Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit Thrawsunblat (25.04.2013)

Thrawsunblat

Joel Violette. Ein Gespräch über ganz große Fragen.

Warum habt ihr die Band damals aus der Taufe gehoben. David Gold war immerhin beteiligt, also kann man nicht von einem Nachfolger von WOODS OF YPRES sprechen.

Eigentlich war es so, dass ich zuerst mit David bei THRAWSUNBLAT spielte und später erst zu seiner Band kam. Ich hatte ihm zwischen 2005 und 2008 mehrere Demoaufnahmen zugesandt, ehe er sich als Schlagzeuger anbot. Bei WOODS hielt er mehr oder weniger allein das Zepter in der Hand, während THRAWSUNBLAT meine kreative Vision darstellen, auch und gerade in Anbetracht der Texte.

"Lifelore Revelation" ist eine unverblümte Kritik am Zeitgeist, aber welche Alternative zum Internet und der digitalen Revolution generell siehst du, falls überhaupt?

An und für sich feiere ich mit diesem Stück die Mythologie und ihre Bedeutung für uns Menschen. Kritisch bin ich dabei nur insofern, als ich nicht dahingehend zustimmen möchte, das digitale Zeitalter und eine Erhöhung des rationalen böten Lösungen für unsere Probleme - oder anders ausgedrückt: Nur weil man irgendetwas nicht erklären kann, heißt dies nicht, dass es sich unter Hinzuziehung vermeintlicher Logik als Hirngespinst unter den Tisch kehren lässt. Gerade in solchen Dingen liegt mitunter ein unschätzbarer Wert. Träume beispielsweise beschäftigen die Wissenschaft andauernd und werden immer noch nicht so recht in ihrer Funktion für uns verstanden. Ich berufe mich ganz spezifisch auf Mythen und Folklore generell: Weshalb erfreuen wir uns überhaupt daran? Auch diese Frage bleibt weiterhin offen. Meiner Meinung nach sollten wir sie wertschätzen und weiter pflegen, statt sie zu leugnen, ad acta zu legen oder uns darüber lustig zu machen, weil sie dem Nüchternen zuwiederlaufen.
"Lifelore Revelation" ist auch gewissermaßen eine Ouvertüre, sowohl musikalisch als auch inhaltlich, denn es etabliert meine Auffassung beziehungsweise die Rolle von Mythologie im Rahmen des Albums. Diese hängt mit Josephs Campbells Konzepten von spiritueller Erfüllung zusammen, welche wir eben über Mythologie erfahren können. Die Lyrics fassen zudem kurz zusammen, wie man dabei vorgehen kann, quasi als Leitfaden.

Ist blinder Glaube an Mythologie aber nicht genauso schlecht wie vorbehaltlose Gefolgschaft hinter Göttern und Religionen? Wo ziehst du die Grenze zwischen Glaubensirrsinn und konstruktiver Kenntnisnahme des bislang Unbekannten?

Ich würde eher sagen, dass ich an die Kraft der Mythologie glaube, nicht an ihre Inhalte im wortwörtlichen Sinn. Ihr Einfluss auf das Leben des Einzelnen steht in keinerlei Abhängigkeit von irgendwelchen Gottheiten. Campbell beschreibt eine sogenannte unterbewusste Maschinerie des Menschen, die sich mit mythologischen Entitäten, Archetypen sowie universellen Handlungsmustern und Strukturen. All dies findet sich in Mythen wieder, deren Einfluss auf aktuelle Literatur oder Filme stark bleibt. Dem Menschen wohnt definitiv eine Anlage zum Geschichtenerzähler inne, und zwar mit allem, was dazugehört, also der Gabe zur Erschaffung von Charakteren und Handlungssträngen. Warum ist das so? Weshalb verfügen wir über ein anscheinend angeborenes Gespür für gute oder schlechte Stories? Es gibt ein Axiom, das auf alle Arten von Mythen zutrifft: Damit der Mensch sie für voll nimmt, müssen sie mit dem etablierten Wissen seiner Gegenwart übereinstimmen. Religionen stehen dabei ein wenig außen vor, weil sie wiederum ein für sich eigenes Wissen geltend machen, aber das Prinzip ist das gleiche: Geht man nicht damit konform, kann man nicht daran glauben.
Offensichtlich ist es auch so, dass die heutige Wissenschaft alle Religionen und mythologischen Konzepte verneint, welche die Existenz von Göttern mit menschlichen Eigenschaften, also von Anthropomorphen, oder höheren Wesen allgemein mit Interesse an den Leben einzelner Menschen in Aussicht stellen. Campbell zog auf dem Umweg - ohne sowieso überkommene Religion - Nutzen aus Mythen, die das Leben eines jeden von uns durchdringen. Wir spiegeln uns selbst in alten Legenden und Sagen wider, können uns also entsprechend in sie einfinden und Lösungen für die ewig gleichen Probleme herausziehen. Der Mensch ändert sich in seinem Kern wohl niemals; nur sein Umfeld ist dem Wandel unterworfen.

Demnach kannst du dem Gedanken an Reinkarnation auch viel abgewinnen, oder?

Nein, ganz und gar nicht. Wenn ich mich auf Zyklen aus Leben und Tod beziehe, dann meine ich damit keine körperliche Wiedergeburt, sondern verstehe sie symbolisch. Körper werden nicht wiedergeboren; es geht vielmehr um geistiges Wachstum. Ausgehend von den alten Griechen über die Kelten bis auf die polynesischen Inseln hat der Mensch die für ihn wichtigen Marksteine seines Lebens an mit bestimmten Ereignissen, Zeremonien oder Ritualen verknüpft, etwa jenen zur Feier des Frauen- oder Mannesalters. Sie alle betreffen in der einen oder anderen Form den symbolischen Tod einer Person und die Geburt einer neuen. Um es moderner zu erklären, stell dir einen Mathematiklehrer vor. Fast jeder Heranwachsende gerät an den Punkt, da er sich beim Lernen von Algebra die Haare rauft, und jemand wie dieser Herr schafft es Jahre später, Hunderte Studenten in Integralrechnung zu unterrichten. Er ist nicht die gleiche Person wie damals, das ist unmöglich. Irgendwann hörte er auf, selbst Mathematikstudent zu sein und wurde zum Lehrer. Jeder erfährt solche Meilensteine in seinem Leben, also meine ich wie gesagt geistiges Wachstum und persönliche Neuerung.

"Once Fireveined" betont, wie wichtig Herausforderungen für ein erfülltes Leben sind, aber verabscheust du Selbstgefälligkeit wirklich so sehr, wie es der Text ausdrückt?

Ha, ganz bestimmt nicht. Wer mit einem solchen Lebensentwurf glücklich ist, darf es gerne sein. Ich setze mich neutral mit der Befriedigung auseinander, die sich beim Überwinden von Herausforderungen einstellt. Selbige sind also weniger maßgeblich als der persönliche Antrieb, den sie bedingen, denn dadurch entwickeln wir uns weiter.

Mit "We, The Torchbearers" deutest du auf Vermächtnisse hin, die zu verteidigen wichtig sei, um einer Bestimmung gerecht zu werden. Das hat für mich etwas von Märtyrertum, das nicht zuletzt durch deine Ausdrucksweise verherrlicht wird.

2011 habe ich zwei sehr nahestehende Menschen verloren, und das innerhalb weniger Monate. Der Tod und wie wir damit umgehen, dies sind zwei vorherrschende Aspekte des Albums. Dieser Song kam zustande, als ein Mitglied der Familie eines Freundes starb und ich mich fragte, wie ich auf ihn eingehen sollte. Daraus entstand der Text. Man fühlt sich desorientiert, wenn so etwas geschieht, und weiß nicht, wie man damit umgehen soll. Man kann gar nicht nachvollziehen, welche Leere in den Hinterbliebenen herrscht, geschweige den, wie diese zu füllen ist. Der einzige Weg, dieses Elend zu überwinden, führt übers Hinnehmen und Weitergehen, ja Vorwärtsdrängen. Tut man dies, findet man im Nu wieder Halt und steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden wie zuvor. Dies bedeutet nicht, dass wir unsere Lieben vergessen; wir tragen ihr Vermächtnis fort - die Fackel dessen, wofür sie standen, vor allem die Erinnerung an sie.

Die Lyrics von "Goose River" bleiben nebulös für mich, gerade auch wegen des Ortes, den es mehrmals auf der Welt gibt. Ich nehme mal an, es handelt sich um einen Fluß in New Brunswick, von wo ihr stammt.

Den Namen Sloan im Text trug der zweite Tote, den ich beklagte, ebenfalls ein enger Freund von mir. Es traf uns alle sehr schwer, als er von uns ging, also wollten wir seiner auf einer Wanderung zum Goose River gedenken. Wir suchten seine Lieblingsstelle in einem der Naturparks hier in der Nähe auf, und davon handelt der Song.

Euer Bandname geht auf David Gold zurück und ist eigentlich humorvoll zu verstehen; seid ihr noch glücklich damit?

Das Wort besitzt einen einzigartigen Charakter und entstammt einem heiteren Augenblick, der sich vielmehr in eine humorvolle Story verpacken lässt. Was wirklich lustige Bandnamen betrifft, so stehe ich auf THE TONY DANZA TAPDANCE EXTRAVAGANZA, aber im Ernst: Ich habe nie an unserem Namen gezweifelt. Er hat eine Bedeutung, und der Aspekt Humor stellt einen Bonus dar, der sich nicht so sehr auf die Musik beziehen lässt, sondern vor allem unter den Bandmitgleidern relevant ist: Wir sehen vieles von einer heiteren Seite, ob man es glaubt oder nicht.

Ihr habt zur Realisierung des Albums Spenden gesammelt - ein zukunftsträchtiges Konzept?

Die Fans waren äußerst spendabel, aber diese Sache wiederholen wir nicht, denn wir könnten niemals noch einmal um so etwas bitten. Am Ende hatten wir zudem eine Menge Arbeit, da wir alles alleine organisierten, die Geschenke für die Leute selbst herstellen mussten und selbst die Werbetrommel rührten, von den eigentlichen Aufnahmen ganz zu schweigen. Wir suchen ein Label, das uns unterstützen kann. Ich genieße es, mich mit Fans auszutauschen, Musik zu schreiben und aufzunehmen; der Rest geht mir weniger leicht von der Hand.

Euer Demo war seinem Namen gemäß wohl eine Hommage an euer Heimatland. Wie seht ihr Kanada im Zusammenhang mit der Metal-Szene?

Also, politisch motiviert war das definitiv nicht, soviel vorweg. Ich denke nicht an Kanada als Nationalstaat mit einer entsprechenden Identität, sondern drücke meine Liebe zu diesem Landstrich und seinen Bewohnern aus. Nachdem ich so viel Musik aus aller Welt gehört habe, wollte ich, dass sich andere beim Genuss unserer Musik ebenso nach Kanada oder genauer gesagt die Atlantikküste des Landes versetzen können.

Viele nordamerikanische Bands überhöhen momentan Europa als sozusagen bessere Welt im Vergleich zu den USA beziehungsweise eben Kanada. Ist es wirklich so schlecht um die Kultur dort drüben bestellt, dass man aus fremden Umfeldern schöpfen muss?

Wenn du dich jetzt auf "The New World Rhine" beziehst: Den Namen verwendet man auch für den Saint John River, der mitten durch New Brunswick fließt. Er gilt tatsächlich als Rhein Nordamerikas, und zwar schon seit die frühsten Siedler ihn so bezeichneten ... klingt doch auch poetischer als der eigentliche Name, oder? Davon abgesehen passte der auch nicht ins Versschema meines Textes, und prinzipiell lässt sich im Gegenteil sehr viel aus unserer Gegend schöpfen, allen voran eben der Küste Kanadas entlang des Atlantik. "Maritime Shores" zeugt davon, aber du hast schon Recht: Das gesamte Album bezieht sich stark auf Europa, woher ja praktisch die Mehrzahl aller Nordamerikaner am Ende stammt, wenn sie nicht gerade auf Einwanderer aus Asien oder Afrika und Ureinwohner zurückgehen. Dennoch bleiben wir alle Nordamerikaner, egal wie hoch wir die Flagge Europas hissen. Wie Jungbäume ähneln wir der Eiche, deren Sprosse wir sind, bloß wurden wir auf gänzlich anderem Boden gepflanzt. Gemeinsamkeiten bestehen natürlich unbedingt, genaugenommen so viele, dass man sie leicht vergessen kann. Unterschiede ergeben sich vordergründig vor allem durch die Subkultur, deren Zugehörigkeit wir wählen, und dieses Verhalten wiederum eint uns ebenfalls allesamt miteinander. Interessant, nicht wahr?

In diesem Kontext ist also die Metapher vom "Continent Of Saplings" zu verstehen ...

Die akustischen Instrumente, die wir einstweilen verwenden, zeichnen die Kultur hier an der Küste aus, gleichzeitig da sie ebenfalls etwas Universelles darstellen, denn egal wo man sich unter den frühen musikalischen Ausdrucksformen weltweit umschaut: Die Mittel dazu beliefen sich hier wie dort auf geblasene, gezupfte oder rhythmisch geschlagene Tonerzeuger.

"I Am The Viator" klingt von der Wortwahl her genauso markant wie inhaltlich nebulös. Erörtere das mal genauer, bitte.

Das Leben ist für mich ein nie endender Kreislauf von Reisen. Ob wir körperlich oder geistig irgendwo ankommen: Wir verweilen dort eine Zeitlang, ehe wir den Blick schweifen lassen und uns ein neues Ziel setzen. Den Weg dorthin genießen wir faktisch stärker als das Erreichen, denn wir sind immerzu Sinnsuchende, die sich niemals zufriedengeben. Hoffnungen und deren Bestätigungen erfolgen im steten Wechsel.

Andreas Schiffmann (Info)
Alle Reviews dieser Band: