Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit NIGHT IN GALES (05.09.2020)

NIGHT IN GALES

Gelegentlich ist bereits auch schon dann vom sprichwörtlichen "zweiten Frühling" die Rede, wenn eine Metal-Band aus der Versenkung auftaucht und nicht - Verzeihung - gnadenlos abkackt. Dass Letzteres bei NIGHT IN GALES aus Voerde nicht befürchtet werden muss, lag bereits vor zweieinhalb Jahren auf der Hand: Das sechste Album "The Last Sunsets" präsentierte das Quintett nebst zahlreicher Gäste so angriffsfreudig wie durchschlagkräftig, und auch die folgenden Konzerte legten den Verdacht nahe, dass die Jungs mit ihrem zurückgekehrten Sänger Christian Müller sich keineswegs damit begnügten, Melodic Death Metal auf Sparflamme zu köcheln, sondern sie wollen das in ihnen einmal mehr entfachte Feuer auch in anderen entzünden - und nebenbei den Melo-Death-Core-Kids zeigen, was eine Harke ist. Ein Einstieg in die deutschen Charts war zwar mit Album Numero sieben nicht vorgesehen, doch die Band nimmt auch diesen unerwarteten Erfolg nach einem Vierteljahrhundert gerne mit, wie Gitarrist und Komponist Jens Basten zu Protokoll gibt.

Hallo Jens, schön, dass wir - schon wieder - über ein neues Album quatschen können! Das ging doch dieses Mal vergleichsweise schnell... Und herzlichen Glückwunsch zum ersten Charts-Einstieg auf die #64 nach 25 Jahren! Es sind ja seitdem ein paar Tage vergangen. Könnt Ihr Euer Glück schon fassen und habt Ihr bereits gemeinsam ein Kaltgetränk verhaftet?

Jens: Danke, ja, das mit dem ersten Charts-Einstieg in unserer Bandgeschichte ist schon ein ganz schöner Hammer. Für eine Death-Metal-Band auf einem eher kleineren Label ist das schon eine kleine Sensation. Wir danken Tomasz und Apostasy Records, die letztendlich alles Mögliche dafür getan haben. Alle gemeinsam konnten wir leider noch nicht darauf anstoßen, aber Frank, Tobbe und ich hatten kürzlich im Rahmen einer anderen privaten Veranstaltung die Gelegenheit, uns gebührend zu betrinken.

Nun gibst Du also die kompositorische Marschroute vor und der Erfolg gibt Dir ja irgendwie Recht. Was heißt das für Deine Bandkumpel, falls die mal wieder mit eigenen Songideen um die Ecke kommen?

Nunja, eigentlich ist das Rezept ja gar nicht sooo neu. Die Songs wurden immer schon von mir arrangiert. Da es beim Komponieren damals zur "Sylphlike-Zeit" allerdings noch ohne Software gehen musste, waren die Songs nicht so schnell fertig gestellt und man hat mehr Zeit im Vorfeld gemeinsam verbracht, wobei auch schonmal Melodien oder Riffs von Tobbe und Frank mit eingeflossen sind. "Bleed Afresh" stammte zum Beispiel u.a. zu 50% von Tobbe. Frank hatte später bei "Thunderbeast" ein paar Sachen und das Strophenriff von "Nailwork" beigesteuert. Frank hatte auch für die letzten beiden Alben Songvorschläge in Rohversion abgegeben, nur hatte ich da zum Einen meist schon genug Material fertig, um ein Album zu füllen. Zum anderen passten die Sachen stilistisch nicht 100%ig rein, da Franks Ideen eher in die bösere Ecke gehen, Richtung Satyricon, Dissection usw.

"Dawnlight Garden" klingt nicht nur kompositorisch wie aus einem Guss, sondern spielerisch enorm kompakt, so als ob sich die Band geradezu auf die neuen Songs gestürzt hätte, um das Beste aus ihnen rauszuholen. Spiegelt das eine mit "The Last Sunsets" neu entfachte "Aufbruchstimmung" wider, angefeuert von den Reaktionen Eurer Fans?

Seit Christians Rückkehr ist die Band wieder klarer fokussiert hinsichtlich der stlistischen Ausrichtung. Da ich mich seitdem auch um die Lyrics und deren Arrangements kümmere, fällt mir das Schreiben insgesamt leichter. Man weiß so schon beim Anlegen der ersten Riffs, wie der Gesang ungefähr klingen wird. Das gibt Sicherheit. Und ja, natürlich spornten die Reaktionen auf "The Last Sunsets" an, um jetzt genau so weiterzumachen. Mit Rückenwind schreibt sich so ein Album natürlich leichter, als wenn man ständig herbe Kritik einstecken muss oder als mittelmäßig mit dem Prädikat "braucht keiner" oder "für die Tonne" abgestempelt wird.

Gab es eigentlich auch Momente, in denen Ihr überlegt habt, ob Euch nach immerhin drei Gastsängern auf dem vorigen Album solche Impulse von außen heuer "fehlen" könnten und Ihr zu sehr im eigenen Saft badet?

Es waren mit Florian (Sänger meines Black Metal Side-Projektes The Wake) und Anselm von By A Storm sogar fünf Gastschreier auf "The Last Sunsets". Hätten wir nicht nachgedacht, hätten wir das auch nochmal wiederholt, doch das erschien mir plötzlich recht lahm. Christian hatte auch signalisiert, dass er diesmal lieber keine "Unterstützung" auf seinen Spuren möchte. Die Idee eines 100% reinen NIGHT-IN-GALES-Albums gefiel uns dann total. Ein Album ohne Name-Dropping, das trotzdem knallt. Ein wirkliches Referenzwerk, eine Visitenkarte. Genau das sollte "Dawnlight Garden" werden, und ich denke, das ist uns auch ganz gut gelungen. Die besten Alben sind nunmal durch gutes Songwriting geprägt, nicht aber durch möglichst viel Abwechslung oder Krimskrams, den man zur Ausschmückung nachträglich hinzugefügt hat. Die Herausforderung, ein geiles Album nur mit Bordmitteln zu erschaffen, fanden wir diesmal die spannendere.

Mit einer Neueinspielung kann man sich ja arg in die Nesseln setzen - oder beweisen, dass das Feuer wieder so richtig brennt. Mit "A Spark In The Crimson Eclipse" lasst Ihr da keine Zweifel aufkommen und haut eine "alte" Nummer raus, die mich nostalgisch schwelgen und gleichzeitig feiern lässt. Bereits auf dem Release-Konzert in Duisburg hatte ich den Eindruck, dass Ihr einige ältere Songs immer noch oder erneut mit viel Spaß an der Freude zockt? Was zeichnet "A Spark..." für Euch aus?

Dass sich die alten Songs für uns nicht abnutzen, kann ich dir bestätigen. Die Songs werden aufgrund der vielen Tempowechsel auch heute alle nicht auf Klick gespielt und entfachen so immer noch die gleiche positive Unruhe und Energie wie damals 1995. Die Neuaufnahme von "A Spark..." war auch für uns ein spannendes Experiment. Es sollte quasi den Old-School-Beweis dadurch liefern, dass der Songs mühelos zwischen den neuen Songs auf dem Album funktioniert. Zudem wurde der Song bislang nur auf der längst vergriffenen "Razor"-7" veröffentlicht, deren Master-DAT-Tapes bei einem Wasserschaden im Studio schon vor zig Jahren zerstört wurden. Wir fanden, dass der Song einfach zu viel Klasse hat, um schon vergessen zu werden. Auch daher die Idee zur Neuaufnahme.

Jens, Du betonst ja in Interviews, dass es für Dich kaum hörenswerte Musik gibt, die nach der Mitte der Neunziger aufgenommen wurde, spielst jedoch (auch mit Gloryful) selbst andauernd neue Alben ein. Warum sollten die Gehör finden, wenn früher doch eh alles besser war?

Diese Aussage bezieht sich in erster Linie auf die Melodic-Death-Sparte. Hier hat es die totale Verwässerung und eine ärgerliche Kommerzialisierung gegeben, die wir nun mit viel Anstrengung zurückzudrehen versuchen, und dabei den Kids, die vielleicht mit KSE oder neueren In-Flames-Sachen musikalisch sozialisiert wurden, zu zeigen, dass das mal ganz was anderes und viel interessanter war früher, haha. Crossover kann ja durchaus nett oder interessant sein, aber niemals besser als die zugrundeliegenden Standards.
Bei Gloryful ist die Intention diese: Mein Bruder Frank predigte damals immer "eigentlich ist der ganze Death-, Black-, Thrash-Metal und Grindcore doch alles Müll verglichen mit den großen Heavy-Metal-Bands, die wirklich Geschichte geschrieben haben und die für die Existenz all der oben genannten und zig weiteren Bands verantwortlich sind. Da auch wir nur aufgrund von Platten wie "Battle Hymns", "Number Of The Beast" oder "Keeper Of The Seven Keys" heute diese Musik hören und in dieser Band spielen, müssen wir eines Tages diesem ursprünglichen Stil, dem reinen Heavy Metal, Tribut zollen, sobald wir einen Sänger treffen, der das Zeug dazu hat." Und genau diese Worte hatte ich dann Jahre später wieder im Kopf, als ich Johnny la Bombas Stimme bei einer Wii-Rock-Band-Session hörte. Das war der Typ mit der Stimme, auf die ich gewartet hatte. Wir fackelten nicht lange und nahmen zu zweit ein Demo auf. Das war 2010. Heute sind es schon vier Alben, zwei Europatouren und Gigs auf dem Wacken, Summer Breeze, Metal Days, usw. Bei der Band stimmt die Chemie, die Musiker sind alle total fit und alle haben Mordsspaß an der Sache. Um Innovation geht es da nicht. Die Devisen lauten eher "stumpf ist Trumpf" und "ohne Proben ganz nach oben".

Es spricht absolut für Dan Swanö, dass er im Mix insbesondere der Lead-Gitarre viel Raum zugesteht und „Dawnlight Garden“ gleichzeitig einen druckvollen Sound verpasst hat. Never change a winning team - oder könnt Ihr Euch vorstellen, in Zukunft auch mal wieder jemand anderem Eure Musik anzuvertrauen?

Vorstellen kann ich mir schon, auch gute Ergebnisse mit anderen Produzenten zu erzielen, z.B. stünde uns ohne Frage ein Jens-Bogren-Sound auch sehr gut. Aber da es mit Dan einfach immer unkompliziert und eingespielt läuft und er einfach auch ein verblüffend netter Typ ist, bleiben wir dabei. Die schnellen Wechsel der Produzenten in unserer Frühphase von Bernd Oprach ("Sylphlike") zu Wolfgang Stach ("Towards...", "Thunderbeast") zu Harris Johns ("Nailwork", "Necrodynamic") waren im Nachhinein eher unüberlegt und kontraproduktiv. Eine gewisse Konsistenz im Stil ist sehr wichtig, um Fuß zu fassen und eine Fanbase zu festigen, und dazu zählen eben auch die Cover-Gestaltung und die Produktion.

Ihr seid mir bereits Mitte der Neunziger als Basis-nahe Band begegnet, die nicht zuletzt einen guten Draht zu Fanzine-Schreibern gepflegt hat; zumindest soweit ich das selbst erleben durfte. Seid Ihr eigentlich zwischendurch auch mal in andere Sphären abgehoben? Welche Fanzines lest Ihr selbst gerne?

In den Neunzigern musste man sich im Papier-Untergrund bewegen, wenn man was reißen wollte. Ohne das ging es nicht. Als wir einmal begriffen hatten, was zu tun war, legten Tobbe und ich los und waren kaum noch zu bremsen - das hat damals echt Bock gemacht. Zeitweise gingen täglich bis zu 30 Sendungen bei uns ein, und Woche für Woche brachten wir Tüten voll Bestellungen, Trades und Korrespondenz zur Post auf die Reise in nahezu alle Länder der Erde, in denen man Heavy Metal kennt. So kamen wir auch mit den ganzen Fanzines in Kontakt, d.h. wir bemusterten alle Fanzines weltweit, von denen wir eine Adresse in die Finger bekamen. Manche der Undergroundler von damals arbeiten heute in der Metal-Industrie, also bei den großen Labels, Festivals und Magazinen. Ich selbst kriege nur noch ganz selten mal ein neues Print-Fanzine in die Finger, das ist aufgrund der Webzines natürlich eine aussterbende Zunft irgendwie. Schade eigentlich.

Bei Katja vom Eternity überrascht es mich kaum, dass ihre Wahrnehmung Eurer Musik meiner eigenen ähnelt, doch wenn fast alle Schreiber unterm Strich zum selben Ergebnis kommen, ist es ja fast schon langweilig für Euch, ständig ähnliche Lobeshymnen zu lesen - oder gab es tatsächlich auch kritischere Stimmen?

Es ist absolut nicht langweilig, sondern freut uns jedes Mal aufs Neue. Aber es ist echt schon erstaunlich, wie viele Top-Reviews es diesmal wieder zu lesen gibt. Es gab bisher nur ein eher skeptisch-zurückhaltendes Review (D) und ein Review aus Dänemark mit fünf von zehn Punkten, doch das tangiert mich nur periphär, was der meint, haha. Nach 100 geilen Reviews kann man sowas dann echt als Ausreißer aus der Statistik löschen.

"Dawnlight Garden" wurde u.a. als auf 100 Stück limitierte Variante in einer speziellen Holzbox angeboten, die bereits ausverkauft ist. Gehört das für Euch heute zum „business as usual“, oder legt Ihr besonderes Augenmerk darauf, dass ein solches Produkt dann qualitativ vom Feinsten ist? Von welchen Bands legt Ihr Euch selbst ähnliche Sammler-Editionen zu?

Die limitierten Holzboxen waren der Wunsch von unseren Label Apostasy Records, und als Band feiert man das natürlich, wenn dein Album in einer solch hochwertigen edlen Version erscheint. Die Boxen sind auch wirklich voll nobel und gingen weg wie geschnitten Brot, haha. Bei uns sind nur Tobbe und ich aktive Vinyl- bzw. Shirtsammler. Aber speziell Boxsets stehen eher selten auf dem Einkaufszettel. Da fällt mir ein, ich habe gestern die Pestilence-Box mit den vier Picture-LPs und der Testimony-Slipmat gekauft... Naja, also ab und zu, wenn der Preis lockt, kann man nicht widerstehen. Vinyl macht richtig Spaß, es kommt ein bisschen Kohle für Label und Band rein, man hat einen echten Gegenwert, das Cover kommt viel besser zur Geltung und obendrein klingt es viel besser als digitale Medien, es sei denn man weiß nicht, was der Unterschied ist. Spotify und Co. gibt mir überhaupt nichts und macht auf Dauer viel kaputt.

Neben lästigen Begleiterscheinungen hat die "Corona-Krise" bei mir eine tiefere Dankbarkeit im Rückblick auf viele Konzerte bewirkt, darunter die Release-Show zu "The Last Sunsets", an die ich mich echt gerne erinnere. Gleichzeitig hoffe ich natürlich darauf, dass möglichst viele coole Läden, Organisatoren und Bands überleben und wir hoffentlich bald mal wieder mit einem Frischgezapften auf einem Gig anstoßen können. Wie erlebt Ihr diese seltsame Zeit, inspiriert sie Euch beim Songwriting und welche Hoffnungen hegt Ihr?

Mir persönlich hat die erzwungene ruhigere Zeit ganz ohne Proben und Konzerte auch etwas gegeben. Ich habe noch ein paar musikalische Projekte in der Pipeline, die endlich auch mal fertiggestellt werden wollen. Dafür werde ich die nächsten Monate nutzen, bevor es Anfang 2021 wieder an neues NIGHT-IN-GALES-Material rangeht. Inspirieren tut mich die Krankheit dabei sicher nicht, das habe ich dann doch im Griff, haha.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich eines Tages "Sylphlike" im Briefkasten fand. Eure erste EP wird nun 25 Jahre "jung" - wie feiert Ihr das?

Wir feiern es mit dem Release von "Dawnlight Garden" und dem Charteinstieg, das muss reichen. Das Timing war jetzt etwas ungünstig, um kurz vor dem Release bzw. parallel dazu noch irgendwelche Jubiläums-Shirts zu verkaufen. Das hätte nur abgelenkt. Wenn es wieder Shows gibt, werden wir aber sicherlich ein "Sylphlike"-Jubiläums-Shirt dabei haben. Das Demo hat uns damals alle Türen geöffnet und den Deal mit Nuclear Blast eingebracht. Inklusive der 1000 Vinyls haben insgesamt 7000 Exemplare dieses Demos den Besitzer gewechselt. Ich glaube, das ist Weltrekord.

Danke für Eure Zeit & Glück auf!

Vielen Dank für den Support. Checkt mal auf www.night-in-gales.com, im Shop gibt es noch ein paar schicke Sachen abzugreifen.

Thor Joakimsson (Info)
Alle Reviews dieser Band: