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The Weather Station: Humanhood (Review)
Artist: | The Weather Station |
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Album: | Humanhood |
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Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Singer/Songwriter, Folk, Sophisticated Pop, Jazz, Art-Pop, Ambient |
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Label: | Fat Possum Records | |
Spieldauer: | 44:32 | |
Erschienen: | 17.01.2025 | |
Website: | [Link] |
Zum Glück ist Joni Mitchell nach schwerer Krankheit und langer eremitischer Abgeschiedenheit im respektablen Alter von 81 Jahren auf dem Weg der Besserung, und sie geht sogar gelegentlich, sichtbar glücklich über die ihr entgegenschlagende Verehrung von Musikerkollegen und Fans, in die Öffentlichkeit. Der berührende Überraschungsauftritt der Singer-Songwriter-Göttin beim Newport Folk Festival 2022 gilt schon jetzt als legendär.
Dennoch ist es gewiss nicht pietätlos, sich Gedanken über die Mitchell-Nachfolge im Feld eines klugen, sensiblen, in alle Stilrichtungen offenen, also auch vom Jazz durchdrungenen Folk zu machen. Und wer könnte diese Rolle besser ausfüllen als Tamara Lindeman alias THE WEATHER STATION? Bestimmt nicht nur, weil die 40-Jährige ebenfalls Kanadierin ist.
Auch das neue Album "Humanhood" dieses auf seine hochtalentierte Sängerin und Songschreiberin konzentrierten Bandprojekts lädt wieder zu Joni-Vergleichen ein. Gleich der Einstieg mit dem kurzen, sphärischen, von einer zarten Flötenmelodie getragenen Opener "Descent", der direkt in den treibenden Bass-Groove des Pianopop-Tracks "Neon Signs" übergeht - eine kleine Offenbarung im Mitchell-Stil. Auch wie Tamara Lindeman hier mehr haucht und tirilliert als singt, das aber mit allerhöchster Brillanz, weckt sofort Erinnerungen an die ikonische Landsfrau aus Fort Macleod/Alberta.
"Mirror" gibt dem Bass von Ben Whiteley eine noch größere Bühne, für THE WEATHER STATION ungewohnt funky ist sein virtuoses Tieftöner-Spiel hier. Und immer wieder diese Saxophone, Klarinetten und Flöten der Avantgardistin Karen Ng, die der Lindeman-Musik eine fast außerweltliche Schwerelosigkeit verleihen. Der Uptempo-Song "Window" hält das Niveau locker, "Body Moves" ist kurz danach die herzergreifend schöne Folk-Jazz-Ballade von "Humanhood" - und man rechnet nun fest damit, dass Lindeman ihre Album-Großtat "Ignorance" mindestens wiederholt...
Zwischen dieser Durchbruch-Platte von 2021 - der mit "How Is It That I Should Look At The Stars" 2022 ein deutlich reduzierter aufgenommener Nachschlag folgte - und der neuen gibt es durchaus ähnliche Einflüsse, wie Lindeman dem auch für Musikreviews.de tätigen Kollegen Ullrich Maurer erzählte: "Die Großväter, von denen ich mich beeinflusst fühle - wie Leonard Cohen und Bob Dylan - schreiben aus der ersten Person auf eine Weise, die eben auch persönlich ist. Nicht, dass ich meine, dass Dylan ein sehr persönlicher Songwriter ist, aber er wechselt zwischen der ersten Person und einer philosophischen Abhandlung hin und her – und es gibt keinen Unterschied und keine Trennlinie. Das ist etwas, was auch mich interessiert."
Ihre intellektuelle, zwangsläufig manchmal spröde und komplizierte Herangehensweise ans Songwriting für THE WEATHER STATION erklärt Tamara Lindeman in dem Gespräch dann so: "Wenn ich einen Song schreibe und darüber nachdenke, was ich da reinpacken könnte, dann denke ich zunächst an Allegorien und daran, was diese der Welt zu sagen haben könnten. Wie kann ich das, was ich ausdrücken will, in einen größeren Kontext fassen? Ich denke also als erstes eher an die Bedeutung des Songs als an einen Stil oder einer Geschichte. Ich bin ja sowieso keine Geschichtenerzählerin – obwohl ich mir manchmal wünschte, eine sein zu können."
Ihre großartige Band hatte auf "Humanhood" viele improvisatorische Freiheiten, und das hört man vor allem in der zweiten Albumhälfte, die bisweilen ein wenig auszufransen droht, auch mal redundant klingt (und insgesamt wohl etwas abfällt, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau). "Einige Dinge - wie zum Beispiel die Drums - waren natürlich schon arrangiert, aber es blieb genug Raum, um herumzuspielen und Dinge auszuprobieren", sagt Lindeman. "Es gab auch zwei kleine Stücke ganz ohne Strukturen, Worte und Akkordfolgen, die wir als Improvisationen eingebunden hatten. Wir hätten sogar eine ganze Scheibe in dieser Art machen können – aber das wäre doch ein wenig zu viel gewesen."
Nun, dies liegt natürlich beim Zuhörer - ob er, um zum Mitchell-Vergleich zurückzukehren, eher deren "Ladies Of The Canyon" und "Blue" bevorzugt oder "Hejira" und "Mingus". Letztlich bleibt "Humanhood" von THE WEATHER STATION ein starkes Songwriter-Folk-Jazz-Album, wenn auch vielleicht nicht Lindemans stärkstes (aber Vorsicht, ihre Platten sind veritable "Grower"...). Man muss also lange suchen, um eine versiertere Joni-Erbin zu finden.
FAZIT: Neben Julia Holter und Cassandra Jenkins aus den USA ist Tamara Lindeman alias THE WEATHER STATION die wohl wichtigste Vertreterin eines avancierten, der Ambient-Musik und dem Jazz zuneigenden Sophisticated Pop. Nach dem großen Kritiker-Erfolg von "Ignorance", einem "Meisterwerk mit gebrochenem Herzen" ("The Guardian"), bestätigt die 40-Jährige auf den detailreichen, fabelhaft gespielten und gesungenen Liedern von "Humanhood" ihr herausragendes Talent.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Descent
- Neon Signs
- Mirror
- Window
- Passage
- Body Moves
- Ribbon
- Fleuve
- Humanhood
- Irreversible Damage
- Lonely
- Aurora
- Sewing
- Bass - Ben Whiteley, Ben Boye
- Gesang - Tamara Lindeman
- Gitarre - James Elkington, Thom Gill, Ben Whiteley
- Keys - Ben Boye, Tamara Lindeman, Joseph Shabason
- Schlagzeug - Kieran Adams, Philippe Melanson, Marcus Paquin
- Sonstige - Karen Ng (Saxophon, Klarinette, Flöte), Sam Amidon (Banjo, Fiddle), Drew Jurecka (Streicher-Arrangements)
- How Is It That I Should Look At The Stars (2022) - 12/15 Punkten
- Humanhood (2025) - 12/15 Punkten