Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Nine Days' Wonder: The Bacillus Years (Review)

Artist:

Nine Days' Wonder

Nine Days' Wonder: The Bacillus Years
Album:

The Bacillus Years

Medium: 3-CD-Box
Stil:

Jazz-, Psyche-, Kraut-, Prog- und Indie-Rock der Siebzigerjahre aus Deutschland

Label: MIG music
Spieldauer: 166:44
Erschienen: 29.08.2025
Website: [Link]

„ZAPPA ist der Papa!“ (Walter Seyffer, Frontmann von NINE DAYS' WONDER, zur Ausrichtung seiner Band. Nachzulesen in „Rock in Deutschland – Lexikon deutscher Rockgruppen und Interpreten“, Ausgabe aus dem Jahr 1987)

Da war eine 1966 gegründete deutsche Rockband, die erst THE GRAVES und dann NINE DAYS' WONDER hieß, unter der Federführung ihres Sängers Walter Seyffer gehörig vom grandiosen ZAPPA-Virus infiziert worden. Wie es genau dazu und zu noch mehr kuriosen wie ernsthaften Ereignissen rund um die Musik der deutschen Jazz-, Psyche-, Kraut- und Prog-Rocker kam, kann nunmehr in dem 12-seitigen Booklet zur 3-CD-Box „The Bacillus Years“ im Rahmen eines dort enthalten Interviews mit Seyffer nachgelesen werden. Auch in dieser Beziehung wurde mal wieder das MIG-music-Label aktiv und beschert dem interessierten Hörer, der rund um die Historie des kräutrigen Deutschrocks nicht genug bekommen kann, ein weiteres faszinierendes Kleinod um diese längst in Vergessenheit geratene Band, indem es alle vier Studio-Alben in dieser Digipak-Box vereinte, sie liebevoll remasterte und mit besagtem, sehr informativem Booklet versah. Damit ist dann auch schon die gesamte Musik-Geschichte dieser mehr als ungewöhnlichen deutschen Rockband zu Ende erzählt, die einfach zu gut ist, um weiterhin in der Versenkung verschwunden zu bleiben.


Eins der größten Probleme von NINE DAYS' WONDER, die wild im ZAPPA-, SOFT MACHINE-, VAN DER GRAAF GENERATOR- und KING CRIMSON-Umfeld herumwilderten, waren ihre permanenten Umbesetzungen, sodass beispielsweise bereits 1970 schon ca. 20 Musiker der Neun-Tage-Wunder-Institution beiwohnten. Das konnte auf Dauer einfach nicht gut gehen. Und ging es auch nicht, trotz aller musikalischer Ambitioniertheit und Experimentierfreude zwischen schrägen E-Gitarren-Riffs und akustischen Wohlfühlmomenten sowie wildem Gebläse und spannendem Georgle, bei dem die weißen wie schwarzen Tasten gehörig bearbeitet werden. Passend dazu der oft erzählende Gesang, so wie man es von den frühen MOTHERS OF INVENTION-Werken kennt.

Bereits 1972 löste sich diese Patchwork-Band, bei der sogar der später legendäre, im Jahr 2008 verstorbene, Saxophonist John Earle (bei GRAHAM PARKER, IAN DURY sowie THIN LIZZY und verantwortlich für das grandiose Saxophon-Solo von „Walking On Sunshine“ bei KATRINA AND THE WAVES) mitwirkte, das erste Mal auf und verstreuten sich in aller Welt, während sich Seyffer zu MEDUSA, ebenfalls eine Krautrockband, begab und mit einem Großteil deren Musiker wieder zurückkehrte und im Dezember 1972 den zweiten NINE DAYS' WONDER-Anlauf unternahm. Auch der war nicht von Dauer, denn das Besetzungskarussell drehte sich lustig weiter, obwohl sie auf ihrem zweiten Album erst einmal überzeugend behaupteten, niemals die Kontrolle zu verlieren.


Das konnte man auch deutlich anders sehen, obwohl nunmehr, besonders auf dem dritten Album „Only The Dancers“ mit den zerfließenden Tanz-Zahnbürsten, die irgendwie an Dalis Uhren erinnerten, auch Einflüsse in die Musik einzogen, welche deutlich an DAVID BOWIE und dessen Ziggy-Zeit erinnerten.
Bestes Beispiel hierfür: „Long Distance Line“, der Album-Opener von „Only The Dancers“, dem zudem noch eine gewisse „Atlantis“-DONOVAN-Aura innewohnt. Ein echtes, leider extrem verkanntes Meisterstück, das allen, die noch heute ihrem „Major Tom“ huldigen, viel Freude bereiten wird. Noch dazu wirkt hier sogar der 'verrückte' VAN DER GRAAF GENERATOR-Saxophonist DAVE JACKSON mit und steuert so einige, mitunter fast typische VDGG-Gebläseeinlagen („Hovercraft Queen“) bei.

Nun aber ging es doch sehenden Auges in Richtung NINE DAYS' WONDER-Untergang, der natürlich wieder vom Musiker-Bäumchen-Wechselspiel geprägt war. Im Oktober 1975 trat die Band noch beim 'Rock-Festival in Witten' auf, um dann am 9. September 1975 ihren endgültig letzten Auftritt zu absolvieren und das Live-Kapitel NINE DAYS' WONDER abzuschließen, selbst wenn dieses noch durch ein von der Öffentlichkeit her ziemlich unbeachtet bleibendes Studio-Kapitel erweitert werden sollte.


Doch auch das vierte und zugleich letzte Album „Sonnet To Billy Frost“ konnte nichts mehr retten oder ändern. Auch wenn Seyffer als einen der Gründe hierfür selber feststellt: „Möglicherweise lag es am 'englischen' Charakter der Musik, dass diesem Werk nicht allzu viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Zu Unrecht, denn aus heutiger Sicht ist es zwar nicht das progressivste, aber mit Sicherheit das musikalisch und produktionstechnisch ausgereifteste Album der Gruppe.“
Dieser 'englische Charakter' war so gesehen die echt 'frostige' Eingängigkeit, die im Vergleich zum Debüt doch riesige Unterschiede aufweist.

So also endete die nunmehr komplett von MIG music auf „The Bacillus Years“ verewigte NINE DAYS' WONDER-Geschichte mit dieser vieralbigen Hinterlassenschaft, die einerseits in Deutschland auf dem Bacillus- und andererseits in England sogar auf dem Harvest-Label (!!!) erschien. Eine echte Wundertüte für alle, denen experimenteller, extrem ZAPPAesker Rock mit deutlichem Hang zu solchen Krautrockern wie KIN PING MEH oder TWENTY SIXTY SIX noch immer Freudentränen in die Augen treiben kann. Denen aber auch die Ziggy-Bowie-Jahre und eine etwas eingängigere britische Rock-Affinität zusagt. Denn nun bekommen sie diese komplette, wechselvolle NINE DAYS' WONDER-Dröhnung zusammengefasst in „The Bacillus Years“ - noch dazu erweitert um die extrem rare Single „Maternal Joy“.
Als da wären:

* Nine Days Wonder (1971)
** We Never Lost Control (1973)
*** Only The Dancers (1975)


**** Sonnet To Billy Frost (1976)
& die 7“-Single „Maternal Joy“ mit „Ticket To The Northpole“ und „Fat“

Die letzten Worte zu dieser NINE DAYS' WONDER-Veröffentlichung sollten unbedingt noch dem gelungenen Remaster gewidmet sein. Hier gibt es nämlich Stereo-Effekte der verrücktesten, experimentellsten Art, in dem die Töne zwischen den Lautsprechern bzw. Ohrmuscheln hin- und her-wandern und mitunter eine klare Trennung einzelner Instrumente auf den linken bzw. rechten Lautsprecher erfolgt, genauso zu genießen wie ein ausgewogenes Volumen und sehr gut abgestimmtes, vom früheren Rauschen befreites Klangbild.


Es lohnt sich eben in jeder Beziehung, seinen eigenen kleinen Musik-Kosmos um diesen nunmehr hell leuchtenden Stern der NINE DAYS' WONDER zu erweitern, weswegen hier noch einmal aus dem „Rock in Deutschland – Lexikon deutscher Rockgruppen und Interpreten“ zitiert werden soll: „Die exzentrische Mannheimer Formation, die in Frauengewändern, mit Ohrringen, Augen-Make-up und Schminke auftrat“, folgte in diesem Sinne ihrem ganz eigenen Slogan: „Wir fühlen uns für beides zuständig: für's Gehirn wie auch die Gegend unter der Gürtellinie“.
Bleibt festzustellen: NINE DAYS' WONDER lagen musikalisch nie unterhalb der Gürtellinie hochwertig ausgerichteter progressiver Rockmusik vom Kraut- bis hin zum Jazz-Rock.
Extremer Entdecker-Alarm. Wer's nicht glaubt, ist selber schuld und begebe sich direkt ins Gefängnis, auch wenn er dort der guten, deutsche Selbstbestimmungsgesetzen ad absurdum führenden Sven(ja) L. nicht mehr begegnet, die uns dafür zärtliche Liebesgrüße aus Moskau sendet.
Doch das ist schon wieder eine völlig andere 'wonder'bare Geschichte...


FAZIT: „The Bacillus Years“ von den NINE DAYS' WONDER ist aus dem Hause MIG music eine 3-CD-Digi-Box aller vier Alben der deutschen Jazz-, Psyche-, Kraut-, Indie- und Prog-Rocker, in der musikalisch, aber auch informativ im 12-seitigen Booklet, die Geschichte der Band aus Mannheim, welche sich durch eine wilde Orgie von Umbesetzungen auszeichnete und so nach knapp 10 Jahren 1976 dem endgültigen Untergang geweiht war. Die vier Studio-Alben aber sind eine herrliche Hinterlassenschaft, getreu dem Motto der Band: „Zappa heißt der Papa!“ Auch wenn mit dem 'Ziggy Stardust'-Bowie später ein weiterer musikalischer Stiefpapa hinzukam.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 70x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
[Schliessen]
Kommentar schreiben
Tracklist:
  • CD 1 = Nine Days Wonder (1971) & We Never Lost Control (1973) + Bonus Tracks = (80:08):
  • Nine Days Wonder (1971)
  • Fermillon / Puppet Dance / Square / Hope? / Morning Spirit / Fermillon Himself
  • Moss Had Come
  • Apple Tree
  • Drag Dilemma / Monotony 1 / Stomach's Choice / Monotony 2 / Interlude / Dilemma
  • Bonus Tracks by Maternal Joy
  • Ticket To The Northpole
  • Fat
  • We Never Lost Control (1973)
  • Days In Bright Light
  • Fisherman's Dream
  • Andromeda Nomads
  • The Great Game
  • Angels Due To Arrive
  • We Grasp The Naked Meat
  • Amaranda
  • CD 2 = Only The Dancers (1974) = (38:57):
  • Long Distance
  • Only The Dancers
  • It's Not My Fault
  • Frustration
  • Hovercraft Queen
  • Time Is Due
  • The Way I'm Living
  • Moment
  • CD 3 = Sonnet To Billy Frost (1976) = (47:49):
  • Alchemists
  • I Need A Rest (Part 1)
  • In Memory Of Sir Hillary
  • Five Minute Musical (Uncle Franky / Silver Forest)
  • Turn And Go On
  • Sonnet To Billy Frost
  • Empty Frame
  • Almost October
  • Jamie
  • You're Always All Alone With The Things You Love
  • I Need A Rest (Part 2)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
Benachrichtige mich per Mail bei weiteren Kommentaren zu diesem Album.
Deine Mailadresse
(optional)

Hinweis: Diese Adresse wird nur für Benachrichtigungen bei neuen Kommentaren zu diesem Album benutzt. Sie wird nicht an Dritte weitergegeben und nicht veröffentlicht. Dieser Service ist jederzeit abbestellbar.

Captcha-Frage Wieviele Tage hat eine Woche?

Grob persönlich beleidigende Kommentare werden gelöscht!