Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Babymetal: Metal Resistance (Review)

Artist:

Babymetal

Babymetal: Metal Resistance
Album:

Metal Resistance

Medium: CD
Stil:

Kawaii Metal (Hello Kitty spielt mit Stein und Metall)

Label: ear Music/Edel
Spieldauer: 54:07
Erschienen: 01.04.2016
Website: [Link]

Andreas Schiffmann wünschte in seiner Rezension dem „Schwachsinn BABYMETAL […] einen schnellen Tod“. Diesen Gefallen hat ihm die – tatsächlich im Frontbereich besetzungsstabile – Combo nicht getan. Im Vorprogramm von Lady Gaga zu touren hilft wohl am Leben zu bleiben. Statt des geschwinden Endes gab es zwei(!) Live-Veröffentlichungen auf Blu Ray und DVD sowie aktuell, kaum ein Dreivierteljahr nach dem Debüt, das zweite Studioalbum. Die Kuh muss zügig gemolken werden, bevor die Milch ganz sauer wird.

BABYMETAL machen da weiter, wo ihre Premiere endete. Ruppiger Metal trifft auf Kleinmädchen-J-Pop-Refrains, Techno wird hofiert, Mainstream-Rock und natürlich Piano-Balladen, die sogar auf dem aktuellen DREAM THEATER-Musical „The Astonishing“ im Bonusbereich eine Nische finden würden. Selbst vor Shanty-Vergewaltigung („Meta Taro“) und einem Hauch Progmetal („Tales Of The Destinies“) macht die (wahrhaft) gesichtslose Band hinter Su-Metal, MoaMetal und YuiMetal nicht Halt.

Sämtliche (nicht unberechtigten) Einwände gegen diese Art von effekthascherischem Crossover kann man in Kollege Schiffmanns bereits erwähnter Rezension zum Vorgänger nachlesen. Ich sehe es nicht ganz so negativ. Für zwei-, drei Durchgänge macht diese wilde Mixtur durchaus Spaß. Jeder weiß, dass die Musik hier nicht inspiriert ist, sondern generiert wird. Was unter anderen Vorzeichen als Experiment durchgehen könnte, ist bei BABYMETAL bloßes Kalkül. Entsprechend schnell wird das so hymnisch wie maschinell klingende Gebräu schal. Parallel zur Vorliebe für Süßigkeiten. War es beim Debüt Schokolade wird jetzt Kaugummi besungen.

Könnte man als banale wie effiziente Unterhaltung mitnehmen oder locker links liegen lassen, doch sind BABYMETAL als Phänomen durchaus interessant und kennzeichnend für eine Kulturnation, die wie keine zweite in der Lage zu sein scheint, ihre Ängste, Sehnsüchte und libidinöses Verlangen in puren Kommerz zu verwandeln. Kommerz und darwinistischen Wettkampf.

BABYMETAL entstanden als Spin Off der „Idol Gruppe“ SAKURA GAKUIN. Wenn hämmernder J-Pop die japanischen Massen abholt, warum nicht auch das Metal-Segment bedienen? „Kawaii“, das Prinzip der alles durchdringenden Niedlichkeit, wird’s schon richten. Gesagt, getan. Flugs eine kleine Mythologie um den „Fox God“ gesponnen, versierte, getarnte und nahezu unsichtbare Musiker in den Hintergrund gruppiert (immerhin, einer der Drummer spielt für einen der BLUE MAN GROUP-Ableger. Doch wer besucht wegen der Musik eine Show der BLUE MAN GROUP?) und drei Mangamädchen in den Vordergrund gestellt. „Eko Eko Azarak“ würde das Fronttrio ohne zu zögern in den Hexenzirkel aufnehmen, diese aufgeregt herumhüpfende Melange aus Schulmädchen und Gothic-Gören. Unschuld und der Hauch von verrufener Erotik – die japanische Doppelmoral perfekt in den Mittelpunkt positioniert.

Das hat mit Pädophilie weniger zu tun als mit dieser seltsamen Kombination aus Verlangen und dem Wissen darum, dass das Gewünschte unerreichbar ist. Die Unberührbarkeit des Idols ist ein wichtiger Bestandteil der ganz eigenen Terminologie. Alles, was geschieht, findet nur im Kopf statt. Der Geisha-Mythos. Eine Gesellschaft, in der Upskirt-Fotografie und der Handel mit getragener Unterwäsche Geschäftsmodelle sind, extremste Pornos entstehen, bei denen aber sämtliche Geschlechtsteile nur verpixelt gezeigt werden. Die Distanz muss gewahrt bleiben.

Das glattpolierte Idol-Kindchen-Schema dient hauptsächlich als Projektionsfläche für Fans. Es gaukelt bei weitem nicht vor, dass es jedem/jeder gelingen wird, ein strahlendes Sternchen am Idolhimmel zu werden. Aber der Versuch ist es vorgeblich wert. Vor allem Yen. So wird u.a. durch hohe Fluktuation vorgegaukelt, dass beständig frei werdende Positionen zu vergeben sind. Bei SAKURA GAKUIN endet das Engagement automatisch mit dem Abschlusszeugnis der Mittelschule. Bei BABYMETAL wurde dieser Ansatz fallengelassen. Vermutlich haben die Verantwortlichen gemerkt, dass im Metallgewerbe eine gewisse Konstanz größeren Erfolg (=Verdienst) verspricht. So ist Hauptsängerin Su mittlerweile volljährig und ihre beiden Sidekicks dürfen sich seit kurzem Filme ab 16 anschauen.

Das ausgeklügelteste, um nicht zu sagen perfideste, System betreibt indes Ligaprimus AKB48 (benannt nach dem Tokioter Stadtteil Akihabara). Die lichten und vervielfältigten BABYMETAL-Lookalikes – eine Art Klassentreffen von japanischen ABBA-TEENS und Absolventinnen des Hello Kittie-Lyzeums - befinden sich in einem ewigen die-Schwächste-fliegt-Wettbewerb, quasi die „Battle Royal“ des multimedialen Popbusiness. Die Gruppe splittet sich derzeit in vier Teams (A, K, B und 4) mit insgesamt über 80 Mitgliedern auf (Ideales Ziel sind 48 Mitwirkende pro Team). Wer die Singles aufnehmen darf, wird in einer Mischung aus Zuschauervoting und internem (Stein-Schere-Papier)-Duell entschieden. Wer beim Publikum nicht ankommt, verschwindet in der Versenkung, geopfert auf dem Altar des liebreizenden Idol-Fetisches. Dagegen ist BABYMETAL ‚true‘ wie sonstwas.

Doch das Ende dieser bis ins kleinste Detail durchkomponierten Musikbox als Gelddruckmaschine ist noch nicht erreicht. Denn über allem thront der Alptraum jedes Musikers, Hatsune Miku. Ein langbeiniges, großäugiges Geschöpf, direkt einem Manga entsprungen. Ähnlich wie bei BABYMETAL agiert eine versierte Sessiontruppe im Hintergrund, während das Frontmädchen eine holografische Projektion ist, deren Gesang per Software simuliert wird. AKB48 bieten hauptsächlich Helene-Fischer-kompatiblen Schlager-Pop, Hatsune Miku hingegen besitzt eine Bandbreite, die bis in BABYMETAL-Härten vorstößt. Und füllt als Projektionsfläche für die gesamte Familie Großraumhallen. Eine Adaption des "ultimativen Popstars" war jüngst sogar unter dem Titel "Still Be Here" als kollaborative Performance im 'Haus der Kulturen der Welt' zu sehen.

„Die spinnen, die Japaner“ könnte man anmerken oder gleich Kulturfaschist werden - wie Andreas Schiffmann in seinem Review entsetzt resümiert. So ganz kann ich mich dem nicht anschließen. Denn der Wahnsinn hat Methode, und die funktioniert nahezu perfekt. Made in Japan halt. Die Welt ist ein großes Kaufhaus und das will bestückt werden. SAKURA GAKUIN, AKB48, Hatsune Miku und natürlich BABYMETAL liefern prompt, aber beileibe keine WOOLWORTH-Massenware sondern algorithmische Computer-Träume, die sich aus einem riesigen Fundus aus Comics, Mythologie und Musikgeschichte nähren. An jedem dieser Traumgebilde hängt natürlich ein fettes Preisschild. Das all jenen um die Ohren gehauen wird, die vom Wahren, Echten und Handgemachten in der Popkultur säuseln.

BABYMETAL und Konsorten bringen Aufruhr in den Gemischtwarenladen, weil sie seine AGBs genau begriffen haben und sie derart perfektionieren, dass am Ende nur Verwüstung rauskommen kann. Hello Kitty als Emblem auf Enola Gay. Wenn es sich verkauft. Da kennen wir nix.

FAZIT: Schokolade und Kaugummi. Das Management hinter BABYMETAL weiß genau um dieses Konzept und seine Folgen. Erst süß, dann klebrig. Irgendetwas wird schon hängen bleiben. „Metal Resistance“ ist eine Hommage an das Artifizielle, an die scheinbar endlose und willkürliche Reproduzierbarkeit popkulturell unterfütterter Formen und Muster. Bilanzorientierte Kreative, denen völlig egal ist, womit sie ihre Yen verdienen, erledigen ihren Job mit einer Inbrunst, die so tut als gäbe es wirklich etwas mitzuteilen. Eine komplette Charade. Diese offensichtliche Mimikry als verlogen zu entlarven, ist ungefähr so, als würde man einem Clown attestieren, er sei geschminkt.

BABYMETAL geben dem Maulaffen Zucker. Es ist völlig wurscht, ob man die Musik für „Unschlitt“, postmodern abgedreht oder Godzillas letzten verzweifelten Stoßseufzer hält. Wenn man über die musikalische Performance hinausblickt, sind vielfältige Entdeckungen möglich. Zum Staunen, Wundern, Analysieren oder Erschrecken.

Jochen König (Info) (Review 7534x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • Road Of Resistance
  • KARATE
  • Awadama Fever
  • YAVA!
  • Amore
  • Meta Taro
  • From Dusk Till Dawn
  • GJ!
  • Sis.Anger
  • No Rain, No Rainbow
  • Tales Of The Destinies
  • The One (English version)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
hendrik
gepostet am: 02.04.2016

Sehr kenntnisreiches Review, danke! Die Hintergründe finde ich interessant, und die Schlüsse, die du ziehst, stichhaltig. Hätte ich nie selber recherchieren können, weil mir bei hirntoter Unkultur immer die Zornesröte ins Gesicht steigt - egal welcher Herkunft und Ausformung.
Noch n Kulturfaschist also :)
Jochen [musikreviews.de]
gepostet am: 02.04.2016

Danke Hendrik! Ich habe ein ganzes Album von AKB48 durchgehalten (glücklicherweise nur 28 Minuten lang), dagegen klingt BABYMETAL wie VELVET UNDERGROUND...
hendrik
gepostet am: 02.04.2016

Respekt, mir reichen immer schon Sekunden, wenn ich mal auf youtube in was reinschlittere...

Wobei die Japaner zumindest ehrlich sind, indem sie diesen klebrigen Mist gerade heraus verkaufsoptimieren.

Bei vielen "westlichen" Acts springt einem die künstlerische Unaufrichtigkeit mit dem nacken Arsch ins Gesicht, aber immer feste von Authentizität salbadern...
Jochen [musikreviews.de]
gepostet am: 02.04.2016

Zum Thema "Authezität" empfehle ich den John Niven-Roman "Kill Your Friends" (dessen Verfilmung ich demnächst bei Booknerds bespreche. Auf duie bin ich sehr gespannt), zum Thema Japan und seine Kultur (Upskirt-Fotografie und Religion...) den exzellenten Sion Sono-Film "Love Exposure", der bei 245 Minuten Lauflänge keine Sekunde zu lang ist und zudem einen fantastischen Soundtrack aufzuweisen hat. Es gibt weit mehr als die oben erwähnten Bands zu entdecken.
hendrik
gepostet am: 02.04.2016

Der Roman klingt nach "Wallstreet" in der Musik-Version.

Der Film - ich halte fernöstliche Manierismen gerade im Film schlecht aus. Dieses überrissene Gekasper, das die Schauspielerei nennen, geht mir immer schnell auf die Nerven. Ich schau mal rein, aber ohne viel Hoffnung ;)
Sascha G. [musikreviews.de]
gepostet am: 03.04.2016

Hendrik, da gibt's aber auch Filme, wo das Gekasper nicht vorkommt. Versuch's zB. mal mit einem Film von Takeshi Kitano. Auch südkoreanische Thriller sind oft einen Blick wert (zB. I Saw The Devil, Memories Of Murder, Mother). Auch wenn die jetzt nicht direkt was mit dem Thema zu tun haben.

Und Jochen, die Rezi ist herausragend. Mehr kann man da wahrscheinlich nicht rausziehen.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Schreibe das folgende Wort rückwärts: Regal

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!