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Nordic Giants - Feierwerk München - 10.12.2017

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Von den Grenzen der Live-Musik.

Am 10. Dezember macht das englische Post Rock-Duo NORDIC GIANTS im Münchner Feierwerk Halt – eine der wenigen Gelegenheiten in dieser Zeit, die Band in Deutschland zu erleben und sich das neue Album „Amplify Human Vibration“ vorstellen zu lassen. Dass der Andrang groß wäre, kann man dennoch beileibe nicht behaupten. Die lokale Vorband Zebrathought performt ihren netten, ein wenig schlüpfrigen und in diesem Kontext ziemlich unpassenden 80er-Jahre-Poprock vor ca. 30 Leuten, zum Hauptact werden es dann geschätzte +50, von (Über-) Füllung kann aber zu keinem Zeitpunkt die Rede sein.
Das Bühnensetting sieht folgendermaßen aus: Eine große Leinwand bildet den Hintergrund, den vorderen Bühnenbereich teilen sich in der Hauptsache ein hochkant gestellter Flachbildfernseher und eine Nebelmaschine. Und im diffusen Halbdunkel dazwischen operieren die nordischen Giganten, einander gegenüber am Synthesizer bzw. Schlagzeug sitzend.

Nordic GiantDie einzigen Gelegenheiten, bei denen man die Musiker mit ihren bemalten freien Oberkörpern, den Lendenschurzen und natürlich den mirakulösen Masken, oder besser: Federhelmen, deutlicher sieht, sind die raren Momente, wenn Rôka Skulid und Loki aufstehen, um die Gitarre mit einem Bogen zu streicheln bzw. Trompete zu spielen.
Was anstatt der Musiker (und auch der Musik) die Aufmerksamkeit der Zuschauer gewaltsam kapert: Leinwand und Bildschirm, auf denen zu jedem Lied ein Kurzfilm gezeigt wird. Manchmal sind diese Filme animiert, meistens mit deutlich sichtbarem Aufwand produziert. Und eigentlich immer malen sie drastische (dystopische) Bilder von den Enden der Menschheit und/oder der Menschlichkeit. „A policeman shoots a young man / And a child runs away from war / A suited man looks down on lands / He claims he never saw / Any of the above / Honestly now / (`The fuck went wrong?) / Incapable of love“ Mit diesen Zeilen vom letzten THE UNDERGROUND YOUTH-Album lässt sich ganz gut auf den Punkt bringen, was man hier geboten bekommt – neben allerlei Hollywood-esker SciFi-Action. Dem gegenüber steht unser aller Macht zum Guten: Die menschenfressenden Bürogebäude fallen in sich zusammen, die grauen Anzüge werden vom Leib gerissen. Einen prominenten Platz nehmen (wie auch auf dem Album) Aufnahmen einer Rede oder Ähnlichem ein: Aus dem Off tönt immer wieder eine sonore Männerstimme, die Sätze sagt, wie: „We are the power“, „We are energy“, oder „The world is build on trust“. Alles schön und meist unterschreibbar – aber auch stark simplifizierend.


Auch wenn man die generellen Ansichten der Band teilt und ihren Ansatz, kritische Töne im stereotypen Realitätsflucht-Genre Post Rock anzuschlagen, befürwortet: Die Tatsache, dass hier in Breitleinwand und Stereo dazu aufgerufen werden kann, Hass, Angst, Egoismus und Kapitalismus hinter sich zu lassen, wird zu einem nicht unerheblichen Bestandteil dadurch ermöglicht, dass andernorts Menschen eben diese Wahl nicht haben, ebensowenig die Möglichkeit, an einem Sonntag ein Konzert zu besuchen, sich etwas zu trinken und dazu noch eine Platte zu kaufen, wie die mehrheitlich weiße, männliche Zuschauerschaft an diesem Abend. Stattdessen müssen jene z.B. die Platinen verlöten, die die hochauflösenden Animationen in den Filmen prozessieren – oder die T-Shirts nähen, auf die später dieses oder jenes Bandlogo gedruckt werden wird.
Nordic Giant
Dadurch, dass man von zwei (meiner Meinung nach: einer zu viel) Bildquellen beflackert wird, erreichen die NORDIC GIANTS mit Leichtigkeit ihr erklärtes Ziel: Ihre Musik wird zur Filmmusik, tritt hinter die auf der Leinwand erzählten Geschichten zurück, bildet einen emotionalisierenden Unterbewusstseins-Strom, der sich selten in den Vordergrund der Aufmerksamkeit schiebt. Damit geht aber leider viel vom „Geist“ einer Liveshow verloren. Die meiste Zeit hätte das Duo auch backstage ein Club Mate zischen und die Musik wie im Kino vom Band laufen lassen können; die dominierende Ausdrucksform ist die des Films und diese ist nun einmal eine mechanische, automatisierte. Für die Wendigkeit und Lebendigkeit eines (im weitesten Sinne) Rock-Konzerts bleibt da wenig Platz.
Das ist schade, denn so muss man sich regelrecht zwingen, die Augen zu schließen und sich der Musik der NORDIC GIANTS zuzuwenden, die auf wunderbare Art eine viel direktere Sprache spricht, als das jeder Film (der an diesem Abend gezeigt wird) vermöchte und gleichzeitig weniger Plakat, als vielmehr Tür ist, die sich jedem öffnet, aber in ganz unterschiedliche Räume und Träume führt.

FAZIT: Ein interessantes Live-Erlebnis mit großer Musik, das zum Nachdenken anregt – nur vielleicht nicht in einer Weise, wie es der Intention der Macher entspricht.

Tobias Jehle (Info)

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Live-Fotos

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