es fühlt sich gut an, wie der düster-melodische Opener mit heulenden Gitarren Melancholie erzeugt und das darauf folgende "Transfusion" mit furztrockenen Riffs waschechte Rockattitüde ins Spiel bringt, ohne den Farbfluss des Albums zu stören. Noch heavier wird es mit "Poisonous Plants", das erstmals eine der vielen TOOL-Grundlagen offenbart und zwischendrin passend dazu nach überarbeitetem 90er-Grunge klingt.

Dabei muss man sich nicht wundern, wenn auch mal klassische Hard Rock-Soli Einzug finden ("T.B.T.R."), die Hand in Hand gehen mit unverhofften Shout-und-Growl-Attacken ("Confusion"), angetrieben stets von futuristisch wirkenden Beats und einer dominanten Schlagzeugtechnik, die entfernt an einen Gavin Harrison erinnert. Gewissermaßen darf man sich ob der Zutatenvielfalt an das Produktionsmonstrum "Chinese Democracy" von GUNS 'N ROSES erinnert fühlen, doch geht "Excess" dabei wesentlich homogener zu Werke – trotz der Zusammenstauchung auf Single-CD-Länge.

FAZIT: COMA beweisen mit "Excess" ein universelles Verständnis für alles, was das Herz anspruchsvoller Rockfans momentan begehrt: es spannt nahezu perfekt den Draht zwischen zeitgemäßem Art Rock und Grunge- und Alternative-Sounds der Neunziger. Dass der "Sound of the 90s" angesichts der Reunions von ehemaligen Bannerträgern wie PEARL JAM, SKUNK ANANSIE, ALICE IN CHAINS und SOUNDGARDEN gerade wieder ins Bewusstsein der Rockmusik zurückkehrt, haben die Polen schnell erkannt und für sich genutzt. Dass sie gerade jetzt auf den internationalen Markt schielen, ist nur recht und billig. Zwar entbehrt "Excess" dem schönen Klang der polnischen Sprache auf den Vorgängeralben (ein Antesten der Originale von "Hipertrofia" sei dringend empfohlen) und mit Sicherheit auch der Schlüssigkeit des Konzeptes, was zwangsläufig der Kürzung geschuldet ist, doch besser kann man dem Rest der Welt seine Schokoladenseite nicht unterbreiten. Jetzt muss der nur noch hinsehen.

Sascha Ganser (Info) (Review 10472x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Excess
  • Transfusion
  • Poisonous Plants
  • Confusion
  • T.B.T.R.
  • Struggle
  • Afternoons In The Colour Of Lemon
  • Witnesses Of The Decline Of The Eternal Boys Land
  • Silence And Fire
  • Eckhart
  • F.T.P. (Bonus Track)
  • F.T.M.O. (Bonus Track)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Leszek
gepostet am: 04.10.2010

User-Wertung:
15 Punkte

Great band...
Lukas
gepostet am: 22.11.2010

User-Wertung:
15 Punkte

Das polnische original "Hipertrofia" ist eines der besten Alben das ich je gehört habe.Ein echtes kunstwerk. Ich hoffe die kurze englische Variante kann die "power" dieser platte einigermassen gut wiedergeben.Ich werde sie mir auf alle fälle kaufen.
Thomas
gepostet am: 09.05.2013

User-Wertung:
14 Punkte

Ganz tolle Scheibe; ohne jede Schwachstelle
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Wobei handelt es sich um keine Farbe: rot, gelb, blau, sauer

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!