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Lles: Lost Times (Review)

Artist:

Lles

Lles: Lost Times
Album:

Lost Times

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Deutscher Indi-Rock, Singer/Songwriter, Alternative-Ost-Pop

Label: Listen Records
Spieldauer: 40:08
Erschienen: 08.11.2024
Website: [Link]

„Das neue Musik-Projekt von Christoph Sell und zeitgleich sein popkultureller Neuanfang. Christoph war über zehn Jahre Gitarrist/Sänger und Songwriter der Band FEINE SAHNE FISCHFILET, bis er und die Band vor zwei Jahren ihre Trennung bekannt gaben. Er schrieb Songs wie 'Komplett im Arsch', die sich im Laufe der Zeit im deutschsprachigen Raum zu Hits seiner Generation entwickelten und von Zehntausenden in Hallen und auf Festivals gesungen wurden. Die Trennung von der Band, die ihn seit seiner Jugend prägte, stellte sein Leben auf den Kopf […] Rastlos und unbeirrt nach dem „Clash“ ist er nun oft unterwegs zwischen Deutschland und den USA, wo er Inspiration in einer ganz anderen Umgebung findet: In der Hafenstadt Baltimore, die sich für ihn inzwischen wie ein zweites Zuhause anfühlt. Das erste Zuhause weiterhin irgendwo zwischen Leipzig und der Ostsee […] Das Ergebnis ist die persönlichste Musik, die er bisher geschrieben hat und die sich u.a. mit jenen Jahren auseinandersetzt, in denen sich für ihn so viel veränderte.“ (Auszug aus der LLES-Homepage)


Viele werden im ersten Moment sofort aufhorchen, wenn sie erfahren, dass sich hinter LLES Christoph Sell, der mitunter gerne linksradikale Ansichten teilenden und auch mal zum Draufhauen aufrufenden Band FEINE SAHNE FISCHFILET verbirgt, die mit ihren Kritikern nicht gerade zimperlich umgeht, sodass derjenige, der diese Review für LLES verfasste (und sich als Magdeburger gerade die unerträglichen Bilder des gestrigen Attentats eines Mannes aus Saudi Arabien auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt anschauen muss...), auch schon die Ehre hatte, sich mit im Netz verbreiteten Morddrohungen seitens deren Fans auseinandersetzen zu müssen (Worüber es zum Glück auch einen Zeitungsartikel vom 5. August 2013 in der 'Sächsischen Zeitung' gibt, sodass diese Aussage jederzeit belegbar ist!), aber diese im Gegensatz zu einem 'Schwachkopf professionell' nie zur Anzeige brachte. Wie sehr sich doch seitdem die Zeiten geändert haben und aus anscheinend stabilen Demokratien immer stärker einschüchternde Diktaturen entstehen, die als erstes die Meinungs- und dann die komplette Freiheit vernichten und hinter Brand- sowie echten Mauern einsperren. Daher kann man einen Christoph Sell nur beglückwünschen, dass sein (musikalischer wie kulinarischer) Geschmack nicht mehr auf in fein eingelegtes, aber trotzdem extrem vergiftetes Fischfilet steht. Und „Lost In Times“, sein Debüt-Album, das trotz des irreführenden Titels ausschließlich deutschsprachige Songs enthält, ist ein hervorragender Beweis für Sells positive moralische wie musikalische Entwicklung. Oder um es mit den Worten seines Album-Openers „Clash“ auszudrücken: „Ich umarme unsere Menschlichkeit / Meine Schwächen und das Scheitern im Streit / Ich hab zu oft die Freiheit riskiert / Für die Wut und so viele Ideen / Sie kamen am Morgen und brachen bei mir ein / Zittern, Stottern, Angstschweiß / Sag mir doch, was Zuhause eigentlich heißt“.


Sofort gewinnt der Hörer den Eindruck, dass Christoph Sell sich deutlich an den elektronischeren Klängen orientiert, dabei aber nach wie vor auf die Gitarre und seine Stimme setzt. Erinnerungen kommen auf, besonders an KLEZ.E oder PHILLIP BOA und dessen VOODOOCLUB. Stampfende Rhythmen, die eindringlich zum Zuhören zwingen, einem mitunter die Inhalte der Songs wie Dampframmen in die Ohren hämmern, wenn es gleich im nächsten Song „Mein Kummer ist anders“ heißt: „Ich will nicht mehr funktionieren... Ich werd' die Welt wohl nie verstehen... Ich werde mit den Hunden gehen... Mein Kummer ist anders“.
Hier ist jemand tatsächlich auf der Suche nach seinem eigenen Ich und irgendwie auch nach seinem inneren Frieden. Und wir als Hörer – wenn wir wirklich noch zuhören können – dürfen ihm dabei folgen, selbst wenn man nicht seine Ansichten uneingeschränkt teilen möchte, weil Sell eben nicht im Sinne der PUHDYS ein „Lied für Generationen“, sondern nur das seiner eigenen Generation singt.


Aber LLES kann auch anders.
Knallhart, allerdings textlich doch recht schwer zu deutende Antikriegssongs oder gar auf seltsame Weise sich mit mörderischem Rechtsradikalismus (Ja, der Linksradikalismus oder Islamismus oder von Ausländern ausgehende Radikalismus wird leider mal wieder ausgespart!) auseinandersetztende Songs gibt es auf „Lost Times“ zu entdecken, sodass die Deutung des Albumtitels nicht schwer fällt. Und ob es ein Ausdruck von gutem oder schlechtem Geschmack ist, wenn man in „Ich lerne ihre Namen“ alle Namen der beim Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 getöteten Menschen singt, muss jeder für sich selber entscheiden. Sell jedenfalls hat seine Entscheidung getroffen, während der Kritiker in diesem so einseitig ausgerichteten Statement für einen Moment sofort an den in Mannheim getöteten Polizisten Rouven Laur (Hoffentlich lernt Christoph Sell auch dessen Namen!) oder die Todesopfer auf dem Weihnachtsmarkt seiner Heimatstadt denkt und bedauert, dass wir es einfach noch immer nicht schaffen, uns mit einem Rundumblick allen Opfern extremistischer Straftaten zuzuwenden – auch in der Kunst und der Musik!


So hinterlässt „Lost Times“ durchaus zwiespältige Gefühle, was die ambitionierten und zugleich streitbaren Texte ebenso wie die Musik betrifft, die vordergründig auf moderne Beats und mitunter etwas blechern ausfallende Schlagzeugklänge, jede Menge Electronics, aber auch klassisches Rockinstrumentarium sowie manchmal gar auf ein Flügelhorn setzt, wobei einem dann doch des Öfteren die ursprünglichen FEINE SAHNE FISCHFILET in den Sinn kommen, denen Christoph Sell bis dahin seine Ideen und Gitarre verlieh, bis er dieser Band oder diese Band ihm überdrüssig wurde.
So jedenfalls darf sich Sell nunmehr als LLES ganz und gar seiner 'Alternative-Ost-Pop', wie er seine Musik selber bezeichnet, hingeben.


Doch eigentlich klingt die anders, wenn man einfach seinen Blick in Richtung 'echten Ost-Pops' schärft, der eben in der DDR seinen Anfang nahm und solche gigantischen Namen wie SILLY oder KEIMZEIT oder LIFT und CITY hervorbrachte.
Wobei: Unglaublich, aber wirklich wahr ist die Tatsache, dass bewusst oder unbewusst Christoph Sell seinen beeindruckenden Gesang in vielen Songs tatsächlich so intoniert, dass sich dem 'verbotenen DDR-Rock geschulten Ohr' Erinnerungen an RENFT in die Gehörgänge fräsen. Ein absoluter Pluspunkt hinter „Lost Times“, denn „Wer die Rose ehrt“, der wird auch mit diesem dornigen LLES-Album durchaus trotz all der modernen Beats (und weit von den RENFT-Texten entfernten Botschaften) seinen Frieden schließen können: „Wir reparieren erstmal dein Herz / Und damit die ganze Welt / Alle meine Freunde und ich.“ („Alle meine Freunde“)


FAZIT: Er war der Gitarrist und Ideengeber von FEINE SAHNE FISCHFILET und ist es glücklicherweise nicht mehr. Diese Feststellung darf man nur zu gerne nach „Lost Times“ von LLES, hinter denen sich Christoph Sell verbirgt, treffen. Sell selber bezeichnet die Musik hinter diesem zwar englisch betitelten, aber ausschließlich deutsche Songs enthaltenden Album als 'Alternative-Ost-Pop', auch wenn dieser von modernen Beats und mitunter etwas blechern ausfallenden Schlagzeugklängen, jede Menge Electronics, aber auch klassisches Rockinstrumentarium sowie manchmal gar ein Flügelhorn geprägt ist. So kommen einem viel eher KLEZ.E als irgendwelche wenig schmackhaften Fischspeisen aus Mecklenburg-Vorpommern in den Sinn.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 162x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (21:50):
  • Clash (3:33)
  • Mein Kummer ist anders (2:04)
  • Insomnia (3:54)
  • Missing Sunbeams (3:37)
  • Destiny (4:44)
  • Hollywood Queens (3:58)
  • Seite B (18:18):
  • Ich lerne ihre Namen (3:56)
  • Überall ist dein Paris, Jake (3:09)
  • Alle meine Freunde (2:46)
  • November (4:36)
  • Lost Times (3:51)

Besetzung:

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