Schmaler ist es geworden, das Gesicht auf dem Cover von "Southeastern"… JASON ISBELLs viertes Studioalbum, ursprünglich erschienen am 11. Juni 2013, erscheint zu seinem zehnjährigen Veröffentlichungsjubiläum remastert mit umfangreichem Bonusteil und eben auch einem "aktualisierten" Cover, auf dem der Künstler abgenommen hat sowie gleichermaßen reifer und vom Leben gezeichnet aussieht… letzteres aber vermutlich im Guten.

"Southeastern" entstand im Zuge von Isbells Alkoholabstinenz nach jahrelanger Abhängigkeit und wurde unmittelbar vor seiner Hochzeit mit Mitmusikerin Amanda Shires fertiggestellt; tatsächlich legte er noch letzte Hand an die Aufnahmen an, ehe er mit seiner frisch Angetrauten in die Flitterwochen aufbrach. Die Songs, die der Gitarrist und Sänger auf Anraten seines Co-Produzenten (neben Ryan Adams) und Freundes Dave Cobb jeweils in einem Take einsang, sind vor diesem persönlichen Hintergrund aber alles andere als eitel Sonnenschein.

Isbell zeigt sich auf "Southeastern" recht vielseitig, obwohl seine Begleitband 400 Unit unbeteiligt bleibt. Er beschränkt sich größtenteils auf Akustikgitarren, ein paar Slide-Parts und gelegentliche Fiddle-Einschübe von Shires, die hier und dort auch mitsingt. Die Textinhalte sind teilweise harte Kost und sprechen nicht nur von der Läuterung des Künstlers, sondern von den herben Schicksalsschlägen anderer Menschen, die im Grunde jede(r) von uns sein könnten.

Der recht kraftvolle Country-Rocker 'Stockholm', das positiv schwerfällige 'Flying Over Water' und das regelrecht power-poppige 'Super 8' mit Vocals von Will Johnson bilden "laute" Ausnahmen, das Gros des Materials ist gedämpfter Natur, allen Tracks voran die melancholischen Liebeslieder 'Cover Me Up' und 'Relatively Easy', dann die finstere Beziehungskiste 'Live Oak' und der Missbrauchs-Rachesong 'Yvette', Pendant zu und Fortsetzung von 'Daisy Mae' von der zwei Jahre zuvor erschienenen LP "Here We Rest".

In 'New South Wales' kehrt der damals 34-Jährige Isbell eine Weisheit hervor, deretwegen man ihn für einen Altmeister der amerikanischen Singer-Songwriter-Schule halten könnte; anderswo stellt er eine Krebserkrankung auf haarsträubend eindringliche Weise als 'Elephant' im Raum dar, was auch mit ein Grund dafür sein dürfte, dass der Rolling Stone "Southeastern" in seine (sicherlich streitbare) Liste der 500 besten Alben aller Zeiten aufgenommen hat.

Das Originalalbum wurde auf eine der drei CDs respektive vier LPs gepresst, die Geburtstags- Neuauflage enthält Demos (noch einen Tick uriger als die endgültigen Fassungen) und Live-Versionen aller Songs auf den weiteren Tonträgern, wobei der Konzertmitschnitt aus dem Dezember 2022 im Bijou Theatre in Knoxville im US-Bundesstaat Tennessee aufgrund seiner Aktualität im Vergleich zur 2013er Version besonders spannend anzuhören ist. Alles klingt ein bisschen fülliger (anders als das besagte Gesicht auf dem Cover) und doch nicht weniger authentisch. So oder so…

FAZIT: Mit "Southeastern" liegt ein unverwüstlicher Americana-Klassiker jüngeren Datums in seiner vermutlich ultimativen Form vor. Wer JASON ISBELLs Schlüsselalbum noch nicht kennt, bekommt mit der "10th Anniversary"-Edition die perfekte Gelegenheit dazu.