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Interview mit BEN HARPER (29.07.2022)
BEN HARPER hat als 3-facher Grammy-Gewinner, Songwriter, Gitarrist, Multiinstrumentalist und Produzent auf allen Leveln seiner Kunst so ziemlich alles erreicht, was sich erreichen lässt. Unter anderem konnte Ben mit vielen seiner Idole zusammenarbeiten, die ihn seinerseits dereinst inspirierten, als Musiker tätig zu werden. Dazu gehören Legenden wie JOHN LEE HOOKER, TAJ MAHAL, THE BLIND BOYS OF ALABAMA, RINGO STARR oder TOOTS & THE MAYTALS, mit denen er auf der Bühne stand, ebenso wie zeitgenössische Kumpels wie JOSEPH ARTHUR, DAHNI HARRISON, TOM FREUND oder JACK JOHNSON, mit denen er auch auf der songwriterischen Ebene und als Produzent zusammenarbeitete. Zweifelsohne ist Ben Harper nun in einer Phase seines Lebens angelangt, in der er sich mit heiterer Gelassenheit verstärkt seiner Selbstverwirklichung als Künstler widmen kann. Die Frage ist, wie sich so jemand in dieser Phase kreativ motiviert – und die Antwort in seinem Fall ist die, sich auf sich selbst zu konzentrieren. So sind seine letzten Alben – das Solo-Instrumental-Album „Winter Is For Lovers“ sowie die gerade erschienene aktuelle LP „Bloodline Maintenance“ – Ausdruck dieser Entwicklung, denn auch auf dieser klassischen aktuellen Songsammlung agierte Ben weitestgehend autark, spielte nahezu alle Instrumente alleine ein und erarbeitete mit Produzent SHELDON GOMBERG ein unorthodoxes Sounddesign, das für ihn neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten eröffnete. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Kaleidoskop an Stimmungs-, Stil-, Genre- und Sound-Elementen bei denen Harper auf so ziemlich alles zurückgreift, was er zwischen Gospel, Funk, Blues, Rock, Soul, Reggae und Folk zur Verfügung hat und auf seine eigene Weise wieder zu etwas ganz Neuem zusammensetzt. Dabei war es sein erklärte Ziel, in für ihn bis dato unbekannte und ungewohnte musikalische Bereiche vorzudringen. Es ging ihm also - wie er selber sagt – darum, alles herzunehmen, was er von jedem anderen Album gelernt habe, das alles anzuzünden und von vorne anzufangen.
Ben, wenn Du sagst, dass Du „von vorne anfangen musstest“, als es daran ging „Bloodline Meintenance“ einzuspielen: Bedeutet das, dass es dazu notwendig war, das, was Du vor diesem Album gemacht hast, auszublenden – bzw. Dich davon zu lösen oder sogar Dinge zu „verlernen“?
Wenn Du in kreativer Hinsicht einen Durchbruch erzielen möchtest, dann musst Du Dich in jeder Beziehung von dem lösen, was Du vorher gemacht hast. Ich kann in einer solchen Situation mit meiner eigenen musikalischen Entwicklung ebensowenig in Verbindung treten wie etwa mit der anderer Leute. Ich musste mich also von anderen Inspirationen ebenso trennen, wie von meiner eigenen Arbeit – denn ansonsten läuft das auf einen Kampf 'ich' gegen 'ich' hinaus. Es ist ja schon schwierig genug, sich mit anderen messen zu wollen – geschweige denn mit sich selbst.
Und warum war dafür jetzt der richtige Zeitpunkt?
Weißt Du: Ich bin jetzt in der zweiten Hälfte meines Lebens. Es ist dabei zwar nicht so, dass ich nicht auch in der Vergangenheit schon mutig gewesen wäre, aber ich fühle, dass es jetzt an der Zeit ist, sogar noch mutiger und weniger ängstlich zu sein. Jetzt ist es an der Zeit für mich, den Karma-Overdrive einzuschalten und neues Territorium zu betreten.
Wäre es dabei eigentlich nicht vielleicht auch mal interessant, mit jüngeren Leuten zusammenzuarbeiten, um so vielleicht auch auf neue Ideen zu kommen?
Nein, denn das würde ja implizieren, dass nur jüngere Leute gute Ideen oder eine neue Perspektive haben können. Auf diesem Album habe ich zum Beispiel mit einem älteren Herrn namens SHELDON GOMBERG als Produzent zusammengearbeitet, mit dem ich schon an vielen Projekten beteiligt war. Und SHELDON hatte sehr frische Ideen, die mich begeistert haben und hat mich auch gepusht. Ich habe ja auch meinen eigenen Sound und meinen eigenen Stil, den ich sehr mag, und auf den ich auch nicht verzichten möchte.
Es geht dann also nicht um das Alter oder neue Ideen, sondern um die Menschen?
Ich glaube vielleicht schon. Ich fühle sogar, dass - egal wie alt ich werde - ich immer noch eine gute Figur auf dem Skateboard mache und Dir ein gutes Rennen liefern kann.
Das ist ein Bezug auf Dein Engagement in der Skateboarder-Szene, richtig? In der aktuellen Bio wird ja darauf hingewiesen, dass Du einige Songs auf dem Bass geschrieben hast. Welchen Einfluss hat das auf Dein Songwriting gehabt?
Ich habe fast alle Instrumente selber gespielt. Wenn ich auf dem Bass schreibe, dann will ich damit vor Allem das unterstützen, was ich auf der Gitarre mache. Ich wähle immer die Instrumente aus, die mich am lautesten ansprechen. Instrumente sprechen nämlich mit mir – auch wenn sie nicht gespielt werden. Siehst Du diese Gitarre da hinten an der Wand? Du kannst sie jetzt vielleicht nicht hören, aber ich höre sie, obwohl sie gerade nicht gespielt wird. Wenn ich von Instrumenten umgeben bin, dann sprechen diese alle mit mir – in ihrer Sprache - und sie nehmen mich damit ein.
Was war denn eigentlich der Grund, sowohl „Winter Is For Lovers“ und auch „Bloodline Maintenance“ als Solo-Alben zu konzipieren?
Nun ich habe so etwas ja früher auch schon mal gemacht. Da passiert nämlich etwas sehr Interessantes, wenn man sozusagen mit sich selbst musiziert. Eine Live-Band ist natürlich großartig und nichts kann diese ersetzen. Aber es gibt auch nichts, was die transmentale Erkenntnis ersetzen könnte, genau zu wissen, was man selber möchte und in der Lage zu sein, das dann auch realisieren zu können. Ich weiß genau, was ich mit jedem einzelnen Instrument gemacht habe und ich konnte dann dazu im Einklang spielen. Es gibt da nämlich diese internalisierte Orchestrierung, die sich auch durch nichts ersetzen ließe. Ab und zu ist es ganz gut, mit sich selbst zu sein – und manchmal auch die einzige Möglichkeit, zu seinen eigenen Gefühlen vorzudringen. Die Sachen, die ich auf 'Bloodline Maintenance' gemacht habe, waren dann nämlich auch so unorthodox, dass ich sie anderen Musikern gar nicht hätte vermitteln können.
Gilt das auch für die Texte? Es fällt ja schon auf, dass Du in Songs wie „We Need To Talk About It“ oder „Problem Child“ Persönliches mit starken politischen Statements mischst. Das ist ja für Dich auch eher unorthodox.
Ich mag die Möglichkeit, dass das ein politischer Song wie 'Where Did We Go Wrong' auf dem Album neben einem Love-Song wie 'More Than Love' stehen kann. Der lyrische Gehalt des Albums kann Dich so nämlich auf eine emotionale Reise mitnehmen – das hoffe ich jedenfalls. Im Idealfall ist es sogar eine emotionale Reise durch die ganze Erfahrungen des Lebens. Wenn ich das nicht erreiche, dann muss ich das hinnehmen und dann ist das OK - aber wenn ich es erreiche, dann habe ich meinen Job richtig gemacht.
Du hast Dich ja dazu entschieden, das neue Album nicht mit einer Reihe von Promo-Videos zu bewerben, sondern stattdessen Live-Versionen einiger neuer Tracks zu veröffentlichen – darunter sogar eine ganze Live-Show auf arte.tv. Dabei erlebt man einen BEN HARPER, der mit sich als Performer vollständig im Reinen zu sein scheint und seine Songs so entspannt und leger vorträgt, wie nie zuvor; denn in der Vergangenheit konnten Deine Shows ja schon sehr intensive und angespannte Angelegenheiten sein.
Das ist schön zu hören, denn ich bin eigentlich immer noch recht nervös, wenn es auf die Bühne geht. Aber was Du sagst, schwingt bei mir mit, denn in letzter Zeit fühle ich mich tatsächlich sehr entspannt mit der Show. Es fühlt sich an, als spielten sich die Stücke sogar wie von selber. Das ist sehr aufregend und ich weiß gar nicht, woran es liegt, dass ich so entspannt bin.
Nun – am Lauf der Zeiten und dem Alter vielleicht oder auch an der Tatsache, dass Du von einer Gruppe gleichgesinnter Musiker umgeben bist?
Das mag vielleicht so sein. Aber ich sage Dir: es war ganz schön schwierig, eine neue Band zusammenzustellen, nachdem JUAN NELSON verstorben war.
Das neue Line-Up der Innocent Criminals (von deren Original-Besetzung nach dem Tode des Bassisten Juan Nelsons nur noch Perkussionist Leon Mobley und der langjährige Drummer Oliver Charles dabei sind) besteht aber doch aus handverlesen Cracks auf ihrem jeweiligen Gebiet – wie dem Keyboarder Chris Joyner, dem Gitarristen Alex Painter und dem Bassisten Leslie King.
Ja, aber dennoch habe noch nie in meinem Leben so viel geprobt, wie vor der Tour. Das gab uns allen dann aber das notwendige Selbstvertrauen. Weißt Du, die Leute hatten mich vorher gefragt: 'Wie denkst Du denn über eine monatelange Tour?' Und meine neue Antwort auf diese Frage war dann: 'Die lange Tour ist mir egal – aber was ist mit den drei Monaten an Proben vorher?'
Der Aufwand hat sich aber sicherlich gelohnt, wie die neuen Live-Mitschnitte eindrucksvoll belegen. Das Problem ist dabei für uns eigentlich nur, dass es auf dem aktuellen Abschnitt der Tour keine Dates für Deutschland mehr eingeplant sind – aber das ist ja eine andere Geschichte.
Na ja – und ich komme ja auf jeden Fall auch bald wieder nach Deutschland zurück. Ich habe ja immer immer schöne Erfahrungen in Deutschland gemacht. Aber bis zum Ende des Jahres habe ich erstmal Verpflichtungen in den USA.
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*Fotocredits by Michael Halsband