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Interview mit ANTIHELD | Luca Opifanti (21.10.2019)
Die Stuttgarter ANTIHELDen haben im vergangenen Jahr eine wahrhaft bemerkenswerte Entwicklung genommen. Waren die Jungs um Songwriter Luca Opifanti noch vor einem Jahr als Support für VERSENGOLD deutlich poppiger unterwegs, bringt das aktuelle Album “Goldener Schuss” einen Stilwechsel hin zum Alternative-Rock, der erwachsen klingt und der Band ausgezeichnet zu Gesicht steht. Wir treffen Luca Opifanti vor dem Konzert im Live-Club DAS BETT in Frankfurt zum Interview. Luca erscheint gut gelaunt im Adidas-Hoodie und macht sich eine Flasche alkoholfreies Bier auf.
Luca, vielen Dank, dass du dir die Zeit für Musikreviews.de nimmst.
Luca Opifanti: Also, ich weiß gar nichts über euch...
Hast Du etwa meine Review nicht gelesen...?
Luca Opifanti: Wahrscheinlich schon, es waren ja auch echt viele – Gott sei Dank, das ist tatsächlich eine Luxussituation - ich hab die auch immer geschickt bekommen, ich hab auch alle gelesen, aber ich kann mich jetzt nicht wirklich erinnern...wir hatten auch tatsächlich nur schöne Rezensionen, es gab nur einen einzigen, richtigen Verriss und der war vom METAL HAMMER, der war ganz großartig...
Den habe ich auch gelesen, den fand ich richtig böse...
Luca Opifanti: Ich fand es witzig! Das ist für uns die geilste Promo, die du haben kannst. Wenn du eine Rockband bist, die eh aus dem Pop kommt..und der METAL HAMMER eine Rezension schreibt, ist das schon lustig. Die würden ja EMINEM auch zerreißen...
Ich empfand die Rezension als etwas ungerecht, aber in Bezug auf die Publicity, die das nach sich gezogen hat, liegst du sicher richtig. Ihr habt euren Stil, verglichen mit dem Debütalbum, deutlich geändert. Als ich euch im letzten Jahr als Vorgruppe für VERSENGOLD in der Batschkapp gesehen habe, hat es mir nicht so arg gefallen, das war mir etwas zu seicht, zu sehr in Richtung Teenager-Pop. Als es nun darum ging, euer aktuelles Album „Goldener Schuss“ zu rezensieren, hab ich mir gedacht: warum nicht. Als ich das Teilchen dann gehört habe, war ich vollkommen geflasht. Schon die „Introduktion“ ist packend , ob Stuttgart nun eine Großstadt ist oder nicht...
Luca Opifanti: Ja, es heißt ja: „Stuttgart ist ´ne Großstadt, wenn man morgens nicht viel vorhat...“. Ja, diese Wandlung ist durch vieles bedingt. Die einfachste Erklärung ist einfach die, dass wir beim ersten Album auf Songs aus nahezu fünf Jahren zurückgreifen konnte. Ab dem Moment, als ich als kleiner Singer-Songwriter angefangen habe, bis hin zur Band ANTIHELD und bis zum ersten Plattenvertrag...da hast du dann einen Riesenpool, wo stellenweise natürlich Songs dabei waren, die mein 18-jähriges Ich geschrieben hat. Wenn dann die Plattenfirma sagt, sie finden das geil und sie wollen das so machen, dann macht man das so, wenn man ein junger, unbedarfter und unerfahrener Künstler ist und denkt sich so: alles was die machen ist geil – ist es natürlich nicht, aber das weiß man auch erst hinterher und dann sind diese Songs halt von einem 18-Jährigen und dann klingt das auch so.
Das zweite Album ist halt geschrieben von meinem 27-jährigen Ich, da liegen fast 10 Jahre zwischen, das ist schon ein Unterschied und deshalb klingt das anders – ich hab meine eigenen Erfahrungen hinter mir, als Songwriter und mit dieser Band und hatte dann auch nicht mehr Bock auf diese Major-Pop-Rutsche, weil das ist nicht mein Ding, das war eine Phase, mehr so ein erster Fuß-in-der-Tür...
Du kommst ja auch ursprünglich aus dem Punk...
Luca Opifanti: Voll! Meine eigene Jugend, meine ersten Konzerte waren NORMAL, DRITTE WAHL, SLIME, so richtige Deutsch-Punk-Zecken (lacht). Das ist mein Ground...
Deshalb hast du der Szene auf „Goldener Schuss“ auch mehrmals kleine Denkmäler gesetzt, beispielsweise den Punks „die vorm Starbucks ´rumlungern“...?
Luca Opifanti: Absolut – ja, wobei da schon fast ein bisschen Kritik mit dabei ist, denn eigentlich – so traurig das ist - Punk ist tot, bzw. der Punk, der noch lebt, wird leider nicht mehr gehört, das ist das Traurige. Ich finds immer ganz verwerflich, wenn sich Leute über die TOTEN HOSEN aufregen und sagen: „das ist doch kein Punk mehr!“ Natürlich ist das kein Punk mehr, aber die HOSEN erheben ja auch selbst keinen Anspruch darauf. Ich finde das völlig absurd. Die wirklichen Punkbands, die es noch gibt und die ich auch noch sehr, sehr geil finde, sind halt wirklich wieder richtig Underground. Deswegen ist Punk jetzt nicht unbedingt tot, aber er ist in der Popularität tot. Welche große Punkband gibt es denn heutzutage noch, die nicht schon seit gefühlten 50 Jahren gibt? Dass BAD RELIGION riesig sind ist klar, aber die waren vor 30 Jahren eben auch schon riesig.
Kommen wir mal wieder auf ANTIHELD zurück. Zu eurer zweiten Singleauskopplung „Goldener Schuss“ gibt es ein großartiges Video, das den Song zweimal enthält – einmal in der schnellen, einmal in der Unplugged-Version, direkt hintereinander. Wie kam es zu dieser Idee?
Luca Opifanti: Also, wir haben ja die komplette Platte „live“ eingespielt. Die ist komplett „live“ in einem Raum in Stuttgart über unserem Proberaum in einer Turnhalle entstanden – das war der komplette Gegenentwurf zu unserem ersten Album – das erste Album war: krasser Starproduzent, Ralf Mayer (produziert auch CLUESO, Anm. d. Red.) in Spanien, mit so unfassbar viel Geld, dass wir gar nicht wussten, wohin damit...das zweite Album war in Stuttgart, extra nicht weggefahren, nicht mal aus dem Stadtteil raus, sondern in Stuttgart-Hallschlag, das ist so ein Ghetto-Ding eigentlich...und dort haben wir in eine Turnhalle unser eigenes Studio reingebaut und in zwei Wochen dieses Album aufgenommen.
Diese Akustik-Nummern von „Goldener Schuss“ und „Ma Petite Belle“ waren so geplant, also wir hatten die Idee, das zu machen, aber eigentlich waren auch nur diese beiden geplant und der Rest hat sich so ergeben, denn da ist tatsächlich Magie passiert. Am Ende der Recording-Sessions saßen Henry und ich noch zu zweit in der Halle, alle Lichter aus, nur ein paar Lichterketten an, jeder hat sich drei, vier Bier ´reingestellt und dann haben wir drauflos gespielt. Diese Aufnahmen hatten so eine Magie für uns und sind so besonders geworden, dass wir uns gedacht haben: das ist fast genauso stark wie die eigentliche Single. Dann hatte ich irgendwann die Schnapsidee und hab meine Jungs gefragt: Habt ihr schon mal zwei Songs in einem Musikvideo gesehen? Und alle so: eigentlich nicht wirklich...und dann hab ich gesagt: dann lasst uns das machen.
Das wäre dann beim Videodreh fast in die Hose gegangen, denn wir hatten da ein kleines Kommunikationsproblem mit unserem Video-Mann, mit dem Michi, mit dem machen wir all unsere Videos, wir kennen uns in- und auswendig, aber der „Goldener Schuss“-Dreh mit dem ganzem Publikum war wahnsinnig anstrengend, es war tierisch heiß, der Laden war viel zu klein und es dauerte ewig. Es waren bestimmt 14 Stunden, die wir gedreht hatten, dann war alles fertig und dann hab ich zu Michi gesagt: Halt stopp, wir wollten doch noch ´nen Video zu der Akustik-Version drehen! Und dann ist der richtig explodiert! Er konnte nicht mehr, er konnte nicht mehr! Er hat wirklich durch den Laden geschrien: das können wir nicht machen, das machen wir nicht mehr, ich falle irgendwann tot um! Dann hab´ich ihn aber doch dazu gekriegt, dass er gesagt hat: ok- einen Take. Deshalb hat der zweite Teil des Videos auch keinen Schnitt – denn es gibt einfach keinen. Henry und ich haben uns ein einziges Mal in das Licht gesetzt, es wurde einmal auf Play gedrückt, der Song lief, wir haben das einmal ´runterperformt, Michi hat das einmal aus der Hand heraus abgefilmt. Wir haben das kein zweites Mal gemacht, weil wir gesagt haben: entweder das ist es, es funktioniert, oder halt nicht und es hat Gott sei Dank funktioniert.
Du hast vor den Arbeiten zum neuen Album eine Phase durchlebt, in der du nicht mehr schreiben konntest. Mit „Ma Petite Belle“ bist du aus dieser Schreibblockade ausgebrochen...
Luca Opifanti: Ja, das stimmt tatsächlich. Das war so ein Mix aus einer kurzfristigen, musikalischen Resignation, weil mich dieses Business so abgefuckt hat, es hat mich so genervt, ich war auch definitiv falsch dort...natürlich hab´ ich Bock auf Erfolg, natürlich hab´ ich Bock auf Kommerz, aber ich würde gerne selber diktieren, was Kommerz ist und ich würde gerne das machen, was ich machen möchte und wenn das dann vielen Leuten gefällt, bin ich nicht so ein CURT COBAIN-Typ und schieß mir in den Kopf, sondern dann freue ich mich! Aber ich will nicht das machen, was den Leuten sehr wahrscheinlich gefällt, sondern ich will das machen, was ich machen möchte und wenn das gefällt, ist das schön und wenn nicht, dann halt nicht. Das ist nicht der Maßstab für mich.
Das war eine Phase, in der ich gemerkt habe, da wird sehr auf Zahlen geguckt, auf Klickzahlen, auf irgendwelche Markttendenzen, Radioeinsätze, das hat mich abgefuckt, das ist scheiße so. Das ging mir sehr auf den Sack. Ich hatte wahnsinnig viele Ideen, ich hatte schon immer einen hohem Output, aber ich wusste nicht so richtig, was soll ich denn nun schreiben? Mach ich jetzt mich glücklich oder mach ich andere glücklich, muss ich jetzt einfach ein „Berlin Am Meer 2.0“ schreiben, das war sehr schwierig und dazu kam dann tatsächlich eine sehr intensive Beziehung, die nach langem Hin und Her einen dramatischen Schlusspunkt gefunden hat und da bin ich geplatzt.
Das war wirklich wie so ein Knoten. Ich hab´ die ganze Zeit davor nicht geschrieben, nicht weil ich nicht wollte oder weil ich nicht konnte, sondern weil ich nicht wusste was, da war soviel los, soviel unsortiert, ungefiltert und da hat es dann einmal Klick gemacht und dann ging es plötzlich wieder. Dann habe ich das komplette Album quasi in einem Rutsch geschrieben.
Das merkt man. Das Album wirkt wie ein Konzeptalbum mit zwei großen Themenbereichen, zum einen das Themengebiet Zweierbeziehungen, zum anderen das Themengebiet Politik.
Luca Opifanti: Der politische Aspekt ist mir sehr wichtig, wobei ich sagen muss, es sind eigentlich sogar drei Themengebiete. Ich finde, sehr viele Songs auf dem Album, die von vielen Hörern als Beziehungssongs interpretiert werden, sind es für mich persönlich gar nicht. In „Babylon“, z.B., geht es um mich. Da ist der XY-Protagonist, der da ´ne Rolle spielt, egal ob das ´nen Mann oder ´ne Frau ist, egal, ob das ´ne Fickgeschichte ist oder ´ne Liebesbeziehung, oder dein Bruder oder sonst was – das ist eigentlich sekundär – es geht eigentlich um mich als Protagonisten. Das finde ich in relativ vielen Nummern, das geht schon mit der „Introduktion“ los: Da geht’s um mich, um uns, um unser Leben in Stuttgart, nicht mehr und nicht weniger. Es sind eigentlich drei große Themen, Liebe und Politik sind mir ein bisschen zu wenig.
Gerade auch „Find What You Love“...ich weiß selber gar nicht, worum es da geht...vielleicht um meine vermeintliche Suche nach dem Sinn des Lebens.
In den Songs findet sich oft eine Art von Dualität, beispielsweise das Motiv der Sonne, die zwar wärmt, aber der man bloß nicht zu nah kommen soll...
Luca Opifanti: Das ist viel Selbstreflektion. Ich bin jetzt 28, kein komplettes Greenhorn mehr, und wenn du ab etwa Mitte 20 halbwegs ernsthafte Beziehungen führst und die gehen alle am selben Punkt nach einem Jahr ungefähr kaputt, zwei oder dreimal kannst du das auf die Musik schieben und auf dich selbst. Nach dem Motto: ich bin halt so, ich mach halt Musik, ich kann das nicht...Geschwätz! Es ist immer eine Frage von Prioritäten, immer eine Frage, was man will. Ich bin für mich einfach zu dem Punkt gekommen, dass ich einfach genau so bin: Ich brauch diese Nähe, ich bin gerne mit Menschen zusammen, aber nicht zu close, denn dann habe ich irgendwie das Gefühl: es bedrückt mich, ich krieg keine Luft mehr. Das habe ich am Ende dieser Beziehung für mich herausgefunden, dann habe ich ein sehr depressives Album geschrieben und seitdem geht’s mir sehr viel besser (lacht).
Ich empfinde das Album gar nicht so depressiv. Melancholisch würde ich es nennen...
Luca Opifanti: Also, ich habe schon Anrufe bekommen, teilweise auch von Musiker-Kollegen, teilweise sehr alte Freunde, von denen ich sehr, sehr lang nichts gehört hatte, vielleicht auch deshalb, weil es für das Album so wenig Promo gab, weil man eigentlich vorab kaum etwas hören konnte. Es gab einen einzigen Menschen in meinem Umfeld, der das Album vorab gehört hat und das war mein Papa und sonst niemand, keiner meiner Freunde – einfach niemand. Deshalb waren viele Leute auch heiß drauf und dann haben mich viele Leute angesprochen: „Hey Luca, wir haben uns gerade „Goldener Schuss“ durchgehört...tierische Platte, finden wir mega-geil, aber: Müssen wir uns Sorgen machen?“ Irgendwie hat das schon etwas Besorgnis erregt. Das haben viele nicht erwartet, dass so eine Platte kommt...
„Präsidenten“ war ja schon auf dem Debüt vorhanden, allerdings als Unplugged-Version und als Hidden-Track. Nun habt ihr aus dem Song allerdings wesentlich mehr gemacht und ich habe den Eindruck, dass insbesondere dieser Titel für euch sehr wichtig ist.
Luca Opifanti: Sehr wichtig! Ich bin ein sehr politischer Mensch, wir sind eine sehr politische Band, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, aber wir diskutieren da sehr viel drüber, sind immer in regem Austausch, was sehr cool ist. Gerade Henry und ich befinden uns am äußeren linken Ende; ich komme aus besetzten, autonomen Jugendhäusern, da kriegt man das eingeimpft. André und Arne sind vielleicht etwas liberaler in vielen Dingen, aber insgesamt waren wir trotzdem zusammen der Meinung, dass vieles gerade schief läuft und dass sämtliche Menschlichkeit in der Politik gerade verloren geht, weil man da über Sachen diskutiert, die keiner Diskussion würdig sind. Es geht nicht darum, wer rettet jetzt wie viele und wo kommen die unter, wo werden die verteilt, sondern es geht darum, dass da Menschen aus dem Wasser gezogen werden müssen um mir geht dieses Jammern in Deutschland so wahnsinnig auf den Sack!
Jeder Hartz IV-Empfänger, dem es mit Sicherheit auch nicht blendend geht, hat aber so viel mehr als jemand, der auf der Flucht ist und um sein Leben läuft, weil dem einfach sein Haus unterm Arsch weggesprengt wurde, das ist einfach ein Riesenunterschied, das ging mir so auf die Nerven, dass auch keiner kapiert, das uns nichts weggenommen wird, kein Hartz IV-Empfänger bekommt auch nur einen Cent weniger, auch dann nicht, wenn zwei Millionen Flüchtlinge kommen – das ist einfach Quatsch. Da sind sehr viele Menschen einfach so unreflektiert und das ging mir auf den Sack. So Leute wie die von der AfD arbeiten genau mit dieser Unwissenheit, die schüren Angst aufgrund von Unwissenheit und schlechter Information. Da war es uns als Band einfach wichtig, unsere Stimme zu nutzen. Die Macht, die wir haben, das wir sprechen können, denn uns hören mittlerweile einfach viele Leute zu...das bringt in meinen Augen auch eine gewisse Verantwortung mit sich. Deshalb muss man seine Worte mit einem durchdachten, sinnvollen Inhalt füllen.
„Präsidenten“ war auf dem ersten Album schon als Hidden-Track, da haben wir uns auch vielleicht noch nicht so richtig getraut, so richtig laut zu sein mit dem, was wir denken, und klar, mit ´nem gewissen Wachstum, mit ´nem gewissen Selbstbewusstsein, wurde diese Nummer auf das zweite Album eben so laut wie es geht draufgepackt, bei „99 Luftballons“ eigentlich ähnlich...
Wir sind durch ´nen Zufall in die Situation gekommen, uns mit dem Song auseinander zu setzen. Jeder von uns hatte den Songs als nervige, 80er Jahre-Disko-Nummer abgespeichert...
Mit einem durchaus explosiven Text...
Luca Opifanti: Also, ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe mir vorher über den Text von „99 Luftballons“ noch nie Gedanken gemacht. Ich glaube, so geht es ganz vielen in meiner Generation..., die noch Jüngeren kennen ihn wahrscheinlich gar nicht mehr. Dann habe ich den Text gelesen und dachte: krass! Ich habe selten, jetzt, 2019 einen politisch aktuelleren Text gehört als diesen. Ich habe mir gedacht: Ich muss das nochmal neu auflegen und zwar so auflegen, dass es den Jüngeren und auch den Alternative-Rockfans gefällt. Wir hatten den Anspruch, diesem Song etwas den Spaß zu nehmen, diese Pop-Funk-Elemente, das, was niemand mehr hören kann, wegzunehmen und dem Song eine ganz ernsthafte, Monotonie und Melancholie zu geben. Es hat einfach gepasst. Das mit dieser eigenen Strophe war wie ein Impuls und ich habe diese Strophe in zehn Minuten geschrieben, die kam einfach, die war plötzlich einfach da.
Wir haben das dann aufgenommen und wussten anfangs nicht einmal, ob wir das machen dürfen. Wir mussten das ja abklären wegen der Rechte, vor allem, wenn du einen Song veränderst. Das haben wir alles vorab nicht gemacht. Wir haben den Song aufgenommen, haben das dann an NENA geschickt und haben noch am selben Tag das OK von ihr bekommen.
Ich habe euch in meiner Rezension in die Alternative Rock-Ecke geschrieben. Findet ihr euch da passend einsortiert?
Luca Opifanti: Ja, wir sind auf jeden Fall eine Rockband. Da ist nicht mehr viel los mit Popmusik. Ich finde es auch schön, dass wir uns von diesem Straßenköter-Pop verabschiedet haben...
Da wollte ich sowieso nochmal drauf eingehen. Ich fand diesen Begriff für euch tatsächlich total daneben, weil ihr euch mit diesem Label deutlich unter Wert verkauft.
Luca Opifanti: Ich fand den Begriff für das erste Album passend. Aber ich kann das nachvollziehen. Wenn man die Wurzeln dieser Band nicht kennt, denkt man sich: was soll das? Für uns war das so etwas wie an-uns-selbst-erinnern. Wir waren bei einem fetten Major-Label unter Vertrag, mit Pro7-Kampagne und allem Scheißdreck, der dazu gehört, wollten aber einfach unsere eigenen Wurzeln nicht verraten und nicht verlieren, denn wir kommen von der Straße. Wir sind auf der Straße groß geworden. Wir hatten eine Self-Made-EP mit fünf Tracks drauf, die wir auf der Straße 5000 mal verkauft haben. Das muss man erst mal machen! Uns wollte niemand hören, keiner wollte uns spielen lassen, wir waren kilometerweit entfernt von ´nem Album, von ´ner Tour, von sonst was, von ´nem Plattenvertrag, von Menschen, die für uns arbeiten, kilometerweit, also sind wir durch die Straßen getingelt und haben mit Akkordeon und Kontrabass Popmusik gemacht. Das war so ein Starßenköterleben und deshalb auch Starßenköter-Pop und daher kam dieser Begriff.
Vor diesem Hintergrund ist der Begriff einleuchtend, passt aber zur neuen Platte...
Luca Opifanti: ...gar nicht mehr! Wir wollen uns von dem Begriff auch gerade komplett distanzieren. Egal, ob man den Begriff nun werten mag oder nicht, er hat mit dem neuen Album schlichtweg nichts mehr zu tun. Mich nervt es schon tierisch, wenn irgendwelche Veranstalter das neue Foto nehmen, „Goldener Schuss-Tour“ schreiben und dann den Begriff „Straßenköter-Pop“ verwenden.
Steht aber noch auf der ANTIHELD-Homepage...
Luca Opifanti: (entsetzt) Echt? Das ist allerdings scheiße. Das muss ich unbedingt ändern. Danke für die Info!
Ich möchte noch kurz auf den Titel „Gott“ eingehen. Glaubst du an so etwas wie einen Gott?
Luca Opifanti: Die Frage ist sehr gut gestellt: Glaubst du an so etwas wie einen Gott? Ja! Ob ich an Gott glaube? Nein. Ich bezeichne das immer als mein Bauchgefühl, nach dem ich sehr kompromisslos lebe. Es gibt sehr viele Situationen in meinem Leben, wo ich mich entscheiden muss, zwischen irgendwelchen Dingen, wie jeder andere auch und ich bin niemand, der lange nachdenkt, sondern bin schon seit jungen Jahren sehr impulsiv, aus mir selbst heraus und bin damit noch nie auf die Schnauze geflogen. Deshalb glaube ich auf jeden Fall an so etwas wie einen Gott. Ob das ich selber bin, ob das mein Umfeld ist, ob das irgendeine höhere Macht ist, die mich lenkt – keine Ahnung. Ich hasse die Kirche, abgrundtief, weil so viel Scheiße passiert, bin selbst aber immer noch Mitglied in der Kirche und zahle meine Kirchensteuern...
Warum?
Luca Opifanti: Weil ich selbst gelernter Heilerziehungspfleger bin, ursprünglich, bevor ich Musiker wurde und 90% meiner Azubi-Kollegen jetzt in Stiftungen wie der Caritas, der Diakonie arbeiten, die alle kirchlich finanziert werden. Wenn wir unsere Kirchensteuern nicht mehr bezahlen, trifft es leider die Falschen. Weil es die Altenheime und die Behindertenwohnheime, die Pflegestationen sind, die als erstes gestrichen werden. Die Pfaffen in ihren Kardinalsroben haben ihre goldenen Badewannen so oder so. Und die werden sie immer haben. Sie kürzen das Geld an den falschen Stellen, wenn die Kohle fehlt. Deshalb bestrafen wir die Falschen, wenn wir nicht bezahlen – das ist die Crux an der Sache. Trotzdem ist es Zeit für eine Revolution. Ich bin zwar nicht der Typ, der das anzetteln wird, aber wenn ich einen Denkanstoß geben kann, freut es mich.
Aber worum es in dem Song „Gott“ geht: Ich habe das bisher immer gesagt und alle denken, ich würde sie verarschen. Es ist mein persönlicher Lieblingssong und ich habe keine Ahnung, worum es in diesem Song geht. Ich saß bei meiner Ex-Freundin auf dem Sofa, sie war arbeiten und ich saß da, hatte ihre zwei Katzen auf dem Schoß und habe mich nach einer langen Zeit selber in einer Art Trance erwischt. Ich war total abwesend. Ich saß auf diesem Sofa, habe diese blöden Katzen gestreichelt, hab´irgendwo hingeglotzt und plötzlich, keine Ahnung warum, hatte ich das Gefühl: ich muss jetzt ´nen Song schreiben. Dann habe ich aus heiterem Himmel dieses Lied geschrieben und ich habe keine Ahnung, warum.
Kommen wir zum Abschluss unseres Gesprächs zu meiner Spezialfrage, die ich allen meinen Interviewpartnern stelle: Welche Frage ist dir noch nie gestellt worden, die du aber immer schon gerne beantwortet hättest?
Luca Opifanti: Das ist echt schwierig! Was mich im Allgemeinen immer sehr freut, ist so etwas wie deine letzte Frage mit Gott. So etwas freut mich sehr, weil ich dann weiß, dass sich mein Gegenüber auch tatsächlich mit der Mucke auseinandergesetzt hat. Ich glaube, dass vielen Menschen so eine Thematik wie Gott, der Song bzw. die Thematik an sich zu groß sind – da will man gar nicht drüber reden, denn das kann jeden Rahmen sprengen. Ich bin mir auch sicher, dass wir uns mit ´ner Kiste Bier ´nen ganzen Abend hinsetzen könnten und über alle möglichen Dinge diskutieren könnten. Deshalb finde ich so etwas wahnsinnig spannend. Gerade auch so eine ernsthafte und bittere Thematik wie die Kirche, da würde ich gerne mal drüber reden. Da hätte ich einige Dinge, die ich gerne mal loswerden würde. Aber diese eine Frage...
Bist du eigentlich Fußballfan?
Luca Opifanti: Gerade habe ich noch daran gedacht! Nie fragt mich jemand nach Fußball!
Klar! „Gibt niemals wem die 10“...
Luca Opifanti: Sehr schön! Endlich hat es jemand verstanden! Ich hatte schon Situationen, wo Leute zu mir gesagt haben: Luca, zieh mal deine Socken aus...ich dachte: warum? Zieh mal deine Socken aus, ich will wissen, ob ich diese Zehen überhaupt haben will! Ich dann so: Bist du bescheuert? Es geht hier um die Rückennummer! Um den Spielmacher – aber so etwas verstehen ganz viele Leute einfach nicht. Und ja – ich bin Fußballfan: durch und durch Borusse.
Da gibt es ja durchaus mehrere...
Luca Opifanti: Die schwarz-gelben! Ich hatte eine nicht gerade coole Kindheit deswegen, denn alle in meinem Alter waren Bayern oder VfB-Fan. Damals war der VfB richtig gut, Meisterschaft, Champion-League und meine Borussen haben ja während meiner kompletten Kindheit ums Überleben gekämpft. Insolvenz, das alles war ganz schlimm. Ich habe bis heute noch einen Deal mit meinem Papa, den ich sehr süß finde, denn ich bekomme seit mittlerweile bestimmt zwanzig Jahren zu meinem Geburtstag im September das aktuelle BVB-Trikot. Er fragt mich immer vor jedem Geburtstag: Willst du das Heim-, Auswärts-, oder Champions-League-Trikot, dann darf ich mir eins aussuchen und deshalb habe ich bestimmt 20 BVB—Trikots zu Hause hängen. In Dortmund habe ich auch auf der ersten Tour im BVB-Trikot gespielt. Da habe ich mir extra eins machen lassen mit 0711 und ANTIHELD hinten drauf und es war tatsächlich der Tag des Derbys gegen Schalke mit dem 4:4. Das war meine erste Show in Dortmund – im BVB-Trikot. Das werde ich nie vergessen!
Luca, vielen Dank für dieses Gespräch!
ANTIHELD - Das Bett, Frankfurt, Konzertbericht