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Moor Mother: The Great Bailout (Review)
Artist: | Moor Mother |
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Album: | The Great Bailout |
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Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Experimental, Art Pop, Avantgarde, Free Jazz, Electronics, Noise |
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Label: | ANTI-Records | |
Spieldauer: | 42:34 | |
Erschienen: | 08.03.2024 | |
Website: | [Link] |
„Forschung ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit, und die Erforschung der Geschichte – insbesondere der Geschichte, Philosophie und Zeit Afrikas – liegt mir besonders am Herzen. Europa und Afrika haben im Laufe der Zeit eine sehr enge und brutale Beziehung aufgebaut. Ich bin daran interessiert, die Beziehung zwischen Kolonialismus und Befreiung zu erforschen, in diesem Fall in Großbritannien.“ (Camae Ayewas)
Came Ayewas ist die Moor-Mutter, die es sich anscheinend zur Aufgabe und hehren Mission gemacht hat, unerbittlich das traumatische Erbe des europäischen Kolonialismus in einer extremen musikalischen Mischung, die beinahe unbeschreiblich ist, nachzuzeichnen. Dafür bedient sie sich neben ihrer (Sprech-)Stimme und der ihrer Gäste an den unterschiedlichsten Stilistiken, die sich zwischen Experimental, Art Pop, Avantgarde, Free Jazz, Electronics, Noise und sonstwas bewegt und dabei mitunter den Zuhörer wie mit einem sehr bedrückenden, sorgenvollen schwarzen Schleier umhüllt. Came Ayewas klingt als MOOR MOTHER wie die Pandora der modernen Musik, die den Schrecken des historischen und noch immer aktuellen Kolonialismus sowie der Unterdrückung jeglicher schwacher Völker offenbart. Sie ist eben die tiefschwarze MOOR MOTHER, die alle Sünden von Geschichte und Gegenwart mit Hilfe ihrer ungewöhnlichen Musik offenlegt und dabei auf einen erstaunlichen Katalog von Klängen zurückgreift, der sicher so einige Hörer überfordern wird, auch weil die textlichen Botschaften dahinter erschütternd sind.
„The Great Bailout“ ist eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen Trauer und Wut, Noise und Jazz, aber auch avantgardistischen Klangwelten, die auf deprimierende, oftmals nur gesprochene oder hingehauchte oder (an)klagende Textwelten treffen und beim Hörer mitunter eine extrem beklemmende Stimmung hinterlassen, wenn die amerikanische Musikerin, Dichterin und interdisziplinäre Künstlerin ihr avantgardistisches und experimentelles Werk freisetzt und unerbittlich auf den Hörer ähnlich soundtechnisch 'einschlägt' wie es einst völlig überraschend ein TOM WAITS auf seinem experimentellen Album „Bone Machine“ tat.
Doch die MOOR MOTHER geht in der Entdeckung ihrer Noisy-Sounds noch weiter, gerade weil sie diese auch mit Texten voller durch die Unterdrückung Geschundener vereint und anprangert, wenn beispielsweise gleich im Album-Opener „Guilty“ Raia Was singt, dass sie beobachtet, wie die Sklaven-Schiffe entladen werden oder MOOR MOTHER wirft zu schweren Industrial-Sounds die Frage auf, wer für all das bezahlt, was die britische Kolonialisation den Sklaven schon historisch seit Ewigkeiten antut.
Das alles ist musikalisch wie textlich verdammt schwerer Tobak und verlangt einen Hörer, der sich knatternden Drumcomputern, freien Jazz-Attacken, Noise-Eruptionen, bedrohlichen, verstörenden elektronischen Loops sowie Stimm-Samples und der ewig anklagenden Ayewas-Stimme ohne Vorbehalte aussetzen kann. Hier regiert nicht der Rhythmus oder gar irgendwelche Harmonie, sondern die Verfremdung, Geräusche des Schreckens und Stimmen voller unerbittlicher Anklage, die sich zu einem Klanggebräu vereinen, das einen erschauern lässt – und so intensiv zu wirken scheint, wie der Gift-Cocktail, den sich Faust mischte, als er verzweifelt erkennen musste, dass er eben nicht erkannte, was die Welt in sich zusammenhält.
MOOR MOTHER dagegen erkennt, was die Welt und den Menschen besonders der dritten Welt zerstört und richtet mit tief anklagender Stimme auf „The Great Bailout“ darüber.
Es fällt tatsächlich verdammt schwer, hier irgendwelche Vergleiche heranzuziehen – aber es ist zum Glück nicht ganz unmöglich. Man stelle sich einfach nur vor, GRACE JONES und LAURIE ANDERSON sowie ANNE CLARK vereinen sich für eine Protest-Platte gegen den zerstörerischen Umgang Europas mit den afrikanischen Völkern, die schreckliche Ausbeutung dieser Länder, in denen noch immer massive Versklavung sowie Kinderarbeit existiert, die Armut und den Hunger und das Massensterben der Menschen, die für den europäischen Wohlstand mit ihrem Leben bezahlen (Hier wäre der Ausdruck 'Krepieren' besser angebracht...) müssen.
Aus diesem Grunde entscheiden sich die besagten Musikerinnen dafür, nicht ihre harmonischen, sondern fast ausschließlich ihre experimentell ausgerichteten und mit viel Sprechgesang versehenen Stücke zu verwenden, während TOM WAITS dazu seine 'Knochen-Maschine' anwirft. Dann nähern wir uns der befremdlichen wie bedrückenden und gleichermaßen faszinierenden Musik – oder besser den Klang-Experimenten von „The Great Bailout“ – dem bereits achten Albums von MOOR MOTHER.
FAZIT: „The Great Bailout“ von MOOR MOTHER ist ein bedrohliches, anklagendes und grenzüberschreitendes Klang-Experiment aus Experimental, Art Pop, Avantgarde, Free Jazz, Electronics, Noise und allem, was beim Hören ein bedrückendes, beängstigendes und trotzdem irgendwie (wenn man sich solcher Klanggewalt öffnen kann) faszinierendes Gefühl hinterlässt. Unerbittlich wie die Musik – oder gar noch unerbittlicher als diese – sind die Texte auf dieser 'großen Rettungsaktion', die sich mit Kolonialismus, Sklaverei und Kommerz in Großbritannien auseinandersetzt und einer Klageschrift gleich in ähnlich permanentem Sprechgesang vorträgt. So ist dieses Album, dessen Thema genauso schwarz ist wie das Vinyl, auf das es gepresst wurde, ein Werk, das mehr als nur Seltenheitswert besitzt, sondern auch die moralischen Grundsätze, welche die 'erste Welt' auf Kosten der 'dritten Welt' erhebt, vollumfänglich infrage stellt. Schwer zu konsumieren – und gerade darum ein musikalisches Kleinod der ganz besonderen (anderen) Art.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (22:09):
- Guilty – feat. Lonnie Holley & Raia Was (9:54)
- All The Money – feat. Alya Al-Sultani (4:12)
- God Save The Queen – feat. Justmadnice (3:46)
- Compensated Emancipation – feat. Kyle Kidd (4:17)
- Seite B (20:25):
- Death By Longitude (5:01)
- My Souls Been Anchored (1:13)
- Liverpool Wins – feat. Kyle Kidd (4:18)
- South Sea – feat. Sistazz Of The Nitty Gritty (9:00)
- Spem In Alium (0:53)
- Gesang - Camae Ayewas
- Keys - Camae Ayewas
- Sonstige - Camae Ayewas (Sounds, Samples, Electronics), Saint Abdullah, Olof Melander (Samples)
- The Great Bailout (2024) - 11/15 Punkten
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