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Interview mit MYRATH (03.03.2019)
Myrath ist eine Progressive Metal-Band mit orientalischen Einflüssen aus Tunesien. Gegründet wurde die Band bereits im Jahr 2001. Der von 2001 bis 2005 bestehende Name X-Tazy wurde abgelegt, als sich die Band darüber klar wurde, dass die sprachliche Nähe zur bekannten Designer-Droge gerade in ihrer jugendlichen Zielgruppe Begehrlichkeiten wecken könnte, die gänzlich unbeabsichtigt waren. Seit dieser Zeit haben sich MYRATH mit ihrem unverwechselbaren Stil des orientalisch beeinflussten Progressive Metal als eine der faszinierendsten Bands der internationalen Metal-Szene etabliert.
Am 03. Mai erscheint nun das lang ersehnte, fünfte Album des Quintetts, das einem ersten Eindruck nach zu urteilen, die Band auf ein neues Level katapultieren wird. Ich spreche mit Zaher Zorgati, der seit dem Jahr 2007 den Job vor dem Mikrofon innehat, über das neue Album „Shehili“, dessen Entstehungsgeschichte, die Geschichte Tunesiens und die weiteren Ziele der Band.
Hallo Zaher, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für musikreviews.de nimmst. Der Name der Band – MYRATH – ist Arabisch und bedeutet soviel wie kulturelles Erbe oder Vermächtnis. Da ihr diesen Namen sicher bewusst gewählt habt: welches Erbe habt ihr angetreten?
Zaher Zorgati: Hallo Stefan. Als Tunesier blicken wir auf eine bewegte Geschichte zurück. Da ist die Geschichte Karthagos, die Punischen Kriege, dann kamen die Römer und machten das Gebiet des heutigen Tunesiens zur römischen Provinz, später folgte die Christianisierung, die teilweise auch mit Gewalt durchgesetzt wurde, die Vandalen waren da, dann folgten die Osmanen, die Franzosen. Dann kam der lange Kampf um die Unabhängigkeit, den Tunesien ja erst 1956 gewann. All diese politischen sowie kulturellen Umwälzungen haben uns geprägt und fließen in unsere Musik mit ein. Daher der Name MYRATH.
Wie würdest Du die Musik von MYRATH beschreiben?
Zaher Zorgati: Wir machen „Blazing Desert Metal“! Es ist etwas Neues, etwas Frisches in der Metal-Szene! Etwas, dass es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Man merkt vielen Veröffentlichungen im Bereich des Metal sofort an – entschuldige bitte, wenn ich das so sage – dass dort etwas nur wegen des Geldes produziert wurde. Das merken die Medien und das merken die Fans. Viele Bands klingen auch ähnlich, da heben wir uns schon sehr ab. Wir machen eine völlig neue Art von Musik, eine neue Stilrichtung des Metal, nämlich Blazing Desert Metal. Unsere Musik klingt frisch und kommt aus dem Herzen. Wir kalkulieren die Musik, die wir machen nicht, sie hat nichts mit Mathematik zu tun, sondern wir komponieren wirklich „old school“. Wir machen die Musik nicht aus kommerziellen Erwägungen, sondern weil wir sie so empfinden.
Lass uns über das neue Album „Shehili“ sprechen. Kannst Du mir bitte zuerst die Bedeutung des Wortes „Shehili“ erklären?
Zaher Zorgati: Shehili ist ein heißer Wüstenwind, wie der Schirokko. In der tunesischen Sprache heißt er Shehili.
Meiner Meinung nach ist „Shehili“ ein wirklich starkes Album geworden, voll großartiger Melodien und packender, orientalischer Einflüsse. Bevor wir näher auf einzelne Songs zu sprechen kommen – wie siehst du euer neues Album im Vergleich zu den bisherigen?
Zaher Zorgati: Es ist ja mittlerweile das 5. Album. Ich mag alle vorherigen Alben auch, aber „Shehili“ ist einfach das Ergebnis eines Reifeprozesses und klingt erwachsener als die anderen Alben, es ist einfach ausgereift. Am Anfang haben wir schlicht Progressive Metal gespielt...die Musik war sehr komplex und technisch. Auf dem neuen Album haben wir die Sache etwas vereinfacht, aber nicht so, dass es banal geworden wäre. Es hat immer noch Biss. „Shehili“ ist auch anders entstanden als die anderen Alben. Wir haben uns die Ideen teilweise per Skype oder auch per Telefon (lacht) übermittelt. Wir haben an dem Album 1 ½ Jahre lang gearbeitet. Als es fertig war, haben wir es EDEL vorgestellt. Man hat uns gesagt: Euer Album ist toll, aber wir wollen, dass insbesondere der Schlagzeug-Sound natürlicher wird. Wir haben dann das Schlagzeug in den Chameleon Recording Studios Hamburg komplett neu aufgenommen, ohne Samples, dann alles neu abgemischt. Zudem hat es eine ganze Weile gedauert, eine Marketingstrategie für MYRATH zu entwickeln, denn überall, wo das Label nachgefragt hatte, kannte uns niemand.
Woran liegt es, dass MYRATH immer noch so eine Art Insider-Tipp ist?
Zaher Zorgati: Das liegt, glaube ich daran, dass in der Vergangenheit nicht in dieser Form mit MYRATH gearbeitet worden ist, wie es jetzt geschieht. Wir haben Alben gemacht, die, wie ich finde, auch sehr gut waren, aber niemand kannte uns. Die Alben sind in Europa in der Vergangenheit überhaupt nicht vertrieben worden und daran haben wir jetzt gearbeitet. Wir haben über ein Jahr lang an einer passenden Marketingstrategie gearbeitet, um MYRATH bekannter zu machen. Als earMusic die Band für sich entdeckte und Recherchen anstellte, sagten die uns: „Jungs, die Band kennt niemand.“
Wir sind auch auf Tournee gewesen, haben in ausverkauften Hallen gespielt, die zwar nicht immer riesig waren. Aber in der Vergangenheit haben uns die Leute nicht so wirklich wahrgenommen. Das wollen wir jetzt natürlich ändern. Und auch das hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite war es negativ, weil uns niemand kannte, auf der anderen Seite war es positiv, weil wir dennoch die Locations, die wir gespielt haben, füllen konnten.
Kannst Du mir etwas über die Entstehung der Musik erzählen? Wer schreibt die Songs von MYRATH?
Zaher Zorgati: Wir schreiben die Songs alle gemeinsam. Als wir uns entschlossen hatten, ein neues Album zu machen, habe ich in meiner Heimatstadt in einem Hotel ein Zimmer angemietet. Mit Raucherbereich...(lacht). Darin haben wir uns mit allen Beteiligten eingeschlossen und an den Songs gearbeitet. Wir waren zu acht Personen in dem Zimmer. Das war ein unglaubliches Chaos, zwischen all den Gitarren, Keyboards, Essen, Getränken...Jeder hatte eigene Ideen, die er eingebracht hat und teilweise war es unglaublich chaotisch aber dennoch sehr kreativ. Unsere Ideen beginnen niemals mit einem Riff, denn wenn du einen Song nicht mit einer Akustik-Gitarre singen kannst, ist es kein Song. Wir begannen also mit einer Gitarre und Keyboard und haben uns gefragt: erzeugt der Song Emotionen oder nicht? Wenn nicht, haben wir die Idee verworfen. Jeder Song hat seine ganz spezielle Atmosphäre. Jeder Song ist eigenständig und erzählt seine eigene Geschichte. Dieses Album lässt Emotionen entstehen.
Das Video zur ersten Single „Dance“ ist die Fortsetzung und Teil zwei einer Trilogie von Videos, die auf „Legacy“ mit „Believer“ begann und ihren Abschluss mit dem Video zu „No Holding Back“ finden wird. Welche Story steckt hinter dem Titel „Dance“?
Zaher Zorgati: Die Story hinter „Dance“ ist die des Balletttänzers Ahmad Joudeh. Über ihn hat auch der Guardian in England unter dem Titel „Dance Or Die“ geschrieben. Den Schriftzug „Dance Or Die“ hat er sich auch auf den Nacken tätowieren lassen. Ahmad hat in Syrien als Tänzer gearbeitet. Er gab Tanzunterricht für Waisenkinder und wurde von ISIS mit dem Tode bedroht, wenn er weiter tanzen würde. Aber er hatte einen Traum, den er nicht aufgeben wollte und darum geht es in dem Song. Er hat dafür gekämpft, ein Leben zu führen, das er genießen kann und diese Story hat uns enorm inspiriert, so dass wir darüber geschrieben haben. (Anm.d. Red.: Ahmad Joudeh lebt mittlerweile in den Niederlanden. Ted Brandsen, Direktor des Holländischen National Balletts, rief unter dem Namen „Dance For Peace“ einen Fond ins Leben, der Joudeh die Ausreise aus dem Kriegsgebiet ermöglichte.)
Mit MYRATH ist das ganz genauso: Wir wollen der tunesischen Jugend ein Beispiel geben und ihnen zeigen, dass man auch in Tunesien Musiker sein kann, eine Metal Band haben kann, Musik machen kann und das Leben genießen kann, anders als es religiöse Fanatiker wie ISIS predigen, die versuchen, unserer Jugend eine Gehirnwäsche zu verpassen. Wir versuchen mit unserer Musik und unseren Texten, den jungen Leuten Hoffnung zu machen und ich glaube, dass man mit Kultur und Musik die Menschen verändern kann. Religiöser Fanatismus ist eine globale Bedrohung und wir versuchen unser Möglichstes, das zu verändern, mit unserer Musik, mit unseren Gedanken und mit unseren Botschaften.
Im Song „Mersal“ ist der bekannte, tunesisch-bosnische Sänger Lotfi Bouchnak zu hören. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Zaher Zorgati: Ja, Lotfi Bouchnakist ein sehr hoch angesehener Sänger im Nahen Osten. Als er die Songs gehört hat, hat er sich sofort in die Musik verliebt. Er hat gesagt: „Ich bin dabei“.
Was können wir von MYRATH in der nächsten Zeit erwarten?
Zaher Zorgati: Sehr viel. Wir haben nur zwei Festivals gebucht, das Sweden Rock Festival und Wacken, weil wir uns voll auf die Promotion von „Shehili“ konzentrieren wollen. Wir werden am kommenden Freitag mit „No Holding Back“ den dritten Teil der Video-Trilogie veröffentlichen und weitere Promotion-Termine wahrnehmen, um das Album und die Band bekannter zu machen. Danach werden wir auch eine eigene Tournee spielen, aber im Moment steht die Promotionarbeit für „Shehili“ im Vordergrund.
Abschließend habe ich noch meine Spezialfrage für Dich: Was bist Du in einem Interview noch nie gefragt worden, was Du aber immer schon einmal loswerden wolltest?
Zaher Zorgati: Hm, schwer zu sagen. Ich habe eigentlich nur einen Wunsch. Ich würde mir wünschen, dass die Metalheads neuen Bands und neuen Strömungen im Metal aufgeschlossener gegenüber stehen würden. Für neue Bands ist es ungeheuer schwer, wahrgenommen zu werden und daher würde ich mir wünschen, dass sich dies in Zukunft ändert.
Zaher, vielen Dank für dieses Gespräch!
Photocredit: Nidhal Marzouk
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