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Nick Cave & The Bad Seeds: Wild God (Review)

Artist:

Nick Cave & The Bad Seeds

Nick Cave & The Bad Seeds: Wild God
Album:

Wild God

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Indie-Rock, Balladen-Pop, Art-Rock, Gospel, Alternative-Rock, Singer/Songwriter

Label: Bad Seed Limited/Play It Again Sam (PIAS)
Spieldauer: 44:46
Erschienen: 30.08.2024
Website: [Link]

Es begab sich, da sprach Susie Bick, die Gattin des großen Barden NICK CAVE, vor einem seiner Interviews weise Worte: "Darling, du hast jetzt ein neues Album gemacht, das sich bitte gut verkaufen soll. Also, sprich über das Album, über Rock 'n' Roll - nicht über Religion." 

Hat dann nur so mittel geklappt. 

Denn, wie schon der "Musikexpress"-Journalist André Boße daraufhin völlig zu Recht anmerkt: "Dann darfst du das Album aber nicht 'Wild God' nennen." (Und, so möchte man ergänzen, man sollte dann keine moderne Gospel-Platte vorlegen, in der fast jeder Song irgendeine "Oh Lord!"-Anrufung enthält.) Der Sänger hört anschließend daher auch gar nicht mehr auf damit, "über Religion" zu sprechen. Letztendlich ist das neue Meisterstück von NICK CAVE & THE BAD SEEDS sogar die bisher wohl intensivste Auseinandersetzung des in England lebenden Australiers mit Gott und der Welt.


"Dieser wilde Gott befindet sich in einem Zustand der Not", befindet CAVE. "Er hat etwas verloren, das er unbedingt zurückhaben will. Er sucht nach jemandem, der noch an ihn glaubt." Ob er selbst dieser noch an Gott Glaubende ist, lässt NICK CAVE in dem Interview offen. Andernorts definiert er sich aber interessanterweise als "erloschenen Atheisten", was auf einen irgendwann gefundenen religiösen Glauben hinauslaufen könnte. Und auch vom sonntäglichen Kirchgang erzählt er ja mittlerweile recht freimütig.

Mit dem Prinzip der andauernden Sinnsuche kann dieser fabelhafte Singer-Songwriter also definitiv viel anfangen, und das schon lange. Ob als strubbeliger Avantgarde-Punk mit The Birthday Party während der wilden 80er  in West-Berlin, als unnahbarer, latent drogengefährdeter Indie-Rocker und Mörderballaden-Crooner mit den BAD SEEDS in den 90ern, als unangepasster Liebling der Feuilletons mit seinen Büchern, Band-, Solo-, Projekt- und Soundtrack-Arbeiten seit den Nuller-Jahren, als zugewandter Menschenfischer in ekstatischen Konzerten - NICK CAVE war stets ein hochkomplexer Künstler mit enormem Tiefgang und Forscherdrang, unkompliziert oder gar leichtgewichtig ist er nicht zu haben.


Nach dem Unfalltod seines Sohnes Arthur verarbeitete CAVE die unermessliche Trauer in zwei Alben mit reduzierten BAD SEEDS (das großartig elegische "Skeleton Tree" von 2016, das leider arg kitschnahe "Ghosteen" von 2019) und begeisterte 2021 mit der Duo-Platte "Carnage" an der Seite seines treuen musikalischen BAD SEEDS-Gefährten und Freundes Warren Ellis. Nun also "Wild God" - eine Platte, zu der NICK CAVE ungewöhnlich viele ausführliche Pressegespräche führte (von denen ich neben dem erwähnten Boße-Wortlautinterview im September-"Musikexpress" auch das von Patrick Grossmann im neuen "Galore" empfehlen kann). 

Bei diesen Gelegenheiten ging es ganz viel um die ausgefeilten, vor Bibel- und Literatur-Einflüssen nur so strotzenden Texte (siehe oben) - aber auch um die zehn wunderbaren neuen Cave/Ellis-Kompositionen. Als "Tritt-in-den-Hintern-Platte" (so die Einschätzung von André Boße) möchte NICK CAVE "Wild God" zwar nicht verstanden wissen - aber es fällt doch auf, dass dies endlich mal wieder ein echtes Band-Album ist. "Was ich wollte, war, die BAD SEEDS zu beschäftigen", sagt CAVE. "Ich wollte, dass es der Band gut geht", denn ihre Position sei zuletzt immer schwächer geworden, beispielhaft hörbar in der Position von Schlagzeuger Thomas Wydler.


Die Arrangements sind nun deutlich muskulöser geraten, Chor- und Orchester-Parts geben den Liedern ein feierliches Gepränge, und die berühmten Bariton-Vocals des bald 67-jährigen NICK CAVE sind so bezwingend wie selten zuvor. Kurz: "Wild God" ist ein überragend komponiertes, produziertes und performtes Album.


Der Opener "Song Of The Lake" bezaubert sogleich dank einer zum Niederknien schönen, opulenten Melodie, die NICK CAVE mit seiner typischen Art von sonorem Sprechgesang krönt: "Oh Lord, never mind, never mind". Das Titelstück "Wild God" bringt zu markanten Piano-Klängen die weiter oben bereits erwähnte, ratlos suchende Gottheit ins Spiel, zitiert ganz nebenbei "Jubilee Street", einen der besten CAVE-Songs überhaupt - und explodiert schließlich in einem gewaltigen Gospel-Finale, das jedes Kirchendach abheben lassen würde.


Weitere Album-Highlights sind die vorab veröffentlichten Tracks "Frogs" (mit prächtigen Waldhörnern) und "Long Dark Night". Im gut sechsminütigen "Joy" gibt NICK CAVE erneut den Spoken-Word-Moritatenerzähler - ausgehend von einem Blues-Motiv ("I woke up this morning with the blues all around my head, I felt like someone in my family was dead") macht der Sänger klar, dass nach all der Trauer und Schwermut irgendwann auch mal wieder pure Freude erlaubt ist. So ergreifend wie befreiend. Beinahe wäre das programmatische "Joy" sogar zum Titel des neuen Albums geworden, sagt CAVE.


"Final Rescue Attempt", "Cinnamon Horses" und "Conversion" sind anschließend musikalisch recht zugänglich, aber textlich kaum weniger gedankenschwer. Der poppigste Song kommt kurz vor Schluss, und man staunt: Ja, bei NICK CAVE & THE BAD SEEDS klingt sogar Autotune gut. Inhaltlich ist "O Wow O Wow (How Wonderful She Is)" freilich ein liebevoller Nachruf - auf die 2021 gestorbene Ex-Freundin und Birthday-Party-Kollegin Anita Lane, deren Tonband-Stimme in dem Lied auch zu hören ist.


Mit dem nur rund zweiminütigen "As The Waters Cover The Sea" geht ein Album zu Ende, das trotz all der grandiosen Vorgänger wie ein neues Monument in der Diskographie von NICK CAVE steht. "Meine Frau Susie sitzt am Fenster, ist in ihrem Stuhl eingeschlafen. Ist das nicht der größte Moment, über den man schreiben kann?", fragt der Singer-Songwriter im "Musikexpress"-Interview. "Es sind die kleinem Handlungen, die das gesamte Universum enthalten. Im Kleinsten liegt das Allergrößte." 

Da ist er wieder, der große Philosoph und Sinnsucher des Rock 'n' Roll. Lang lebe NICK CAVE.


FAZIT: Seit der Gründung seiner vielfach umbesetzten Begleit-Combo THE BAD SEEDS vor rund 40 Jahren hat NICK CAVE es immer wieder geschafft, ihren Sound zu erweitern. "Wild God" sei "keine Ausnahme von dieser kreativen Entwicklung der Band, die auf den zehn Songs den düsteren Vorhang ein wenig zurückzieht und etwas Licht hereinlässt", resümmiert das Label PIAS. Korrekt. Das Album sei "a complicated record, but it’s also deeply and joyously infectious", meint CAVE selbst und fügt hinzu: "There’s no fucking around with this record. When it hits, it hits. It lifts you. It moves you." Auch richtig. Zusammengefasst: "Wild God" ist ein weiterer Geniestreich von NICK CAVE & THE BAD SEEDS, vielleicht das erste "Alterswerk" als Ü60-Band - und was für eines.

Werner Herpell (Info) (Review 4024x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Song Of The Lake
  • Wild God
  • Frogs
  • Joy
  • Final Recue Attempt
  • Conversion
  • Cinnamon Horses
  • Long Dark Night
  • O Wow O Wow (How Wonderful She Is)
  • As The Waters Cover The Sea

Besetzung:

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Interviews:
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