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Interview mit HEXER (19.05.2023)

HEXER

Die Lobeshymnen, die auf das dritte HEXER-Album "Abyssal" von zahlreichen "Kollegen" gesungen bzw. geschrieben wurden, sprechen wohl für die Zunft der Underground-Metal-Medien wie auch für die zum Duo geschrumpfte Band aus dem Ruhrpott. "Abyssal" erteilt dem easy listening eine klare Absage, fordert heraus, möchte erobert werden - fasziniert allerdings mit einem psychedelischen Klangbild, das im Spannungsfeld zwischen Drone, Black- und Doom Metal seinesgleichen sucht. Dabei wurden Marvin (Gitarre und Gesang) und Melvin (Schlagzeug und Percussions) bei den Aufnahmen vor ungeahnte Herausforderungen gestellt, die HEXER zunächst erschütterten, dann jedoch das kreative Potential stärker denn je entfalten ließen.

Hallo mal wieder! Dieser Tage wird mit "Abyssal" Euer drittes Album veröffentlicht, von dem es ja heißt, es sei besonders wegweisend. Nachdem Ihr es bereits im November 2021 aufgenommen hattet, ist also über ein Jahr ins Land gezogen. Hand aufs Herz - wie oft hat sich in der Zwischenzeit ein Teufel auf die Schulter gesetzt und zweifelnd nachgefragt, ob nicht dieses oder jenes Detail doch noch verändert werden könnte? Oder würdet Ihr mir zustimmen, dass "Abyssal" rundherum gelungen ist?

Marvin: Hallo mein Lieber, erst einmal vielen Dank für euer Interesse! Ich denke, wir können sehr zufrieden mit dem Ergebnis sein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir kurz vor unserem Studio-Aufenthalt entschieden haben, die Band zu zweit weiter zu führen. Natürlich waren wir uns unsicher, ob wir das musikalisch kompensieren können. Gleichzeitig hat die Fertigstellung mehr Zeit in Anspruch genommen als uns gut tat. Wir wurden zwischenzeitlich wirklich betriebsblind und sind uns auch manchmal richtig auf den Sack gegangen. Die Erwartungshaltung an uns selbst war einfach hoch. Für mich persönlich ist es, auch aufgrund der intensiven Aufnahmephase, das mit Abstand beste HEXER-Album. An das neue Material für eine kommende EP werden wir nun aber umso entspannter rangehen. Wir haben viel dazu gelernt.

Du machst es mir nicht einfach, eine Boulevard-Frage nach besonderen "Nettigkeiten" während der Aufnahmen zu umschiffen, doch ich versuche es: Hat der Druck, das Album als Duo zu realisieren, im Hinblick auf die Dynamik der Musik sowie ihren zuweilen schroffen Klang auch sein Gutes gehabt?

Melvin: So kurz vor Abschluss des Songwriting-Prozesses einen Besetzungswechsel mitzumachen, verändert natürlich alles. Zum einen mussten wir uns etwas Neues für die Stellen überlegen, an denen ursprünglich besondere Synthie-Parts vorgesehen waren. Da wollten wir nicht einfach Lucas‘ Ideen beibehalten, und außerdem hatten wir auch gar keinen Synthesizer. Das hat dazu geführt, dass wir teilweise Parts in den Songs umgestellt oder uns relativ kurzfristig neue Melodien und Sounds ausgedacht haben. Insbesondere die weniger melodischen Klänge sind dadurch deutlich noisiger geraten. Statt Synthies sind für letztere Klänge Effektpedale, Rückkopplungen und ein White Noise Generator zum Einsatz gekommen.
Andererseits verändert sich mit der Besetzung auch die Dynamik komplett. In einer Dreierbesetzung hast du immer eine gewisse Stabilität, insbesondere im Hinblick auf demokratische Belange. Bist du dann auf einmal zu zweit, ist das eine ganz schöne Umstellung, und das merken wir auch jetzt noch. Allerdings hat uns das die Tür zu mehr musikalischer Freiheit und teilweise auch sehr spontaner Ideenfindung geöffnet. "Jaws of Time" haben wir basierend auf einer losen Rohfassung sogar erst im Studio zu Ende geschrieben und kurzfristig noch eingespielt.

Dem dritten Album wird von manchen eine besondere Bedeutung im Sinne von "make it or break it" angedichtet, und zumindest sollten sich gewisse "Anfängerfehler" ausgeschlichen haben. In meiner Wahrnehmung klingt "Abyssal" sehr eigen und konsequent nach HEXER, und auch wenn es Ähnlichkeiten z.B. mit der Musik von Valborg gibt, so besteht doch keine Verwechslungsgefahr. Seid Ihr zufrieden mit dem Erreichten, auch als Ausgangsbasis für Zukünftiges?

Marvin: Um ehrlich zu sein, kenne ich von Valborg nur wenig Material. So geht es mir oft, wenn Vergleiche gezogen werden. HEXER klingt nach HEXER und dieses Rezept wollen wir weiter verfeinern. Es ist immer Luft nach oben, was Songwriting angeht, alles andere ist bequem. Zudem war es aufgrund unseres merkwürdigen Genremix‘ umso aufwendiger, einen stimmigen Gesamtsound für das Album zu schaffen. "Abyssal" ist ein gutes Fundament für alles, was noch kommen wird. Wir sind sehr zufrieden mit dem Album und zeitgleich bereits ungeduldig, uns an neues Material zu setzen.

Wo Du Euren Genremix ansprichst: Erlebt Ihr den im Hinblick auf Konzerte, Festivals und Ähnliches eher als Vorteil, oder bekommt Ihr häufiger zu hören, dass Ihr weder hierhin noch dorthin so richtig passt?

Marvin: Die klare Einordnung in einen bestimmten Stil hätte insbesondere in den ersten Jahren vieles deutlich erleichtert. Ich möchte gleichzeitig keine Musik machen, die leicht konsumierbar oder gefällig ist. Es gibt bereits genug Bands, die nach Blaupause arbeiten, was ich oft nicht verstehe, weil es doch eigentlich darum gehen sollte, etwas ganz Eigenes zu erschaffen. Wir freuen uns über jede Person, die unserer verschrobenen Musik etwas abgewinnen kann, aber es tut mir echt nicht weh, irgendwen zu vergraulen, weil wir plötzlich Bock auf ein Jazz-Album haben. Insbesondere durch unsere Teilhabe an Imha Tarikat hat sich meine Haltung hierzu noch einmal gefestigt.

Wenn bereits die Ungeduld an Euch nagt, neue Musik zu erschaffen, könnt Ihr Euch für die Zukunft stilistische Erweiterungen bis hin zu neuen stilistischen Schwerpunkten vorstellen, also z.B. HEXER auf Ambient- oder Electronica-Abwegen?

Marvin: Alles ist möglich. Wir haben im vergangenen Jahr an einem Noise Set gearbeitet, den wir weiter ausarbeiten wollen, und werden uns jetzt erst einmal an eine EP wagen, die wir dem obskuren Death Metal widmen wollen. Aber eins nach dem anderen. Wir lassen erst einmal das neue Album einwirken und bereiten uns auf die erste Show als Duo vor, nachdem wir ja im vergangenen Jahr einiges absagen mussten.

Ich freue mich auch bereits auf den Gig in Troisdorf, der ja eine feine Underground-Veranstaltung zu werden verspricht. Angenommen, Ihr könntet Euch für eine "Abyssal"-Release-Show einen Konzertort aussuchen: Wo würdet Ihr auftreten, und wie dürften wir uns das Rahmenprogramm vorstellen?

Melvin: Aktuell stehen keine Pläne für eine Release-Show im eigentlichen Sinne an, und daher haben wir dazu nicht viel phantasiert. Allerdings kommt es mir persönlich am meisten darauf an, was wir an Musik und Performance auf die Bühne bringen. Natürlich sind Shows in Höhlen, Planetarien und so weiter sehr cool, aber das ist letztlich eher Beiwerk und spielt, wenn ich an meine besten Shows als Besucher zurückdenke, eine eher untergeordnete Rolle; zumindest im Metal.

Handelt es sich bei "Abyssal" eigentlich um ein Konzeptalbum?

Marvin: Ja, so wie die bisherigen Alben hat auch "Abyssal" ein Konzept, auf dem die Songs aufbauen. Wir bewegen uns erneut in einer mythologisch angehauchten, unwirklichen Welt, und schildern die Erlebnisse einer zentralen Figur, die in den Abgrund gezogen wird und dort um ihren Verstand ringt. Konzeptalben wie die frühen Alben von Mastodon haben mich überzeugt, auch in solch eine Richtung zu denken.

Der Kollege vom Legacy-Magazin bezeichnet die Musik auf "Abyssal" als "eine etwas merkwürdige Art von Metal" - ist das schon T-Shirt-Backprint-Slogan-würdig? Welche anderen Reaktionen auf Eure Musik sind erinnerungswürdig?

Melvin: Ich finde die Einordnung als "Weirdo-Metal" ziemlich schmeichelhaft, da die meisten meiner Lieblingsbands mehr oder weniger in dieser Richtung zu verorten sind. Da wir, wie Marvin auch schon sagte, ohnehin lieber unser Ding machen anstatt Klischees zu rezitieren, haben wir uns sehr darüber gefreut, dass das auch beim Hörer so ankam und die meisten Rezensenten Probleme hatten, dem Album ein Label aufzudrücken. Toilet ov Hell hat eine längere Review sogar einzig der Frage gewidmet, ob "Abyssal" ein Death Metal Album ist oder nicht. Dass jemand sich mit dieser Frage so intensiv auseinandergesetzt hat, fanden wir schon witzig, aber gleichzeitig ist das auch eine schöne Bestätigung, dass wir unseren Ansprüchen gerecht werden.

Wir können also davon ausgehen, dass es spannend bleibt bei und mit HEXER, zumal Ihr als Live- und Gast-Musiker bei Imha Tarikat sicher einige Erfahrungen macht, die sich auf Eure Kreativität und auch auf Eure Wahrnehmung der Szene auswirken, oder?

Marvin: Definitiv. Der bandübergreifende Support ist sehr groß und wir wachsen gemeinsam an und mit unseren Projekten.

Thor Joakimsson (Info)
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