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Interview mit THE WEATHER STATION (02.02.2021)
Seit die Kanadierin TAMARA LINDEMAN 2006 ihr Projekt THE WEATHER STATION ins Leben rief, hat sie eine erstaunliche Entwicklung als Musikerin durchlaufen. So begann die WEATHER STATION-History zwischen 2008 und 2009 mit der Veröffentlichung einer ersten EP und der LP „The Line“, als sich TAMARA – auf der Suche nach einer musikalischen Identität – zunächst mit klassischen Folk-Sounds beschäftigte, um dann von ihrem Umfeld in der Experimentalmusik-Szene von Toronto zu zehren und zunehmend auch elektrische Sounds und organische Band- und Streicher-Arrangements in ihre Songs einwob. Als Lyrikerin machte sie sich dabei auf die Suche nach sich selbst und behandelte in ihren stark codierten Texten die verschiedenen Facetten ihrer Unsicherheiten. Mit ihrer selbst betitelten letzten LP „The Weather Station“ von 2017 schien sie zunächst zu ihrem musikalischen Idealformat gefunden zu haben. Doch am Ende ihrer Suche ist TAMARA offensichtlich immer noch nicht angelangt, wie nun das neue Album „Ignorance“ eindringlich belegt, denn hier ist auf der musikalischen Seite alles anders. TAMARA schrieb alle Songs auf dem Klavier, orientierte sich erstmals an geradlinigen Rhythmen, flirtet mit Pop-Sounds und reicherte ihre Musik mit elektronischen Effekten und Elementen, Dance-Beats und jazzigen Bläser-Einlagen an.
Obwohl Du Dich schon auf Deiner letzten, selbst betitelten Scheibe, von Deinen ursprünglichen Folk-Roots gelöst hattest, geht es ja mit „Ignorance“ noch mal einige Schritte weiter. Alle Songs wurden auf dem Klavier geschrieben, erstmals gibt es geradlinige, durchgehende Rhythmen, zugleich aber sind die Songs oft poppiger und sogar für jazzige Bläser bleibt noch Raum. Wie kam es denn zu dieser – doch ziemlich radikalen – stilistischen Neuausrichtung? Und wieso passierte das gerade jetzt?
Nun, das ist wie immer bei mir: Einiges passiert ganz organisch und einiges absichtlich. Ich spiele ja nun schon sehr lange Gitarre – aber als ich dann jetzt zur Gitarre griff, um neue Songs zu schreiben, hatte ich langsam das Gefühl, dass ich anfing, mich zu wiederholen. Ich habe immer dieselben Akkordwechsel gegriffen und dieselben Rhythmen verwendet. Als ich dann mit einem Spielzeug-Keyboard herumhantierte, fühlte sich das total neu für mich an. In dem Keyboard war sogar ein Drum-Generator – und plötzlich spielte ich zum ersten Mal zu geradlinigen Rhythmen. Das hat mir eine neue Tür geöffnet, durch die ich dann geschritten bin. Ich habe mich dann wieder jenem Instrument zugewandt, das ich als Kind als erstes erlernte: Dem Klavier – woran ich lange Zeit überhaupt gar nicht mehr zurück gedacht hatte.
Interessant ist, dass auf „Ignorance“ gleich mehrere Stücke zu finden sind, die melodisch und strukturell in Richtung Pop-Musik gehen. Andererseits orientiertest Du Dich ja erstmals vornehmlich an geradlinigen, rhythmischen Aspekten. Hat das auch Einflüsse auf die Art, in der Du die Songs schriebst?
Ich habe halt eine interessante Beziehung zu Rhythmen. Bevor ich dieses Album anging hatte ich eine intensive, anderthalbjährige Tour hinter mir, auf der ich jeden Abend mit meiner Band vor Publikum aufgetreten bin. Die Sache ist aber die, dass ich kein so gutes natürliches Rhythmusgefühl habe und keine versierte Gitarristin bin. Das führte dann bei den Live-Shows dazu, dass meine Band Schwierigkeiten hatte, meinem Rhythmus zu folgen – während ich andererseits versuchte, ihrem zu folgen. Das hat die Sache natürlich verkompliziert – zumal meine älteren Songs oft diese Zug/Druck-Intensität besitzen. Mein Drummer IAN KEHOE versuchte also meiner Stimme zu folgen – während ich für gewöhnlich hinter dem Beat singe und versuche - entsprechend meiner Stimmung - mit der Phrasierung zu spielen.
Und welche Konsequenzen hast Du aus dieser Erkenntnis gezogen?
Da wurde mir dann irgendwann klar, dass das das falsche Schlachtfeld sei. Der Kampf, den ich mit dem Song zuvor jeweils hatte, war der, wie ich den Song zu gegebener Zeit singen wollte – und das geht sehr viel einfacher, wenn man nicht mehr mit dem Rhythmus kämpfen muss, denn dann kann ich mich ganz auf die Phrasierung konzentrieren.
Was waren dann die musikalischen Inspirationen für Dich - nachdem die Entscheidung in Bezug auf geradlinige Rhythmen dann einmal gefällt war?
Oh da gab es in der Tat musikalische Inspirationen. Mein Partner, mit dem ich zusammen lebe, hat viele Drum-Computer und Synthesizer und macht im Prinzip Tanzmusik. Das ist also die Musik, die ich zu Hause tagein und tagaus höre. Er hat mir aber auch viel Krautrock und Disco und sogar ABBA vorgespielt. Meine Erleuchtung kam aber wohl durch die Musik aus den 80ern, mit der ich aufgewachsen bin. Damit habe ich mich jetzt wieder beschäftigt und festgestellt, wie gut arrangiert und handwerklich umgesetzt das damals alles war. Wenn man z.B. einen Pop-Song von MICHAEL JACKSON analysiert, kann man zu dem Schluss kommen, dass diese Songs auf gewisse Weise 'schusssicher' waren.
Was ist denn für Dich Pop-Musik? Da hat ja jeder so seine eigenen Vorstellungen. Was auch dadurch deutlich wird, dass wohl jeder seinen eigenen „ultimativen Pop-Song“ auf der Scheibe finden wird.
'Pop' ist ja ein seltsames Wort, nicht? Aktuelle Popmusik von heute – wie z.B. die von DRAKE - hört sich ja sogar eher abstrakt und seltsam an, oder? Wenn ich 'Popmusik' sage, dann meine ich den Bereich der letzten 50 Jahre, in denen die Songs im Zentrum standen. Diese Songs sind zugänglich und offen und eben nicht seltsam. Es ist Musik, mir der jeder etwas anfangen kann. Mit so etwas hatte ich mich ja nie wirklich beschäftigt. Ich habe mir dann aber gedacht: Was wäre denn, wenn ich es mal versuchte? Ich habe dann versucht, einen konventionellen Pop-Song wie „Tried To Tell You“ zu schreiben … nun ja, so konventionell ich so etwas eben hinbekomme.
Und was hat Dich daran gereizt?
Tatsächlich war es Neugier auf meiner Seite und meine Überlegung, was ich von meiner Seite dem Format hinzufügen könnte. Was ich an der Popmusik interessant finde, ist die Tatsache, dass sie die Leute anspricht und erreichen kann. Ich habe mir dann einfach gedacht, was passieren würde, wenn ich meine Ideen mit Mitteln der Popmusik verbreiten würde.
Für wen machst Du denn eigentlich heutzutage Deine Musik? Offensichtlich ja nicht für die Leute, die immer wieder gerne das gleiche hören.
Im Allgemeinen denke ich nicht besonders über die Frage nach, für wen ich meine Musik mache. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit der letzten selbstbetitelten Scheibe meine Reichweite vergrößert habe und neue Menschen erreichen konnte. Das ist aufregend und spannend und ich ich fühle mich geehrt – obwohl ich ja immer noch ein vergleichsweise kleiner Act bin. Aber gerade deswegen freue ich mich ja über alle Möglichkeiten, meine Reichweite auszudehnen. Es ist aber denkbar, dass ich mich den Menschen unbewusst in dem neuen Setting direkter zuwenden möchte.
Wie möchtest Du Deine Texte interpretiert wissen? Diese sind ja nicht gerade selbsterklärend.
Also zunächst möchte ich schon, dass ich mich klar ausdrücke - aber mir ist schon bewusst geworden, dass ich in der Vergangenheit dann oftmals eben doch nicht klar genug gewesen bin. Dieses Mal habe ich versucht, ein klares Narrativ zu verfolgen. Aber andererseits kann Offenheit auch eine gute Sache sein. Ich wollte auf dieser Scheibe besonders intensiv rüberkommen und meine Texte nicht zu sehr analysieren. Es war mir wichtig, die Leidenschaft und die Gefühle meiner Texte zu erhalten. Ich erwarte gar nicht, dass die Leute wissen, worüber ich singe. In diesem Sinne strebe ich aber wieder die Qualität von Popmusik an, in der ja auch viel Raum zur persönlichen Interpretation gibt. Ich räume aber gerne ein, dass ich keine super klare Texterin bin.
Auf der neuen Scheibe geht es aber um die persönliche Betrachtung von Umwelt-Aspekten, oder?
Ja – das und die gemeinsame Trauer darüber und die damit verbundenen Emotionen. Das andere Haupt-Thema auf der Scheibe ist aber 'Konflikt'.“
Und natürlich die im Titel besungene „Ignoranz“, richtig?
Ja, ich schrieb über Konflikte, weil wir davon umgeben sind. Das ist sehr schmerzhaft – weil es heute dabei ja oft um das Leugnen von Realitäten geht. Bei dem Konflikt, den ich meine, geht es also um das Bedürfnis, etwas Unangenehmes nicht wissen zu wollen – und das ist die Ignoranz, auf die ich mich beziehe. Es gibt da schon einige heftige Themen auf der Scheibe. Es ist objektiv vielleicht nicht so, dass dabei meine stärksten Texte entstanden sind – sie haben aber zweifelsohne eine besondere emotionale Qualität, von der ich froh bin, diese eingefangen zu haben.
Und wie entstand der Titel „Ignoranz“?
Oh ich spreche hier alle möglichen Arten von Ignoranz an. Ich weiß gar nicht, wieso ich ursprünglich auf die Idee gekommen bin, das Album 'Ignorance' zu nennen – es wurde mir dann allerdings irgendwann klar, dass sich viele Songs mit dem Thema Ignoranz beschäftigen. Es geht darum, dass Leute – auch solche wie ich - mit der eigenen Verweigerung der Erkenntnis fertig werden müssen. Es scheint mir aber so, dass sich die Leute heute oftmals eher dafür entscheiden, bewusst ignorant bleiben zu wollen und die Wahrheit gar nicht wissen wollen.
Und dann gibt es noch die visuellen Aspekte, die das Projekt begleiten. Du hast ja auch Regie bei den Videos für bislang drei der neuen Songs geführt. Hier geht es mindestens so mystisch zu, wie in Deinen Texten – aber alles scheint einem bestimmten Konzept unterworfen zu sein … oder geht es hier vielleicht um unterbewusste Gedankenströme, die visualisiert werden sollen?
Ich denke, es ist eine schöne Mischung der beiden genannten Möglichkeiten. Es fängt schon meistens mit 'stream of conscioussness' an – und dann überlege ich mir, was das bedeuten könnte und dann wird es konzeptionell. Das Video zu 'Atlantic' ist ja recht einfach – denn es ging mir hierbei um den Band-Aspekt. Aber 'Robber' und 'Tried To Tell You' sind schon exakt durchkonzipiert. Was ich gelernt habe, ist meiner Intuition zu vertrauen und offen zu sein. Und dann kann ich alles besser sortieren und einordnen und das, was keinen Sinn macht rauszuschmeißen.
In den Videos (und auf dem Cover der LP) trägst Du ja einen selbstgeschneiderten „Spiegel-Anzug“. Was hat es denn damit auf sich?
Ja, genau, ich habe mal ein Bild eines selbstgemachten Spiegel-Anzugs auf Instagram gesehen und dachte mir, dass das doch recht interessant sei. Also habe ich mir selbst einen angefertigt. Ich denke, das Konzept dahinter ist, dass es hier irgendwie um meine Gefühle auf der Bühne und das, was die Leute von mir wollen, geht. Ich dachte mir, dass es den Leuten dann bewusst wird, wenn sie sich selbst in einem Spiegel reflektiert sehen. Außerdem ist der Anzug sehr schön. Das Problem dabei ist nur, dass er so schwer ist, dass ich ihn auf der Bühne gar nicht anziehen kann. Der Spiegel hat aber auf dem Cover eine andere Rolle als zum Beispiel in dem Video zu 'Robber'.
Eine Weather Station Tour wird es ja so schnell nicht geben können. Dafür planst Du aber eine Reihe von Stream-Konzerten?
Ja – ich habe da ein Set mit meiner Band einstudiert und wir werden das auch von einem professionellen Kamerateam aufnehmen und produzieren lassen, um einem echten Live-Konzert so nahe wie möglich zu kommen. Denkbar ist, dass wir so etwas dann auch noch öfter machen, bis es wieder möglich sein wird, auf Tour zu gehen.