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Dream Theater / Neal Morse - Amphitheater Gelsenkirchen - 24.06.2009
"1 Year & 1 Day, 115 Shows, 105 Cities, 35 Countries, 5 Continents, Hundreds of Thousands of Fans... 1 Band" - so lautete der vor Gigantomanie strotzende Slogan der letzten DREAM THEATER-DVD-Veröffentlichung "Chaos in Motion". Als nächsten Schritt hätte man vielleicht erwartet, dass sich die New Yorker ihre Gesichter in einen "Mt. Rushmore II" schnitzen lassen.
Wer die "Weltmusiker" mal nahbarer erleben wollte, hätte sich an einem warmen Junisommerabend im lauschigen Amphitheater von Gelsenkirchen einfinden müssen. In seiner einzigen längeren Ansage machte James LaBrie Witze über die Unaussprechbarkeit von "Gelsenkirchen" ("Yes, we know Hamburg, Frankfurt, Berlin... but GELSENKIRKEN?!?"), Mike Portnoy war Stunden vor dem Konzert beim relaxten Small Talk unter der Arena zu erblicken und später kommunizierte er mit jenen Schaulustigen auf der anderen Seite des Flusses hinter der Bühne, die dem Treiben für lau beiwohnten. Die Arena, mit einem Fassungsvermögen von etwa 5.000 bis 7.000 Zuschauern ohnehin kein Ausbund von Größenwahnsinn, konnte längst nicht als ausverkauft bezeichnet werden, wenngleich sich die lichten Stellen dichteten, je älter der Abend wurde. Doch die hübsche Bescheidenheit des Ambientes sollte dem Erlebnis schnell zum Vorteil gereichen.
Bevor die Progmetal-Pioniere dem Publikum jedoch ans Leder durften, hatte ein gewisser NEAL MORSE eine ganz besondere Aufgabe. Nein, mitnichten sollte er die Menschen zum Christentum bekehren, er sollte sie anheizen, und das funktionierte ausgezeichnet.
Zwar war man sich nie so ganz sicher, ob es wirklich legitim war, dem streng gläubigen Ex-Spock-Bart die Pommesgabel zu zeigen, aber die Versuchung war einfach zu groß! Der Bruce Campbell-Lookalike (warum ähnelt Morse ausgerechnet dem Mann, dessen Hand einst vom Teufel besessen war?) lieferte mit seiner Band eine musikalisch einwandfreie Show voller Homogenität, da passte jeder Baustein ineinander. Liebenswert der etwas hilflose Versuch des Headbangens, sympathisch die gute Laune, die Morse von der vordersten bis in die hinterste Reihe verbreitete, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: mitten im Konzert verließ der Frontmann die Bühne und mischte sich unter die hocherfreute Menge. Später dann gab es ein Duett mit dem eigenen Sohnemann, und in zwischenmenschlichen Momenten wie diesen musste man differenzieren zwischen Emotionen und religiöser Predigt. Gelang das, so konnte man die immer auf den Punkt hervorragend harmonierende Musik genießen, ohne ständig an das Predigende denken zu müssen, das fast jeder Pose des Neal Morse gehorchte - von den Texten ganz zu schweigen.
Kurz vor Ende hatte Drummer Colin Leijenaar seinen Platz zu räumen, denn für die SMPT-Nummer "We All Need Some Light" gab niemand Geringeres als DREAM THEATER-Oktopus Mike Portnoy ein erstes Stelldichein. Mitten in einen ohnehin vom berauschten Publikum schon begeistert aufgenommenen Refrain platzte der Entertainer in die Band und provozierte noch lauteren Jubel. Leijenaar wurde kurzzeitig an die Rassel verwiesen und die TRANSATLANTIC-Vorderachse war zum Jammen vereint.
Nach dem insgesamt gelungenen Vorgeschmack kam die Größe DREAM THEATERs dann doch ein bisschen heraus, denn die extravaganten Instrumente von Mike Portnoy und Jordan Rudess beschäftigten hinter einem schwarzen Tuch eigens eine Crew, während vorne die deutlich kleineren Gerätschaften der MORSE-Band abgebaut wurden.
Dann endlich erklang das berüchtigte "Psycho"-Theme. Unter tosendem Applaus enterten nacheinander Jordan Rudess, John Myung, Mike Portnoy und John Petrucci die Bühne, um die ersten Takte von "In the Presence of Enemies Part I" anzustimmen. James LaBrie stieß kurz darauf für den Gesangspart dazu und interagierte sofort mit dem Publikum. Besonders der Mikrofonständer hatte es ihm merklich angetan, wurde der doch immer wieder wie eine Lanze in die Höhe gestoßen und in die Fanmeute gehalten.
Einen großzügigen Schweif durch die Bandgeschichte bot der Fünfer schließlich unter freundlichem Himmel, der mit jedem Song ein Stück mehr ins Purpurschwarze der Gelsenkirchener Nacht mutierte. Abgesehen von "When Dream And Day Unite" und "Octavarium" wurde jedes Album berücksichtigt. Ein besonderes Geschenk ging diesmal an die "Awake"-Fans, deren Lieblingsplatte gleich einen Dreierpack bereitstellte: "Caught in a Web", "Erotomania" und "Voices" wurden hintereinander an einem Stück gespielt und boten gemeinsam wohl die Überraschung des Abends.
Weniger überraschend kam "A Rite of Passage" daher: Zu oft ist der einzige Song des aktuellen Albums "Black Clouds and Silver Linings" bereits gespielt worden, als dass er hier eine Besonderheit dargestellt hätte. Niemand hatte erwartet, dass das neue Epos "The Count of Tuscany" ausgepackt werden würde, aber wenigstens ein Stück wie "A Nightmare to Remember" hätte man sich der Abwechslung halber mal gewünscht, zumal frühe Schlangesteher vor den Eingangshallen angeblich gehört haben, wie eben jenes Stück in den Katakomben live geprobt worden sei. Dennoch überzeugte auch "A Rite of Passage" mit einer druckvollen, harten Darbietung, die sich von der mäßig begeisternden Albumversion klar abhob.
Obwohl allen Beteiligten hohe Spielfreude attestiert werden konnte - insbesondere Jordan Rudess’ Verzicht auf selbstzweckhaftes Gedudel zugunsten von atmosphärischen Keyboardsolos sowie einem eindrucksvollen Duett mit Gitarrist Petrucci ist herauszuheben - stand einmal mehr der Mann mit dem lila Bart im Mittelpunkt. Wo LaBrie sich in Instrumentalpassagen in den Hintergrund absetzte (No Offense, sowohl seine Gesangsleistung als auch seine Interaktion mit dem Publikum konnten sich unter dem Strich mehr als sehen lassen), war Portnoy immer präsent. Die Drumsticks wurden alle paar Minuten jongliert, der Blickkontakt ins Publikum durch die Becken hindurch immer aufrecht erhalten, es wurde angeheizt und Druck gemacht, dirigiert und delegiert, und nie bestand ein Zweifel daran, wer das Zentrum der Band ist. Die hochkonzentrierten Flanken John Myung und John Petrucci waren komplett auf ihre Instrumente fixiert - das rückte das metallische Ungetüm auf der Empore nur noch mehr ins Zentrum.
FAZIT: Nach einer Dreiviertelstunde NEAL MORSE und ziemlich exakt zwei Stunden DREAM THEATER gingen am Amphitheater die Lichter aus. Die Zugabe wirkte trotz Medley-Charakters obligatorisch, ohnehin war viel Routine im Spiel, das tat der Spielfreude jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, das Paradoxon, die großen ProgMetal-Pioniere in einer sympathischen Arena zu leben, die eher durch naturverbundene, halboffene Atmosphäre punktete als durch schiere Ausreizung von Kapazitäten, das war das eigentliche Erlebnis an einem Abend, bei dem vom Wetter bis zur Musik so ziemlich alles stimmte - abgesehen von den T-Shirt-Preisen.
SETLIST
NEAL MORSE
- The Creation
- Leviathan
- We All Need Some Light (feat. Mike Portnoy)
- Author of Confusion / I'm The Guy
- Cradle To The Grave
- Lifeline
DREAM THEATER
- In The Presence Of Enemies Pt. I
- Beyond This Life
- Take The Time
- A Rite Of Passage
- Hollow Years
- Caught In A Web
- Erotomania
- Voices
- Solitary Shell
- Forsaken
- As I Am
- Medley:
I: Metropolis Pt. I
II: Learning To Live
III: A Change Of Seasons: The Crimson Sunset