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Guru Guru: The 1971 Bremen Concert (Review)

Artist:

Guru Guru

Guru Guru: The 1971 Bremen Concert
Album:

The 1971 Bremen Concert

Medium: CD
Stil:

Kraut- und Jazz-Rock, Improvisation

Label: MIG music
Spieldauer: 57:31
Erschienen: 28.02.2025
Website: [Link]

Ein neues Lebenszeichen aus längst vergangenen Live-Zeiten von GURU GURU!
Mit „The 1971 Bremen Concert“ haben MIG music das überraschend gut – ja, man kann fast bei diesem Zeitdokument von hervorragend sprechen – klingende, 54 Jahre alte Konzert ausgegraben, das aus heutiger Sicht so einige Besonderheiten, die sicher für jeden Freund von GURU GURU hoch interessant wie auch etwas ungewöhnlich erscheinen. Und Provokationen gibt’s natürlich gratis mit dazu – zumindest wenn jemand genauer in das achtseitige Booklet zu der im Digipak befindlichen CD schaut...

Am 21. Oktober 1971 in der Aula des Bremer Gymnasiums am Leibnizplatz mitgeschnitten, begaben sich die drei Ur-Gurus Mani Neumeier (Schlagzeug und Gesang), Uli Trepte (Bass) und Ax Genrich (Gitarre) auf die Gymnasium-Bühne und spielten wie improvisierten drei ellenlange, schwer psychedelische Stücke, bei denen sie zuerst zum großen Drogenmarsch ansetzten, dann dem Rock-Pionier Bo Diddley huldigten und zuletzt völlig freidrehend Richtung Kosmos abdüsen.


Am Ende des Konzerts jedenfalls steigen wir dann mit GURU GURU gemeinsam in ihr Raumschiff und starten auf dem „Space Ship“ eine viertelstündige Reise durch alle Höhen und Tiefen des psychedelischen Space-, Jazz- und Krautrocks, die mit dem 24 Minuten langen „LSD Marsch“ samt Zwischenstopp bei „Bo Diddley“ begann.

Beim Hören diese beachtlichen Live-Kleinods darf natürlich nicht vergessen werden, dass GURU GURU zu diesem Zeitpunkt ihrer Jazz- und Krautrock-Anfänge gerade mal auf dem damals kultigen 'Ohr-Label' mit „Ufo“ (1970) und „Hinten“ (1971) zwei Platten veröffentlicht hatten und erst in Insider-Kreisen einen richtig guten wie verrückten Ruf besaßen.
Daher wurde der erste Teil des Konzerts mit einer ellenlangen Nummer (auf LP knapp 9 hier nun gut 23 Minuten lang) von ihrer ersten LP und der zweite mit den ein wenig kürzeren ihrer zweiten LP gefüllt. Das Publikum war begeistert. Der Hörer dieses qualitativ guten Live-Mitschnitts (in Stereo und mit allem Drum und Dran) durch Radio Bremen, die extra vor Ort mit schwerer Aufnahmetechnik und Conny Plank erschienen, wird’s auch sein.


Noch hinzu kommt, dass gerade anno 1971 GURU GURU durch zwei unverschämte Provokationen aufgefallen waren, die mit ihrer zweiten „Hinten“-LP zusammenhingen. Denn einerseits erregte das geschmackvoll-ironisch gestaltete 'Nackte Arsch'-Cover im verfremdet floydianischen „UmmaGumma“-(Spiegel)Bild-in-Bild-Stil bei der biederen deutschen Bevölkerung, die immer schön auf Contenance bedacht war, Aufregung und Entsetzen, als es unübersehbar in den deutschen Plattenläden stand.


Noch schlimmer wurde es aber, wenn man den Text auf der LP entdeckte (der übrigens in dem Begleittext zu dieser Live-CD auch im achtseitigen Booklet in deutsch sowie der englischen Übersetzung nachzulesen ist), der weniger lyrisch war und in den man doch tatsächlich nichts hineininterpretieren konnte: „Alles mit der Hand, sprach der Praktikant! Kind und Kegel kennt die Regel. Gevögelt werden ist nicht schwer, selber vögeln aber sehr.“
Okay, wenigstens wurde hier auf's sexuelle Federvieh anstatt auf den noch verrufeneren ….*en-Begriff zurückgegriffen. Das war doch schonmal ein Kompromiss der GURU GURU-Vögel-Experten, die nunmehr mitten in Bremen in einer der höchsten Bildungseinrichtungen, dem Gymnasium am Leibnizplatz, ihre ganz spezielle musikalische Krautrock-Sau rausließen. Und die galoppierte herrlich psychedelisch und voller ausgiebiger Soli für jeden einzelnen der drei Musiker durch die drei Stücke. Ein klangvoller Hochgenuss, bei dem man nur zu gerne selber live dabei gewesen wäre.


Und auch der Eintrittspreis dieses Konzerts im Rahmen des 'Neustadt-Jazz', abgedruckt im Inneren des aufklappbaren Digipaks, ist beachtlich: 2 Deutsche Mark und 50 Pfennige (also etwa 1 Euro und 30 Cent). Oh – Kunst und Wissenschaft bzw. Pragmatik und provokanter Freigeist müssen sich eben nicht immer wirklich vertragen oder stehen sich mitunter schlicht diametral gegenüber, wenn eine Band wie GURU GURU in der Aula eines Gymnasiums auftritt, nachdem sie gerade erst über die hohe Kunst der Selbstbefriedigung auf ihrer aktuellen Platte philosophiert hat und sich dabei auf einem Platz befindet, der auch noch nach dem großen Philosophen und Mathematiker Leibniz benannt ist, welcher unter diesem Aspekt wahrscheinlich in seinem Grab in den puren Rotationsmodus übergehen würde. Das wird GURU GURU garantiert bestens gefallen haben. Denn wenn einem eine Band einfällt, die so in etwa alle Grenzen überschreitet, selbst die der korrekten Verhaltensweisen wie Wortwahl und sauberen Taktarten wie geraden Töne, dann sind und waren das doch damals wie heute eindeutig GURU GURU!


FAZIT: Es ist schon lange, über ein halbes Jahrhundert, her, als die damals noch absolut angesagte deutsche Musikzeitschrift 'Sounds' zu diesen Live-Aufnahmen „The 1971 Bremen Concert“ von GURU GURU lauthals und schwer beeindruckt jubelte: „Mit dieser Aufnahme ist dem Toningenieur Conny Plank der Meisterwurf gelungen. Die Gurus haben sich in ihrer Musik sehr zum Vorteil verändert, ihre Musik ist nicht mehr so nervös und zerfahren, die langen, freien Exkursionen der drei Instrumentalisten liegen nun über ruhigen, langgezogenen Basslinien und einem gewaltig marschierenden Schlagzeug.“ Diesen Worten kann auch nach nunmehr 54 Jahren noch immer voll und ganz zugestimmt werden, wobei zudem das aktuelle Mastering unter der Federführung von MIG music fast an (auch aus aktueller Sicht) beste Sound-Qualität heranreicht. Für alle Fans der Band, aber auch Neugieriggewordene nicht nur beachtenswert, sondern ein zeitdokumentarischer Pflichtkauf...

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 72x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • LSD Marsch
  • Bo Diddley
  • Space Ship

Besetzung:

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