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Interview mit BLODTÅR (17.09.2022)

BLODTÅR

Mit seiner ersten EP ist dem schwedischen Projekt BLODTÅR ein fabelhafter Einstand gelungen, der mich trotz programmierten Schlagzeugs durchweg begeistert. Eine mitreißende Melodie jagt die nächste, während die Songs eine Angriffslust versprühen wie einst die blutjungen Dissection – ja, das Songwriting und die beherzte Darbietung sind wahrlich zum Niederknien! Der für diesen erfreulichen Auftakt Alleinverantwortliche war zwar von der Idee eines Interviews anfangs nicht gerade angetan, doch ließ sich Multi-Instrumentalist Carl zu einer Ausnahme überreden – und taute im Gespräch ähnlich hurtig auf wie beim Schreiben und Einspielen seiner hymnenhaften Lieder.

Hallo Carl, und danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, um über BLODTÅR zu sprechen, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt gerade mal eine EP veröffentlicht wurde. Nichtsdestotrotz überrascht diese mit atemberaubend eindringlichen Songs, die dem Folk entlehnte Melodien so frisch wie kraftvoll aufgreifen. Es kommt selten vor, dass mich ein Debüt so begeistert, und ich frage mich, wie viel Zeit in die Ausarbeitung dieser Kompositionen geflossen ist, die mir frei von allem überflüssigen Beiwerk und bemerkenswert stark erscheinen?

Hallo Thor, danke, dass ich mich hier äußern darf. Dir und allen anderen, die die EP unterstützt haben, gilt mein und Alarcóns aufrichtiger Dank. Ich schreibe Musik ziemlich schnell, und meine Songwriting-Sessions gestalte ich so, dass es mir meistens gelingt, ein ganzes Lied in etwa einer Stunde zu schreiben. Der erste von mir komponierte Song war "Djävulskap". Ich schreibe und nehme bereits gleichzeitig auf, daher hatte ich ihn in vielleicht 30 Minuten geschrieben und aufgenommen - die Gitarren und ein paar Schlagzeugpartien sind in Eile entstanden. Danach schrieb ich den Text für das Lied, aus dem später "Aldrig Mer" wurde, und tags darauf schrieb ich die Musik dafür. "Svartsejd" war der letzte Song, den ich komponierte, und es dauerte von Anfang bis Ende vielleicht eine Stunde. Das Stück "Besatt" war ursprünglich als Outro zu "Svartsejd" angedacht, wurde jedoch später ein eigenständiges Stück auf der EP.
Es ist mir wichtig, überflüssige Elemente, also zum Beispiel bestimmte Riffs oder Partien, aus den Songs zu entfernen. Ich mag es, wenn sich Songs besonders anfühlen und eine Art eigene Identität haben, wie eine Person, die man kennenlernt. Diese Eigenheit ist ein Kriterium dafür, dass ein Song in meinem Schaffen bestehen kann. Die Musik sollte etwas Eigenes ausstrahlen.

Das kommt mir schneller als schnell vor – fast schon so, als ob die Songs bereits existieren und Du ihnen hauptsächlich eine musikalische Form gibst? Ich nehme an, Du bist ein erfahrener Musiker, wenn Du so schnell komponierst?

Ich lerne das seit etwa 13 Jahren nebenbei, und ich sowie jeder andere, den ich in einer ähnlichen Lebenssituation kenne, hat seine Stärken und Schwächen als Komponist von Metal oder Musik im Allgemeinen. So schnell zu komponieren ist nicht unbedingt positiv, haha. Ich habe meinen Weg gefunden, wie ich am besten schreibe. Normalerweise fühle ich einen Song, bevor ich mich entscheide, ihn zu schreiben. Zumindest sind das jene Songs, bei denen ich am besten vorankomme.

Auf der Debüt-EP wirken Deine Songs bemerkenswert fokussiert, und die Gesamterscheinung von BLODTÅR mag zwar für eine Band dieses Stils aus Schweden ziemlich typisch sein, doch ist sie auch sehr konsequent und alles passt zusammen, sei es das Cover, das Logo, das Label, bei dem Du Deine Musik veröffentlichst. Wie ist das gelungen und was ist die Geschichte hinter dem Bandnamen?

Alles begann damit, dass ich selbst jene Form von Black Metal hören wollte, die Folk-Melodien aufgreift, dabei allerdings das Raue und Ungezähmte in der Produktion beibehält, diese allumfassende Härte, die nun mal den kalten und ursprünglichen Black Metal auszeichnet. Ich hatte das Gefühl, dass es für solche Musik immer noch einen Raum gibt, und entschloss mich daher, BLODTÅR ins Leben zu rufen. Der Name ist dem Titel eines akustischen Songs der norwegischen Band Ljå entlehnt. Im Hinblick auf die Musik der EP war diese Band die maßgebliche Inspiration, während der wichtigste Einfluss für BLODTÅR John Bauer ist.
Meine Vorstellung von BLODTÅR war immer eng mit Melodien verbunden, und ich denke, das ist der Wesenskern der Band, also das Letzte, was man davon abziehen könnte. Die BLODTÅR umgebenden Elemente und die Ästhetik gründen auf einer in sich schlüssigen, fortwährenden, märchenhaften Explosion in meinem Kopf, haha! Es ist eine sehr dankbare Band – Langeweile und Inspirationsmangel sind dabei für mich kein Thema. Ich fühle mich stets bereit, das Beste zu geben, und insofern hat sich BLODTÅR reibungslos entwickelt und es ist bislang einfach gewesen, das Projekt voranzutreiben.

Kürzlich war ich überrascht, als ich bei IKEA einen John-Bauer-Druck entdeckte, und mein Bauchgefühl sagte mir, dass solche Kunst nicht für die Massenproduktion bestimmt sein kann, aber dann dachte ich auch, dass viele Menschen durch dieses Bild zumindest einmal in ihrem Leben mit der Kunst von John Bauer in Berührung kommen werden. Mit wieviel Ehrfurcht und Staunen begegnest Du seiner Kunst, und kannst Du Dir vorstellen, dass BLODTÅR größer wird und mit seinen unverwechselbaren Folk-Melodien ein Publikum jenseits des Undergrounds erreicht?

Was du hier zum Ausdruck bringst, ist interessant, und ich fühle oft dasselbe bei Kunst, Musik oder Filmen, die ich sehr schätze. Man möchte, dass diese Kunstwerke nicht nur mit Respekt, sondern auch ihrem Ausdruck entsprechend behandelt, also nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Ich nehme an, das hat etwas mit Leidenschaft und vor allem mit Sorgfalt und Ehrfurcht vor dem zu tun, was man bewundert. Und ja, ich verehre John Bauers Werke. Ich bin mit unseren schwedischen Wäldern und der Natur aufgewachsen. Kein anderer Künstler weckt in mir so starke Gefühle für etwas, das mir so zugänglich ist wie die schwedische Natur, wie John Bauer. Er bringt auf meisterliche Weise eine Welt zum Ausdruck, die er nicht selbst geschaffen hat. Eine Welt, die uns nicht im Äußeren zugänglich ist, die aber in uns lebendig wird, wenn wir nur eine Idee von ihr haben, von ihr träumen. Der Wald in unserer Vorstellung, unserer Phantasie – unser Zufluchtsort. Er ist da in den verschneiten Dezembernächten mit ihrem sternenklaren Himmel und der klirrenden Kälte. Er ist da in den windigen, regnerischen Herbsttagen, wenn der Waldboden mit rotbraunen Blättern bedeckt ist. John Bauer ist die wichtigste Inspiration für BLODTÅR.
Was die Reichweite und Anziehungskraft von BLODTÅR betrifft, vermute ich, dass die Folk-Melodien hinter zu viel Lärm und Chaos im rohen, schnellen Metal verborgen sind, als dass Leute außerhalb des Black Metal oder anderer extremer Metal-Stile meiner Musik wirklich eine Chance geben würden. Ich würde mich freuen, wenn ich Hörer außerhalb dieser Szene erreichen könnte, aber das ist nichts, womit ich rechne, und ich widme dieser Überlegung auch nichts unter.

Nachdem ich Deine EP gehört hatte und mich daran erinnerte, wie Dissection in den späten Neunzigern auch "normale" Metal-Fans begeistern konnten, wäre ich nicht allzu überrascht, wenn BLODTÅR ein größeres Publikum erreichen würde. Wie auch immer, dieser Tage habt Ihr mit den Aufnahmen für Euer erstes Langspielalbum begonnen, wenn ich mich nicht irre. Wie geht das voran und habt ihr Pläne, die Musik zu einem späteren Zeitpunkt auf die Bühne zu bringen?

Das ist richtig! Das Album nähert sich seiner endgültigen Form an, und während wir miteinander sprechen, bin ich auf dem Weg ins Studio, um für ein paar Tage dem Prozess des Abmischens beizuwohnen. Bis hierhin ist es sehr gut gelaufen. Mit unserem Produzenten, der auch ein Freund von mir ist, lässt sich einfach zusammenarbeiten und er ist in seinem Job sehr gut.
Im Moment gibt es keine Pläne, live zu spielen.

Mit der EP in den Ohren hege ich große Hoffnungen für das kommende Album und ich frage mich, ob Du uns schon ein wenig darüber erzählen kannst, zum Beispiel irgendwelche Anekdoten aus der Entstehungszeit?

Ja, das kann ich! Zunächst möchte ich sagen, dass ich mir aktuell nicht so ganz sicher bin, wohin es mit BLODTÅR geht: In der Zeit, in der ich BLODTÅR ins Leben rief, vertrat ich die Einstellung, dass ich keine Interviews geben, mich nicht um Feedback kümmern, und meine Musik nicht an ein Label schicken werde. Jetzt bekomme ich allerdings mit, dass die EP eine Wertschätzung genau dafür erfährt, was sie ist, und dass einige Leute die Musik wirklich mögen. Das hat wiederum zu einem großen Teil mit der sehr passenden und auf Integrität bedachten Promotion von Nordvis zu tun. Nun weiß ich also gerade nicht mehr so ganz genau, wie ich es bei BLODTÅR halten soll – zwischen Anonymität und öffentlichem Auftreten; also den Aspekten von BLODTÅR außerhalb der Musik. Bei der Musik bin ich mir absolut sicher, doch nun messe ich auch den Hoffnungen und Meinungen der Hörer einen Wert bei, und mich bewegt, wenn meine Musik sie bewegt.
Ich möchte, dass die Leute verstehen, dass ich nicht geahnt hatte, dass die raue Produktion der EP bei so vielen Hörern Anklang finden würde. Und ich wusste auch nicht, dass das Material so gut ankommen würde, wie es nun der Fall ist.
Das Debütalbum wird der nächste Schritt für BLODTÅR sein, und ich freue mich unglaublich darauf, es mit euch allen zu teilen. Es wurde im letzten Sommer nach der Vertragsunterzeichnung der Band mit Nordvis geschrieben. In rund zwei Monaten stellten wir die Vorproduktion fertig, wobei ich in dieser Zeit fast jeden Tag ein paar Stunden daran gefeilt habe. Ich schreibe Musik nun mal ziemlich schnell, doch mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Im Anschluss ließ ich Alarcón das Material üben und den Schlagzeugspuren den letzten Schliff geben. Danach buchten wir beide das Studio. Während ich im letzten Sommer die Riffs für dieses Album schrieb, dachte ich an die Leute, die es irgendwann hören und hoffentlich mögen werden. Dieses Album entstand aus der Überraschung, dass andere Leute meine Musik mögen, und auch aus dem Stolz und der Sicherheit, dass ich nun weiß, was ich euch allen mit den zukünftigen Veröffentlichungen präsentieren möchte.

Nun, Carl, als ich Deinen Beitrag zu Nordvis' "artist appreciation series" (auf der Nordvis-Homepage) las, war mir Deine ehemals distanzierte Haltung gar nicht so bewusst, doch umso mehr danke ich Dir für die Beantwortung meiner Fragen und den Einblick in Dein kreatives Schaffen. Und ich freue mich, wenn die Reaktionen einiger Hörer Dich zu neuen Aufnahmen motivieren. Bevor wir dieses Interview beenden: An welchen Ort würdest du die Hörer mitnehmen, der als perfekte Umgebung für eine BLODTÅR Listening Session dienen könnte?

Ich würde sagen, sucht euch eine Holzhütte in der nördlichen Hemisphäre, sei es an einem See, mitten im Wald, auf einem Berg, wie auch immer. Richtet euch dort im Winter ein, wenn unter einem klaren Nachthimmel viel Schnee liegt. Setzt Kopfhörer auf oder lasst unsere Musik in die Wildnis erschallen, haha. Achtet darauf, dass ihr zwischen den Liedern auch den heulenden Wind hören könnt. Ich habe so viele schöne Erinnerungen daran, wie ich in den Ferien im Norden meinen sozialen Verpflichtungen entkam, indem ich nach dem Abendessen halb betrunken mit Kopfhörern in die Nacht gestolpert bin und zum Beispiel Arckanum gehört habe. Die Wahrnehmung der unversöhnlichen, gleichgültigen Natur um einen herum, während man diese Art von Musik hört, ist für mich sehr stark. Danke, dass ich davon berichten durfte!

Thor Joakimsson (Info)
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