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Interview mit Blind Guardian (01.08.2010)
Im Rahmen meiner Tätigkeit für das Legacy hatte ich im Mai die Möglichkeit, der Listening Session zum neuen BLIND GUARDIAN-Album "At The Edge Of Time" beizuwohnen. Natürlich stand die Band an diesem Tag auch für Interviews zur Verfügung und so unterhielt ich mich zunächst mit Gitarrist und Songschreiber André Olbrich, später kam auch noch der zweite Klampfer Marcus Siepen hinzu. 40 Minuten lang plauderten die beiden über alles wichtige zur neuen Platte, über das anstehende Orchesterprojekt und über magische Momente. Hier nun das komplette Interview im Wortlaut und ungekürzt.
Mein erster Gedanke, als ich den Albumtitel das erste Mal gehört habe, war "Ah, es geht back to the roots". Ist er deshalb gewählt worden?
Ne. Ganz zufällig. Wir haben ewig lange noch nem Albumtitel gesucht, konnten uns überhaupt nicht einig werden und irgendwann hat jemand die geniale Idee in den Raum geworfen: "At The Edge Of Time". Und sofort haben alle gesagt "Jaaa, das klingt geil". Wir waren uns zum ersten Mal einig und haben den dann spontan gewählt. Beim BLIND GUARDIAN-Titel ist eben immer ein bisschen wichtig, dass das diesen BLIND GUARDIAN-Flair hat und ein bisschen was offen lässt, so wie bei unseren anderen Alben auch. Du kannst da nicht einfach irgendein einzelnes Wort nehmen, das passt nicht ganz.
Der zweite Gedanke war dann, dass nach der Passage "at the edge of time" ja der Vers "and the story ends" aus dem gleichnamigen Song folgt. Das ist aber jetzt nicht euer vorletztes Album?`
Garantiert nicht. Es gibt ja immer wieder Auflösungsgerüchte und alles mögliche und am schlimmsten waren die natürlich, als der Thomen die Band verlassen hat, aber dem ist nicht so. Ich hoffe dass wir jetzt auch mit der Qualität des neuen Albums den Leuten zeigen können, dass wir es noch mal wissen wollen. Und dass das auch keine Signal für die Beendigung unserer Karriere ist, ganz im Gegenteil, wir wollen richtig durchstarten.
Noch eine Frage in die Richtung. Ein Titel wie ´Tanelorn (Into The Void)´ erweckt natürlich sofort die Assoziation zu dem älteren Track ´The Quest For Tanelorn´. Ist das bewusst so gewählt worden oder hat sich der Titel einfach so ergeben?
Es geht ja beides um Elric von Melnibone von Michael Moorcock, aber ich weiß nicht, wie Hansis Assoziation da war. Er hat halt den Text gewählt und von daher lag es nahe, einen ähnlichen Namen zu wählen. Musikalisch ist es ja jetzt nicht so nah dran.
Gut, nicht an dem Track selber, aber gerade der Song mit schnellen Strophen und gesetztem Refrain ist ja schon ein bisschen mehr "old school"...
Ist eben wieder schnell, wobei ich finde, dass wir auch da teilweise neue Elemente rein gebracht haben. Aber natürlich sind manche Sachen so ein bisschen back to the roots oder zu den Sachen, die viele Leute mit BLIND GUARDIAN einfach verbinden. Aber ich glaube, mit der Titelauswahl sollte nicht hervor gestellt werden, dass wir so einen Weg beschritten haben, weil auch dieser Weg nicht geplant war, sondern eher willkürlich passiert ist, dass da wieder solche Elemente auftauchen.
Eure letzten beiden Alben kamen nicht uneingeschränkt gut an. Jetzt finden sich auf dem neuen Album drei schnelle Songs, die eben schon back to the roots gehen. Wieviel Kalkulation steckt da bei euch hinter? Dass ihr vielleicht sagt "Ok, wir haben gesehen, unsere letzten beiden Alben haben sich vielleicht gut verkauft, aber es gab auch kritischere Stimmen..." Inwieweit beeinflusst euch das?
Ich bin ja auch viel im Internet unterwegs, obwohl man das ja nicht weiß (schallendes Gelächter), aber natürlich ziehe ich mir auch die ganzen Feedbacks rein. Ich sehe das allerdings ein bisschen anders. Bei uns ist das immer eine zeitversetzte Geschichte. In dem Moment, wo ich ein Album veröffentliche, in dem ich neue Elemente präsentiere, die der Fan erst mal nicht erwartet, werden logischerweise die Erwartungen nicht erfüllt und es gibt zunächst kritische Stimmen, was ich vollkommen nachvollziehen kann und überhaupt nicht schlimm finde. Ich fühle mich eher darin bestätigt, dass ich den Leuten etwas Neues vor den Kopf geknallt hab. Vier Jahre später, wenn das nächste Album kommt, ist das Album davor durchs Hören gewachsen und die Leute stellen fest, dass die eine oder andere Qualität doch da war, die sie am Anfang überhört haben. Dieses Phänomen begleitet uns nicht erst seit den letzten beiden Alben, sondern schon seit der "Imaginations From The Other Side". Als wir die heraus gebracht haben, war das erst mal Teufelswerk, da waren ja Midtempo-Sachen drauf, die man vorher von uns nicht kannte und wir waren auf einmal von der Speed Metal-Band BLIND GUARDIAN zu einer "langsamen" Band mutiert und das ging gar nicht, da gab es diese Stimmen also auch schon. Da haben wir uns aber nicht weiter von beeinflussen lassen und haben eine "Nightfall In Middle-Earth" hinterher gelegt, die noch langsamer war und wo auch noch Leute zwischendurch gesprochen haben, was auch wieder zu bösen Zwischenrufen geführt hat. Wenn wir darauf immer gehört hätten, hätte es bestimmte BLIND GUARDIAN-Trademarks nie geben dürfen, weil die bei Release verpönt waren. Später wurden dann erst die "Imaginations" und dann auch die "Nightfall" zu DEN BLIND GUARDIAN-Alben erkoren. Die "A Night At The Opera" war auch sehr lange verpönt als das überladene, epische Ding, was so überproduziert und überladen war, dass es zu anstrengend war. Jetzt, als wir das neue Album gemacht haben und auch ein bisschen im Internet gestöbert haben, gab es sehr viele Leute, die gesagt haben "Hoffentlich kommt es noch mal an das Meisterwerk "A Night At The Opera" dran" und wir haben uns sehr gewundert. Nach acht Jahren gibt es auch sehr viele Liebhaber dieses Albums. Und ich denke mal, in weiteren vier Jahren werden die Leute auch von der "A Twist In The Myth" noch mehr schwärmen, als sie es jetzt tun. Danach kann man also gar nicht gehen.
Was wir sehen und was ein Fakt ist, ist, dass wir nach jedem Album eine Tournee machen und dass dann auf dieser Tournee plötzlich 15- bis 20-jährige in den ersten Reihen stehen. Wo kommen jetzt diese Fans her? Die können nicht von einem Album kommen, das vier Jahre oder acht Jahre davor rausgekommen ist, die können nicht von diesen Klassiker-Alben, die für uns so wichtig waren, gezogen worden sein, weil die da noch Kinder waren. So gesehen hat jedes Album zu der Zeit seinen Zweck sehr gut erfüllt, nämlich immer die neue Generation zu erreichen und da auch für Furore zu sorgen. Und jeder wächst eben mit einem anderen Album auf, verbindet dann auch mit so einem Album bestimmte Emotionen und ein Lebensgefühl, das man zu der Zeit dann hat und deswegen werden diese Alben für diese Leute auch immer die Lieblingsalben bleiben. Also hat jede Generation ihr eigenes Lieblingsalbum und deswegen würde ich mich davon nie beeinflussen lassen. Die Alben waren alle kommerziell sehr erfolgreich, jede Tournee ist größer geworden und jedes Mal haben wir größere Hallen gefüllt oder mehr Leute gehabt, so gesehen haben wir eigentlich alles richtig gemacht. Natürlich nimmt man sich trotzdem bestimmte Sache zu Herzen und versucht, auch daraus wieder neue Kreativität zu ziehen, aber ich versuche nie, die Erwartungshaltung der Fans zu bedienen. Dann drehst du dich im Kreis und machst genau das selbe, was du schon gemacht hast und unser Ziel ist es immer, was neues zu machen und uns mit jedem Album in gewisser Weise neu zu definieren.
Dass jetzt eben viele Trademarks von BLIND GUARDIAN wieder hervorgehoben sind, war für mich ein natürlicher Prozess. Wir haben die "Opera" gemacht und die war für uns als episches Bombastalbum einfach abgeschlossen, wir wussten, das können wir nicht mehr toppen, da muss es einen Cut geben. Dann haben wir gesagt "Ok, da in dieser Groove-Ecke auf die rhythmische Schiene zu gehen, da ist viel Luft, da haben wir noch nie etwas gemacht" und haben dann die "Twist" ganz gezielt in dieses Ding gelenkt, wo viele Grooves sind wie bei ´Another Stranger Me´ zum Beispiel und mit modernen Sounds zu mischen. Wir wollten einfach mal gucken wie es funktioniert, wenn wir auch solche modernen harten Sequenzer mit rein fließen lassen, wie zum Beispiel bei ´The Edge´, das fand ich sehr interessant, mal so zu arbeiten und solche Sachen auszuprobieren. Das war dann mit der "Twist" für uns wieder ein abgeschlossenes Kapitel und da war kein Bedarf, nach der Tour wieder da anzusetzen, sondern ich fand das interessant und ganz gelungen, wollte jetzt aber wieder etwas anderes machen. Dann haben wir für dieses Computerspiel "Sacred" direkt nach der Tour diesen Song geschrieben, den wir auch als gelungen empfunden haben. Und dadurch, dass wir dann auch so früh wieder Feedback von den Fans bekamen, haben wir dieses Mal ganz unbeschwert weiter komponiert und einfach gesagt "mal sehen, was da noch so rauskommt" und hatten dann nach drei, vier Songs ein gutes Gefühl und haben davon direkt Demos gemacht. Aber dieser Druck war nicht ganz so groß wie sonst, dass man gedacht hat, man wird von dem Vorgängeralbum erschlagen, sondern wir sind mit viel mehr Leichtigkeit dran gegangen. Dazu war der Frederik durch die Tournee mehr in die Band gewachsen, hat sich eingelebt und eingegliedert, hatte für sich auch den Anspruch zu zeigen, was sein Charisma ist, was er kann und wie er klingen kann. Dadurch hatten wir eine sehr harmonische Basis.
Habt ihr euch denn beispielsweise nach der "Nightfall" und bei den folgenden Alben mehr Druck gemacht? Das hört sich ein bisschen so an.
Du hast immer den Druck, einen immensen Druck.
Und woher rührt der? Daher, dass ich mehr verkaufen wollt oder gar müsst? Ist es der hohe Anspruch an euch selbst? Was ist der Druck?
Ich glaub so ein bisschen eine Mixtur aus allem. Du willst ja auf gar keinen Fall den Status, den du dir über Jahre erarbeitet hast, wieder abgeben. Man weiß auch, dass man den nur halten kann oder dass es nur nach oben gehen kann, wenn du wirklich starke Songs schreibst. Jetzt hast du natürlich im Rücken, dass du weißt, dass bestimmte Sachen gut gelaufen sind und toll geworden sind und du davon überzeugt bist – du darfst es aber nicht wieder genau so machen. Das Ding ist einfach durch. Aber dann etwas anderes zu finden, was dir vielleicht schwerer fällt, weil es was neues ist, das es trotzdem wieder diese Qualität erreicht, dass alle sagen "Boah, toll!", das ist unglaublich schwer. Und vor diesem Ding stehen wir mit jedem Album. Unsere Alben waren nun mal auch durch die Bank weg alle kommerziell sehr erfolgreich und du hast jedes Mal wieder diesen Druck. Ein Scheißalbum – die Zeit ist ja so kurzlebig geworden und die Musikindustrie ist am Boden – mach ein Scheißalbum und du bist vergessen. Wir brauchen ja wieder vier Jahre um ein neues Album zu machen, das heißt, ein Fehler und du bist für acht Jahre aus dem Rennen. So muss man das ja mal sehen.
Könnt ihr da nicht von eurem Status zehren? Ihr werdet als Headliner für Festivals gebucht und der Name BLIND GUARDIAN steht ja immer noch für die beste deutsche Metalband.
Ja, aber wer will schon nur aufgrund seiner Vergangenheit oder seiner frühen Tage abgefeiert werden, das ist ja erbärmlich. Du willst ja schon sagen können "Hier, ich bin jetzt, ich bin die starke Band und ich kann auch mit den Bands konkurrieren, die momentan da sind und angesagt sind". Du willst ja nicht nur als der Metaloldie da auflaufen. Wir wollen schon konkurrenzfähig bleiben und zeigen, dass wir gutes Songwriting machen können.
Die Entstehung eines Albums ist bei euch also auch Kopfsache und kommt nicht nur aus dem Bauch heraus?
Ich würde sagen, der ganze Anfang, so bis zur Hälfte oder auch ein bisschen mehr, ist nur Bauch, weil wir uns überhaupt erst mal gar nicht limitieren wollen oder in eine Richtung festlegen wollen, du musst erst mal sehen, welche Ideen du überhaupt hast. Und wenn du dann einen gewissen Anteil an Ideen hast, fängst du schon an zu denken, so nach dem Motto "Ja, was fehlt mir denn jetzt noch für das geniale runde Album?" Und das war beim neuen zum Beispiel so, dass wir fünf, sechs Songs hatten und dann gesagt haben "Ja, aber eigentlich müsste man auch mal wieder einen richtig geilen schnellen Song haben".
Welcher kam dann?
Dann kam ´Tanelorn´, ja. Das funktioniert aber nur, wenn du in dem Mood bist, dass du so einen Song schreiben kannst. Ich würd mich also nicht verbiegen und auf Teufel komm raus, nur um des Konzeptes willen was schreiben oder wie man so schön sagt, was hinklatschen, nur weil es so etwas sein soll. So funktioniert es nun auch wieder nicht bei uns, sondern du musst gerade auch Bock haben. Da war es gerade warm, gerade Sommer, ich hatte eh Bock auf harte, schnelle Musik und von daher hat’s gepasst, auch in mein Lebensgefühl, dann kann ich auch so was machen. Aber viel mehr Einfluss hat man wieder nicht, manche Sachen sind dann auch am Ende sehr viel Glück. Zum Beispiel ob jetzt die Songs tatsächlich harmonisch hintereinander passen. Wenn ich das durchhöre, habe ich das Gefühl das ist fast wie ein Konzeptalbum, vom Flow her. Und das passte einfach, von vorne bis hinten und da gehört dann halt auch das Quäntchen Glück hinzu, dass die Ausgänge der Songs und die Einleitungen der neuen Songs dann so zusammen passen und dass du mit der Anzahl der Songs, die man von der jeweiligen Mood her hat, auch wirklich die Dynamik da rein bringt. Es kann ja auch sein, dass du einen Midtempo-Song zuviel hast und einen Speed-Song zu wenig und schon funktioniert die Kiste nicht mehr.
Nun gesellt sich auch Marcus zum Gespräch dazu, der zu fortgeschrittener Abendstunde erst noch seine Frau abholen musste.
Mit ´A Voice In The Dark´ als erster Single habt ihr den härtesten Song des Albums gewählt. Ist das ein bewusstes "wir sind wieder da, wir machen auch wieder schnell"?
Andre: Ja, ja und noch mehr. Wir haben ja schon alle möglichen Songs nach vorne gestellt auf unseren Singles, man denke nur an ´And Then There Was Silence´, wo wir mal eben einen 14-Minuten-Song herausgestellt haben. Da haben ja alle gesagt "Ihr seid bescheuert, das funktioniert nie" und dann ist dann das Ding in mehreren Ländern Nr. 1 geworden. Ist natürlich immer eine heikle Sache, wie man sich präsentiert und ich fand auch, dass wir da dieses Mal weniger Druck hatten, als sonst, weil die Leute schon ´Sacred´ kennen. Einen BLIND GUARDIAN-Song nach vorne zu stellen und diesen als Querschnitt für das Album zu sehen, ist im Prinzip unmöglich, weil die Songs eigentlich alle unterschiedlich sind. Und auch wenn man ´A Voice In The Dark´ hört, wird man sich nicht vorstellen können, wie die anderen Songs klingen. So gesehen muss man sich halt für einen entscheiden und da glauben wir, dass wir überhaupt nicht im Mainstream denken müssen. Wir sind BLIND GUARDIAN, wir machen, was wir wollen und wir müssen unseren Fans zeigen, dass das ein hartes Album wird und stellen dann lieber so einen Song nach vorne. Im Radio werden wir eh nicht gespielt, ob wir da jetzt eine Ballade drauf machen oder was auch immer. Fernsehen ist inzwischen auch uninteressant, gibt inzwischen kaum noch Sender, die Metal-Programme haben, von daher ist es doch eh egal. Die Single ist für unsere Fans, die schon mal einen Vorgeschmack bekommen sollen und wir finden, dass das eine der geileren Abgeh-Nummern ist.
Marcus: Wie André schon gesagt hat: einen repräsentativen Song kannste bei uns eh nie raussuchen. Als wir ´Fly´ herausgebracht haben, haben die Leute auch gefragt "Klingt das ganze Album so?" Nö, tut’s nicht, weil dann wäre es ja auch ziemlich langweilig, wenn wir immer dasselbe aufnehmen. Man kann also nur einen Song raussuchen, den du für stark genug für eine Single hältst und damit ein Statement setzen.
Was ist euch denn wichtiger? Eine hohe Chartplatzierung, in mehreren Soundchecks abzuräumen oder in den Lesercharts weit oben zu landen?
A: Solange die Lesercharts nicht manipuliert sind (es folgt Gelächter), würde ich natürlich auf die am meisten geben, weil das ist das Wort der Fans, ganz einfach. Heutzutage braucht man aber auch so gesehen keine Lesercharts mehr, weil man das Feedback direkt übers Internet bekommt in seinen eigenen Foren bekommt. Natürlich sind alle Faktoren für eine Band wichtig, weil eine hohe Chartplatzierung dir wieder Sachen ermöglicht, wo vorher die Türen ganz klar geschlossen sind. Wenn du in den Charts auf Platz 1 gehst, dann hast du schon mal die Möglichkeit, eventuell doch im Radio oder im Fernsehen was zu platzieren, was du sonst einfach nicht kannst. Ich find’s einfach scheiße, dass Metal-Musik da so abgestraft wird und überhaupt nirgendwo passieren darf, nur weil’s Metal ist, obwohl es von der Qualität der Musik mit Sicherheit besser ist, als viele Pop-Sachen, die da laufen. So gesehen freue ich mich natürlich über eine Nummer 1, um für das ganze Genre zu sagen "So, hier, ist Metal. Ist gut. Hört das mal." Was war noch mal der dritte Punkt, den du hattest?
Soundchecks.
A: Ach ja, na gut. Redakteure, das muss ich jetzt einfach so sagen, sind teilweise doch auch sehr verstrahlt. Vielleicht durch die Anzahl der Alben, die die monatlich hören müssen, nämlich bis zu 50 oder 80 Stück, ist es für die meisten überhaupt nicht möglich, sich mit jedem Album richtig zu beschäftigen. Da kann mal kurz reingehört werden und wenn’s dann eine Band ist, die ein bisschen bekannter wird, hört man sich’s vielleicht auch einmal ganz an, ganz toll. Aber nach DEN Benotungen würde ich persönlich keine Platte mehr kaufen. Ich würde mir dann als Fan lieber selbst ein Bild machen, wie man das auch früher zu meiner Zeit gemacht hat, mal ein einen Plattenladen bzw. einen Markt zu gehen...
M: ... einen Markt der Medien verkauft ... (Gelächter)
A: Plattenläden gibt’s ja nicht mehr, also muss man in einen Elektronikmarkt gehen, und sich die eine oder andere Scheibe, die man für interessant hält, einfach mal anhören. Das sehe ich immer noch als sinnvoller an, als sich auf die Meinung anderer zu verlassen.
Bei Online-Magazinen ist es ja oft so, dass kein Geld dahinter steckt und die Schreiber recht frei sind, zu schreiben, was sie wollen. Wie steht ihr dazu? Sind die vielleicht sogar wichtiger als Print-Magazine, einfach weil da mehr Herzblut einfließt?
M: Ich weiß nicht, ob die wichtigER sind, als Printmedien, aber sie sind definitiv wichtig, zumal die Printmedien ja ein ähnliches Problem wie die Musikindustrie haben, nämlich dass Käufer wegbrechen, weil eben alles auch im Internet erhältlich ist. Es ist meiner Meinung nach einfach nur eine andere Form von Publikation, eben elektronisch und online. Hat für mich fast den gleichen Stellenwert, muss ich sagen.
A: Ich glaube auch, dass die Internet-Magazine wichtiger und wichtiger werden. Man muss einfach sagen, dass man nicht daran vorbei kommt, dass die ganze neue Generation von Musikhörern nur noch den Computer als Medium benutzt. Egal, ob die Musik über den Computer gehört wird und es keine CDs mehr gibt oder Magazine, die es nicht mehr in Printform gibt. Für mich ist das einfach up-to-date, sich die Magazine am Computer durchzulesen und von daher finde ich es auch wichtig, dass es gute und qualitativ hochwertige Magazine im Internet gibt. Anfänglich war es ja so, dass viele Fanzines, also auch in Fanzine-Qualität oder in Schülermagazin-Qualität, aufgetaucht sind, aber da hast du die Information noch nicht so gekriegt, wie du sie haben wolltest.
M: Man ist von den Printmedien ja ein gewisses Level gewohnt
A: Und dieses Level will ich dann eigentlich auch im Internet haben und ich wäre auch bereit, dafür zu zahlen. Ich will das gar nicht alles umsonst, man muss den hochwertigen Magazinen oder generell Künstlern, die digital tätig sind, auch wieder den Value zusprechen und da die Linie ziehen zwischen eben einer Schülerzeitung, die man durchaus mal umsonst verschenken kann und einem vernünftigen redaktionellen Beitrag.
M: Das Online-Magazin hat natürlich den Vorteil gegenüber einem normalen Magazin, dass du nicht nur auf Text und Foto angewiesen bist. Du kannst auch Soundsamples reinsetzen, Videoclips oder was auch immer. Und du bist natürlich schneller, wenn heute ein Konzert ist, kannst du morgen dein Review online packen. Das sind schon klare Vorteile.
Nochmal kurz zum Thema Kommerz. Avantasia sind zuletzt sehr hoch gechartet. Macht euch das auch Hoffnung, dass auch eure neue Platte hoch geht?
M: Die letzte war ja auch schon auf drei.
A: Man muss natürlich auch sehen, dass die Charts momentan nicht mehr besonders stark sind. Das wird langsam stärker, je näher es auf Weihnachten zugeht, aber Frühjahr und Sommer sind die Charts relativ low und man schon die Chance, recht weit nach vorn zu gehen. So wie früher, eine Position 4 oder so als Indiz für irgendwas zu nehmen, da wäre ich mal vorsichtig, da müsste man wirklich erstmal nachhaken, was da alles war zu der Zeit. Wir machen uns natürlich Hoffnungen, dass wir da vielleicht mal in die Pole Position kommen, aber es wird immer schwer bleiben, weil Sachen, die vom Fernsehen gesteuert sind wie die ganzen Casting-Shows und so dir da mal einen Strich durch die Rechnung machen können. Wenn wir jetzt Ende Juli kommen, schaffen wir es vielleicht doch, eine gute Position zu ergattern, aber auf Weihnachten zu wird’s wieder schwierig.
Dann gehen wir doch mal im Detail auf das neue Album ein. ´Sacred Worlds´ ist ja eigentlich nur die Erweiterung von ´Sacred´, aber diesen soundtrack-artigen Monumentalballast kannte man in der Form ja noch nicht von euch.
M: Wenn du sagst Soundtrack, Breitband, das kann man stehen lassen. Soundtrack-Charakter hat das definitiv. Was man von uns noch nicht gehört hat ist, dass wir das erste Mal mit einem echten Orchester gearbeitet haben, was das ganze level-technisch gleich mal drei Ebenen höher hebt.
A: Das ist von unserer Seite so entstanden, dass Hansi und ich seit 15 Jahren an diesem sogenannten Orchester-Projekt arbeiten...
... das eh nicht mehr rauskommt...
A: Doch, das ist schon in der Produktion. Und da haben wir natürlich sehr viele Erfahrungen gesammelt und unser Können ein bisschen erweitert und dann tatsächlich richtige, reine Orchesterparts geschrieben. Diese Fähigkeiten haben wir dann nach und nach verstärkt auch in die Alben eingebaut. Das erste Experiment, wenn man so will, war ´And Then There Was Silence´, wo wir mal diese Techniken angewandt haben. Inzwischen können wir das aber glaub ich noch besser verzahnen und das haben wir dann bei ´Sacred´ voll ausgenutzt. Und da wir jetzt gerade dabei sind, diese besagte Produktion zu starten und ein Setup gefunden haben, wie man das produktionstechnisch lösen kann und mit dem Prager auch ein Orchester gefunden haben, haben wir eben diese zwei Songs vom Album, ´also Sacred Worlds´ und ´Wheel Of Time´ auch schon mit diesem Orchester aufgenommen. Aber eigentlich muss man sagen, dass dieses Orchester-Album die Basis für diese Sachen war.
War es konzeptionell so gedacht, dass ´Sacred Worlds´am Anfang steht und ´Wheel Of Time´ am Schluss? Man hat den Eindruck, dass sich der Kreis am Ende wieder schließt. War das genau so geplant?
A: Eigentlich schon. Sobald man anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Nummern platziert, wird einem ganz schnell klar, dass, wenn Du so eine Bombastnummer irgendwo in der Mitte auftauchen lässt, kann danach alles nur noch abstinken. Das heißt, dass so eine starke Nummer ans Ende muss. Wenn du jetzt zwei davon hast... (wieder Gelächter) Da ´Sacred Worlds´ dieses unglaublich geile Intro hat, haben wir gesagt, dass wir das auch als Intro für die Platte nehmen und es kommt richtig schön rein, weil eben keine andere Nummer so einen schönen Einstieg bietet und die andere super-bombastische muss dann ans Ende. Das war uns eigentlich schon zu Beginn der Produktion klar, dass wir Intro- und Outro-Song haben.
Wer hat das mystische, ägyptische anmutende in ´Wheel Of Time´ eingebracht?
A: Dazu muss ich ein bisschen zum Verlauf des Songs erklären, der hat nämlich ganz komische Wendungen genommen. ´Wheel Of Time´ war ursprünglich für das Orchester-Projekt gedacht, da hatten wir etwas rein klassisches komponiert und Hansi hatte das besungen, wir fanden aber beide, dass das vom Gefühl so weit weg von den anderen Sachen war, dass wir gesagt haben "das passt da nicht rein, die Nummer fliegt da wieder raus." Dann hatten wir das aber und ich fand es zu schade, um es in die Schublade zu legen, dass ich gedacht habe "ok, man kann da auch mal die Heavy-Band drauf komponieren, mal sehen, was passiert." Das war dann die erste große Umwandlung. Dann waren die Parts natürlich alle relativ langsam und midtempo-mäßig und es kam uns immer noch langweilig vor. Daraufhin hab ich es dann noch mal umgewandelt und hab diese schnellen Thrash-Elemente eingebracht, die mich mit den Geigen ein bisschen an ´Script For My Requiem´ erinnert haben. Da haben wir dann rumgemodelt und hatten dann endlich ein Songkonstrukt, wo wir gesagt haben, dass das einen guten Flow hat.
Wir haben dann ein Demo davon gemacht und haben das dem Charlie vorgespielt und er sagte dann "Ich find ja die orientalischen Sachen die da drin sind total geil" und wir dann so "Wo sind denn da orientalische Sachen drin? Hören wir gar nicht". Er hat das eben aus den Gitarrenmelodien rausgehört und meinte so "die Melodien die du da spielst sind sehr orientalisch angelegt". Das wäre für ihn produktionsmäßig das Ding, das man featuren sollte. Und weil da auch Orchestersachen bei waren, meinte er, dass es geil wäre, wenn das Orchester auch diese Sachen aufgreifen würde und man diesen orientalischen Approach ein bisschen verstärkt. Das haben wir dann auch gemacht und ausgearbeitet und dann kam von Charlie auch noch die ziemliche geniale Idee, dieses Percussion-Break in der Mitte zu machen und die Nummer zusammen fallen und sich dynamisch neu entfalten zu lassen. Das waren alles so Sachen die vom Charlie als Produzent eingebracht wurden.
Was sind denn eure persönlichen Lieblingssongs auf dem neuen Album?
A: Meiner ist momentan ´Tanelorn (Into The Void)´, finde ich supergeil, wie es abknallt. Und ´Sacred Worlds´ halte ich momentan für den besten BLIND GUARDIAN-Song aller Zeiten.
Den Gedanken hatte ich bei ´Wheel Of Time´...
M: Bei mir sind es auch ´Tanelorn...´ und ´Wheel Of Time´.
Und was glaubt ihr, welche Songs bei den Fans am besten ankommen werden?
A: Das wird sich wieder in drei oder vier verschiedene Lager splitten. Die Fraktion, die unsere Medieval-Sachen geil findet, wird sich mit Sicherheit auf ´Curse My Name´ stürzen und die Power Metal-Fraktion, die diese Midtempo-Sachen wie ´Nightfall´, ´And The Story Ends´ und ´Mordred’s Song´ abfeiert, denen wird mit Sicherheit... wie heißt sie... die zweite, nee, dritte Nummer...
´Road Of No Release´
M: Sag das doch.
A: Genau, die… und ´Valkyries´ gefallen. Und die Speed Metaller werden sich auf die drei schnellen stürzen.
Welche werden live kommen? Könnt ihr das jetzt schon sagen?
A: Live werden wir versuchen – wir fangen mit dem Proben erst noch an und wissen noch nicht, was wir geil umsetzen können und was nicht, ´Sacred Worlds´ ist aber gesetzt – wir werden versuchen ´Tanelorn...´, ´A Voice In The Dark´ und auch ´Wheel Of Time´ umzusetzen.
Was wird es optisch auf der Tour geben?
A: Wir haben beim letzten Mal visuell auf Projektionen gesetzt, da ist noch eine ganze Menge mehr drin. Wir wollen dieses Mal noch viel Videomaterial produzieren. Wir machen wahrscheinlich auch Clips zu zwei Songs. Da kann man natürlich eine ganze Menge machen. Wo wir von absehen, ist so eine altmodische Pyroshow, das ist einfach nicht unser Ding. Großartig mit Pappmaché-Aufbauten und so einer Dragonslayer-Welt ist auch zuviel Klischee für BLIND GUARDIAN, von daher werden wir auf dem aufbauen, was wir so die letzten Jahre an den Start gebracht haben. Wir werden das mit den Videoprojektionen verstärken und eine State-Of-The-Art-Lichtanlage mitnehmen, die emotional das verstärken sollte, was die Songs aussagen.
Ich habe zwei Erlebnisse von euren Konzerten, an die ich mich immer wieder gerne zurück erinnern werden. Einmal der Stromausfall in Dortmund...
Beide: Boooaaaah...
A: Da warst du da?
Ja!
A: Abgefahren...die Halle hat nen scheiß Sound...
M: Großer Tag...
Ich fand es aber toll, wie das Publikum reagiert hat, wie war das für euch?
A: Ich fand das auch einmalig, so was können nur BLIND GUARDIAN-Fans.
M: Die Publikumsreaktionen waren großartig, aber beim dritten Mal stand ich kurz davor, eine Gitarre zu zerdeppern.
A: Trotzdem, diese Stimmung. Ich hab das hinterher noch mal live als Bootleg gehört. Sowas ist einzigartig und da können die alle stolz drauf sein.
M: Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber irgendjemand hat mir damals gesagt, dass das Ganze wohl einen Monat vorher in derselben Halle schon mal passiert ist, bei Paradise Lost oder einer anderen Kapelle, weiß ich nicht mehr. Aber da gab’s wohl richtig Randale, da haben die Fans keine "Duracell"-Chöre angestimmt...
A: Ich hab noch was zur Tour, was wir auch machen werden. Wir haben auf den Festivals, die wir letztes Jahr gespielt haben, schon so ein paar alte neue Songs oder neue alte eingestreut, paar Klassiker, die wir ewig nicht gespielt haben und das wollen wir verstärkt fortführen. Wir werden also bestimmt unser Repertoire um weitere zehn Songs erweitern, die wir in Deutschland ewig nicht gespielt haben und damit hoffentlich auftrumpfen.
Das zweite Erlebnis war euer Auftritt in Düsseldorf, wo nach dem ´Bard’s Song´ sieben Minuten lang nur "Guardian, Guardian"-Sprechchöre kamen...
M: Gänsehaut...
Habt ihr so was noch mal erlebt?
A: Das war einzigartig, aber das haben wir ja zum Glück auf unserer Live-CD festgehalten.
M: Wobei die Version auf der CD gekürzt ist, das ist nicht die volle Länge. Jedes Mal, wenn Hansi ans Mikro gegangen ist und was sagen wollte wurde es dann eben noch lauter und du stehst irgendwann nur noch mit Gänsehaut pur da und weißt nicht mehr, wat abgeht. Das ist wirklich einer DER Momente in unserer Live-Historie.
A: Und das beim Heimspiel. Das ist immer das, wo du am meisten Horror vor hast, weil da Deine Familie, Deine Freunde und alle die man so kennt stehen. Und wenn du da abloost, brauchste dich zuhause nicht mehr sehen lassen. Und dann so ein tolles Ding von den Fans geschenkt zu bekommen, so muss man es ja sagen, weil wir da ja wenig dazu getan haben, ist einfach nur genial.
Es war ja schon fast enttäuschend, dass das dann bei der Tour danach nicht mehr kam...
M: Das finde ich wiederum positiv. Ich fände es lahm, wenn sich so etwas rumspricht und dann bei jeder Show gesagt wird "das können wir toppen". Und irgendwann wissen wir dann, dass wir nach dem ´Bard’s Song´ erst mal duschen gehen können... der Reiz ist dann nicht mehr da. So etwas muss immer spontan entstehen und die Magie des Moments einfangen.
A: "Magic moments" kann man nicht kopieren und hat man nicht jeden Tag.
Ein schönes Schlusswort.
- Blind Guardian - A Night At The Opera (2002)
- Blind Guardian - At The Edge Of Time (2010)
- Blind Guardian - Memories Of A Time To Come (2012)
- Blind Guardian - A Traveler's Guide To Space And Time (Box) (2013)
- Blind Guardian - Beyond The Red Mirror (2015)
- Blind Guardian - Live Beyond The Spheres (2017)
- Blind Guardian - Imaginations from the Other Side - 25th Anniversary Edition (2020)
- Blind Guardian - The God Machine (2022)