Partner
Services
Statistiken
Wir
Interview mit The Oxford Coma (13.01.2013)
Getrieben wie seine Musik - so zeigt sich Frontmann Billy im Interview. Hört man den jungen Mann sprechen, bezweifelt man nicht im Geringsten, dass seine Band noch viel von sich reden machen wird.
Ist euer Name eine Anspielung auf das sogenannte Oxford-Komma?
Ja, was die Kommaregeln im Englischen angeht, so ist die damit einhergehende schlüssig, aber meistens unnötig, und wir als Band klingen deshalb wohl wie ein schlüssiger, aber ziemlich unnützer Fall ins Wachkoma.
Wie äußert sich das live?
Wir haben schon in Unterwäsche gespielt und Volleybälle in ein Publikum von 1.500 Leuten geschmissen, als wir mit einer bekannten "Hardcore Industrial"-Band aufgetreten sind, oder im Rahmen eines Programms mit Metal-Bands heraushängen lassen, wie schlecht dieses Zusammenstellung passte, indem wir umso konsequenter auf unsere Lichtshow setzten, die eigentlich für kleine, miese Bars gedacht ist. Unser erstes Konzert brachten wir mehr oder weniger nackt mit der Leuchtschminke über die Bühen, die wir auch im "Seven"-Video zeigen. Generell klingen wir live rauer als auf dem Album, gerade was den Gesang betrifft. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir selten Auftrittsmöglichkeiten finden, wo eine anständige Anlage mit guten Bühnenmonitoren steht. Bei uns geht es laut zu, also hören wir uns gegenseitig schlecht und schrecken oft Zuschauer ab, die nichts Böses erwartet und ihre Ohrstöpsel vergessen haben.
Was bedeutet "BBS"?
"big beautiful song", und zwar mit Bezug auf den Internet-Slang "BBW" für "big beautiful woman". Der Text entstand beim Proben während einer Pause, als ich die anderen fragte, worum es in dem Song gehen soll. James meinte "Porno", Casey ergänzte "mit fetten Frauen". Seltsamerweise inspirierte mich das, aber das Lied handelt von verstohlenen, abartigen Fantasien.
Und worum geht es in "Last To Die"?
Um meine eigene Arroganz und das Jahr, in dessen Verlauf wir das Album komponierten. Ich habe mich selbst gehasst und versucht, mein Leben zu ändern, daher die Zeile "the weakness is the last to die." Es geht um den fehlgeleiteten Versuch, ein glückliches Leben zu führen, und meine eigene Neurose; zumindest interpretiere ich es rückblickend so, aber jeder darf das Ding auf sich selbst münzen.
In „Rim Liquors“ stellst du Rand und Zentrum einander gegenüber ...
So habe ich das noch gar nicht gesehen. Der Titel hat absichtlich nichts mit dem Text zu tun. Es begann mit diesem Einstiegs-Riff von James, das er nach dem Computer benannte, mit dem er es einspielte. Der Name geht wiederum auf einen Spirituosenladen hier in Jerome in Arizona zurück und klingt von der Aussprache her genau so wie eine recht krude Sexualpraktik. Ich wehrte mich gegen den Titel, aber letztlich blieb es dabei. Einen Bezug zu Alkohl stelle ich im Text nur bedingt her; er ist vielmehr eine Variation des Veränderungs-Motivs.
In "Mime" sprichst du die Masken an, die jeder von uns trägt.
Ich beziehe mich auf den gesellschaftlichen Druck, dem man sich beugt, weil man der Mehrheit glaubt, die davon ausgeht, diese oder jene Verbiegung führe zu einem erfolgreicheren Leben. Spielt man nicht mit oder zeigt nur wenig Begeisterung, drohen Konsequenzen. Jemand meinte einmal, im Leben gebe es keine Garantie, Glücklich zu sein, aber mit Geld lasse sich ein hartes Brot besser kauen. Vermutlich befindet sich nicht jeder in der Position, um dieses Paradigma zu hinterfragen, aber ich arbeite viel und hatte nie im Leben zu wenig Geld, bemühte mich über Jahre hinweg darum, den Erwartungen anderer gerecht zu werden, wobei ich enorme körperliche wie psychologische Hürden nahm und verzweifelt versuchte anderen Ansichten gegenüber offen zu sein. Das erfüllte mich nur mit Hass und Unzufriedenheit, also verschaffte ich mir mit "Mime" sozusagen Luft.
Im Titelstück klingst du, als müsste man bewusst einen falschen Blickwinkel einnehmen, um kreativ zu sein und sein Potenzial auszuschöpfen.
Nein, eigentlich ganz im Gegenteil. Ich hatte von jeher Schwierigkeiten damit, zu begreifen, dass das von der Allgemeinheit Akzeptierte nicht immer - nein, eigentlich so gut wie nie - das Richtige ist. Die Wahrheit ist nichts Statisches; niemand kann etwas mit einer bestimmten Bedeutung aufladen und behaupten, es sei die einzig gültige. Dieser Song stellt praktisch der Widerpart zu "Mime" dar. Darin geht es um den Groll, und "Adonis" bietet einen Ansatz zur Lösung, nämlich indem man alle derartigen Ansätze strikt von sich weist. Der Tenor lautet also eher: Um kreativ zu sein und sein Potenzial auszuschöpfen - wenigstens für mich gilt das - musste ich vieles fahrenlassen, das mich in meiner Erziehung prägte. Den falschen Blickwinkel nimmt man also nur insofern bewusst ein, als es jener der Masse und nicht der richtige für den Einzelnen ist.
"Lictosy" ruft zu gegenseitigem Verständnis auf - in einer Zweierbeziehung oder unter allen Leuten?
Ich weiß nicht... Ich singe "why can't we all just get along? I'll force you to" , was einem heiteren Seitenhieb auf die Herrschenden gleichkommt, die mit Gewalt Demokratie, Freiheit und Idealismus verbreiten wollen. Dieses Übel zieht sich wohl schon seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden durch unsere Geschichte und ist geradezu komisch ob der dahinterstehenden Heuchelei. Der Text des Stücks gehört aber insgesamt zu den offensten auf der Scheibe; ich würde mich dabei jedenfalls ungern auf ein Thema festnageln lassen.
Was sollen wir bitteschön von „Ghosts Of Departed Quantities“ halten?
Es handelt sich wirklich nur um einen dummen Scherz und soll den Hörer ein bisschen in Trance versetzen, bevor er mit einem lauten Knall aufgeschreckt wird. Davon abgesehen fügten wir diese alberne Aufnahme ein, die unser Drummer machte, als er 14 Jahre alt war. Ich finde, so endet das Album auf einer weniger trostlosen Note, und das ist definitiv eine gute Sache. Letztlich sind wir ja nur Musiker, auch wenn die Lieder sehr persönlich wirken, ziemlich ernste Fragen aufwerfen und intensive Emotionen ansprechen. Dennoch hätten wir etwas falsch gemacht, so wir nicht über uns selbst lachen könnten und nach dem Komponieren ein wenig unbeschwerter geworden wären. Komödie und Tragödie gehen miteinander einher, um das Leben erträglich beziehungsweise lebenswert zu machen. Der Name kommt von einem Mathematiker aus dem 18. Jahrhundert, Bischof George Berkeley. Er hielt die Verwendung von unendlich kleinen Zahl, die nie Null sein können, für absurd und beschrieb sie eben so. Ich stolperte über diesen Phrase, als ich etwas in der Universitätsbibliothek nachschlug, und fand sie einfach schön.
Den "Pirate Song" deutete ich als eindeutige Beziehungskiste.
Er gibt aber die desillusionierte Meinung einer Person zu Amerikas Arroganz wieder, die dem Staat und seinen Idealen lange gedient hat. Sie hat den Glauben an das System und dessen Ideologie verloren, ist also quasi gerade zur rechten Zeit erwacht, um dem Niedergang beizuwohnen. Zum Schluss singe ich ja auch: "I think you owe us one more day". Als Beziehungskiste könnte man es eigentlich schon bezeichnen, zumindet vom Standpunkt des Sprechers aus.
„Peregrine“ drückt für mich am stärksten Entfremdung aus.
Der Song wurde erst nach Monaten fertig und hat folglich mehrere Themen zum Gegenstand; er ist praktisch ein organisch zustandegekommenes Wirrnis, von dem ich froh bin, dass er doch noch einigermaßen schlüssig ausfiel. Zuerst handelte der Text von einer lange zurückliegenden Liebschaft, die ein böses Ende nahm, dann wurde er spiritueller. Ich habe zweimal in meinem Leben vollkommenen Frieden empfunden, einmal nach dem Konsum psychedelischer Drogen vor vielen Jahren, dann nüchtern beim Meditieren. Die Pracht und Unendlichkeit des Universums offenbarten sich mir, dazu die Unermesslichkeit und Grenzenlosigkeit meines eigenen Wesens abseits der materiellen Ebene der Existenz, auf der wir so viel Zeit damit verbringen, uns zu bereichern und angeblich zu verbessern. Ich spürte zugleich, wie wichtig und unbedeutend ich bin, empfand aber keine Angst, sondern nur Ehrfurcht, Staunen wie Verständnis und Dankbarkeit. Ich fühlte mich eins mit Gott oder dem Universum beziehungsweise allem, was darüber hinausreicht. Zwar erkannte ich, dass ich diesen kleinen Planeten nie verlassen werde, aber Raum und Zeit sind auf der spirituellen Ebene nicht von Bedeutung. Wie es im Song heißt, sah ich alles klar und deutlich auf einem tieferen Level als dem des Intellekts oder Egos. Es handelte sich um bloße Augenblicke während eines zynischen und zaudernden Gesprächs mit Freunden. Im Kern dreht sich das Lied darum, der Lüge vom materiellen Glück aufzusitzen, obwohl man sie bereits durchschaut hat; ein frustrierenderes Wissen kenne ich persönlich nicht.
Wie seid ihr dazu gekommen, ein Video zu "Seven" zu drehen?
Ich selbst wollte es unbedingt und hatte einen Heidenspaß dabei. Diese Schwarzlicht-Szenen mit Leuchtfarbe spukten mir schon eine Weile im Kopf herum. Leider mussten wir die Szenen in unserem Proberaum drehen und konnten es nicht wirklich live durchziehen, aber es war cool, ein Medium auszuprobieren, mit dem wir bislang keine Erfahrungen gesammelt hatten, und etwas visuell zu unserer Musik Passendes zu erschaffen. Da der Kerl, der für den Schnitt verantwortlich war, einen miesen Job machte, schaffte ich mir die nötigen Kenntnisse selbst drauf. Die Erfahrung erwies sich ingesamt als kathartisch, und ich finde, das Video bereichert den Song in der Hinsicht, dass er damit einhergehend besser wirkt als für sich allein genommen. Als Regisseur fungierte Aiden Chapparoni, aber ich habe einiges an Material beigesteuert.
Was steht demnächst bei euch an?
In einer Idealwelt würden wir auf Tournee gehen, große Festivals spielen und Tausende für uns einnehmen, aber der Weg bis dahin ist sehr weit. Wir sind ja gerade erst flügge geworden, und ich bin sicherlich sehr stolz auf das Album, aber umso begeisterter von dem Zeug, das wir gegenwärtig schreiben. Noch steht eine Menge davon offen, nicht zuletzt die Frage, wie wir uns finanziell weiter als Independent-Band behaupten sollen. Fans, Freunde, Familien und so weiter unterstützen uns nach Kräften, aber es ist klar, dass wir langfristig das Zeitliche segnen oder zu ewiger Unbekanntheit verdammt sind, wenn wir keinen Schritt vorwärts machen. Während ich mit tollen Mitmusikern und Menschen zu tun habe, muss ich mich weiter kundig machen, was die geschäftliche Seite der Musik anbelangt, denn auf diesem Feld bin ich auf mich allein gestellt. Davor, dass ich das nicht schaffen könnte, habe ich keine Angst, denn bisher hat sich meine Beharrlichkeit immer noch ausgezahlt. Man muss geduldig sein, nicht impulsiv, sodass man die Qualität seines Schaffens zugunsten eines sofortigen, allzu hell glänzenden Ergebnisses vernachlässigt. Im Sommer 2013 wollen wir die umliegenden Großstädte konzerttechnisch abklappern, also ungefähr alle acht Wochen am gleichen Ort auftreten, um dem Stigma der "Lokalband" zu entgehen. Wir werden immer zu Phoenix stehen, aber unser Potenzial reicht weiter - auch zu den College-Radios, die wir in den kommenden Wochen landesweit mithilfe von Tinderbox anpeilen werden. Hoffentlich kommt dadurch ein wenig Geld in die Kassen, damit wir unseren Status weiter ausbauen können. Zusammegefasst würde ich unseren Plan also folgendermaßen beschreiben: Handwerkszeug auf Tournee lernen, ein Gefolge in mehreren Städten aufbauen, Kontakte knüpfen und dadurch eine bessere Ausgangslage erarbeiten, Einkünfte in Promotion stecken und ein zweites Album komponieren beziehungsweise einspielen. Mal sehen, wie weit wir es schaffen, zumal dieses Vorhaben bestimmt die eine oder andere Abwandlung erfahren wird, gleichzeitig da neue Ideen aufkommen, etwas nachdem wir gewisse Lektionen gelernt und Freunde gewonnen haben. Die generelle Stoßrichtung steht aber fest.
Klingt kampflustig - alles Glück der Welt dabei!