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Interview mit I Treni All'Alba (12.12.2012)

I Treni All'Alba

Das sprachlose Kollektiv macht gegenwärtig mitreißende Musik auf der Grundlage unverstärkter Instrumente, wie es nur wenige Bands vermögen, und ist im Interview umso redseliger. Noch einmal die dringende Aufforderung, die CDs der Italiener zu kaufen, und hinein in den Schlagabtausch ...

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, überwiegend akustische Instrumentalmusik zu spielen?

Wir kommen alle aus dem härterten Bereich, von Punk- und Hardcore-Bands, aus der Screamo-, Metal- und Noise-Szene. Als I TRENI ALL' ALBA haben wir uns zusammengeschlossen, nachdem unsere früheren Betätigungsfelder auseinandergegangen waren. Hierzu nahmen wir uns vor, das Musikmachen von Grund auf anders anzupacken: Wir hatten keine Lust mehr auf eine Ausrichtung, die den Gesang oder besser gesagt Gebrüll in den Mittelpunkt rückt. Stattdessen soll sich der Hörer seinen Teil zu den Songs denken, denn Texte beeinflussen die Deutung eines Stückes zu stark. Am liebsten wäre es uns, wenn jeder seinen eigen Film zu unseren Liedern laufen und sich inspirieren lässt. Die Titel auf unserem Debüt “Folk Destroyers” besaßen keine Namen, um dies zu forcieren, wohingegen auf “2011 A.D.” zumindest ein Interpretationsangebot gegeben ist. Es handelt sich praktisch um einen Filmsoundtrack, aber jeder kann sich die Bilder dazu aussuchen.

Was drückt der Bandname genau aus? Züge nach Alba?

Wörtlich übersetzt sind es "Züge des Sonnenaufgangs". Da wir auf Texte verzichten, sind jegliche Wörter, die wir gebrauchen, in erster Linie Metaphern für die Gefühle, die wir mit der Musik ausdrücken. I TRENI ALL' ALBA ist so ein bildhafter Ausdruck, der eine Stimmung, Erinnerungen oder bestimmte Gefühle reflektiert: Man mag sich morgens in einen Zug setzen und nach Hause fahren, um ein Beispiel zu nennen. Manchmal halten wir diese Konstrukte neutral, doch meistens spielen Überraschung, Aufregung, Erschöpfung oder Melancholie mit hinein.

Wer trötet da in „L'Arte Della Guerra“ ?

Ramon Moro spielt Flügelhorn, das ähnlich klingt wie eine Trompete, nur weniger blechern. Er ist ein Jazzer aus Turin und mit uns befreundet, also baten wir ihn, in diesem Stück zu gastieren, da wir nach etwas suchten, das nach dem wilden Anfang versöhnlicher klang, und sein Instrument passte perfekt dazu.

Gehört Politik auch zu den Themenkreisen, innerhalb derer sich eure Musik deuten lässt?

Sie umfasst verschiedene Gebiete, nicht nur eine einzige Botschaft, und ich glaube, gerade dies macht eine unserer Stärken aus. Beim Komponieren konzentrieren wir uns für gewöhnlich auf einen konkreten Sachgegenstand, der uns beim Vorankommen und Arrangieren leitet. Für “2011 A.D.” war dies die "Apokalypse nebenan", wie wir es nennen. Wir wollten ein zugleich religiöses und weltliches Symbol für die Gesellschaft etablieren, was mit diesem Ausdruck geschehen ist: Was mag sich tatsächlich hinter alledem verbergen, was uns im Alltag begegnet? Hinter der nächsten Tür könnten sich Dinge abspielen, die unsere Vorstellungskraft und unser Begriffsvermögen übersteigen, eben etwas Zerstörerisches, Apokalyptisches. Dies ist allerdings nur eine von zahllosen möglichen Auslegungen - unsere eigene, welche die Stoßrichtung vorgab, aber wie gesagt steht jedem die eigene Meinung dazu frei.

Das Artwork der neuen Scheibe hat Domenico Sorrenti ersonnen; was gibt es über ihn zu berichten?

Er stammt ebenfalls aus Turin und ist ein sehr begabter Künstler, vor allem aber ein guter Freund von uns. Das Cover des Debüts ging bereits auf sein Konto, außerdem den Videoclip zu “Attila”, den man auf unserem Youtube-Kanal sehen kann. Für das Cover von “2011 A.D.” sollte er unsere Idee von der "Apokalypse nebenan" auf seine eigene Weise umsetzen, was er fabelhaft hinbekommen hat mit diesem farbigen, mehrdimensionalen Gemälde. Es fängt unsere Vision und das Thema sehr passend ein.

Habt ihr einen starken Hang zu dystopischen Sujets?

Zumindest eine Leidenschaft für John Carpenters Filme. Von ihm stammen übrigens auch die einzigen gesprochenen Worte, die je in unserer Musik aufgetaucht sind, nämlich in “They Live” auf unserem Debüt. Der Song “DistrettoTredici” zollt dem Streifen “Anschlag bei Nacht" Tribut, dessen Titel auf Italienisch so lautet. Carpenter ist eine unserer Hauptinspirationsquellen, da er häufig Szenarien entwirft, in welchen die Gesellschaft am Rande einer Katastrophe zu stehen scheint, beispielsweise auch in “Die Klapperschlange”. So oder ähnlich sehen wir es auch tatsächlich kommen für die Menschheit; etwas muss sich drastisch ändern, um unseren Fortbestand langfristig zu sichern, und dies kann nur im Kleinen beginnen, eben hinter der nächsten Haustür ...

Der Titel „Tempi Moderni?“ deutet darauf hin, dass ihr dem gegenwärtigen Status Quo nicht zu getan seid, habe ich Recht?

Die Worte gehen wiederum auf einen Film zurück, diesmal auf Charlie Chaplins "Moderne Zeiten". Der synkopische Rhythmus erinnerte uns an die bekannte Szene mit den Maschinen und Zahnrädern, deren Geräuschkulisse unserer Gegenwart entspricht. Gleichzeitig da wir egoistischer werden, lassen wir uns über einen Kamm scheren, wodurch die Welt von Tag zu Tag an Wärme verliert.

Wie viele Bands macht ihr es Nicht-Italienern schwer, etwas über eure Musik zu erfahren ...

Sicher, da besteht Nachholbedarf. Unsere Website ist aber mittlerweile zweisprachig aufgebaut, und für die Zukunft geloben wir Besserung, Ehrenwort.

Habt ihr schon versucht, im Ausland aufzutreten? Schließlich ist eure Musik wegen der fehlenden Texte allgemein verbindlich.

Bisher haben wir uns auf Italien beschränkt, denn Dreiviertel der Band leben eben hier. Du hast Recht damit, dass Instrumentalmusik international größeres Potenzial besitzt, und wir versuchen auch schon zaghaft, unser Publikum in Europa zu vergrößern. Dank unseres Labels INRI, das einen klasse Job macht, werden unsere CDs auch in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Belgien, den Niederlanden und Nordamerika verkauft. Im Moment schreiben wir neue Songs, die wir dann auch über die italienischen Grenzen hinaus live darbieten wollen.

Wir warten bereits. Bis dann!

Andreas Schiffmann (Info)
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