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The Magic Lantern: To Everything A Season (Review)

Artist:

The Magic Lantern

The Magic Lantern: To Everything A Season
Album:

To Everything A Season

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Folk, Piano-Pop, Singer-Songwriter, Chamber-Pop, Folk-Jazz, Neoklassik

Label: La Buissonne/Bandcamp
Spieldauer: 44:26
Erschienen: 11.10.2024
Website: [Link]

„Meine Lieder waren immer weitgehend autobiografisch - schreibe, was du weißt, was du sagst! Und anfangs habe ich sie hauptsächlich geschrieben, um sie aufzuführen. Sie fühlten sich an, als würden sie nur in dem Moment existieren, in dem sie geteilt wurden, meist live, an Küchentischen, auf Partys, kleinen Festivalbühnen und in den Hinterzimmern diverser Pubs in Großbritannien. In diesem äußerst sozialen musikalischen Umfeld hatte ich das Gefühl, für andere Leute zu schreiben, wobei das Ausgangsmaterial zufällig von mir stammte. Als ich als Songwriter gewachsen bin, habe ich erkannt, wie viel davon eine Einbildung war, dass ich die ganze Zeit für mich selbst geschrieben habe, aber das Teilen war ein rechtfertigender Akt, eine Art, mir selbst die Erlaubnis zu erteilen, all diese Zeit in einem Raum allein mit der Gitarre zu verbringen. Ich schreibe Songs, die mir helfen, die Welt und meinen Platz darin zu verstehen. Der Prozess ist konfrontierend und aufschlussreich. Ich teile meine Lieder jetzt mit anderen und tue mein Bestes, um davon zu leben, denn ich weiß, dass das Schreiben von Liedern eine starke soziale Funktion hat. Das Schreiben von Liedern hilft mir, und wenn sie funktionieren, helfen sie auch anderen Menschen."


Wow! Ein klüger reflektierendes, ernsthafteres und zugleich demütigeres Statement eines Singer-Songwriters ist kaum vorstellbar. Das Zitat stammt von Jamie Doe, der seit Jahren unter dem Moniker THE MAGIC LANTERN Musik macht - und es tatsächlich schafft, mit seinen Liedern, dem Bandprojekt-Namen und der eigenen Philosophie entsprechend, den Hörer geradezu magisch zu berühren. "To Everything A Season", das neue Album des in Australien geborenen Briten, ist jedenfalls eine der zauberhaftesten Folk-Platten dieses Jahres. Und man kann nur hoffen, dass dieses über das französische Studio/Mini-Label La Buissonne und via Bandcamp veröffentlichte Werk seinen Weg zu möglichst vielen Fans findet.

Denn viele für pure melodische Schönheit empfängliche Abnehmer verdient dieses Indie-Kleinod, das Doe aka THE MAGIC LANTERN jetzt de facto im Eigenvertrieb vorlegt - passenderweise im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, die Blätter fallen und die allgemeine Stimmung Richtung Schwermut driftet. Die zehn Lieder des Londoners müssen den Vergleich mit ähnlich gelagerten Alias-Projekten wie Villagers (der Ire Conor O'Brien) oder Iron & Wine (der US-Amerikaner Sam Beam) jedenfalls nicht scheuen.


Es ist also hauchfeiner Spitzen-Stoff, an dem THE MAGIC LANTERN nach "To The Islands" (2018) und "A Reckoning Bell" (2021) ein weiteres Mal auf Albumlänge weben. Mit einigen wenigen hervorragenden Musikern an der Seite - Piano, Bass, Schlagzeug, drei Bläser, mehr braucht es nicht für diese zeitgemäße Chamber Music - spielte Doe Anfang August 2023 in den La Buissonne Studios Songs ein, die einerseits mit jazziger Raffinesse  und kompositorischer Klasse beeindrucken (Anspieltipps: der Opener "Trembling", das frei schwebende "Data Points"), andererseits mit ihrer jederzeit spürbaren Melancholie wohlig ans Herz gehen (etwa das Liebeslied "Two In One" oder "Joy Is A Choice").

Ein Schlüssel-Track im Sinne des eingangs postulierten autobiographischen Songwritings ist "Loops", das vorab als Single ausgekoppelt wurde. Dies sei "der ehrlichste und persönlichste Song, den ich geschrieben habe", sagt Jamie Doe im "Musikreviews"-Interview. "Er ist das emotionale Herzstück des Albums und beschreibt das zentrale Ereignis, das die Platte inspiriert hat: die intensive und surreale Erfahrung, als ich meine kleine Tochter zu meinem sterbenden Vater in ein Pflegeheim für Demenzkranke brachte, als sie drei Wochen alt war - wie er mich zu seinem sterbenden Vater gebracht hatte, als ich drei Wochen alt war. Bei diesem kathartischen Treffen schloss sich ein Kreis, aber ich spürte, wie sich ein anderer Kreis öffnete. Ich schrieb es, während ich meine winzige neugeborene Tochter in der Armbeuge hielt und mit der anderen Klavier spielte, weshalb der Teil auch so einfach ist."


Auch "Sweetheart" ist diesem privaten Themenkreis zuzuordnen - für Jamie Doe "der ruhigste und erschütterndste Track auf dem Album, in gewisser Weise sogar noch mehr als ‚Loops‘. Als ich es schrieb, wusste ich, dass es nur mit Stimme und Klavier aufgenommen werden musste, jede andere Instrumentierung würde ablenken. Der Song beschreibt eines der schwierigsten Gespräche, die ich je mit meiner Frau geführt habe: Sollte ich wie mein Vater an Demenz erkranken, würde ich lieber sterben, als ihr das anzutun, was wir gerade mit ihm durchgemacht haben. (...) Letztlich ist es ein Liebeslied der reinsten, realsten und schockierendsten Art. Liebe, die sich der Realität stellt. Ich bin sehr stolz darauf." Mit Recht.

Jamie Doe hat sich auf dem neuen Album seines Projekts THE MAGIC LANTERN so ehrlich gemacht, wie es gerade noch geht, ohne sich selbst und den Hörer mit allzu offenherziger Intimität zu überfordern. Beispiel "Two In One" - dem Songwriter zufolge ein Liebeslied für seine Frau Rhia. "Es konfrontiert uns mit der überwältigenden Realität, wie unwahrscheinlich es ist, dass wir die richtige Person zur richtigen Zeit treffen." 


Hingegen fällt "Data Points" aus dem autobiographischen Rahmen. Dieses Lied "sticht thematisch auf diesem Album hervor, da es der einzige Song ist, der sich direkt von der Welt inspirieren lässt und nicht von meiner Familie. (..) Es ist eine Art Protestsong gegen den überwältigenden Einfluss, den eine Handvoll sozialer Medien und Tech-Unternehmen auf unser Leben haben, und ihre zutiefst schädliche Wirkung auf die Gesellschaft und unser Selbstwertgefühl. Ich stellte mir vor, wie Hunderte von Menschen bei Auftritten den Refrain singen: Ich bin kein Datenpunkt und ich bin nicht käuflich!" Nette Idee.

Wer nun befürchtet, dass diese Platte den Hörer dann doch peinlich berühren, runterziehen oder aber kalt lassen könnte - es wird nicht passieren. Die Arrangements sind zu keiner Sekunde kitschig oder überladen, sondern wie durch ein Wunder federleicht und "uplifting" (na klar, der Vergleich mit Nick Drake kommt einem in den Sinn). Und Jamie Does zugängliche, variable Stimme trägt perfekt durch die fabelhafte Studioproduktion von Bassist und ECM-Künstler Fred Thomas, dem treuesten musikalischen Begleiter des Australo-Engländers.


FAZIT: "Es gibt Momente im Leben, auf die wir uns nicht vorbereiten können", sagt Jamie Doe aka THE MAGIC LANTERN über die sehr private Vorgeschichte seines dritten Albums. Ja, und es gibt Platten, auf die man sich nicht vorbereiten kann, weil sie auf einmal ganz unverhofft da sind und die Welt zu einem etwas schöneren Ort machen. "To Everything A Season" ist so eine Platte. Zwischen Folk, Jazz, Piano-Pop und moderner Klassik hat Doe - dem Bandprojekt-Namen angemessen - etwas Magisches erschaffen. Ein sehr besonderes Kleinod meisterhaft melancholischer Singer-Songwriter-Musik, eine der bezauberndsten Platten des Genres in diesem Jahr.


Werner Herpell (Info) (Review 562x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 13 von 15 Punkten [?]
13 Punkte
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Tracklist:
  • Trembling
  • Two In One
  • Loops
  • Hear Me
  • Data Points
  • Love's A Tailor
  • Home
  • Sweetheart
  • Joy Is A Choice
  • Epilogue

Besetzung:

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