Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit FEN (06.05.2017)

FEN

„FEN erheben sich indes mit „Winter" über ein Meer von Mittelmaß mit großem Gespür für Atmosphäre und Melodien, sowie einem Songwriting, welches der eigenen Phantasie und jugendlichen Leidenschaft keine Grenzen setzen möchte. [...] „Winter" besticht auf ganzer Länge immer wieder mit einer Wucht und Pracht, die heuer ihresgleichen suchen. Der erste ernstzunehmende Anwärter auf das Black-Metal-Album des Jahres?“ schwärmt musikreviews.de-Autor Thor Joakimsson über das neue Album der britischen Atmospheric Black Metaller FEN. 

Wie das Album, so das Interview: FENs Mastermind, The Watcher, holt zum verbalen Rundumschlag aus und lässt auch hier keine Wünsche offen: Umfangreich, philosophisch, polemisch, persönlich:

 

Ich hoffe, Ihr werdet das nicht zu oft gefragt: So viel ich weiß, heißt die Gegend, in der Ihr lebt und die Euch als Vorbild, sowohl für den Namen der Band, als auch für die Musik und insbesondere deren Atmosphäre gedient hat und dient, „Fen Lands“. Was ist so besonders an dieser Landschaft? Hat sie einen spezifischen Einfluss auf Eure Musik, so wie die schroffe, ungezügelte Natur Norwegens wohl ihren Einfluss auf den (frühen) norwegischen Black Metal-Sound hatte?

Die Gegend, die für den Bandnamen Pate stand und die die grundlegende Ästhetik und das musikalische Konzept prägt, ist die Fenland-Region in Ost-England. Grungyn und ich sind tatsächlich dort aufgewachsen und obwohl wir nicht mehr dort leben, fahren wir noch oft hin und besuchen Freunde und Familien. Die Gegend ist auch bis heute eine Inspirations-Quelle für mich, wo ich mich zurückziehen kann, um Trost und Motivation zum Schaffen zu finden und um die Schubkraft hinter der Band von Neuem freizulegen.

Ich schätze, viele Bands, die eine atmosphärische, “Landschafts-verbundene” Form von Black Metal spielen, sind von ihrem Umfeld beeinflusst und, wie Du schon angedeutet hast, denkt man da als erstes an den Einfluss, den die naturbelassene Landschaft Norwegens auf die dortige frühe Black Metal-Szene hatte: Düstere Wälder, zerklüftete Berge, eisige Fjorde – man sieht das deutlich reflektiert in der wilden, stürmischen, leidenschaftlichen Musik, die einige dieser Bands hervorgebracht haben.

Was FEN betrifft, so macht sich der Einfluss auf mehreren Ebenen bemerkbar – oberflächlich betrachtet ist die Fenland-Region nicht so dramatisch oder beeindruckend wie viele Gegenden in Norwegen. Es ist ein flaches, karges Gebiet mit aufgelassenen Torf-Feldern unter einem weiten grauen Himmel. Es gibt eine Handvoll Hinweise auf menschliche Zivilisation, aber die sind immer ein wenig bizarr – eine verlassene Scheune, ein verrostetes Auto in einem Bach, eine Reihe von schiefen Telegraphenmasten, die in das trübe Wasser sinken. Es ist keine Landschaft, die sich einem auf Anhieb erschließt oder die besonders aufregend wäre, aber ich finde sie einzigartig und seltsam verlockend.

Für mich persönlich ist dieser Landstrich ziemlich symbolträchtig – die “Fens” verkörpern irgendwie ein Gefühl von jenseitiger Einsamkeit und Isolation, das annähernd bestimmte Gedanken und Auffassungen wiedergibt, die seit meiner Jugend in mir verwurzelt sind. Das sind Schlüsseljahre, wenn wir wirklich anfangen, uns selbst als Individuen zu definieren, und ich denke, dass diese Umgebung unbewusst in mich eingesickert ist. 

Wenn man das alles bedenkt, dann kann man FEN als eine Art Gefäß sehen, in das sowohl die äußere, als auch die innere Landschaft einfließt, widergespiegelt in der einzigartigen Atmosphäre dieser Gegend.

 

Ich vermute, die meisten Musiker müssen sich regelmäßig Fragen bezüglich ihrer Inspiration, ihrer Einflüsse stellen – findest Du, dass Musik oder Kunst im Allgemeinen mehr als die Summe ihrer Teile ist, mehr als eine komplexe und verschlüsselte Verarbeitung von all den verschiedenen Erlebnissen und Erfahrungen, die der Künstler hat bzw. macht – sei es andere Musik, sei es der Tod eines nahestehenden Menschen, sei es, dass man zu rauchen aufgehört hat etc.?

Sie ist notwendigerweise mehr – wenn sich ein Künstler ernsthaft inspirieren lässt (und nicht nur unaufrichtige Fließbandware produziert, um auf der Erfolgswelle eines Trends mitzuschwimmen  oder um Platten zu verkaufen), dann ist Kunst unausweichlich eine Synthese aus allem, was wirklich Bedeutung für den Künstler hat. Ich bin der Ansicht, dass alles, was wir hervorbringen, in gewisser Weise ein Derivat unser Erlebnisse darstellt – unserer Inspirationen, anders ausgedrückt. Und es ist schlicht die Ernsthaftigkeit, mit der wir etwas schaffen, die es im Gegenzug zu etwas Besonderem macht. Das ist letztendlich der Weg zu ECHTER Originalität.

Eingedenk dessen habe ich schon immer das Gefühl, dass Musik, die eine Band hervorbringt, mehr sein MUSS, als die Summe ihrer Teile. Die Musiker verquicken Erlebnisse und Empfindungen (sowohl auf einer bewussten, als auch auf einer unterbewussten Ebene) und lassen sie in ihren kreativen Ausdruck einfließen. Ich persönlich drücke mich durch FEN aus – wobei ich natürlich bewusst überlege, was FEN darstellen soll und welche Botschaft bzw. Atmosphäre ich mit der Band vermitteln will. Allerdings fließen zweifelsohne unzählige unterbewusste Ideen und Vorstellungen in die Musik, die Texte und die dabei entstehende Ästhetik mit ein. 

Letzten Endes hat alles, was wir erleben, einen Einfluss auf uns als Menschen – und einschneidendere Ereignisse wie Todesfälle, Verlust und Perioden, die von (geistiger) Krankheit geprägt sind, können einen TIEFGREIFENDEN Einfluss ausüben – und daher ist  die Musik, die wir machen, wenn sie ernsthaft und aufrichtig gemacht wird, ein Ausdruck unserer selbst, entstanden aus unserer eigenen Individualität. 

Trotzdem hat es meiner Meinung nach mehr mit dieser kreativen Triebkraft auf sich, ein Verlangen, über Einfluss und Erleben hinausgehend eine WAHRHAFT inspirierte Kreativität zu erreichen. Das ist etwas, das ich sehr deutlich empfinde und immer wieder scheint es mir auch erreichbar – es gibt diese flüchtigen Momente von Erhabenheit, von einem Aufsteigen, weiter, “frei” von den Fesseln des unmittelbaren “Selbst”, die dieses Gefühl hervorbringen. 

Und das ist das wahre Ziel – zurzeit ist es ein ziemlich kurzlebiges Erlebnis, trotzdem eines, das ich nicht aufhören werde zu suchen. Ob durch Meditation, Konzentration, oder Rausch – ich weiß noch nicht, was der vielversprechendste Weg ist, aber ich werde weiter nach diesem Zustand streben!

 

Ich habe gelesen, dass FEN leider oder glücklicherweise (?) “nur deine Freizeit-Beschäftigung” ist, dennoch: Siehst Du Dich selbst als Vollzeit-Künstler?

Innerlich, ja. Musik, Kunst ist die beherrschende Kraft in mir und somit in meinem Leben. Sie mag nicht dazu dienen, mir ein Einkommen zu sichern und mir so meinen Lebensunterhalt zu bestreiten (und daher ist sie in den Augen des Großteils der Mainstream-Kultur mehr oder weniger wertlos), aber was mich selbst betrifft, ja, ich halte mich für einen Vollzeit-Künstler. 

Leider  misst unsere Gesellschaft dem praktisch keinen Wert bei und ich stelle mich Leuten, wenn sie fragen, was ich so mache, sicher nicht so vor. So traurig es sich anhört, ich muss mit der Tatsache leben, dass Musik, aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet, WIRKLICH nur ein Hobby ist. Wenn ich mich anderen als Vollzeit-Künstler vorstellen würde, dann würde das für sie bedeuten, dass ich genug Geld damit verdiene, um davon leben zu können – was mit der Realität so wenig zu tun hat, dass es schon zum Lachen ist.

Unabhängig davon habe ich deutlich andere Prioritäten als die Mehrheit in unserer materialistischen, seichten und moralisch sterilen Gesellschaft und von meiner persönlichen Warte aus betrachtet dreht sich mein Selbstbild um die Tatsache, dass ich mich selbst für einen Künstler halte. Ich kann nichts dagegen machen, denn es ist alles, was ich bin, es ist alles, was ich wirklich kann, es ist alles, worauf ich mich mit echter Hingabe, Überzeugung und Aufrichtigkeit konzentrieren kann.


Ist es nicht manchmal schwierig, herauszufinden und sich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist, und nicht in den Treibsand des Alltags gesogen zu werden?

Natürlich – und “der Treibsand des Alltags” ist eine sehr passende Beschreibung. Wir leben in einer Kultur der Zerstreuung, einer Kultur, die dazu gemacht ist, uns davon abzuhalten, uns darauf zu konzentrieren, was wirklich zählt. Verschiedenste mediale Plattformen, ein audiovisuelles Bombardement, Hamsterrad-Karrierismus, Materialismus, Propaganda, Hetze: Eine Kultur, die angetrieben wird von Angst, Neid, Panik und feiger Ich-Bezogenheit. 

Natürlich gibt es Dinge, die unvermeidlich sind, und die allermeisten von uns werden zwischen den Mühlsteinen des ökonomischen Drucks aufgerieben – schließlich müssen wir alle irgendwo leben und Essen auf den Tisch bringen. Aber ein Großteil dessen, was unsere geistige Landschaft dominiert, ist sinn- und seelenloser Schwachsinn, milde ausgedrückt.

Das jagt mir bisweilen Angst ein – vielen Leute in meinem Umfeld scheint es immer schwerer zu fallen, sich zu konzentrieren. Sind es die Smartphones? Ist es das endlose Medien-Bombardement, das sich termitenhaft in die Köpfe der Menschen eingräbt und unbewusst die Fähigkeit, sich zu konzentrieren unterminiert? Ich weiß es nicht. Was mich betrifft, so bin ich bestrebt, auch wenn es manchmal schwerfällt, meinen Fokus zu erhalten und sicherzugehen, dass ich so viel Zeit wie realistisch möglich damit verbringe, etwas Kreatives und Sinnvolles zu schaffen. Das kann mich beizeiten zu einem langweiligen, unsozialen Einsiedler machen, aber das macht mir nichts aus: Die Befriedigung, einen Abend zuhause damit verbracht zu haben, an Riffs zu arbeiten, Gitarren-Einfällen nachzugehen und Inspiration zu suchen, überwiegt oft bei weitem diejenige, die ich davon bekomme, mein Hirn mit Alkohol in die Knie zu zwingen. Wenngleich nicht immer… 


Hast Du, wenn Du Musik komponierst, ein bestimmtes Ideal im Kopf? Oder denkst Du an einen “idealen Hörer”, jemand, der Dir zuverlässig und ehrlich sagen kann, ob das, was Du geschaffen hast, gut ist, oder nicht?

An jedes Album, das wir aufnehmen, gehe ich mit einer klar umrissenen Vision, betreffend die allgemeine Atmosphäre oder der Geschichte, die wir erzählen wollen, heran. Für mich ist das essentiell – in diesem Genre muss ein Album etwas aussagen, muss eine „emotionale Grundstruktur” haben, die die Songs zusammenhält. In anderen Genres kann es schon sein, dass ein Album einfach nur eine Sammlung von Songs ist, aber meiner Meinung nach ist es für eine Ausdrucksform, die so in Stimmungen, so in Atmosphäre verwurzelt ist, dass sie den Hörer fast in eine andere Welt hinüber zieht, extrem wichtig, dass sich eine “verbindende Resonanz” durch das Album zieht.

Deine Frage zum “idealen Hörer” ist interessant – wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich schon an unsere Hörer denke, wenn ich etwas schreibe. Ich denke, das ist nur natürlich, wenn eine Band einmal seit einer gewissen Zeit besteht und ein paar Anhänger gefunden hat. Viele Bands beharren ja auf ihrem Standpunkt, dass sie “nur für sich selbst” schreiben würden, aber ich fürchte, dass solche Aussagen einer Konstruktion von kreativem Idealismus entspringen und daher ein wenig unaufrichtig sein dürften. Natürlich ist der Hauptantrieb unser eigenes Bedürfnis nach künstlerischem Ausdruck, aber wenn man erst sein Material der ganzen Welt präsentiert hat, dann beginnt es, ein Eigenleben zu führen. Jeder, der Geld für unsere Musik ausgegeben hat, der zu unseren Konzerten gekommen ist, der sich durch unser Schaffen irgendwie angesprochen, berührt, getröstet gefühlt hat, hat meiner Ansicht nach eine Art von Investition in unsere Kunst getätigt und es ist nur angemessen, dass man das in seine Gedanken miteinbezieht.

Ich fühle mich immer geschmeichelt, wenn Leute Interesse an der Band bekunden und zeigen, dass die Musik ihnen etwas bedeutet und ich bin in höchstem Maße darauf bedacht, diese Leute,  genauso wenig wie mich selbst,nicht zu enttäuschen. Daher achte ich darauf, zu bedenken, wie unsere passionierten Anhänger wohl auf das neue Material und seine Ästhetik reagieren werden.

 

Die Musiker von FEN tragen Stage-Names, Deiner ist “The Watcher”: Ist das wichtig für Dich? Gibt es einen Unterschied zwischen Dir und Deiner Bühnen-Persönlichkeit? Denkst, sprichst und handelst Du als The Watcher anders? 

Ich denke, das ist ein wichtiger Teil des Konzepts von Andersartigkeit, mit dem wir versuchen, unsere Musik zu erfüllen. Es ist aber auch ein Gedenken an die Aufregung, die mich damals ergriffen hat, als ich als Teenager zum ersten Mal Black Metal entdeckt habe, an diese außerweltlich wirkenden Charaktere mit fantastischen Namen. Das war ein wichtiger Teil der überwältigenden Atmosphäre, die diese Musik transportiert hat. FEN versucht, eine bestimmte Stimmung zu vermitteln, den Hörer auf eine Reise durch düstere Landschaften mitzunehmen. Daher war es wichtig, die Musik von der “Weltlichkeit” der Musiker zu trennen – wenn das nachvollziehbar ist. 

Wahrscheinlich waren wir auch einfach nur überheblich, trotzdem fühlte es sich richtig an, dafür zu sorgen, dass es diese Trennung gab. Ich habe kein aufgeblasenes Ego, ich mag es nicht, meinen Namen in Artikeln oder im Internet auftauchen zu sehen – echt, ich zucke immer ein wenig zusammen, wenn in einem Interview oder einer Kritik mein echter Name verwendet wird – und ich bin sehr empfindlich, was die Tatsache angeht, dass ich FEN eher als eigenständige Einheit denn als das Produkt von drei individuellen Typen verstanden wissen will.

Es geht also nicht wirklich um irgendwelche Rollen – ich bin auf der Bühne mit Freuden ich selbst, ich muss da keinen Charakter verkörpern –, sondern mehr darum, die Reinheit dessen, was wir mit FEN zu erreichen versuchen, zu erhalten. 


Könntest Du Dir vorstellen, auch unter Deinem echten Namen Musik zu veröffentlichen?

Sicher, ich kann mir schon vorstellen, Musik unter meinem echten Namen zu veröffentlichen, es käme nur auf das jeweilige Genre an und ob es dazu passen würde, meinen echten Namen zu benutzen. Aber prinzipiell habe ich kein Problem damit. Es kommt immer nur darauf an, inwieweit es der Musik, die am Ende herauskommen soll, dienlich ist.


Du hast in einem anderen Interview mal gesagt, dass Du mit FEN kein Album machen könntest, das “Frühling” oder “Sommer” heißt bzw. thematisiert, weil diese Jahreszeiten mit eher positiven Begriffen (Wärme, Hoffnung, Erblühen, Freude, etc.) besetzt sind, die nicht in den Kontext der Band passen würden. Fühlst Du Dich irgendwie von der “emotionalen Malerpalette” des Black Metal beschränkt?

Das stimmt ansatzweise, ja. Aber es geht hier weniger um die Palette von Black Metal im Allgemeinen, sondern eher um diejenige, die wir für uns selbst, für FEN, definiert haben. Wenn man unsere bestehende Ästhetik und “Firmenphilosophie” bedenkt, dann wäre das zurzeit einfach nicht angemessen. Klar, wir KÖNNTEN schon ein Album machen, das wärmer, positiver, erbaulicher wäre, aber das müssten wir auch aufrichtig fühlen und wirklich mit Leidenschaft wollen. Und das ist im Augenblick ganz und gar nicht der Fall, das kann ich Dir versichern!

So sehr ich auch persönlich Aspekte des Frühlings und Sommers schätze: Das sind Gefühle, die zurzeit einfach nicht zu der Verfassung passen, die ich brauche, um für FEN zu komponieren und auch aufzutreten. Ich fühle mich, um ehrlich zu sein, nicht wirklich beschränkt: Es gibt so unendlich viele Wege, Inspiration aus eher negativen, deprimierenden Lebensaspekten zu gewinnen. Nur weil man in der Vergangenheit bestimmte Thematiken erkundet hat, heißt das nicht, dass man damit jetzt “fertig” ist – diese Gedanken leben in uns weiter, die ewige, fortlaufende Natur unserer Wahrnehmung stellt sicher, dass wir immer mitten in irgendeiner Form von Erlebnis stecken. Somit sind wir einzig durch die Grenzen unserer Vorstellungswelt wirklich begrenzt.


FEN wird für gewöhnlich unter “Atmospheric Black Metal” eingeordnet, einem Genre, das gerade in Nordamerika einige Anhänger gefunden hat. Was denkst Du über die beinahe “Hippie-eske” Ausrichtung einiger Bands aus dieser Szene?

Für mich ist “Atmospheric Black Metal” ein so weit gefasster Term, dass er schon fast bedeutungslos geworden ist. Ich persönlich interpretiere ihn im Sinne der frühen skandinavischen Black Metal-Szene – Bands wie EMPEROR, BURZUM und ULVER haben wahre Pioniersarbeit geleistet im Bezug darauf, dass extremer Metal auch genutzt werden kann, um ein Gefühl von Raum und ergreifende Stimmungen zu vermitteln. 

„Atmosphärisch” kann man auf so viele verschiedene Arten interpretieren: Bands wie RUINS OF BEVERAST oder ONDSKAPT sind zum Beispiel sehr atmosphärisch, aber auf eine tiefschürfende, bedrückende und beängstigende Weise – es ist eine Atmosphäre, die meilenweit weg ist von einer Band wie FALLS OF RAUROS, die ebenso atmosphärisch ist, aber sich aber weit mehr an der “traditionellen” Interpretation (Natur, Leidenschaft, Landschaft, etc.) des Begriffs orientiert.

Ja ja, es ist echt schwierig. Ich ordne FEN oft diese Bezeichnung zu, wenn ich gefragt werde, aber ich bin mir sehr wohl bewusst, dass nicht nur die Definition von atmosphärischem Black Metal hochgradig subjektiv ist, sondern auch, dass dieser Begriff vor allem eins ist: Unzulänglich. 

Was das “Hippie-eske” Element der nordamerikanischen Szene anbelangt: Wird reden hier mehr oder weniger ausschließlich von der Cascadischen Szene und vor allem von WOLVES IN THE THRONE ROOM, oder? In diesem Fall hege ich recht zwiespältige Gefühle – ich bewundere ihre Haltung, einen derart kompromisslosen Umweltschutz zu ihrer Ideologie zu machen, was natürlich Bewegung in die “Truer than you”-Gemeinde bringt und ihr gleichzeitig die Vorstellung von Individualismus und Einzigartigkeit zugesteht. Andererseits erfindet auf musikalischer Ebene niemand das Rad neu, dessen Schablone AGALLOCH und WEAKLING um die Jahrtausendwende definiert haben. Aber zumindest die Rhetorik ist interessant.

Ich habe wirklich kein Problem damit, mit dieser Szene in Verbindung gebracht zu werden – es gibt Parallelen (Inspiration, die sich aus Orten speist, Natur-Referenzen und eine eher melodische, seelenvolle Herangehensweise an Black Metal), aber ich schätze mal, wir alle trinken gewissermaßen aus derselben Inspirations-Quelle. 

Meine Lieblings-Band ist noch immer FIELDS OF THE NEPHILIM und ich weiß, dass die Typen von AGALLOCH mal gesagt haben sollen, dass der Ursprungsgedanke von AGALLOCH war, eine Black Metal-Version von FIELDS OF THE NEPHILIM zu erschaffen. Ich denke, das spricht für sich.


Würdest Du Eure Musik als eher konstruktiv oder destruktiv beschreiben?

Nun ja, abgesehen davon, was einige pseudo-nihilistische Figuren einen glauben machen wollen, ist sehr wenig Musik WIRKLICH destruktiv. Thematisch kann sie es natürlich sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob Du das gemeint hast. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich auf jeden Fall sagen, dass FEN letzten Endes konstruktiv ist – FEN steht für eine Katharsis, einen Versuch, durch die dunklen Gefilde der menschlichen Psyche zu reisen, sich ihnen zu stellen, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Das ist für mich letztlich ein konstruktiver Prozess, wie schmerzvoll die Reise auch sein mag.


Ihr habt ein Musikvideo für „II (Penance)” veröffentlicht, das einen Wanderer, der eine sonnige, frostige Landschaft durchmisst, zeigt. Am Ende des Videos erreicht er eine große Kirche, die auch auf dem Cover von „Winter” zu sehen ist. Wofür steht diese Kirche? Ist sie auch ein kleines, höfliches „Fuck You” an all die Black Metal-Bands, die nicht über über ein gewisses Maß an breit zur Schau gestelltem, unreflektiertem Satanismus, über das Wiederholen der ewig gleichen leeren Phrasen hinauskommen?

Das betreffende Bauwerk ist die Kathedrale von Ely – ein beeindruckender Anblick. Sie erhebt sich über das flache Fen-Land und man sieht sie im Umkreis von vielen Meilen. Der Hügel von Ely – das war tatsächlich mal eine Insel, umgeben von den Sumpfgebieten der Fens – dominiert diese Landschaft. Das Video spiegelt die Symbolik, die das Album durchzieht, insofern wieder, als dass die Kathedrale das Zielobjekt unserer Suche, den Endpunkt unserer Reise verkörpert.

Worin genau dieser Zielpunkt besteht, ist wie gesagt nicht genau festgelegt. Es obliegt dem jeweiligen Hörer/Betrachter, ihn so zu interpretieren, wie er auf ihn selbst zutrifft. Was auch immer schließlich entdeckt wird, ein Element der Buße wird Teil davon sein: Unserer eigenen Wahrheit entgegen zu treten heißt, all der Hässlichkeit entgegen zu treten, die schließlich mit der grundlegenden Natur und den Schwächen unserer Menschlichkeit einhergeht – siehe der Untertitel „Penance“ [dt.: „Buße“ -Anm.].

Was das „Fuck You” an unreflektierten Satanismus angeht – nicht wirklich, ehrlich gesagt. Ich weiß traditionellen, orthodox anti-christlichen Black Metal noch immer zu schätzen – ja, es gibt einige Bands, denen man hohles Posieren und halbgares Marktschreiertum vorwerfen kann, aber ich halte es für wichtig, diesen Aspekt von Black Metal zu bewahren, auch wenn das Genre sich weiter entwickelt und verändert. Das Bild der Kathedrale ist rein symbolisch, abgesehen davon, dass sie ein Bindeglied zu eben der Region darstellt, von der die Band grundsätzlich geprägt ist.


Ohne zu tief in das Nazi-verseuchte Paganismus-Thema einzusteigen: Was hältst Du von dem immensen Einfluss, den das Christentum auf die ganze Welt und insbesondere Europa hatte und hat? War/ist es insgesamt betrachtet ein guter Einfluss? Sollten die Menschen/Regierungen mehr Anstrengungen unternehmen, um sich vom Christentum (als einer Institution) zu emanzipieren?

Wenn ich dem Ganzen etwas Positives abgewinnen soll, dann würde ich darauf hinweisen, dass das Christentum die Triebkraft hinter einigen unglaublichen Kunstwerken war – sei es Architektur, sei es Malerei, sei es Musik: Eine riesige Fülle an kulturellen Reichtümern wurde über Jahrhunderte aufgrund des christlichen Einflusses geschaffen. 

Natürlich weist der realistische/zynische Teil in mir darauf hin, dass es all das vor allem aufgrund des Reichtums der Kirche in Europa gibt – und des Mäzenatentums, das mit der gewaltigen Anhäufung besagten Reichtums einher geht. Die Opulenz kirchlicher Bauten und die Pracht der Auftragsarbeiten, die sie füllen, zeugt davon: Ein Großteil der Bevölkerung hungert zahnlos im Dreck, während ein Kunsthandwerker Blattgold auf ein Gemälde der heiligen Dreifaltigkeit aufträgt. Genau das ist die Essenz des Christentums, könnte man fast sagen!

Abgesehen davon – ja. Ich bin kein Fan. Das Christentum ist nur einer der vielen Auswüchse der vielköpfigen Hydra und Geißel des vernünftigen Denkens auf der ganzen Welt, dem Monotheismus: Eine scheußlicher Deckmantel für die Schwachsinnigen, die Wütenden, die Ängstlichen, die Brutalen, die Eigennützigen, den sie als Grundlage für Grausamkeiten aller Art, Aberglaube, Vorurteile und gute alte Manipulation gebrauchen. Ich kann schon nachvollziehen, was die Menschen am Christentum finden und ich zweifle nicht daran, dass es viele Millionen Gläubige gibt, die Frieden, Liebe und Toleranz nicht nur predigen, sondern auch leben. Aber es gibt auch viele, die das nicht tun. Und nun nimm dazu noch die Ozeane von Blut, im Laufe der letzten zwei Jahrtausende “im Namen Gottes” vergossen wurden, und es kommt schnell ein ziemlich makaberer Gesamteindruck zustande.

Natürlich kenne ich all die alten Argumente, aber ich fürchte, sie scheinen mir wenig stichhaltig - “Oh, ohne das Christentum hätten wir keine Grundlage für Moral und Werte etc. etc.”. Reiner Bullshit. Wer die Bedrohung durch irgendeinen abstrakten, allmächtigen Gott braucht, um alltägliche Sitten einzuhalten, der gehört in die Gummizelle und nicht auf eine Kirchenbank, wo er sich im Schein seiner ekelhaften Selbstgerechtigkeit sonnen kann.

Meiner Ansicht nach hat das Christentum absolut nichts in der Nähe der Regierungsentscheidungen einer aufgeklärten, zivilisierten Nation verloren, aber wenn man sich anschaut, wie vernünftiges Denken in den letzten Jahren anscheinend aufs Abstellgleis geschoben wurde, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir wieder anfangen, Hexen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, fürchte ich!


Jetzt, da das Album veröffentlicht ist, habt Ihr irgendwelche Pläne für eine (europaweite) Tour? Weißt Du, ob, bzw. erwartest Du, dass der Brexit, wenn er schließlich umgesetzt wird, es für englische Bands schwieriger machen wird, außerhalb ihres Heimatlandes zu touren?

Wir haben nichts Konkretes auf dem Tisch, diskutieren aber über einige, noch unbestimmte Pläne. Wir würden uns natürlich ungemein freuen, wenn in nächster Zeit eine größere Tour durch Europa zustande käme, auf der wir unser neues Album vorstellen könnten. Es ist immer großartig, in Europa zu spielen, die Zuschauer sind immer sehr anerkennend, die Promoter professionell und die allgemeine Stimmung macht das ganze Erlebnis zu einem Vergnügen. Wir fühlen uns wirklich zuhause, wenn wir auf dem Festland spielen, es ist immer eine Ehre.

Das macht das bevorstehende Brexit-Szenario natürlich zu einer bitteren Pille für uns. Natürlich wird das englischen Bands, die in Europa touren wollen, das Leben schwer machen - Zollerklärungen, Ausfuhrbestimmungen, Visa… All das wird es natürlich für kleinere Bands wie uns zu einer Herausforderung machen, hinüber zu kommen. Am Ende läuft es einfach auf die Kosten hinaus: Wenn es für uns teurer wird, in Europa zu touren/aufzutreten, dann ist die Chance, dass uns ein Promoter bucht oder dass wir uns das Reisen überhaupt leisten können, natürlich kleiner.

Klar, die großen Bands werden davon nichts spüren, für sie ist das eine große Einnahmequelle und die Kosten werde da leicht wieder rein geholt, aber wir haben auf Tour auch so schon Glück, gerade noch am Bankrott vorbei zu schrammen. Wenn also die Kosten drastisch in die Höhe gehen, dann haben wir Probleme. So sehr wir es auch genießen, wir können es uns einfach nicht leisten, zu riskieren, tausende Pfund unseres eigenen Geldes zu verlieren, indem wir mit der Band auf Tour gehen. Wenn diese vertrottelte Regierung also weiter auf den selbstzerstörerischen Wahnsinn eines “harten Brexit” drängt, dann wird es immer wahrscheinlicher, dass in zwei bis drei Jahren FEN-Shows in Europa der Vergangenheit angehören werden. 

Das wäre verdammt traurig.


(Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen.)

Tobias Jehle (Info)
Alle Reviews dieser Band: