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Troitsa: Zimachka (2011) (Review)
Artist: | Troitsa |
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Album: | Zimachka (2011) |
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Medium: | CD | |
Stil: | Weißrussische Weltmusik |
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Label: | Beste! Unterhaltung | |
Spieldauer: | 61:25 | |
Erschienen: | 29.07.2013 | |
Website: | [Link] |
„Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ Mit solchen und ähnlich klugen Weisheiten bombardierte man uns lange Zeit von früh bis spät in einem Teil Deutschlands, der sich für den sozialistischen Weg entschieden und alle seine Bürger als Gefangenenkarawane ins Schlepptau genommen hatte. Wir frei- oder unfreiwilligen Knastis hassten solche Sprüche und bald auch dieses eklige, kommunistische Land, das als unser großer Bruder dem kleinen Zonen-Brüderchen die Richtung vorgab. Und wer nicht hörte, der bekam nicht nur Schläge, sondern wurde auch mal ganz locker eliminiert. Man hatte Angst vor allen, die eine systemgefährdende Wahrheit aussprachen und andere vielleicht auf ihre Seite ziehen würden – und so waren diejenigen, die die Wahrheit sagten und Unmenschlichkeiten aufdeckten, plötzlich Vaterlandsverräter und Saboteure. Aus heutiger Sicht waren wir kritischen Freigeister im Grunde alles lauter kleine Edward Snowdens. Wir waren mutig und stolz darauf, die oder unsere Wahrheit zu sagen und man bedrohte uns dafür mit der Todesstrafe. Nie hätte ich gedacht, dass solche Zeiten noch einmal anbrechen würden, doch leider gilt plötzlich in dieser Beziehung wieder: „Yes we can!“
Damals also wollte ich alles, was von irgendwelchen russischsprachigen Bruderländern kam, einfach nur in die Tonne drücken. Doch dann lese ich plötzlich zu einer CD, die mir zum Besprechen gereicht wird und von einer Band aus Belarus stammt, genau solche Zeilen, die mir diesen „Big Brother is watching you“-Wahn nicht nur wieder bewusst werden lassen, sondern auch zeigen, dass es tatsächlich noch Möglichkeiten gibt, diesem (auch mit der Hilfe von Musik) zu entfliehen: „Heutzutage leben wir an Orten, an denen nur wenige alte Eichen übrig geblieben sind und nur wenige feiern die Feste „Koljada“ und „Orja“. Bienen summen nicht mehr und Enten quaken nur noch selten in unseren Gärten, aber wir alle drücken Sorge, Glück, Leid und Lachen in einer einzigen universellen Sprache aus: die Sprache der Natur, die Sprache des Lebens. Genau hierum geht es bei der Musik von „Troitsa“. Deshalb schafft sie es auch die Verhärtung unseres täglichen Stresses und der Probleme zu durchbrechen und mitten im Herz der Menschen anzukommen. Sie macht die Quintessenz der uralten Weisheit spürbar, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, unabhängig von kulturellen und sprachlichen Verschiedenheiten.“
Sehr weise – und in Bezug auf TROITSA – sehr wahre Worte!
Vor mir also liegt nun diese CD des Ethno-Trios TROITSA (Einfach mal anklicken und Augen sowie Ohren machen!) aus Weißrussland und ich bin begeistert. Doch genau mit dieser Begeisterung ziehen in mir auch wieder die finsteren Gedanken der Vergangenheit (und leider auch Gegenwart) auf, die ich sehr bewusst als Einleitung für „Zimachka“ (Winter) wählte. Denn in diesem Album werden (weiß)russische Musiktraditionen mit Weltmusik, Folk-Rock und ethnischen Klängen verbunden, die ihresgleichen suchen und vor den unterschiedlichsten Stimmungen nur so übersprudeln. Dazu kommt noch eine Bassstimme von IVAN KIRCHUK, die jedem geheimdienstlichen Spähprogrammauswerter beim „Ab“-Hören vor Schreck den im Dickdarm steckenden Kupferbolzen ins Bruno-Banani-Unterhöschen drücken würde, bis die digitalisierte Scheiße in seinem Spitzelhirn wieder ein bisschen weiter nachrücken kann.
Musik, die bewegt, erregt, fesselt.
Musik, nach der man überlegt, ob wir nicht endlich wieder alte, vielleicht sogar volkstümliche Traditionen und neue, aber anspruchsvolle Musik miteinander verbinden sollten, statt in volkstümelndem HEINO-Stolz zu verharren oder in RAMMSTEIN-Manier beim Konzert einen Gummi-Pimmel aus der Hose zu holen und mit künstlichem Sperma um uns zu spritzen, weil das so mega-cool ist. Nicht umsonst sind die deutschen Brachial-Jungs wohl gerade in den USA so beliebt.
TROITSA aber werden dort kaum eine Chance haben, denn spätestens wenn Ivan (der Schreckliche) mit langem, grauen Bart als die Reinkarnation aus einem Kosaken und Väterchen Frost die Bühne betritt, wird keiner mehr darauf warten, dass er dort ein Feuer entfacht und „Bück dich“ singt, sondern voller Ehrfurcht vor dessen Erscheinung niederknien sowie andächtig und erwartungsvoll auf das harren, was dieser Musiker aus allen Instrumenten, die er um sich drapiert hat, herausholen wird. Und wenn er dann diese IVAN REBROFF-Stimme erhebt, die unseren Hörgewohnheiten anfangs sicher erst einmal einen kleinen Kulturschock bescheren wird, ist es um uns geschehen. Nur einlassen müssen wir uns darauf, das Ungewohnte annehmen, statt getreu dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht!“, das bis dato musikalisch Unbekannte abzulehnen.
Die Grundlage der TROITSA-Musik bilden traditionelle Volkslieder, die weit in eine Zeit zurückreichen, als die Menschen noch eng mit der Natur verbunden waren, statt ehrgeizig an deren Zerstörung zu arbeiten. Und so sind auch die Instrumente, die wir auf „Zimachka“ hören, sehr ursprünglich, wie Flöten und Pfeifen aus unterschiedlichen Hölzern, Büffel- und Kuhhörner, Gudok und Balalaika aus Birkenholz, eine Udu (Trommel) aus gebranntem Ton, handgefertigte Leiern mit Holzpflöcken am Schalenrand … am Ende sind es tatsächlich ca. 50 traditionelle Instrumente, die von den drei Musikern gespielt werden. Und jeder, der daran zweifeln sollte, dem sei nur mal ein kurzer Blick in dieses Live-Video empfohlen.
Solch traditioneller Urwüchsigkeit aber steht eine produktionstechnisch perfekte Aufnahme entgegen, die wirklich ihresgleichen sucht. Selten habe ich ein Album dermaßen unter meinen Kopfhörern genossen wie „Zimachka“! Und ein Blick dabei ins Digi-Pack verrät uns noch alle Hintergründe zu jedem einzelnen Titel. So erfahren wir beispielsweise zu dem wundervollen „Dabranach“, dass es sich hier um ein Lied handelt, das früher bei Hochzeiten von der Tochter gesungen wurde und in dem sie sich für immer von ihren Eltern verabschiedet, da eine verheiratete Frau damals nicht wieder in den Schoß ihrer Familie zurückkehren konnte. Bei modernen Hochzeiten verzichtet man heutzutage allerdings auf dieses unglaublich traurig klingende Musikstück, das in der Version von TROITSA nach viereinhalb Minuten allerdings regelrecht explodiert.
Unbedingt hervorgehoben werden muss auch der Percussionist dieses Trios, der die spannendsten Percussion- und Trommelklänge erzeugt, welche tatsächlich an den wohl größten noch lebenden indischen Percussionisten – TRILOK GURTU – erinnern. „Mar'ya“, eingeleitet mit Flöte und akustischer Gitarre, ist nach einer Minute Laufzeit für die verbleibenden vier Minuten das beste Beispiel dafür.
TROITSA sind unvergleichlich – und selbst wenn jemanden vielleicht OLE LUKKOYE in den Sinn kommen sollte, dann trifft dieser Vergleich nur ansatzweise zu, da sich Ole Lukkoye viel stärker dem elektronischen Instrumentarium zuwenden und auch vor angenehmen Pop-Melodien und indianisch anmutenden Gesängen nicht zurückschrecken, während TROITSA konsequent die traditionellen Spielweisen bevorzugen, aber diese auf eine unglaublich progressive, abwechslungsreiche Musikalität erheben, die einem stellenweise den Atem raubt und sogar vergessen lässt, dass im digitalen Zeitalter der „Kalte Krieg“ sogar unter angeblichen Freunden wieder fortgesetzt wird.
FAZIT: Absolutes Highlight der Weltmusik, das sich vorrangig an weißrussischen Wurzeln orientiert und trotzdem unglaublich modern und soundtechnisch perfekt klingt.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Zimachka
- Mar'ya
- Kozka
- Kotka
- Kozache
- Rodze
- Yak Z Dwara …
- Dabranach
- Sonca Kocicca
- Bass - Yury Dzmitryeu
- Gesang - Ivan Kirchuk, Yury Dzmitryeu
- Gitarre - Yury Dzmitryeu, Ivan Kirchuk
- Schlagzeug - Yury Paulouski
- Sonstige - Flöten, Hörner, Zhaleykas, Smyk, Ocarinas, Domra, Gusli, Kalimba, Lira, Darabuka, Gongs und vieles mehr
- Zimachka (2011) (2013) - 13/15 Punkten
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