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Interview mit LUCY KRUGER (03.06.2021)

LUCY KRUGER

Mit ihrem letzten Album „Sleeping Tapes For Some Girls“ erschuf die in Berlin ansässige südafrikanische Songwriterin LUCY KRUGER nicht nur eine Blaupause für ein psychedelisches Whisper-Folk-Album mit Dreampop-Faktor, sondern auch so eine Art An- und Einleitung für ihr nun vorliegendes neues Album „Transit Tapes (For Women Who Move Furniture Around)“. Denn während es auf dem letzten Album noch ausschließlich um jenen schwer greifbaren Zustand zwischen Schlaf, Traum und Unterbewusstsein ging, so ist LUCY auf dem neuen Album nun eindeutig aufgewacht – wenngleich es noch nicht deutlich ist, ob sie das Schlafzimmer bereits verlassen hat. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Werken, denn während „Sleeping Tapes“ musikalisch noch als dezidiert introvertiertes Solo-Album angelegt war, gibt es auf dem neuen Tonträger nun auch wieder Musiker ihrer Band THE LOST BOYS zu hören (denn sie firmiert stets als LUCY KRUGER & THE LOST BOYS.) Vor zwei Jahren zog LUCY nach Berlin. Der Titel des neuen Albums „Transit Tapes“ deutet indes an, dass sie dort noch nicht endgültig angekommen ist. Was außerdem dafür spricht, ist der Umstand, dass sie sich regelmäßig auch in ihre südafrikanische Heimat zurückzieht, wo sie ebenfalls musikalisch tätig ist – und wo wir sie auch zu unserem Gespräch erreichen.



Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die neue Scheibe zieht, ist Dein – zumindest in Songs wie „A Strangers Chest“ oder „Evening Train“ - zum Ausdruck kommendes Bedürfnis, mit Fremden in Verbindung treten zu wollen, beispielsweise durch Berührungen. Was hat es denn damit auf sich?

LUCY: Nun auf einer grundlegenden Ebene ging es mir darum, dass ich wesentlich mehr alleine war, als bisher gewohnt, nachdem ich nach Berlin gezogen war. Es geht in diesen Songs offensichtlich also um ein Gefühl der Vertrautheit, Wärme, Sicherheit und Geborgenheit. Und das äußerte sich dann eben in einem physischen Bedürfnis nach Berührungen. Und auf einer anderen Ebene überträgt sich alles dann auf eine eher poetische Betrachtung des Phänomens – das Bedürfnis nach Nähe.

Das Komische und Eigenartige dabei ist ja, dass wir momentan in Zeiten Leben, in denen gerade dieses Bedürfnis nicht opportun zu sein scheint.

Ich weiß. Das ist schon ganz schön seltsam, nicht wahr? Denn auf diese Weise scheint es, dass die Songs eine noch gewichtigere Bedeutung bekommen.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die meisten Songtitel auf der neuen Scheibe mit dem unbestimmten Artikel „a“ beginnen: „A Strangers Chest“, „A House“, „A Paper Boat“, „A Window“ usw. Das heißt, es geht also nicht um bestimmte Häuser oder Fenster – sondern um jedwede. Fast, so scheint es, als wolltest Du auf dem neuen Album weit weniger konkret und spezifisch werden als sonst, oder?

Ja, ja, ja. Ich habe lange darüber nachgedacht und eigentlich sollten alle Songs nach Möbelteilen oder Bauelementen benannt werden. Es ging mir dabei schon darum, ein Fehlen der Vertrautheit deutlich zu machen. Natürlich haben sich manche Songs wie „Warm II“ dagegen gewehrt und ich wollte den Effekt dann auch nicht erzwingen – aber im Prinzip habe ich schon in diese Richtung gedacht. Und es hätte auch lächerlich ausgesehen, wenn alle Songs mit 'a' begonnen hätten. Wie Du schon sagst, ist es durchaus irgendwie faszinierend, wie sich durch die Hinzunahme des Artikels 'a' das Gefühl des Gesagten und die Bedeutung des Titels verändert.



Kommen wir zum zweiten Teil des Titels deines neuen Albums: „For Women Who Move Furniture Around“. Was hat es damit auf sich?

Also, ich hatte damals eine Dokumentation gesehen, in der jemand davon sprach, wie seine Frau ständig die Möbel umstelle, wenn er unterwegs sei, sodass es sich immer wieder anders anfühle, wenn er nach Hause komme. Für mich fühlte sich das ganz schön heavy an und ich stellte mir die Frage, worin wohl die Gründe dieser Frau liegen könnten, sich so zu verhalten. Das wiederum machte ich mir auf einer poetischen Ebene zu Eigen. Ich weiß schon, dass manche Leute den Drang verspüren, ständig ihre Möbel umräumen zu müssen. Ich selber mache sowas zwar nicht, aber ich kann mich schon mit dieser Art von Rastlosigkeit identifizieren. Natürlich handeln manche Leute so, weil sie damit beabsichtigen, dass sich ihre Umgebung verändert und ich möchte da auch gar nichts reinprojizieren, aber ich spürte eine Verbindung zu dieser Art von Bedürfnis.

Das neue Album wurde inhaltlich aber nicht irgendwie von der Pandemie beeinflusst, oder?

Nein – die Pandemie habe ich ganz gut verarbeiten können. In Südafrika können wir auch schon wieder Live-Konzerte spielen – was wundervoll ist. Ich versuche mich gerade an die Zeitschiene zu erinnern – aber ich glaube, wir haben die Aufnahmen im August letzten Jahres eingespielt, als die Sache etwas relaxter gehandhabt wurde.

Musikalisch arbeitetest Du ja mit einer neuen Konstellation an Musikern zusammen, die nunmehr Deine Lost Boys ausmachen.

Ja, das ist eine ganz neue Gruppe von Leuten. Die Gitarristin Liú Mottes ist jetzt übrigens meine Partnerin und wir wollten einfach mal sehen, wie wir zusammen spielen könnten, weil wir das beide mögen. Das fühlte sich gut an und passierte ganz natürlich. Unser neuer Drummer Martin kam irgendwann zu einer unserer Shows und ich lernte ihn dort kennen. Wir haben zusammen geprobt und schnell festgestellt, dass auch das passte. Ich denke, Drummer gehören sowieso zu den Musikern, bei denen man schnell feststellt, ob es funktioniert oder nicht. Andreas, unser Bassist, kam als letzter hinzu. Ich kannte ihn schon ein wenig aus der Berliner Musikergemeinschaft.

Das heißt, ihr seid jetzt eine richtige Band?

Ja, es war aber trotzdem anfangs ganz schön einschüchternd mit einer neuen Gruppe von Menschen zu spielen. Das lag daran, dass ich die Songs ja schon vorher geschrieben, aber noch nie mit jemand anderem gespielt hatte. Ich hatte also das Gefühl, dass ich den ganzen Prozess unbedingt lenken müsste. Und das bedeutet, dass Du genau wissen musst, was Du willst, was ganz gut für mich war. Alles in allem war es eine gute Erfahrung – einerseits sehr klar, aber auch ein wenig experimentell.

Mit welchem Plan bist Du das Album denn von der musikalischen Seite her angegangen? Offensichtlich passiert hier musikalisch ja deutlich mehr als auf deiner letzten Solo-Scheibe – aber auch weniger als auf dem letzten, finalen Album von „Medicine Boy“, das im letzten Jahr herauskam.

Tatsächlich passiert ja gar nicht so viel. Außer, dass bei allen Stücken eine 4-köpfige Band agiert. Was ich auf jeden Fall wollte, war dieses Mal elektrische Gitarre zu spielen und keine akustische. Aber ich habe die Songs so geschrieben, dass ich sie auch alleine spielen könnte. Das Format war also festgelegt. Ich wollte aber unbedingt die Songs mit meiner Band live in einem Raum einspielen. Denn wenn ich alleine für mich spiele, dann unterliege ich bestimmten Mechanismen, um die Sache irgendwie interessant zu machen – und einer davon ist eine Verschiebung des Tempos. Um dieses Gefühl auch mit der Band einzufangen, war es notwendig, dass die Band mit mir gemeinsam spielte.

Das ist dann ja wohl auch die einzige Möglichkeit, die Songs den anderen nahezubringen, oder?

Im Prinzip ja. Ich spielte ihnen die Songs zunächst einmal vor, damit sie ein Gefühl dafür entwickelten. Mit Liú habe ich viel Zeit verbracht, denn sie hat ihre Parts alles selbst geschrieben. Liú ist sehr aufmerksam in Bezug auf das, was sie vermitteln will und was sie singt, denn sie singt mit der Gitarre. Das hat für die Scheibe den entscheidenden Unterschied in Bezug auf die Komplexität unserer musikalischen Konversation ausgemacht. Wir haben uns da nicht einfach verkeilt, sondern es gab eine echte Überlagerung und ich denke, das hört man demAlbum auch an, was sehr wichtig ist.

Auch im Live-Kontext 'unterhältst' Du Dich ja mit Liú über das Gitarrenspiel, richtig?

Ja, das ist auch so beabsichtigt, denn das ist die Art, in der Liú arbeitet. Es ist einfach schön, das dann zu beobachten und sich darauf zu konzentrieren.

Wenn Du sagst, dass Du die Songs für sich mit sich verändernden Zeit-Signaturen spielst: Wie vermittelst Du das denn den anderen Musikern in Bezug auf den Rhythmus des Materials?

Das ist einfach, wenn man mit richtig guten Musikern zusammenarbeitet. Wenn es sich nicht richtig anfühlt, dann macht man eben eine Pause und versucht es noch einmal. Es ist mehr so eine Gefühlssache. Martin, der Drummer, hört einfach gut zu und fühlt die Musik auf eine schöne Weise. Und das ist es ja auch: Man muss Kunst spüren können.

Mit dem Stück „Promised Land“ gehst Du in Bezug auf die Atmosphäre noch einen Schritt weiter – denn dabei handelt es sich nicht wirklich um ein Stück Musik, sondern eher um ein mit Geräuschen untermaltes Gedicht.

Ja! Das Stück habe ich übrigens an einem Synthesizer geschrieben. Es handelt sich dabei um ein Gedicht, welches in der Mitte des Albums gelandet ist und auf gewisse Weise alles in Form eines kleinen Mantras zusammenfasst. Vielleicht wollte es ja gar nicht in einen großen Song umgewandelt werden. Es war einfach ein verspieltes Experiment.

Das bedeutet dann ja, dass die Songs selbst bestimmen, was sie sein möchten. Wie kontrollierst Du dann Deine Arbeit, um sie in Form bringen zu können?

Ich denke schon, dass hauptsächlich das Gefühl diktiert, in welche Richtung die Sache gehen sollte – und nicht das Handwerkliche oder technische Dinge. Ich möchte mich auch mehr für Experimente öffnen. Andererseits habe ich auch einen Sinn für solche Sachen wie technische Aspekte. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber manchmal denke ich sogar, dass ich zu kontrolliert agiere. Ich stelle mir sogar vor, wie es wäre, technisch versierter zu sein und das als Ansatz zu nehmen. Aber zu diesem Zeitpunkt ist das einfach nicht der Fall.



https://www.facebook.com/LucyKrugerOfficial

https://lucykruger.bandcamp.com/


Foto-Credits: Laura Carbone / Ullrich Maurer

Ullrich Maurer (Info)