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Interview mit NeverDream (28.03.2014)

NeverDream

Gerade ist mit „The Circle“ das exzellente vierte Album der italienischen Komplex-Rocker NEVERDREAM erschienen. Ein düsterer Noir, versetzt mit harscher Religionskritik. So interessant wie kontrovers. Die Musik dazu: Eine ganz eigene Art von abwechslungsreichem Prog mit deftigen, metallischen Spuren; kurz und eindeutig NEVERDREAM. Musikreviews-Redakteur Jochen König sprach mit Texter, Songschreiber, Drummer, Produzent und Gründungsmitglied Gabriele Palmieri.   

Herzlichen Glückwunsch zum gelungenen "The Circle". Euer neues musikalisches Baby ist geboren und sieht und hört sich toll an. Entspricht das Album euren Erwartungen?

Danke! Ja, es hat sogar alle unsere Erwartungen übertroffen. Die Reaktionen der Fans und der Medien waren bislang sehr positiv - wir sind sehr zufrieden mit unserer Arbeit;  unser Baby macht seine ersten Schritte ... hehe.

"The Circle" ist euer viertes Album in acht Jahren. Der Zeitraum zwischen "Said " und " The Circle" ist doppelt so lang, wie die Dauer zwischen den ersten drei Produktionen  Lag es am umfangreichen Konzept oder gab es andere Gründe?

Das Songwriting von „The Circle“ gestaltete sich sehr komplex. Wir haben versucht jedes noch so kleine Detail während unserer Arbeit am Album und den einzelnen Songs zu berücksichtigen. „The Circle“ dauert mit 88 Minuten weit länger, als unsere vorherigen Werke, und dies ist einer der Gründe für die lange Produktionsphase. Die Geschichte von „The Circle“ besitzt viele Protagonisten, und jeden mit Sorgfalt und Seele zu charakterisieren und diese Charakteristika musikalisch umzusetzen, braucht seine Zeit. Es war eine lange, harte, aber spannende Aufgabe. Parallel dazu haben wir das zum Album gehörende Buch verfasst, parallel zum Songwriting. Das war ebenfalls eine anspruchsvolle Aufgabe, der wir viel Zeit gewidmet haben. Selbst die Produktion verlief anders als in den Jahren zuvor. Wir arbeiteten noch akkurater daran, sowohl während der Aufnahme wie beim abschließenden Mix.

Ich weiß und schätze, dass ihre eure Musik durch anspruchsvolle und gesellschaftskritische Inhalte stützt. Ihr habt euch mit den Auswirkungen der Drogensucht befasst („Chemical Faith“), mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl („Souls: 28/04/86“) sowie die verschiedenen Facetten der afrikanischen Krisenherde beleuchtet („Said“). Welche Geschichte erzählt "The Circle"?

„The Circle“ ist ein Konzeptalbum über einen amerikanischen Serienkiller in der Stadt Corpus Christi, Texas, der sechs Frauen getötet hat. Die Körper der erwürgten Frauen werden am Straßenrand gefunden, der Killer hat jedem seiner Opfer die Augenlider mit einem weißen Faden zugenäht. "The Circle" erzählt die Geschichte einer Familie, die von einem fanatisch-religiösen Vater dominiert wird, dessen verdrehte Sicht auf Frauen das Familienleben prägt. Zudem spielt das schwierige Thema des sexuellen Missbrauchs eine wichtige Rolle. „The Circle“ ist eine Mischung aus Noir und Psychothriller, von Georgio Massimi und mir geschrieben. Tatkräftig unterstützt hat uns die äußerst talentierte Kriminalroman-Autorin Maria Theresia Valle. NEVERDREAM haben den Soundtrack zu dieser Geschichte komponiert.

Eure ersten drei Alben beschäftigen sich mit realen Ereignissen, oder im Fall von "Chemical Faith", Menschen, die zumindest kurzzeitig die Zeitgeschichte prägten. Eure Texte handelten von frappanten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ereignissen, die stark unsere Gegenwart beeinflusst haben. Die religiösen Bezüge und die Missbrauchsthematik von "The Circle" liefern zwar einen gesellschaftspolitischen Hintergrund, aber der Roman selbst ist ein Werk der Fiktion. Eine (kleine) Änderung Eurer Themen, oder einfach nur eine logische Weiterentwicklung ?

Religion und religiöse Bezüge sind der Brennpunkt unserer Historie. Religiöser Extremismus bzw. Fundamentalismus bringt eine Plage über die Welt, die so viele  Opfer fordert wie Schusswaffengebrauch. Es wäre ein Fehler, dies als ein soziales Problem nur im Zusammenhang mit Terrorismus und/oder "Al-Qaida" zu betrachten. Ich glaube, dass die Lehren, die viele Religionen predigen, von einem rachsüchtigen Gott, der Sünder bestraft und ähnliches, nichts anderes sind als eine Form des Terrorismus, der zahlreiche unschuldige Opfer fordert. Eine logische Progression:  Ja - es schien genau die richtige Zeit zu sein, unsere Geschichte jetzt zu erzählen.

Religion spielt also eine gewichtige Rolle im NEVERDREAM-Kosmos?

Ich halte es für faszinierend, dass Religion buchstäblich überall zu finden ist: Ob in Bücher, Denkmälern oder Tempeln. Die Idee der Religion ist für mich ausschließlich von historischer Bedeutung; ein weltweites Phänomen, welches das Schicksal der Menschheit die meiste Zeit durch Vernichtung und Völkermord geprägt hat.

Ist „The Circle“ der Beginn einer neuen Trilogie?

Nein, definitiv nicht, ich bin kein J.K. Rowling-Typ.

Obwohl sich die Bandstruktur von NEVERDREAM in den letzten Jahren verändert hat, wirkt „The Circle“ doch wie eine organische Entwicklung. Wie ist euch das gelungen? Gab es keinen Bruch wegen der personellen Veränderungen? Hinterließ nicht besonders das Ausscheiden eures langjährigen Bassisten Federico Criscimanni eine Lücke ?

Ich denke wir haben uns, hauptsächlich in Bezug auf Arrangements und Kompositionen, immer weiter entwickelt. Wir sind als Musiker, gerade was unser technisches Niveau in den letzten Jahren betrifft, gewachsen. Eine andere Erwägung besteht darin, dass „The Circle“ sehr Dialog-orientiert ist und auf einer Reihe genau ausgearbeiteter Ereignisse basiert: Aktionsreichtum und die direkte Konfrontation sind von elementarer Bedeutung. Die gesamte Struktur des Albums verlangte, dass wir direkter zu Werke gehen als früher. Federico und Andrea standen für ein anderes Soundbild, was natürlich den Gesamtklang der Band beeinflusst hat, aber keine Auswirkungen auf die Komposition der aktuellen Songs besitzt.

Eure Musik ist ein hoch energetischer Mix aus Prog-Metal, anspruchsvollem Rock bis Jazz und Soundtracks. Wie würdet ihr selbst eure Musik beschreiben und was sind eure Haupteinflüsse?

Nach mittlerweile vier Alben sollte unser Musikstil vielleicht schlicht als „NEVERDREAM“ eingestuft werden. Unsere hauptsächlichen Einflüsse sind die Charaktere, durch deren Augen wir unsere Geschichte(n) erzählen.

War es eine bewusste Entscheidung, ein Doppelalbum aufzunehmen?

Als wir daran gearbeitet haben, haben wir keinen Gedanken an die mögliche Laufzeit verschwendet. Klar wurde es uns erst als die Produktion der CD anstand.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Andy Kuntz, dem Sänger von VANDEN PLAS?

Wir sind Freunde, haben einige Konzerte im Jahr 2011 zusammen gespielt. Backstage bei einem dieser Konzerte fragte ich ihn, ob er uns unterstützen würde, und er sagte ja. Er kam nach Rom, um seine Parts aufnehmen. Es war eine wunderbare Erfahrung, mit einem Musiker seines Kalibers zu arbeiten.

Eure Alben stehen alle zum kostenlosen Download auf eurer Homepage zur Verfügung. Eine feine Geste, aber welche finanzielle Bedeutung hat das?  Wirkt es sich positiv auf die CD-Verkäufe aus?

Wir haben natürlich physische Kopien verkauft, dazu sind die Alben umsonst in digitalem Format erhältlich. Ich denke für eine Band wie uns, die 2014 eine derart komplexe, herausfordernde und wohlartikulierte Musik machen, ist Geld damit zu verdienen, das letzte, wo unser Sinn nach steht. Wir tun das alles nicht für Geld, damit sollte klar sein wie wir uns entschieden … wir möchten einfach, dass an jede Fleckchen der Welt die Menschen Gelegenheit haben, unsere Musik zu bekommen und zu hören. Wir sind hoffentlich damit erfolgreich gewesen.

Eure Alben sind professionell produziert, die CDs erhalten eine informative und ästhetisch ansprechende Verpackung – wie finanziert ihr diesen Aufwand?

Wir haben alles selbst finanziert. Wir haben uns ein eigenes Tonstudio gebaut, und wir haben alle Kosten für den Druck und die CD-Herstellung selbst getragen. Kein einfaches Unterfangen, wir sind nicht. Aber es ist wahrlich nicht einfach, wir sind keineswegs reich und müssen leider viele  Opfer bringen, um unsere musikalische Leidenschaft zum Ausdruck bringen zu können.

Angesichts der hohen Qualität eurer Musik, warum stehen die Plattenfirmen nicht Schlange, um NEVERDREAM unter Vertrag zu nehmen? Oder haltet ihr sie bewusst außen vor?

Wir hatten weder in der Vergangenheit, noch jetzt die Absicht, einen Plattenvertrag zu unterzeichnen. NEVERDREAM haben noch keine Annäherungsversuche an Plattenfirmen unternommen.

Gibt es eine Tour zum neuen Album? Und falls ja, wird sie euch nach Deutschland führen?

Wir planen eine Tour und arbeiten derzeit an der Terminierung zukünftige Konzerte. Sich sagen kann ich, dass wir am 25.07. im „Colos-Saal " in Aschaffenburg, gemeinsam mit VANDEN PLAS auftreten werden.

Jochen König (Info)
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