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Interview mit HEXER (23.01.2021)
Atmosphärisch vereinnahmend, verschroben an der Grenze zum Wunderlichen, abenteuerlich arrangiert und kompetent eingespielt - in musikalischer Hinsicht gehört HEXERs zweites Album "Realm Of The Feathered Serpent" für mich zu den hörenswertesten Überraschungen des hiesigen Metal-Undergrounds in 2020, und im Grunde gibt es dazu eine Menge zu fragen und zu sagen. Doch längst nicht nur von Musik ist die Rede, wenn der Name HEXER fällt - das musste ich mir nach Veröffentlichung meiner Rezension alsbald - natürlich im Fratzenbuch - beibringen lassen. Dabei rechtfertigt alleine die Musik zweifelsohne ein Interview, denn HEXER kredenzen keine Massenware, sondern psychedelischen Metal mit hohem Wiedererkennungswert und träumerischem, ja, nahezu hypnotischem Charakter.
Hallihallo! Vor einer Weile wurde „Realm Of The Feathered Serpent“ als LP angekündigt, und da ich mir einbilde oder auch wirklich höre, dass Vinyl „wärmer“ klingt als digitale Tonträger, finde ich dieses Format für Eure Musik ganz besonders geeignet, um Eure atmosphärische wie facettenreiche Musik voll zum Tönen und Schwingen zu bringen. Wie seht - bzw. hört - Ihr das, und seid Ihr Euch bewusst, dass Euer neues Album klang-ästhetisch aus Einerlei und Vielfalt des Metal-Markts ziemlich verwegen herausragt?
HXR: Hi, erst einmal vielen Dank für dein Interesse. Wie auch bei dem Vorgänger "Cosmic Doom Ritual", war es uns sehr wichtig, diese Art von Musik auf Platte zu bannen. Abgesehen von der klanglichen Qualität beherbergen physikalische Tonträger eine besondere und weitaus bessere Möglichkeit, in ein musikalisches Konzept einzutauchen. Du nimmst dir als Hörer oder Hörerin in dem Moment die Zeit, dich mit uns auf diese Reise zu begeben und konsumierst die Musik nicht nebenbei in der U-Bahn. Wir sind uns bewusst, dass unsere Musik in vielerlei Hinsicht hervorsticht. Das kannst du positiv wie negativ betrachten, jedoch spielt es für uns keine Rolle, wie gefällig die Musik für andere ist. Wir freuen uns über jeden Menschen, der unserem Sound / unserer Musik etwas abgewinnen kann, doch unser Antrieb ist in erster Linie, etwas zu erschaffen was uns selbst bewegt und wir in der Form nicht kennen. Es ist für uns ebenso eine Entdeckungsreise und genau das treibt uns an.
Wüsste ich es nicht besser und wäre ich nur mit dem Klang Eurer Lieder im Ohr gefragt worden, aus welcher Ecke Ihr kommt, so hätte ich Euch im Umfeld von Zeitgeister Music aus Bonn vermutet, da mich einige Passagen - und vor allem dieser herrlich dämmerige Gitarren-Sound! - auf "Realm..." an Gruenewald erinnern, andere Momente an die harrsche Wucht von Valborg, und das darf als Kompliment verstanden werden, zumal Euch eine ähnliche Form musikalischer Selbstversunkenheit auszeichnet. Doch woher kommt Ihr "wirklich" und wie würdet Ihr den Werdegang von HEXER bis dato so zusammenfassen, dass unsere Leser Blut lecken?
HXR: Andere Bands aus unserer Region haben, zumindest auf musikalischer Ebene, keinen wirklichen Einfluss auf uns. Spätestens mit dem aktuellen Album und durch die neue Besetzung haben wir uns auch noch mehr von früheren Einflüssen unserer Idole frei gemacht und konnten einen distinktiven Sound entwickeln. Während zu Beginn dieser Band besonders Anleihen des Doom im Vordergrund standen, hat sich früh gezeigt, dass wir deutlich experimentierfreudiger zu sein scheinen, als viele andere Gruppen, die in diesem Genre vertreten sind. Eben diese Kombination aus verschiedenen Stilen und Spielweisen ist das, was dieses Projekt für uns selbst und vermutlich auch für Außenstehende so interessant macht.
Euer Album ist kaum weniger als grandios gemischt worden, das Klangbild tönt nuanciert wie nur was und wartet mit Klangfarben auf, die in dieser Kombination sehr selten sind. Einerseits dringen da raue Klänge an die Oberfläche, die dank der unkonventionellen Arrangements heute so eigen auf mich wirken wie Disharmonic Orchestras Emanzipation vom Death Metal vor knapp 30 Jahren, andererseits strahlen einige hypnotische Abschnitte etwas nahezu Sakrales aus, das den Rahmen des handelsüblichen Post Rock / Metal mit Leichtigkeit hinter sich lässt. Ich freue mich jedes Mal aufs Neue über diese Vielfalt. Ich schätze, dass sich da vieles bei den Aufnahmen spontan ergeben hat und dass Ihr da sicher auch auf die Ohren und Talente von Menschen außerhalb Eurer Band angewiesen wart, um das Album so toll zu veredeln?
HXR: Es war uns im gesamten Prozess ein großes Anliegen, ein Album auf Platte zu bannen, welches wir genauso auch live reproduzieren können. Es braucht kein 5-köpfiges Line-Up, um detailreiche und atmosphärisch tiefergehende Klangkulissen zu erzeugen. Hör dir andere Trios wie Russian Circles an. Wenn du weißt wie, und dich reinhängst, bietet so eine Besetzung unheimlich viele Freiheiten, während man sich gleichzeitig bewusst limitiert. "Realm..." haben wir größtenteils während des ersten Lockdowns 2020 eingespielt, somit unter äußerst ungewohnten Voraussetzungen. Statt also in unseren Räumlichkeiten am Album zu arbeiten, entstand vieles in DIY-Manier. Wir haben dadurch gleichzeitig viel dazu gelernt und sind mit dem Ergebnis natürlich trotzdem sehr zufrieden. Um auf deine Frage einzugehen: Klar, das Endergebnis hängt immer vom Mitwirken Außenstehender ab. Das fängt bei den Künstlern an, die einen zu der Zeit inspirieren und endet bei denjenigen, die am Aufnahmeprozess und der Postproduction beteiligt sind. Hilfe hatten wir insbesondere durch Kerem von Imha Tarikat, der zudem als Gastsänger vertreten ist, M:W von Temple Koludra, sowie Leon von Arcane Spell Sounds, mit dem wir in entspannter Atmosphäre die Drumaufnahmen machen konnten. Besonderer Dank geht an Jan Oberg vom Studio Hidden Planet, der uns eine harmonische, nuancierte und authentische Produktion gezaubert hat. Natürlich bleibt beim Aufnahmeprozess ein wenig Experimentieren auch nicht aus, und so sind einige Synth-Leads und Drumparts auch aus spontanen Ideen entstanden. Über den ganzen Schaffensprozess hinweg hat uns auch das Gemälde "Nina, Pinta, Santa Maria" von Mariusz Lewandowski inspiriert, welches unsere erdachte Geschichte visuell perfekt widerspiegelt und deshalb auf dem Cover zu sehen ist.
Schublade auf, HEXER rein und gut ist - das funktioniert spätestens seit "Realm..." nicht mehr. Dafür könntet Ihr mit Eurer Musik wohl ebenso gut Saturnalia Temple in einem zugequalmten finsteren Club einheizen, als auch auf dem Freak Valley Festival einige Hippies überraschen und begeistern. Wie wichtig ist Euch diese Freiheit und fühlt Ihr Euch dennoch in ein bestimmten Nische "zuhause"?
HXR: Diese Freiheit ist uns extrem wichtig. Wir haben in den Anfangstagen viele Konzerte gespielt, bei denen Publikum, Tontechniker und Veranstalter teilweise komplett überfordert waren. Das ist mittlerweile anders. Wir haben unseren eigenen Sound gefunden und man könnte sagen, die Nische, in der wir uns wohlfühlen ist jede, die wir auch in unserer Musik vereinen.
Ich habe mir Euer Debüt "Cosmic Doom Ritual" quasi verspätet angehört, also erst nachdem ich "Realm..." entdeckt hatte. Dabei kam mir der Gedanke, dass der finstere Metal im letzten Jahrzehnt unheimlich profitiert hat von den Entwicklungen in und um den so genannten Post Metal, der ja weder mit Doom-, noch mit Black Metal, aber auch mit Psychedelic Rock keine Berührungsängste hatte. Wie erlebt Ihr das, auch im besonderen Hinblick auf die Tore, die ihr mit HEXER bislang aufgestoßen habt und jene weiteren, die Ihr vielleicht noch öffnen werdet?
HXR: Musik ist ein Medium im ständigen Wandel und unausweichlich Trends und Einflüssen von Außen unterworfen. Genres borden ständig ineinander über, vermischen sich, und viele großartige Ideen entspringen der Inspiration durch andere Künstler, die unter Umständen genrefremd sind oder sogar einer ganz anderen Kunstgattung angehören. Natürlich ist der Aufschwung von atmosphärischem bis hin zu ätherischem Metal der Boden auf dem wir wachsen, der Rahmen um mit unserer Art von Musik Gehör zu finden. Das hat uns auch die Möglichkeit eröffnet, unsere vielfältigen musikalischen Einflüsse zu verarbeiten und die Musik aus uns herausfließen zu lassen, anstatt sie auf genretypische Charakteristika auszurichten.
Welche Reaktionen auf Eure Musik haben Euch überrascht, welche befremdet, welche zusätzlich angespornt?
HXR: Was die Resonanz auf das Album angeht, haben wir allenfalls positive Überraschungen erlebt, was natürlich eine schöne Bestätigung ist. Es ist immer wieder interessant zu sehen, welch unterschiedliche Aspekte dem einzelnen Hörer auffallen. Es ist ein bisschen wie ein Ranking von Morbid-Angel-Alben: Es würde bei jedem von uns anders sein, weil jedem unterschiedliche Sachen daran zusagen. Im Falle von "Realm..." freut es uns aber, dass die musikalische Erfahrung, die wir vermitteln wollen, auch weitestgehend so angekommen ist. Das spornt uns umso mehr an, eigene Wege zu gehen.
Auf der Klippe von Kindheit zu Jugend vertiefte ich mich einst in Wolfgang Hohlbeins "Der Hexer von Salem", doch ich erinnere mich nur noch schemenhaft an die Handlung, und kann nicht einschätzen, ob diese Figur Pate stand für Euren Bandnamen...?
HXR: Tatsächlich verlief die Namensgebung deutlich pragmatischer. Der Name Hexer stammt von einem Motorrad aus dem Spiel "Grand Theft Auto". Er bleibt hängen, ist kurz und prägnant und passt zu unserem Kosmos, in dem sich die Konzeptalben abspielen. Erst im Anschluss haben wir auf der Demo-EP und unserem Debüt die Story um die fiktive Figur des Hexers, als mystische und kosmische Entität, gesponnen. Auf "Realm..." spielt diese Figur übrigens keine Rolle, was für kommende Veröffentlichungen jedoch nicht ausgeschlossen sein muss.
Max Goldt hat bereits vor knapp 20 Jahren in einem seiner Tagebücher notiert, dass ein regelrechter Entschuldigungs-Wahn ausgebrochen sei, bei dem sich relativ junge Menschen für etwas entschuldigen, wofür sie aufgrund ihrer späteren Geburt gar keine Schuld tragen können, und nicht nur meine Wenigkeit beobachtet ein Zurschaustellen von mehrheitlich angesagter Haltung ziemlich skeptisch, weil dabei Inhalte, Auseinandersetzung und Respekt vor dem Anderen auf der Strecke zu bleiben drohen. Als ich nun kürzlich von der "Blackfacing-Affäre" hörte, staunte ich ob deren Ausmaße: Am (vorläufigen) Ende auch noch Post aus Finnland deswegen zu bekommen - damit hattet Ihr selbst sicher auch nicht gerechnet, oder? Habt Ihr Druck auf Euch lasten gefühlt, Euch bei irgendwem zu entschuldigen?
HXR: Diese Haltung wirkt eher trotzig als reflektiert, aber passt als Beispiel auch nicht wirklich in den Kontext der damaligen Situation. Was eine Sache zwischen uns und einigen AZ-Angehörigen hätte bleiben können, wurde durch die Sensationslust politischer Lager, aber insbesondere einiger Musik-Plattformen verfälscht und aufgebauscht. Die Diskussion darüber, ob Corpse-Paint rassistisch sei, hatte in keinster Weise etwas mit der Kritik zu tun, die uns gegenüber geäußert wurde. Unser damaliges Statement ging also keinesfalls nach hinten los, wurde aber von einer Vielzahl von Internethelden für etwas völlig anderes instrumentalisiert. Für uns war es also vor allem lästig. Die Erkenntnis, dass sich so etwas auch im Rahmen von Underground-Musik abspielen kann, war durchaus ernüchternd.
Obwohl Ihr auf so eine Episode sicher gerne verzichtet hättet: Gab es auch erfreuliche Erkenntnisse und Reaktionen, oder anders gefragt: Hat der ganze Schmu auch etwas Positives mit sich gebracht?
HXR: Was von hunderten Nachrichten, Kommentaren und Drohungen übrigblieb, war die beste Promo, die sich eine damals so unbekannte Band hätte wünschen können. So kann man es auch betrachten.
Im Fratzenbuch habt Ihr darauf hingewiesen, dass Euer Album nebst Merch derweil auch bei Idiots Records erhältlich ist, einem zweifelsohne kultigen Laden, der weit über die Grenzen Dortmunds hinaus bekannt ist. Der Inhaber Sir Hannes hat kürzlich eine Art Hilferuf ausgesandt, weil es dem Laden so geht wie leider zahlreichen Einzelhändlern in dieser Krise, während Amazon & Co. ihr Glück wahrscheinlich nicht fassen können. Welche Gefühle und Gedanken treiben Euch in dieser Hinsicht um, und welche Impulse aus der Metal-Szene machen Euch Mut?
HXR: Es ist traurig zu sehen, dass der wohl beste Plattenladen im Ruhrgebiet unter der Krise leidet. Idiots Records war für uns persönlich bereits seit frühen Jugendjahren ein großartiger und faszinierender Ort, mit dem wir viel verbinden. Und als Band sind wir sehr dankbar, bereits seit dem Debüt "Cosmic Doom Ritual" bei Idiots Records vertreten zu sein. Sir Hannes’ Gastfreundlichkeit, das einladende Bier zum Stöbern und die Auswahl macht es zu mehr als einem Plattenladen. Der Laden ist ein wahres Urgestein und es wäre schmerzlich zu sehen, wenn Idiots schließen müsste. Daher möchten wir die Leser darauf hinweisen, Idiots Records durch einen Kauf im neuen Online-Shop (www.shop.idiotsrecords.com) zu unterstützen. Ohne Menschen wie Sir Hannes hätte sich die Szene im Ruhrgebiet definitiv anders entwickelt. An der Situation kann sich zeigen, wie stark der vermeintliche Zusammenhalt in der Metal-Szene wirklich ist.
Angesichts der Pandemie-Maßnahmen nehmen aus meinem Bekanntenkreis derweil zig Musiker daheim Demos auf und basteln an zukünftigen Veröffentlichungen. Die meisten sind zwar über die soziale Isolation nicht glücklich, einige begrüßen jedoch die Möglichkeit, daheim in Ruhe Songs ausarbeiten zu können. Wie ergeht es Euch in dieser Hinsicht und wann rechnet Ihr damit, wieder eine Bühne betreten und es krachen lassen zu können?
HXR: Wir konnten uns zwar an die Bedingungen anpassen und haben gelernt, dass es durchaus interessant ist, individuell an neuem Material zu arbeiten, jedoch widerspricht dies dem Wesen von HEXER. Wir haben bereits während der Vorbereitungen auf die Aufnahmen von "Realm Of The Feathered Serpent" an Ideen für eine EP gearbeitet und können so auf aufgenommenen Jamsessions aufbauen. Da wir aktuell mit unterschiedlichsten Einflüssen außerhalb des Metals experimentieren, wird es jedoch höchste Zeit, gemeinsam am neuen Konzept zu arbeiten und wieder in einen natürlichen kreativen Fluss zu kommen. Neben HEXER haben wir darüber hinaus auch andere Projekte, in die jeder seine Kreativität stecken kann, bis es wieder soweit ist. Als Live-Band ist die Pandemie für uns natürlich sehr bedauerlich, gerade nach einem Album Release und den vergangenen, konzertreichen Jahren, die wir erlebt haben. Für 2021 stehen einige Nachholtermine an, wie das Hellseatic Festival in Bremen oder unsere Mini-Tour mit Ahab im Oktober. Mit Prognosen wollen wir uns lieber zurückhalten, aber eines ist klar: Wir waren noch nie so gut wie jetzt und können es kaum erwarten, die Klangkulisse, die wir da heraufbeschworen haben mit anderen zu teilen!
Danke, dass Ihr Euch Zeit genommen habt, und Glück auf - ich freue mich auf ein Konzert von HEXER und werde vor allem "Realm..." bis dahin sicher noch einige Male hören!
HXR: Vielen Dank!
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