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Interview mit NATT (28.01.2023)

NATT

Drei Stücke, die es zusammen auf eine Dreiviertelstunde bringen, bestens ohne Gesang auskommen und zur Reise in (je nach Vorstellungskraft) phantastische Welten einladen: Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie das Debütalbum von NATT!
Gegründet von Multi-Instrumentalist René Misje (ex-Kraków, Trust Us), zunächst als Duo im Gespann mit Roy Ole Førland am Synthesizer vorangetrieben, und schließlich um Trommler und Tausendsassa-Produzent Iver Sandøy (Enslaved et al.) ergänzt, darf dieses Projekt aus der norwegischen Musikhauptstadt Bergen als einer der spannendsten Newcomer im Dreiländereck zwischen Post Metal, Psychedelic Rock und Instrumental Prog gelten. Anlässlich der Veröffentlichung von "Natt" nahm sich René Zeit, den bisherigen Werdegang zu reflektieren.

Hallo René, herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung des Debütalbums von NATT, das ein Freund von mir, der seit mehr als 50 Jahren mit Begeisterung Rockmusik hört, spontan als "wunderbar" bezeichnete - ich nehme an, Du stimmst mir zumindest zu, dass es wunderbar ist, dass das Album endlich für solche Musikliebhaber erhältlich ist?

Wow, das ist ein schönes Kompliment. Es ist sehr befriedigend, solche Reaktionen auf das Album zu bekommen. Ich habe dieses Album hauptsächlich für mich selbst gemacht. Ich wollte etwas erschaffen, das alle Dinge kombiniert, die ich in der Musik wirklich schätze. Und damit meine ich vor allem Musik, die einen belohnt, wenn man die Geduld mitbringt, sie wachsen zu lassen. Wenn man sich die Zeit nimmt, einfach zuzuhören und seine Gedanken fließen zu lassen, kann man hoffentlich eine Bereicherung durch meine Musik erfahren. Solche Reaktionen sind schmeichelhaft, und es ist toll, dass meine Musik auch bei anderen die gleiche Resonanz hervorruft wie bei mir.

Du hast mir erzählt, dass dieses Album eine Idee war, die Du bereits seit sechs Jahren im Kopf mit Dir herumgetragen hast. Kannst Du uns mehr über den gesamten Prozess berichten und stimmst Du zu, dass das Lied "Skillevei" teilweise von Krakóws Erbe zehrt?

Die Idee zu diesem Projekt hatte ich bereits 2011, und sie entstand aus dem Drang, Instrumentalmusik zu spielen. Bei Kraków stand ich auch als Sänger in der Pflicht, doch ich sehnte mich nach einem Raum, in dem ich mich ausschließlich auf das Schreiben von Songs konzentrieren konnte, ohne Kompromisse beim Spielen eingehen zu müssen, um gleichzeitig singen zu können. Diese Freiheit wirkte sich darauf aus, wie ich die Songs schrieb: Ich musste keinen Platz für den Gesang lassen.
Im Jahr 2016 begann ich mit der Arbeit an dem Song "Etterslått". Ich wandte mich an meinen Freund Roy Ole, um ihn zu bitten, die Synthesizer für diesen Song zu spielen. Wir trafen uns eines Abends in meinem Studio und fügten erste Fundamente zusammen.
Das Songwriting für und die Touren mit Kraków nahmen stets viel Raum ein, also lag mein Hauptaugenmerk immer darauf, und ich hatte einfach nicht genügend Zeit, um parallel dazu an NATT zu arbeiten. Bis wir uns 2019 entschieden, Kraków an den Nagel zu hängen, haben wir immer alles für die Band gegeben. Im folgenden Jahr habe ich nichts mehr gespielt oder geschrieben: Ich war erschöpft.
Als Covid aufkam, schrieb ich Songs und probte wöchentlich mit meiner Band Trust Us. Doch als wir uns wegen der Einschränkungen nicht mehr treffen konnten, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Eines Tages sprach ich mit Kjartan (Kraków/Phantom Fire), und er sagte mir ganz direkt: "Stell das NATT-Album fertig." Also tat ich das. Innerhalb der nächsten ein oder zwei Monate schloss ich die Arbeit an "Etterslått" ab und schrieb "Skillevei" und "Appell" in Zusammenarbeit mit Roy Ole. Es ist unmöglich, diesen Prozess komplett von Kraków zu trennen, denn alles, was ich über Songwriting weiß, habe ich in dieser Band gelernt, und alle Lieder enthalten Elemente aus dieser Zeit meines Lebens.
Allerdings ist NATT für mich ein Projekt, bei dem ich Songs schreiben und experimentieren kann, ohne dass ich mich dabei an jemand anderen halten muss. Ich kann endlos Ideen ausprobieren, bis ich zufrieden bin.

Bei Stücken, die zwölf oder sogar 21 Minuten lang sind, frage ich mich, ob diese Freiheit des (theoretisch) endlosen Ausprobierens nicht auch eine Belastung sein könnte: Wann ist der Punkt erreicht, an dem Du aufhörst, einen Song weiterzuentwickeln, um ihn so zu lassen, wie er ist? Kannst Du eine gewisse Distanz zu Deinen eigenen Kompositionen aufbauen, um diese Entscheidung zu treffen, oder bist Du dabei auch auf andere Hörer angewiesen?

Für mich ist das keine Belastung. Die Songs werden auf natürliche Weise so lang, wie sie letztendlich werden. Gegen Ende des Songwriting-Prozesses wurden sogar einige Abschnitte ein wenig gekürzt. Ich habe immer im Hinterkopf, dass sich jemand anderes die Musik anhören wird und dass es in meiner Verantwortung liegt, die Songs von Anfang bis Ende interessant zu halten. Ich höre selbst gerne lange Songs, ergo wollte ich mich auch als Komponist daran versuchen.
Es ist eine große Hilfe, Roy Ole an Bord zu haben, der sich anhört, was ich aushecke. Seine Wahrnehmung und sein musikalischer Beitrag sind von unschätzbarem Wert. Als ich das Album schließlich mit Iver abgemischt habe, hat mir auch seine Sichtweise geholfen, einen objektiveren Blick auf das Projekt zu bekommen.
Ich höre mir die Demos der Songs, die ich schreibe, sehr oft an. Immer und immer wieder. Das ist für mich ein wichtiger Teil des Komponierens, und dabei entwickelt sich langsam eine objektivere Art des Zuhörens.

Seit ich zum ersten Mal eine Performance von Iver (damals mit Emmerhoff & the Melancholy Babies) gehört habe, beeindruckt mich, wie Song-dienlich er Schlagzeug spielt, um das volle Potenzial der Musik auszuschöpfen. Das ist auch bei NATT der Fall, wo sein Spiel der Musik erlaubt zu "atmen", und ich schätze, dieser Ansatz kann anspruchsvoller sein als die übliche Verausgabung, noch härter oder schneller zu trommeln. Du könntest wohl kaum glücklicher sein, einen so großartigen Produzenten und Musiker an Bord zu haben? Hat er Dich bei der Arbeit an der Musik von NATT überrascht?

Iver hat auf die eine oder andere Weise an jedem meiner Alben mitgewirkt. Er ist einfach ein brillanter Musiker. Er hat die Fähigkeit, alles zu spielen, was nötig ist, damit ein Song funktioniert. Ich hatte für jedes Lied eine Schlagzeugspur programmiert, bevor ich mit ihm ins Studio ging. Das Programmieren des Schlagzeugs ist ein entscheidender Teil des Songwritings, genauer gesagt ist es quasi der Schlüssel für die nötige Dynamik und ob eine Komposition in letzter Konsequenz funktioniert. Iver hat meine Ideen auf eine ganz neue Ebene gehoben, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können.

In meiner Rezension habe ich mich gefragt, ob man "Etterslått" in einer Sternwarte hören könnte, um mit Eurer Musik als Soundtrack ins Weltall einzutauchen... Welche Orte und Ideen verbindest Du mit NATT?

Für mich ruft dieses Album starke, fast existenzielle Gefühle hervor. Ich wollte, dass die Songs "groß" klingen, dass sie ein Gefühl von Weite vermitteln. Für mich ist diese Musik irgendwie kathartisch. Alle Songs haben ein ziemlich schweres und Space-mäßiges Ende. Das liebe ich. Und diese Art von Musik live zu spielen, hat etwas sehr Belohnendes.

Gibt es denn bereits Pläne für Konzerte, Tourneen, Festivalauftritte...?

Wir haben ein Release-Konzert am 10. Februar 2023 hier in Bergen im "Bergen Kjøtt". Hoffentlich werden dieses Jahr noch mehr Live-Shows im In- und Ausland folgen.

Ich wünschte, ich könnte dem Gig beiwohnen... Inwieweit ist "Bergen Rock/Metal City" für Eure Kreativität "verantwortlich"? Für mich scheint es einer der inspirierendsten Orte der Welt zu sein, wenn es um Musik geht...

Es ist ein wirklich guter Ort für Musik. Ich habe das Gefühl, dass sich alle gegenseitig bei ihren Projekten unterstützen, unabhängig von den Genres. Vielleicht ist die Vielfalt der Musik in einer relativ kleinen Stadt der Schlüssel dazu. Natürlich haben die Metal-Pioniere einen großen Einfluss auf die Musikszene gehabt.

Wenn Bands aus eurer Stadt über ihre Inspiration sprechen, erwähnen sie oft den Regen, die Berge und die nebligen Tage - wie inspirierend ist hingegen die Nacht für Euch und warum habt ihr diesen Namen gewählt?

Die Dunkelheit der Nacht ist hier im Winter sehr umfassend. Es ist ein physischer Zustand. Man kann nicht nicht davon beeinflusst werden, sondern man muss sie umarmen. Ich mag das. Die kalte, nasse und neblige Umgebung regt zum Nachdenken an und liefert Inspiration. Sie ist aber auch rau und man muss aktiv nach Licht suchen. Mein Rezept sieht Bewegung vor, zum Beispiel indem ich im Winter im Meer schwimmen gehe. NATT, also „Nacht“, schien mir in diesem Sinne ein passender Name für dieses Projekt.

Schwimmen im Meer im Winter - Hut ab, Sir! Mit solchen Erfahrungen wird NATT wohl auch in Zukunft für abenteuerliche Klangwelten stehen, und die eine oder andere Idee für die nächste Aufnahme hast Du sicher auch schon, oder?

Ja, ich habe angefangen, Songs für das zweite Album zu schreiben. Es wird interessant sein, zu sehen, in welche Richtung sie mich lenken. Das Album wird schwer und raumgreifend klingen, so viel ist sicher!

Danke, René, dass Du Dir die Zeit genommen hast, und danke an Kjartan, dass er Dir in den Hintern getreten hat, um dieses wirklich wunderbare Debüt fertig zu stellen - ich hoffe, wir sehen uns demnächst auf einem Konzert von NATT!

Ich werde es ihm ausrichten! Das hoffe ich auch, Thor. Es ist immer ein Vergnügen, mit dir zu sprechen. Mach’s gut bis wir uns wiedersehen.

Thor Joakimsson (Info)
Alle Reviews dieser Band:
  • Natt - Natt (2023)