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Thomas Glönkler: Tiefenland (Review)
Artist: | Thomas Glönkler |
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Album: | Tiefenland |
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Medium: | Do-LP+CD | |
Stil: | Deutschsprachiger Progressive Rock |
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Label: | Weltenblau | |
Spieldauer: | Do-LP – 63:49 / CD – 53:53 | |
Erschienen: | 20.10.2023 | |
Website: | [Link] |
Wer kennt es nicht, dieses immer wieder gern gebrauchte Sprichwort: „Wie der Vater, so der Sohne!“? Viel Weisheit steckt dahinter.
Und wer denkt nicht an Käse, wenn er das Wort 'Hochland' hört?
Was aber passiert, wenn man nach der Umkehrung von beidem sucht:
„Wie der Sohne, so der Vater!“
Und: „Tiefenland“?
Eine wirre Spinnerei – einem verworrenen Geist entsprungen?
Auf keinen Fall. Wer gerne um(die Ecke)denkt und dabei besonders starke progressive Musik mit poetisch-konzeptionellem, deutschsprachigem Tiefgang hört, der landet genau in dem Moment bei „Tieflenand“ von THOMAS GLÖNKLER, dem ehemaligen ICU-Gitarristen, der nach den zwei Solo-Alben „Auszeit“ (2004) und „Goldstadt“ (2010) und nunmehr 13-jähriger Wartezeit „Tiefenland“ folgen lässt.
Und der Sohn?
Ja, den sieht man nicht nur auf dem anspruchsvoll gestalteten LP-Cover, sondern er gab auch den Ausschlag für diese extrem persönlich ausgefallene Doppel-LP. Hier folgte also tatsächlich der Vater seinem Sohn, der das Wort „Tiefenland“ erfand und damit die grundlegende Idee hinter dem Album ins Rollen brachte, wozu mir Glönkler persönlich auf Nachfrage erzählte: „Mein Sohn hat das Wort kreiert und regelmäßig benutzt, als er klein war - und zwar beschrieb er damit den Ort, 'von dem er komme'. Das ging eine ganze Weile so und er erzählte viele geheimnisvolle Geschichten aus 'Tiefenland', die er oft einleitete mit: 'Damals in Tiefenland…'. Das hat mich inspiriert darüber zu schreiben.“
Nun also ist „Tiefenland“ im Hier und Heute und auf unserem Plattenteller angekommen!
„Tiefenland“ klingt also wie ein musikalische Vermächtnis des Vaters für seinen Sohn, der ihm einerseits Mut macht, aber andererseits auch vor den überall lauernden Gefahren warnt – doch immer gilt der Grundsatz, der in dem LP-Doppel-Einleger (Es gibt noch einen weiteren einfachen LP-Einleger voller Fotos in der Doppel-LP zu entdecken!) ganzseitig neben einem weiteren Foto von Glönklers Sohn, der neugierig und verträumt zugleich in der Hocke auf einen Bergfluss blickt, nachzulesen ist: „Nichts ist vorbei – von all den Wundern“.
Und die Voraussetzung dahinter ist der Wunsch und Wille „Frei sein“: „Sei du selbst und / Bleib dabei / Vergiss dich niemals / Atme frei / Es passiert sowieso (so) / Dein Leben will dich frei sehn“.
Zudem ist gerade dieser Song samt schöner Hookline und dem Hang dazu, selbst für's Radio seine Tauglichkeit zu besitzen, der eingängigste des gesamten Albums geworden, von dem eine kürzer editierte Version auch auf der Bonus-CD dieser Doppel-LP zu finden ist. Nur welche Radio-Station besitzt die Freiheit und das Interesse „Frei sein“ in sein Programm aufzunehmen? Noch dazu, wenn der Song zum festen Bestandteil eines Konzept-Albums gehört?
Man spürt dem gesamten Album an, dass sich THOMAS GLÖNKLER, der fast alle Instrumente im Alleingang einspielte und nur beim Gesang auf YOSEMITE RAIN-Sänger Alex Hanafi (der manchmal seine Stimmbänder sogar in Richtung MARILLIONs Steve Hogarth schmieren kann) verlässt, von nichts und niemandem treiben oder drängen ließ. Dieses „Tiefenland“ sollte offensichtlich sein Opus Magnum werden – und egal, ob es nun um die 13 Jahre bis zu dessen Vollendung dauerte, seine Grundsätze waren klar bestimmt und die zieht Glönkler konsequent und fast penibel auf seinem dritten, offensichtlich wichtigsten – weil persönlichsten – Album durch: „Wie entstand Tiefenland? In einem Prozess, der lange Begrabenes sichtbar gemacht hat und währenddem kein Stein auf dem anderen blieb. Ist Tiefenland real? Sind Seelen real? Können Ideen existieren? Wie kann Musik leben? Das alles ist unsichtbar, aber wir spüren, dass es vorhanden ist. Das neue Konzeptalbum versucht dies erlebbar zu machen.“
Und ja: „Tiefenland“ ist zu Glönklers Opus Magnum geworden, in dem alles ineinandergreift: die Musik, das Konzept, die Texte, die Gestaltung, die Leidenschaft und der Mut, unbeirrt die Idee seines Sohnes zum musikalischen Lebenswerk zu entwickeln.
Was fällt einem dazu als Kritiker noch ein?
Viel kommt einem beim Hören von „Tiefenland“ in den Sinn, aber nur, wenn man dem Album ähnlich intensive Aufmerksamkeit schenkt, wie sich Glönkler Zeit nahm, um einen Musik-Stein nach dem anderen umzudrehen, aber nicht um im Sinne von PINK FLOYD damit eine Mauer zu bauen, sondern darunter das versteckte Leben zu entdecken und es unter den Steinen zu befreien. Ist er mit dieser Absicht ein Narr, wie er es im Grunde selber feststellt, wenn er zu beschreiben versucht, wonach „Tiefenland“ aus seiner Sicht klingt und dabei zu dem Ergebnis kommt: „Vielfältig. Rockig, proggy, arty. Der Schall aus dem Garten des Narren. Ein Konzeptalbum mit zeitlosem Klang.“
Da fallen einem noch weitere Adjektive ein, die man auf einem Sticker zur Beschreibung des Musikerlebnisses hinter „Tiefenland“ hätte mit auf die LP-Hülle pappen können: Geheimnisvoll, kindlich, verträumt und verspielt, zerbrechlich und symphonisch zugleich, harmonieverliebt und trotzdem gerne mal vulkanisch ausbrechend, hoffnungsvoll, aber auch bedrohlich. Frei in die Welt blickend, ohne dabei die dort lauernden Gefahren zu übersehen und sich von diesen trotzdem nicht einschüchtern lassend: „Alles ist möglich – Mach dich frei / Auch die dunklen Wolken ziehn vorbei / Es geht vorbei – Ob du lachst oder weinst / Es ist dein Leben – Mach dich frei“.
Und noch etwas ist ungewöhnlich.
Als Kritiker sucht man ja sehr gerne nach passenden Vergleichsgrößen für die Musik, die man gerade bespricht, um dem Leser einen passenden Ansatz zu liefern, ob die Musik auch etwas für ihn sein könnte. Und oft fällt das recht einfach, nicht aber bei „Tiefenland“, obwohl das Album doch ein dermaßen intensives Gefühl beim Hören entwickelt und man an die besonderen Momente denkt, die man bei anderen ganz besonderen Alben ähnlich empfand, was ja eher eine Seltenheit ist – und die Glönkler noch dazu in seinem letzten, eine ganze LP-Seite umfassendem Stück hinter „Schattenland“ zu einem Grande Finale (samt berauschendem Saxofon-Solo) bündelt.
Also wühlte der Kritiker noch einmal tief in seinen Gedanken und seinem Plattenschrank.
Woran erinnert einen nur die Atmosphäre – musikalisch wie textlich und konzeptionell – die „Tiefenland“ vor einem ausbreitet?
Dabei fielen dem Gedanken- und Plattenschrank-Wühler drei seiner wichtigsten (und zwei davon extrem euphorisch besprochenen) Alben in die Hand. Und tatsächlich – sie sind die idealen Vergleichsgrößen für das, was auf „Tiefenland“ passiert.
Als erstes eins der wohl ungewöhnlichsten – und vielleicht gerade darum erfolgreichsten GROBSCHNITT-Alben „Rockpommel's Land“ (1977). Schon immer vom Kritiker bereits zu DDR-Zeiten heiß geliebt und eine Unmenge Geld dafür ausgegeben, ohne es je bereut zu haben.
Dann unbedingt ANYONE'S DAUGHTER „In Blau“, zu dem ihn Ernie auf seiner Reise ins Rockpommel-Land erst geführt hatte und als letztes das ungewöhnlich geheimnis- und anspruchsvolle TRAUMHAUS-Album „Das Geheimnis“, dem man sich einfach nicht entziehen kann.
Einzige Voraussetzung, um die Magie hinter den drei Alben zu spüren: Man muss sich viel Zeit für sie nehmen und diese ausschließlich und ungestört ihnen widmen, dann werden sie einen einfangen und faszinieren. Nun also gehört auch „Tiefenland“ von THOMAS GLÖNKLER mit dazu und macht aus dem unvergesslichen Trio ein garantiert unvergessliches Quartett.
Wer weiß, wann eines Tages ein weiteres so ambitioniertes Album an die Tür der deutsch-progressiven Meisterwerke klopft und um Einlass bittet?
Eine sehr interessante Beigabe der Doppel-LP ist auch die CD „Bonustracks / Demos / Outtakes (2007 – 2018)“ mit insgesamt 31 kurzen Stücken in richtig guter Sound-Qualität, in denen man durch den musikalischen Ideen-Dschungel während des Entstehens von Glönklers „Tiefenland“ wandelt.
Besonders bemerkenswert ist hierbei das Ende, welches in einer elfteiligen isländischen Suite das große Bonus-Finale findet. Eine Form von Kraut- und Rüben-Rock voller atmosphärischem Tief(enland)gang, der einfach zu schade dafür gewesen wäre, ihn unter den Tisch fallen oder auf immer und ewig in irgendeinem Musik-Archiv vergammeln zu lassen. Noch dazu wohnt gerade den Island-Miniaturen doch tatsächlich der NEU!-Gitarrero-Geist eines MICHAEL ROTHER inne, selbst wenn der sich mehr an den „Sternentalern“ und der „Katzenmusik“ orientierte, ohne sich den Mühen der „Tiefenland“-Ebenen zu widmen.
Feine Idee, diesen Bonus mit in die Gatefold-Doppel-LP zu legen, die man sich unbedingt unter der Bandcamp-Seite von THOMAS GLÖNKLER nicht nur anhören, sondern am besten auch käuflich erwerben sollte – denn viele der Vinyl-Doppel-Alben sind wohl schon zum Zeitpunkt dieser Review nicht mehr zu erstehen.
FAZIT: „Tiefenland“ lebt! Entstanden im Kopf eines Kindes, verwirklicht und musikalisch 'gebaut' von dessen Vater, dem ehemaligen ICU-Gitarristen und Kreativisten THOMAS GLÖNKLER, der sich dieser Verantwortung als musikalischer Baumeister, der fast alle Instrumente selber einspielt, aber auch auf Sänger und Bläser setzt, bewusst ist. Hierfür taucht er tief in die deutsche progressive Szene der Siebziger bis Neunziger – in der er selber gemeinsam mit ICU aktiv war – ein (GROBSCHNITTs „Rockpommel's Land“ und ANYONE'S DAUGHTER „In Blau“) und verwirklicht zudem mit deutschen Texten konsequent das von seinem Sohn ausgelöste Konzept hinter „Tiefenland“, das er selber als seine „Künstlerische Manifestation“ beschreibt. So wird Tiefenland“ zu Glönklers Opus Magnum, in dem alles ineinandergreift: die Musik, das Konzept, die Texte, die Gestaltung, die Leidenschaft und der Mut, unbeirrt die Idee seines Sohnes zum musikalischen Lebenswerk zu entwickeln.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Doppel-LP =Tiefenland= (63:49):
- Seite A (15:28):
- Nichts ist vorbei (2:36)
- Bis zum Himmel
- * Bis zum Himmel (3:59)
- ** Wo alles begann (1:36)
- Tiefenland (7:17)
- Seite B (16:18):
- Verloren (4:51)
- Die Stille nach dem Schrei
- * Dein Leben (4:31)
- ** … zu lieben (1:29)
- *** In der Stille nach dem Schrei (5:27)
- Seite C (14:52):
- Kleine Seele (2:48)
- Frei sein
- * Spiel mit dem Feuer (3:33)
- ** Frei sein (3:43)
- *** Leuchtende Schatten (2:19)
- Die Endlichkeit der Welt (2:29)
- Seite D (17:11):
- Schattenland
- * Vortraum (4:20)
- ** Limbus (2:57)
- *** Zwischenland (3:49)
- **** Leben in dir (6:05)
- CD = Bonustracks / Demos / Outtakes (2007 – 2018) = (53:53):
- Frei sein
- Nicht ist vorbei
- Frei sein (Edit)
- Am Vulkan
- Insel (Demo)
- Mein Weg (Demo)
- In Limbo
- Karfreitag
- Die Endlichkeit der Welt (Demo)
- Mein Weg (Gitarre)
- Kleine Seele (Demo)
- Auf dem Weg
- Die Endlichkeit der Welt (Outtake)
- Spiel mit dem Feuer (Outtake)
- In der Stille nach dem Schrei (Demo)
- Limbus (Outtake)
- Leben in dir (Demo)
- Bis zum Himmel (4-Track-Demo)
- Tiefenland (4-Track-Demo)
- Island Suite – Elf musikalische Miniaturen zu isländischen Landschaften (aufgenommen im Sommer 2014)
- Bass - Thomas Glönkler
- Gesang - Alex Hanafi, Juri Nothacker, Schulchor der Schlehengäuschule Geschingen
- Gitarre - Thomas Glönkler, Volker Hinkel
- Keys - Thomas Glönkler, Volker Hinkel
- Schlagzeug - Butzi Hofmann, Thomas Glönkler
- Sonstige - Jörg Wunderlich (Saxofon), Molf Stefan Reiser (Horn), Matthias Fuhrmann (Mundharmonika), Stefan Groß (Trompete), Thomas Glönkler (Glockenspiel, Programmierung, Hintergrundgesang), Laura Castrogiovanni, Ralf Großmann (Hintergrundgesang)
- Tiefenland (2023) - 13/15 Punkten
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