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O. USCHMANN: Mit Bitte um Verbreitung - aus dem Alltag eines Musikjournalisten 1
Sie werden immer ehrlicher…
Das Hotelbett kenne ich schon vom letzten Interview. Um ehrlich zu sein dachte ich beim ersten Mal, es handele sich um das Möbelstück eines Edelbordells, denn Fat Mike von NOFX ist bekanntlich alles zuzutrauen. Aber nein, dieses Bett mit dem absurd hohen Kopfteil, auf dem er auch in diesem Januar wieder sitzt, es gehört zu seinem Haus in Las Vegas. Er hat sich eingemietet in der Stadt der glitzernden Lichter, da es lange dauert, der Welt womöglich größtes Punkrock-Museum aufzubauen. Bislang kannte ich nur das Bett, aber dieses Mal haben wir in den Zoom-Fenstern einen dermaßen intensiven Austausch, dass er irgendwann aufsteht – den Laptop als meine Augen in seiner Hand – und mir die ganze Villa zeigt, inklusive seiner… doch dazu später.
Mein Name ist Oliver Uschmann, in der Branche aktiv seit fast einem Vierteljahrhundert, vom Fanzine bis zur Chefredaktion, von lebenden und verstorbenen Printmagazinen bis zum Verfassen beseelter Bandbiografien für Künstler, von denen ich besonders viel halte. Hauptberuflich Schriftsteller, schwirrt mir seit Jahren ein Buch mit Erinnerungen und Anekdoten aus der Musikwelt im Kopf herum, Insider-Einblicke, ungewöhnliche Perspektiven und ein Hauch von Gonzo-Journalismus. Ich würde es entlang einer Phrase hilfloser Pressemitteilungen „Mit Bitte um Verbreitung“ nennen, doch da es dauern kann, bis es entsteht, erzähle ich aus meinem musikjournalistischen Leben einfach schonmal hier, bei Musikreviews, wo ein Autor alle Freiheiten der Welt hat.
Fat Mike jedenfalls, er war immer entwaffnend direkt. Schon bei unserer ersten Begegnung Anfang der Nullerjahre in der Fabrik zu Coesfeld trug er seine Passion für Fetisch und SM-Spielchen vor sich her, damals noch ausgelebt mit einer anderen Ehefrau. Heute zeigt er mir durch die Kamera seines Rechners in der Villa von Las Vegas die begehbaren Kleiderschränke voller bunter Kostüme, Peitschen, Masken und Fesselwaren. „Echtes Glück“, das betont er gerne, empfinde er neben dem Spielen auf der Bühne vor allem dann, wenn er gut in Gummi verpackt in einem Käfig liege, während… okay, ich berichte nicht weiter, die Zeiten sind sensibel und der Phantasie des Publikums keine Grenzen gesetzt. Viel beeindruckender ist an diesem Abend im Januar auch eher, wie emotional er wird, als wir auf den 2012 verstorbenen Tony Sly zu sprechen kommen, Sänger und Gitarrist von No Use For A Name und ganz sicher einer der besten Songwriter, die der melodische Punkrock je gesehen hat, ach, den die Geschichte überhaupt je geschenkt bekam. Würde ich wie der Rolling Stone ständig Listen machen, wäre er unter den Top 500-Songschreibern aller Epochen dabei. Sein „12 Song Program“ ist für Mike eines der zwei, drei wichtigsten Alben seines Lebens und „ich kann es nicht mehr anhören“, wie er mit erzählt, während ihm die Tränen kommen, vollkommen echte Tränen. „Tony war nicht für die größere Bühne geschaffen“, sagt er, ein „Introvertierter“, dem der Erfolg nicht geheuer war. Sein Tod durch einen mörderischen Cocktail aus Schmerzmitteln und Angstlöser hat das unterstrichen.
War Mike Burkett immer schon so ehrlich, erlebe ich in den letzten zwei, drei Jahren allerdings bei zunehmend vielen Musikern, wie sie sich im Gespräch auf eine Weise öffnen, die abseits von PR-Gewäsch liegt. Da schwärmt Jacoby Shaddix von Papa Roach von der Kraft der Gegenwärtigkeit und dem Loslassen des Egos, als lese und höre er tagtäglich die Lehren von Eckhart Tolle… was er sogar macht. In eine ähnliche Kerbe, weit umfangreicher und allumfassender, schlägt vor wenigen Tagen Dez Fafara von DevilDriver, von dem ich beim Gespräch allenfalls die Nasenspitze sehe, da er das Handy flach vor das Gesicht hält und „eigentlich nur Audio“ möchte. Seine sozialen sowie viele andere Ängste breitet er auf den beiden Alben „Dealing With Demons“ aus. Wie er mir voller Enthusiasmus und sehr konkreten Beispielen von einem Leben berichtet, in dem man abseits der Bühne „den Ego-Anzug ablegt“ und aufrichtig dankbar ist für seine Frau, seine Kinder und seine „sechs Katzen“, das will der ein oder andere Metaller womöglich auch nicht lesen. Ebensowenig wie der ein oder andere heutige Linke, dass Frank Vohwinkel von Betontod der Auffassung ist, dass „nur, weil der Falsche das Richtige sagt“, es „nicht weniger richtig“ sei und die Protestierenden der Corona-Jahre „im Nachhinein“ eben mit vielem richtig lagen und er den Punkrock nicht mehr wiedererkenne, der sich „nicht länger traue, gegen den Staat zu sein".
Was ich hier nur anreiße, das stand oder steht noch in Gänze in der Rock Hard, für die in dieser Kolumne hoffentlich der Hinweis erlaubt ist, da sie ja mein begleitendes Notizbuch darstellt, die „Making-of“-Spur meiner journalistischen Lebens-DVD. Aber keine Sorge, sie wird wahrlich nicht immer dem Querverweis dienen, oh nein, es wird hier auch gepflegte Rants geben und einige klare Worte über die Industrie und das Dasein als Freiberufler, die sonst nirgendwo fallen.
In diesem Sinne freue ich mich darüber, wenn die gute Kunde dieser neuen Kolumne weitergetragen wird und schaue mal, wie unzensiert heute Abend die alten Punkrockrecken Bubonix sprechen werden…